Nach Bahn-Streik: Lokführer abschaffen – wie realistisch ist der FDP-Plan?
Vorstoß von Regierungspartei: 20 Prozent der Lokführer sollen in den nächsten 15 Jahren durch Künstliche Intelligenz ersetzt werden. Geht das?
Das Timing für den Vorstoß zur schrittweisen Automatisierung des Bahnverkehrs spricht für sich: Es ist der längste Lokführerstreik in der Geschichte der Deutschen Bahn. Seit Dienstag steht der Güterverkehr still, seit Mittwochmorgen wird auch der Personenverkehr bestreikt – und das soll noch bis Montag um 18 Uhr so bleiben.
Jede fünfte Lokführer-Stelle in 15 Jahren weg?
Von Anfang an war klar: Damit macht sich die Lokführergewerkschaft GDL nicht nur Freunde. Wieder einmal wird über die Abschaffung ihrer Berufsgruppe diskutiert: Jeder fünfte Lokführer soll in den nächsten 15 Jahren durch Künstliche Intelligenz (KI) ersetzt werden – das jedenfalls strebt die Partei an, die in Deutschland gerade den Verkehrs- und den Finanzminister stellt.
Eine Automatisierungsquote von 20 Prozent in den Zügen passe auch "zu den ambitionierten und sinnvollen Umweltzielen der Deutschen Bahn", sagte der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Bernd Reuther, laut einem Bericht der Bild.
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Aber wie realistisch ist das – abgesehen davon, dass es vielen Fahrgästen unheimlich ist und die GDL diesbezüglich gelassen bleibt?
Zukunft des Lokführerberufs: Expertenmeinungen und Prognosen
Schon heute sind führerlose Züge schon heute in zahlreichen geschlossenen Netzen im Einsatz, zum Beispiel auf U-Bahn-Linien oder an Flughäfen. Mit dem offenen Netz der Deutsche Bahn, in dem zahlreiche Züge gleichzeitig unterwegs sind und koordiniert werden müssen, ist das nur bedingt vergleichbar.
Ob junge Lokführerinnen und Lokführer noch damit rechnen können, den Beruf bis zur Rente auszuüben, dazu werden Experten mit unterschiedlichem Tenor zitiert: Prof. Markus Hecht von der TU Berlin sei sicher, der Beruf werden innerhalb von 30 Jahren aussterben, berichtete am Dienstag die Bild.
Vorsichtiger drückt sich Professor Christian Schindler, Leiter des Instituts für Schienenfahrzeuge und Transportsysteme an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen, aus. "Grundsätzlich bin ich überzeugt, dass man mit fahrerlosen Zügen in Zukunft auch im deutschen Bahnsystem unterwegs sein kann", sagte er dem Spiegel.
Realität der Automatisierung: Herausforderungen und Bedenken
Es sei technisch möglich, in vielleicht etwa 15 Jahren einen Teil des Bahnverkehrs zu automatisieren, so Prof. Schindler. Allerdings nicht ohne staatliche Investitionen, die durch das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts und das Festhalten der Regierung an der Schuldenbremse erschwert werden. Die Züge müssten umgerüstet und das Netz modernisiert werden.
Fehlende Investitionen und Milliarden-Defizit
Allein für die Sanierung der Bahn – ohne ehrgeizige KI-Zukunftspläne – fehlen aber aktuell 25 Milliarden Euro, wie Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) Ende 2023 offengelegt hat.
Und bisher war es die FDP, die am entschiedensten auf die Einhaltung der Schuldenbremse gepocht hat. Dass die Pläne zur schrittweisen Abschaffung des Lokführerberufs wenig später während des bisher längsten Streiks der Berufsgruppe bei der Deutschen Bahn publik werden, ist möglicherweise kein Zufall.
Sicherheitsgefühle und Stellenwert von Lokführern
Auch 2014 erhitzte ein GDL-Streik die Gemüter und führte zu Diskussionen über Automatisierung, die aber nicht vom Bahn-Vorstand selbst angeheizt wurden. Unter anderem die Springer-Zeitung Die Welt warf damals die Frage auf.
Dann hieß es aber von Seiten der Bahn, Kundenbefragungen hätten ergeben, dass die Fahrgäste auf Menschen in der Fahrerkabine bestehen. Lokführer seien "Aushängeschilder für den sicheren und menschenzugewandten Zugverkehr", sagte der damalige DB-Personalvorstand Ulrich Weber.
Lösungsansätze in Sachen Cybersicherheit
Mittlerweile scheint auch die Gefahr von Cyber-Angriffen auf kritische Infrastruktur präsenter. Muss deshalb zwingend menschliches Eingreifen in der Fahrerkabine möglich bleiben, um die Sicherheit der Fahrgäste zu gewährleisten?
Dieses Problem gelte für jedwede kritische Infrastruktur, so Prof. Schindler gegenüner Telepolis. Informatik-Experten würden gemeinsam mit den Verantwortlichen technische Lösungen erarbeiten. Die Technik müsse eben "Fail Safe" sein, also im Fall einer Störung in den sicheren Zustand, "heißt beim Fahrzeug 'Stillstand' gehen", sagt er.