Gibt es etwas wie faschistische Musik?

Seite 2: "Präfaschistische Muster"

Sie schreiben über Wagner: "Daran, dass die Faschisten ihn mochten, ist er nicht unschuldig." Warum?

Kai Köhler: Na ja, er hat ein ganzes Buch gegen "Das Judenthum in der Musik" geschrieben, und negative Figuren wie Mime in Siegfried und Beckmesser in den Meistersingern lassen sich leicht als Judenkarikaturen identifizieren. Sein Bayreuth war denn auch nicht erst nach seinem Tod ein übles deutschnationales Nest.

Aber viel interessanter ist, wie präfaschistische Muster direkt ins Werk eingingen. Da haben wir den Gestus der Monumentalität. Sicher – das ist 19. Jahrhundert, fängt bei Beethoven an und hört nicht auf bei Mahler, dessen Musik wegen seiner jüdischen Herkunft von den Nazis verboten wurde.

Aber Wagner war fast ausschließlich Musikdramatiker, da lässt sich die Musik von der Bühne nicht trennen. Bei ihm ist die Monumentalität mit deutschen Mythen verknüpft, oder wenigstens mit Mythen, die zu seiner Zeit für Deutsch erklärt wurden.

Und wir haben das Muster eines romantischen Antikapitalismus – das heißt eines Antikapitalismus, der nicht nach vorn will, zu einer vernünftigen Organisation der menschlichen Gesellschaft, sondern zurück in eine vorgeblich bessere Zeit.

Damit – und auch das ist mir wichtig – ist jedoch Wagners Werk keineswegs als reaktionär erledigt. Es gibt nicht nur unzählige musikalische Schönheiten und an den besten Stellen eine Sensibilisierung der Empfindung. Punktuell lässt sich auch von einer reaktionären Kritik des Bestehenden etwas lernen, denn immerhin ist sie ja in ihrer Schrumpfform wenigstens Kritik.

"An ihrem Ort kann auch die schrillste Dissonanz schön sein"

Der letzte Satz in Ihrem Buch lautet: "Es ist an der Zeit, Schönheit wieder als zentrale Kategorie des Ästhetischen in ihr Recht zu setzen." – Muss also Musik, um bedeutend zu werden, sinnverdichtend, Widersprüche aufzeigend, entwickelnd, bewahrend, also katharsisfähig sein, wobei quasi die Schönheit aus der sich bewegenden, inneren Ordnung dieser Widersprüche entsteht?

Kai Köhler: Sinnverdichtend, ja. Dazu braucht es eine Form. Der Satz, den Sie zitiert haben und der mir essenziell ist, steht ja in einem Beitrag zur chinesischen Kun-Oper, einer sehr regelstrengen Musikgattung. Überhaupt helfen musikalische Gattungen, und zwar gerade nicht, um es sich einfach zu machen und die Vorgänger bloß zu kopieren.

Vielmehr geht es darum, musikalische Entwicklungen, im besten Fall Fortschritt, auch den Hörern zu übermitteln. Eine ganz neue Form zu erfinden, die auch nachvollziehbar ist, ist möglich, gelingt aber extrem selten.

Schönheit ist natürlich ein missverständlicher Begriff. Gemeint ist nicht, dass sich angenehme Harmonien und Melodien ins Ohr schmeicheln. An ihrem Ort, zu ihrem Zweck bezogen aufs Ganze, kann auch die schrillste Dissonanz schön sein.

Aber es geht nie um bloß naturalistische Nachahmung eines Schreckens. Dazu braucht man keine Kunst, da kann man Kriegsberichterstattung schauen, was ja auch eine wichtige Beschäftigung ist. Kunst sollte – eben sinnverdichtend – eine Wahrheit geben, die über das Wirkliche hinausgeht. Es zusammenfasst, Perspektiven zeigt. Das kann auf Katharsis zielen, muss es aber nicht.

Die Durchgestaltung von Widersprüchen gehört dazu. Seit Hegel spätestens wissen wir ja, dass Widersprüche und Entwicklung untrennbar sind. Am besten geeignet scheint mir dafür das abgeschlossene Werk zu sein.

Wo Kunst und Leben ineinander ausfransen, entstehen zu viele Möglichkeiten, Widersprüchen auszuweichen. Es ist wie beim Film: Die spannendsten sind die, wo die Leute in einem Raum zusammengesperrt sind, das Road Movie dagegen ist ein dramaturgischer Notbehelf.

Nun kann man Köhler mit Köhler widersprechen und sagen: Mein Schlussappell ist hilflos, denn Kunst ist zwar nicht gleich Gesellschaft, bleibt aber angewiesen auf Gesellschaft. Mehrere der Texte im Buch sind der Frage gewidmet, welche Chancen und Aufgaben eine starke kommunistische Bewegung, ein sozialistischer Staat für Komponisten wie Eisler und Schostakowitsch bedeuteten. Ist dagegen die Gesellschaft, die wir haben, überhaupt noch zum Kunstschönen fähig?

Die Schwierigkeit habe ich daran gezeigt, wie und warum Operninszenierungen heute so oft missglücken. Aber es kann ja nicht darum gehen, die Misere nur widerzuspiegeln. Kunst, damit auch Musik, soll ein Spannungsverhältnis des Bestehenden zum Möglichen austragen, und das leistet die gelungene Form.