Stuttgart 21: Kritiker zerpflücken Brandschutz-Konzept

Bau eines Eisenbahntunnels

(Bild: David Jancik / Shutterstock.com)

Kritiker halten Tunnel bei S21-Bahnprojekt für Todesfallen und fordern sofortigen Baustopp. Verantwortliche versprechen Rettung mit groteskem "Universalkonzept".

Stuttgart 21 ist schon heute mit – Stand jetzt – fast zwölf Milliarden Euro an prognostizierten Kosten eine Geldverbrennungsmaschine par excellence. Und auch deshalb immer mal wieder ein Aufregerthema. Aber was wäre erst los, wenn Deutschlands teuerstes und zeitintensivstes Bahnprojekt am Ende gar nicht an den Start ginge?

Warnungen vor potenzieller "Todesfalle" Stuttgart 21

Eine unsinnige Frage? Mitnichten, zumal eine, bei der es um Menschenleben gehen könnte. Kritiker warnen seit vielen Jahren, dass S21 mit dem Tiefbahnhof im Herzen Stuttgarts und seinem 60 Kilometer langen Tunnelsystem zu einer "Todesfalle" für Hunderte, mithin Tausende Menschen werden könnte.

Zum Beispiel befand schon 2018 der renommierte Brandschutzexperte Hans-Joachim Keim bei der Vorstellung einer vom Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 beauftragten Analyse, die Chancen für körperlich beeinträchtige Personen, eine Feuerkatastrophe im Stuttgarter Untergrund zu überleben, gehe "nicht gegen null, sondern ist gleich null".

Expertenmeinung: "Es ist Wahnsinn, was die da machen."

Keim ist nicht irgendwer. Er war Gutachter des Gletscherbahnunglücks im österreichischen Kaprun, bei dem im Jahr 2000 infolge eines Brandes 155 Menschen durch Rauchvergiftung starben. Aus Sorge, bei S21 könnte sich Ähnliches oder Schlimmeres ereignen, warnte der Experte vor einem "Staatsverbrechen" und weiter: "Es ist Wahnsinn, was die da machen."

Die eifrigsten Macher sitzen bei der Deutschen Bahn (DB), in Gestalt der DB Projekt Stuttgart–Ulm GmbH (PSU). Ein Sprecher versicherte am Montag gegenüber Telepolis, Bahnhof und Tunnel erfüllten "alle strengen Sicherheitsanforderungen". Das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) habe als zuständige Behörde die "Planung (…) im Rahmen der Planfeststellung geprüft und genehmigt". Den Kritikern warf er eine "seit Jahren betriebene Panikmache" vor.

Gefragt hatte Telepolis nach einem Offenen Brief aus der Feder des Physikers und Gründers des Faktenscheckportals WikiReal.org, Christoph Engelhardt. Das Schreiben dreht sich um eine Äußerung, mit der sich die Bahn jüngst in der Stuttgarter Zeitung zitieren ließ. Der Satz lautet: "Das der bestandskräftigen Planfeststellung zugrundeliegende Brandschutzkonzept des künftigen Stuttgarter Hauptbahnhofs ist von der Art der eingesetzten Züge unabhängig."

Mehr Passagiere, identische Fluchtzeit?

Nach dieser Darstellung hätte die Länge eines Zuges und letztlich die Zahl der Passagiere im Notfall keinerlei Einfluss auf das Gelingen der Entfluchtung. Dabei liegt es auf der Hand, dass bei vollbesetzten Waggons und der Enge der Rettungswege, verbunden mit einer dann eher aufkommenden Panik, die Fluchtbedingungen schlechter sind als im Falle einer deutlich geringeren Auslastung.

Tatsächlich plant die Bahn bei S21 neuerdings perspektivisch mit Regionalverkehrszügen, die bis zu 3.681 Menschen fassen sollen. Davor war aber stets mit höchstens 1.757 Reisenden kalkuliert worden und diese Kennzahl war auch immer die Richtgröße bei Fragen des Brandschutzes. Mit der plötzlichen Verdopplung müsste es folgerichtig dann auch halb so wenig Platz für jeden Einzelnen geben, genauer gesagt müsste sich bei dem Gedränge die Zeit zur Flucht deutlich verlängern.

Platzmangel in den S21-Tunneln

Dabei bieten die S21-Tunnel ohnehin schon so wenig Platz wie kein anderes vergleichbares Bauwerk in Europa. Mit Fluchtwegen einer Breite von 120 Zentimetern, die sich durch Einbauten stellenweise auf 90 Zentimeter verengen, sind die Querschnitte im Vergleich mit anderen Tunneln im Ausland die engsten. Das Mittel liegt bei rund zwei Metern Breite.

Das Aktionsbündnis war vor knapp zwei Wochen mit entsprechend neuen Erkenntnissen und der Forderung nach einem "sofortigen Baustopp" an die Öffentlichkeit gegangen. Zitat: "Eine Inbetriebnahme mit den geplanten Zügen unter Einhaltung der Brandschutzstandards ist ausgeschlossen."

Gefährdungslage verschärft sich mit steigender Passagierzahl

Anderswo verkehren die Züge in doppelröhrigen Tunneln im Schnitt mit 1.000 Fahrgästen und nicht mit dem mehr als Dreifachen. Außerdem weisen die S21-Tunnel in Teilen eine starke Neigung auf, was den sogenannten Kamineffekt verstärkt und damit eine rasche Verrauchung noch begünstigt. Die Gefährdungslage erscheint unter all diesen Voraussetzungen an sich schon unverhältnismäßig hoch, verschärft sich aber noch mit der Zahl der Passagiere.

Aber warum hat man das Tunnelinnere eigentlich so minimalistisch dimensioniert? Ursächlich ist das Mineral Anhydrit im Gestein des Stuttgarter Untergrunds, das bei Berührung mit Wasser aufquillt "wie ein Hefekuchen". Zum Schutz gegen den drohenden hohen Außendruck, der die Fahrtrasse anheben oder die Wände zerbersten könnte, wurden die Röhren dicker als üblich gebaut, wodurch innen weniger Platz bleibt.