Gipfel des schönen Scheins

Frankreich lud als Gastgeber des diesjährigen Gipfels der G-8 auch Präsidenten von Entwicklungs- und Schwellenländern ein. Sie durften zuhören, nicht aber mitreden

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Als von Sonntag bis Montag die Regierungschefs der acht größten Industriestaaten im französischen Evian zu ihrem jährlichen Gipfel zusammenkamen, nahmen zum ersten Mal auch fünf afrikanische Staatchefs an einem solchen Treffen teil. An der erweiterten Gipfelrunde der G-8 waren zudem ein gutes halbes Dutzend weiterer Regierungschef aus Entwicklungs- und Schwellenländern vertreten, unter ihnen der Mexikaner Vicente Fox oder sein ägyptischer Amtskollege Hosni Mubarak. US-Präsident George W. Bush ging mit der Verdreifachung der Mittel zur AIDS-Bekämpfung in Afrika in die Offensive und Gastgeber Jacques Chirac setzte die wohlklingenden Eckpunkte für die Diskussion: Solidarität, Verantwortung, Sicherheit und Demokratie. Er zeigte sogar Verständnis für die Demonstranten. Sind die Zehntausenden Globalisierungskritiker also umsonst nach Genf, Lausanne und Evian gereist? Mitnichten, wie der zweite Blick auf die Beschlüsse zeigt.

Viel Mühe musste sich das globalisierungskritische Netzwerk Attac nicht geben, um der Rhetorik der G-8er zu begegnen. Gut eine Druckseite genügte den Aktivisten, um auf die Mängel hinzuweisen. So werde von Solidarität gesprochen, während die Industriestaaten jährlich umgerechnet rund 200 Milliarden US-Dollar Schuldenzahlungen aus dem verarmten Süden einstreichen. Die Entwicklungshilfe stagniert derweil auf einem Niveau von 0,1 Prozent (USA) bis 0,3 Prozent des Bruttosozialproduktes (Großbritannien und Deutschland). Angestrebt sind nach wie vor 0,7 Prozent.

Das Erkenntnis ist einfach: Solange sich an den internationalen Handelstrukturen und der Wirtschaftspolitik nichts ändert, wird sich der Konflikt zwischen Norden und Süden nicht entschärfen. Doch Wirtschaftspolitik war auf dem Gipfel in Evian diesmal nur ein Thema unter anderen. So entwickelte man - ganz im Zeichen des US-dominierten "Krieges gegen den Terror" - ein Programm gegen die Verbreitung von Waffen und Material zur Massenvernichtung weiter, das beim letzten Treffen der Achtergruppe in Kanada ins Leben gerufen wurde. Die Hauptsorge der Initiatoren ist Russland. Die enormen Mengen atomaren Materials sollen besser kontrolliert und entsorgt werden. Hierfür war Geld da; umgerechnet 20 Milliarden US-Dollar.

Fortschritt gab es den gesetzten Prioritäten getreu auch auf dem Terrain der sogenannten Antiterrorpolitik der Industriestaaten. Beschlossen wurde dafür die Gründung einer "antiterroristischen Aktionsgruppe der G-8". Interessierten Regierungen solle sie für die gezielte Ausbildung von Polizei und Justiz zur Verfügung stehen. In der Absichtserklärung heißt es dazu:

The G8 will create a Counter-Terrorism Action Group, to focus on building political will, co-ordinating capacity building assistance where necessary. Other states, mainly donors, will be invited to join the group. (...) Representatives from relevant UN bodies, IFIs and other regional and functional organisations will be invited to relevant meetings (first meeting to be held by July 15)

So hält die Bundesregierung den Erfolg des Gipfels fest.

Auf die Mängel des diesjährigen Good-Willing-Gipfels in Evian weist allein schon die Tatsache hin, dass gleich zwei Gegenveranstaltungen stattfanden. Unweit des Gipfels trafen sich in dezentralen Diskussionsrunden Globalisierungskritiker zum Gegengipfel. Hier stand die Chancengleichheit und Demokratisierung der internationalen Handelsstrukturen im Mittelpunkt. Parallel zum G-8-Gipfel wurde auch in Siby im westafrikanischen Mali, einem der ärmsten Länder der Welt, ein "Gipfel der Armen" als Gegenveranstaltung organisiert. Rund 50 Kilometer von der malinesischen Hauptstadt Bamako entfernt trafen sich rund 400 Delegierte aus Westafrika, Europa und Haiti, um die Probleme aus der Sicht der Betroffenen zu debattieren.

Bei allen Gegenveranstaltungen war Konsens: Ohne eine Demokratisierung der internationalen Handelsstrukturen wird keine Verbesserung der Lage möglich sein. Eine solche Demokratisierung aber setze erstens ein Entgegenkommen der Industriestaaten voraus. Zudem werde in Anbetracht der herrschenden Asymmetrie im globalen Handelssystem eine Kontrolle des Marktes notwendig. Über dieser Forderungen wurde in Evian nicht gesprochen. Hier führte man alle Diskussionen auf der Basis der Prinzipien des sogenannten Washington-Konsens, der, so schreibt Attac, "die Privatisierung, Deregulierung und Liberalisierung zum heiligen Evangelium erklärt". So diktiere der Internationale Währungsfonds bei jeder Finanzkrise (Asien 1997/ 98, Brasilien 1998/ 99, Argentinien 2001) stets dieselben Weisheiten. Der Vizepräsident der Weltbank, Joseph Stiglitz, hatte darüber ironisch angemerkt, dass man sich die Ermahnungen sparen könne, "wenn man einem Papagei den Spruch: 'Fiskalische Beschränkung, Privatisierung, Marktöffnung' beigebracht hätte".

Geändert hat sich in Evian nichts, außer der Wahl von schönen Worten und neuen Sprachregelungen. So basiert auch die als neue Art der Kooperation zwischen Norden und Süden präsentierte Afrika-Initiative NEPAD auf neoliberalen Markmechanismen. Die afrikanischen Regierungen werden zu "Demokratie, Marktwirtschaft und guter Regierungsführung" angehalten und auf private Investitionen als Lösung allen Übels geeicht. Als wäre das nicht wenig genug, beschränken sich die Industriestaaten auch hier auf Versprechen. Versprochen wird "die Entwicklung und Annahme gemeinsamer Richtlinien zur Verhinderung illegaler Waffenlieferungen nach Afrika", oder dass man "auf den zoll- und quotenfreien Zugang aller Produkte der am wenigsten entwickelten Staaten" hinarbeiten will.

Was das bedeutet, zeigt ein zweiter Blick auf die großspurige Ankündigung des US-Präsidenten George W.Bush, eine Milliarde US-Dollar für den Kampf gegen AIDS in Afrika zur Verfügung zu stellen. Während Bush am Sonntag die Öffnung des europäischen Agrarmarktes forderte, hatte er anscheinend vergessen, daß die US-Pharmaindustrie über Lobbygruppen in eben seiner Administration erfolgreich die Öffnung des Weltmarktes für den umfassenden Handel mit preisgünstigen AIDS-Medikamenten verhindert, die etwa im Brasilien, Südafrika oder Thailand (http://www.3sat.de/3sat.php?http://www.3sat.de/nano/astuecke/40203) hergestellt werden. Während aus US-Steuermitteln eine Milliarde gezahlt wird, verdienen US-Konzerne so auch weiterhin ein Vielfaches aus dem Handel mit der Seuche.