Gute Arbeit und Work-Life-Balance: GDL setzt mit 35-Stunden-Woche neue Maßstäbe
Ab 2029 sind 35 Stunden für Lokführer das neue Normal. Für Mehrarbeit gibt es zusätzlichen Lohn. Warum der Abschluss ein wichtiges Signal ist.
Nicht nur Bahn-Reisende können aufatmen: Es wird keine weiteren Lokführerstreiks rund um die Osterfeiertage geben – und die bisherige Streikwelle hat sich für Berufsgruppe gelohnt. Die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich kommt, wenn auch bei der Deutschen Bahn erst 2029 und nicht, wie bei anderen Eisenbahnunternehmen 2028.
Trotz Gewerkschafts-Bashing und Arbeitskult
Lange wurden die Lokführergewerkschaft GDL und ihr Vorsitzender Claus Weselsky von Politik und Medien angefeindet. Mit Stichworten wie "Größenwahn" und "Maßlosigkeit" wurden ihre Forderungen im Tarifkampf mit der Deutschen Bahn als überzogen dargestellt. Ein ganzes Land werde in "Geiselhaft" genommen, schrieb selbst die sonst kapitalismuskritische Ulrike Herrmann in der taz.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte beklagt, es werde "ein bisschen im Moment zu viel für immer weniger Arbeit gestreikt beziehungsweise geworben". Arbeit könne schließlich auch unabhängig von der Vergütung "stolz machen", sagte Habeck laut einem ZDF-Bericht beim Treffen des Mittelstands.
Dafür fing er sich immerhin scharfe Kritik von der Ex-Chefin der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich ein, die im Jacobin-Magazin schrieb, die Grünen dürften sich "nicht wundern, wenn sie beim nächsten Streikposten ausgepfiffen werden". Aus FDP- und Unionskreisen kamen hingegen offene Attacken auf das Streikrecht.
Das Framing der Deutschen Bahn, dass die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung von 38 auf 35 Wochenstunden für Schichtarbeiter auch wegen des Fachkräftemangels nicht erfüllbar sei, wurde vielfach unkritisch übernommen.
Auch in Zeiten des Fachkräftemangels: Gute Jobs sind attraktiver
Dabei hatte die GDL nicht verlangt, die Forderung von heute auf morgen umzusetzen – und zu Recht darauf verwiesen, dass es eine Frage der Attraktivität des Berufs und der Arbeitsbedingungen ist, wie viele Menschen in nächster Zeit für die in der Regel dreijährige Ausbildung gewonnen werden.
Wer bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung und einen Pkw-Führerschein hat, kann sich auch innerhalb eines Jahres zum Lokführer oder zur Lokführerin umschulen lassen.
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Nun räumt auch Bahn-Personalvorstand Martin Seiler laut ARD-tagesschau ein: "Wir gehen davon aus, dass wir die personellen Kapazitäten bis zu den jeweiligen Reduzierungsschritten auch erreichen."
Allerdings können die Beschäftigten selbst wählen, ob sie diese Reduzierungsschritte mitgehen oder mehr arbeiten und entsprechend mehr verdienen wollen.
Anreize für Mehrarbeit statt Lohnverlust bei Verkürzung
Für Mitarbeitende im Schichtdienst im GDL‑Geltungsbereich sinkt die Referenzarbeitszeit 2026 zunächst von 38 auf 37 Stunden. Bis 2029 sinkt sie in drei weiteren Schritten auf 35 Stunden. Das Gehalt wird anteilig jeweils nicht verringert. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Arbeitszeit für die Mitarbeitenden ab 2027 automatisch absinkt.
Die tatsächliche Arbeitszeit wählen die Mitarbeitenden selbst: Alles zwischen 35 und 40 Stunden in der Woche ist am Ende möglich. Wer sich für mehr Arbeit entscheidet, erhält pro Stunde 2,7 Prozent mehr Lohn. So würden zum Beispiel Lokführer:innen oder Zugbegleiter:innen in einer 40-Stunden-Woche rund 14 Prozent mehr verdienen als in einer 35-Stunden-Woche.
Deutsche Bahn AG
Unabhängig davon steigen die Monatslöhne in der Laufzeit des Tarifvertrags bis Ende 2025 in zwei Schritten um 420 Euro: Ab dem 1. April 2024 gibt es 210 Euro mehr pro Monat zum 1. April 2025 nochmals 2010 Euro mehr. Eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 2.850 Euro soll in zwei Stufen ab März ausgezahlt werden.
Einen Wermutstropfen gibt es allerdings für die Gewerkschaft: Die GDL hatte in den Verhandlungen zunächst eine Tarifzuständigkeit für weitere Unternehmenszweige der DB geltend gemacht. In diesem Punkt ließ der Konzern aber nicht mit sich reden.
GDL stärkt junge Generation im Kampf um Work-Life-Balance
Gleichwohl hat es sich aus gewerkschaftlicher Sicht gelohnt, allen Anfeindungen zum Trotz zu kämpfen: Nicht, wer seine Arbeitszeit reduzieren will, muss dafür Lohnverluste hinnehmen, sondern wer sie beibehalten will, verdient mehr.
Das ist ein wichtiges Signal nach zwei Jahren Inflation, angesichts hoher Burnout-Raten und einer jungen Generation, in der immer mehr Stimmen für eine bessere Work-Life-Balance laut werden. Auch Beschäftigte anderer Unternehmen und Branchen werden davon profitieren, wenn es Schritt für Schritt "normaler" wird, weniger zu arbeiten.
In Zeiten fortgeschrittener Digitalisierung wird der Bedarf an menschlicher Arbeitskraft ohnehin sinken. Ob die breite Masse dabei Lebensqualität gewinnt oder hauptsächlich Einkommensverluste erleidet, haben aber immer noch Menschen in der Hand.