Arbeitskampf bei der Bahn: Die GDL streikt auch für unsere Sicherheit
Sparen am falschen Ende kann tödlich sein. Die Lokführergewerkschaft stellte schockierende Ruhezeitverstöße fest. Ein Kommentar.
Der Lokführergewerkschaft GDL und ihrem Chef Claus Weselsky werden aktuell wieder Sturheit und Maßlosigkeit vorgeworfen. Insgesamt sechs Tage wollen sie dieses Mal streiken, um die schrittweise Einführung der 35-Stunden-Woche für Schichtarbeiter ohne Entgeltverlust durchzusetzen – zusätzlich zu einem Lohnplus, das der Inflation seit dem letzten Tarifabschluss 2021 Rechnung trägt.
Tenor der Kritik: Sie denken nur an sich und gar nicht an die Reisenden. Wirklich?
Die GDL warnt seit längerem vor Sicherheitsmängeln durch die Überlastung von Schichtarbeitern – und Knackpunkt des Tarifstreits ist nicht umsonst die Arbeitszeitverkürzung, denn inoffiziell arbeiten manche Lokführer und Fahrdienstleiter sowieso schon regelmäßig mehr als 38 Wochenstunden.
Sparen am falschen Ende kann tödlich sein – auch für Reisende
Überlastung und Einsparungen am falschen Ende können im Ernstfall auch für die Fahrgäste tödliche Folgen haben. In Griechenland hat im Februar 2023 ein Zugunglück mit 57 Toten und 25 Schwerverletzten zu Massenprotesten gegen Sparmaßnahmen an kritischer Infrastruktur geführt.
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Zum Großteil junge Menschen, Schüler und Studierende, waren teils bis zur Unkenntlichkeit verbrannt und konnten nur durch DNA-Proben identifiziert werden, nachdem zwischen den Orten Evangelismos und Tembi ein Reisezug und ein Güterzug frontal zusammengestoßen waren.
Zunächst wurde der unerfahrene Fahrdienstleiter festgenommen, der in dieser Nacht zum ersten Mal selbstständig den gesamten Verkehr einer Station geleitet hatte. In den Jahren zuvor war massiv Personal eingespart worden.
16-Stunden-Schichten und fünfstündige Ruhezeiten
In Deutschland berichtete die GDL bereits 2022 von überlangen Schichten, die gegen das Arbeitszeitgesetz verstießen:
Das Arbeitszeitgesetz ist im sicherheitsrelevanten Bereich, wie bei der DB Netz AG, besonders relevant. Beispielsweise sieht es grundsätzlich mindestens elf Stunden Ruhezeit zwischen dem Schichtende und dem Beginn der nächsten Arbeitsschicht vor.
Von dieser Mindestnorm kann in Verkehrsbetrieben in begründeten Ausnahmen/Einzelfällen auf eine Mindestruhezeit von bis zu neun Stunden abgewichen werden.(…)
Wie kann es dann sein, dass wir von fünfstündigen Ruhezeiten oder von 16-stündigen Schichten auf Stellwerken erfahren?
Aus einer Bekanntmachung der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) im August 2022
Die Gewerkschaft legt Wert darauf, dass sie für die Fahrdienstleiter mitverhandelt – und auch das ist ein Streitpunkt.
Spricht schon der Fachkräftemangel gegen die GDL-Forderung?
Zugunsten der Bahn wird argumentiert, es gäbe ernste Schwierigkeiten, die notwendigen Planstellen zu besetzen, wenn sie auf die Kernforderung der GDL nach einer Arbeitszeitverkürzung um drei Wochenstunden einginge.
Tatsächlich gibt sich die Bahn seit einiger Zeit Mühe, mehr Auszubildende zu rekrutieren. Schon deshalb, weil in den nächsten Jahren viele ihrer Beschäftigten in Rente gehen. Im vergangenen Jahr meldete sie sogar einen Azubi-Einstellungsrekord. Auch Quereinsteiger von Anfang 20 bis über 50 Jahre haben in Bahn-Berufen gute Chancen.
Aber die Belastungen sind hoch – und nicht alle bleiben im Beruf, wenn sie zum Beispiel einen Schienen-Suizid miterleben. Noch schlimmer muss es allerdings sein, völlig übermüdet einen Unfall mit mehreren Toten zu verursachen – und genau vor solchen Überlastungszuständen warnt die GDL.
Die Umschulung zum Lokführer ist in einem Jahr möglich
Um den Personalmangel zu beheben, müssten Bahn-Berufe durch gute Arbeitsbedingungen attraktiver gemacht werden, argumentiert Weselsky schon seit längerem.
Quereinsteiger aus anderen Berufsgruppen mit KfZ-Führerschein können innerhalb eines Jahres zu Lokführern umgeschult werden, die reguläre Ausbildungszeit für Lokführer im Erstberuf beträgt drei Jahre.
Tarifabschluss mit Abellio: 35-Stunden-Woche bis 2028
Insofern kann die 35-Stunden-Woche nicht von einem Tag auf den anderen eingeführt werden, weil Fachkräfte nicht "aus dem Hut gezaubert" werden können – aber das verlangt die GDL auch nicht.
Beim Tarifabschluss mit dem regionalen Bahnunternehmen Abellio hat die Gewerkschaft einer schrittweisen Einführung der 35-Stunden-Woche bis 2028 zugestimmt. Die Behauptung, die GDL versteife sich auf praktisch unerfüllbare Forderungen, ist also nachweislich falsch.
Auch vor dem Hintergrund, dass die Vorstandsmitglieder der Deutschen Bahn insgesamt fast fünf Millionen Euro an Boni für 2022 nachgezahlt bekommen, könnte die politisch-mediale Empathie für gestresste und schon lange unzufriedene Bahn-Kunden weniger zu Lasten der GDL gehen.