Nicht aufregen: Deutsche Bahn verschiebt Bauprojekte

Über eine Debatte zur Lebensgefahr der Verkehrswende. Was das Aufschieben bedeutet und warum das nicht schlimm ist, erklärt unser viel mit dem Zug reisender Autor.

Auch das noch: Jetzt ist nicht mehr nur die Bahn verspätet, sondern auch deren Bauprojekte. Oder doch nicht?

Hunderte Bauvorhaben sind auf deren Infoseite aufgeführt, einige davon klein, wie beispielsweise der Bau von Lärmschutzwänden, den die Bahn "Lärmsanierung" nennt. Andere groß, sehr groß, wie z.B. der Bau des Fernbahntunnels in Frankfurt, der Bau von neuen ICE-Trassen.

Vielen davon drohe nun das Aus, berichteten unter anderem Spiegel und Reuters unter Berufung auf ein Dokument der gerade erst Anfang des Jahres gegründeten Infrastrukturgesellschaft InfraGO.

Haushaltskrise: Lebensgefahr für die Verkehrswende?

Die Haushaltskrise im Bund habe dazu geführt, dass nur noch 27 der eigentlich zugesagten 40 Milliarden Euro zur Verfügung stünden und dieses Geld solle nun vor allem in die Sanierung der Infrastruktur fließen. Nicht mehr dabei: die Neubaustrecke Frankfurt-Mannheim, aber auch, unter anderem, die Anbindung an den Fehmarntunnel zwischen Deutschland und Dänemark.

Peinlich wäre das, weil der Tunnel schon gebaut wird, und ein Bahntunnel ohne Bahn keinen besonders großen Sinn ergibt. Außerdem in Gefahr: Güterstrecken. Medien erklärten deshalb Lebensgefahr für die Verkehrswende und den Deutschlandtakt; Verbände schlugen Alarm. Und dann, die Entwarnung: "Keine Streichung von Aus- und Neubauprojekten geplant", teilte die Bahn in einer Pressemitteilung mit.

An der Lautstärke der Proteste änderte das wenig, aus gutem Grund: In der Mitteilung steht nur das drin, was die Sprecher den Medien schon in der Woche zuvor gesagt hatten.

Durch die Haushaltskrise habe man die Abfolge der Projekte überprüfen müssen, und weil die Bahn eben sehr große Probleme mit der vielerorts maroden Infrastruktur hat, liege der Fokus nun auf der Sanierung.

Das Besondere an der Debatte

Das Besondere an der Debatte: Sie spielt sich weit in der Zukunft ab. Wer heute 18 ist, würde, selbst wenn alles nach Plan verläuft, frühestens mit Mitte 30 vom Fernbahntunnel in Frankfurt profitieren.

Oder auch nicht. Denn an Beispielen wie diesem zeigt sich, dass nicht jedes Bahnprojekt mega-kreisch ist: Während man auf dem Weg von, sagen wir mal, Hamburg nach München ein paar Minuten schneller durch Frankfurt durch wäre, sähe es für jene, die von Hamburg über Frankfurt mit der Regionalbahn nach Kleinstadt-Hessen wollen, anders aus: Kommt der ICE unten an, müsste man erst mal nach oben, in den Kopfbahnhof.

Tägliche Trainingsminuten

Und dort kann man schon jetzt einen guten Teil der täglichen Trainingsminuten gut machen. Je nachdem, wo der Tiefbahnhof liegen wird, kann der maximale Umsteigeweg bei bis zu 1,6 Kilometern liegen.

Ein anderes Beispiel ist Frankfurt-Mannheim, jene Neubaustrecke, die seit den Neunzigerjahren im Wechselbad von Kommunalpolitik und Bürgerinitiativen weich gekocht wird. Für die, die einfach schnell durch die Gegend durchwollen, würde alles schneller.

Für jene, die aber von dort wegwollen, würde es langsamer. Denn Bensheim und Weinheim, zwei Klein-Städte an der hessischen Bergstraße würden einige ihrer Fernverkehrsverbindungen verlieren. Die Region könnte deshalb an Attraktivität verlieren, befürchten die Lokalpolitiker dort.

Denn "Bahn", das ist heute in der gesellschaftlichen und politischen Erwartung die Möglichkeit, jederzeit so schnell wie möglich an jeden Ort zu kommen. Nur wenn die Bahn schnell sei, und so gut wie immer verfügbar, könne die Verkehrswende geschafft werden, heißt es immer wieder.

Warum klagen? Die Mobilität ist besser geworden

Doch hier kommt hinzu, dass die Mobilität an und für sich seit den Neunzigerjahren stark gestiegen ist, wie eine Statistik des Umweltbundesamts.

Zwischen 1991 und 2019, also vor dem ersten Pandemie-Jahr, sei der Personenverkehr in Deutschland in Personenkilometern insgesamt um 34 Prozent gestiegen. "Personenkilometer" ist die Zahl der Kilometer, die ein Mensch im Jahr in einem Verkehrsmittel wie Auto, Flugzeug, Bahn, Bus zurücklegt.

Flugzeuge legten um 218 Prozent zu, das Auto um 28,6 Prozent und öffentliche Verkehrsmittel um knapp 30 Prozent. Zum Vergleich: Die deutsche Bevölkerung legte zwischen 1991 und 2022 von 80,2 auf 83 Millionen Menschen zu, also um rund 3,4 Prozent.

Man kann also davon ausgehen, dass die Menschen in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren insgesamt mobiler geworden sind. Der weitaus größte Teil der jährlichen Personenkilometer, nämlich 80,2 Prozent, entfiel 2017 auf das Auto; die Bahn erreichte 7,8 Prozent, was gemessen an der Lautstärke der Debatte erstaunlich wenig ist.

Grund für die Verwendung der recht alten Werte ist, dass die Verteilung in den Jahren ab 2020 durch die Auswirkungen der Pandemie verzerrt wurde: Der Anteil des Autos stieg.

Kann die Verkehrswende denn funktionieren?

Einer der wahrscheinlichen Gründe für den Anstieg ist die Verlagerung von wohnortnahen Arbeitsplätzen sowie der Mangel an bezahlbaren Wohnungen in den Städten: Immer mehr Menschen müssen pendeln. Vor allem die Zunahme der Flugzeugnutzung zeigt aber auch, dass sich das Freizeitverhalten verändert hat: Menschen unternehmen öfter weite Reisen.

Damit stellt sich die Frage, ob die Verkehrswende überhaupt jemals funktionieren konnte. Denn Millionen von Personenkilometern, also Menschen, die Strecke machen wollen, in die Bahn zu verlagern, das muss zwangsläufig an Grenzen stoßen.

Die Kapazitäten im Bahnsystem müssten schnell enorm zulegen und davon sind Bahn und Politik weit entfernt. Selbst der Bau eines Überwerfungsbauwerks dauert von der ersten Planung über das Genehmigungsverfahren bis zu Fertigstellung Jahre. Normalmenschen nennen das übrigens Brücke.

Jede einzelne Bahnstrecke, die derzeit in Planung ist, würde damit unter idealsten Bedingungen erst Anfang der Dreißigerjahre fertig.

Aber dann ist da auch das: Der Anteil der Elektroautos nimmt zu, und auch das ist ja Teil der Verkehrswende: Den Individualverkehr auf der Straße klimaneutral zu machen.

Denkt man das zu Ende, wäre eine derart umfassende Verlagerung auf die Schiene gar nicht erforderlich: Das Auto wäre ja auch sauber, zumindest, Stand jetzt, hier und nicht da, wo die Rohstoffe herkommen.

Und damit zurück zum Anfang.