Glasnost im ECommerce gefordert

Online-Anbieter sollen unzensierte Kundenforen einrichten

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Online-Shopping entfernt Kunden und Unternehmen noch ein Stück weiter voneinander, anstatt Kommunikativität herzustellen und Verbrauchern auch individuelle Marktmacht zu geben. Dabei bietet sich das Medium speziell dafür an, wenn die Möglichkeiten genutzt werden. Von selbst werden das die Anbieter aber nicht machen.

ECommerce ist für die großen Anbieter, die es sich leisten können, jahrelang zu investieren und das Geschäft aufzubauen, vermutlich eine feine Sache. Verkaufen ist noch effizienter, kostensparender, als im Versandhandel, da sich der Kunde ja sogar den "Katalog" auf eigene Rechnung abholt. Zudem isoliert die elektronische Distribution die Verbraucher.

Online-Shopping ist nicht nur eine einsame, monadische Angelegenheit: keine anderen Menschen stehen im Geschäft herum, eine sinnliche Ladenatmosphäre gibt es auch nicht mehr. Sich beschweren oder Fragen stellen geht nur, wenn das Unternehmen mitspielt. Protestieren - wenn man übervorteilt wurde - kann man vor einem elektronischen Laden schlecht, als Revanche für schlechten Service die Website "hacken", werden auch die wenigsten Online-Kunden wirklich können. Dazu kommt, daß im großen und ganzen die Kundenorientierung vorallem der europäischen Unternehmen eher noch obrigkeitlich, wüstenhaft ist, auch beim digitalen Angebot. Es gibt also Verbesserungsbedarf.

Ein "Schwarzes Brett" für Kunden

Kundenfreundlichkeit, Transparenz und Verbraucherpartizipation herzustellen, wäre eine entscheidende wettbewerbspolitische Aufgabe. Es gibt auch einen Lösungsweg dafür - Trond Andresen hat in seinem Aufsatz: "Customer Power via the Internet" eine recht hübsche Form vorgeschlagen, wie Kundenöffentlichkeit herzustellen wäre, und wie zugleich ein ordentlicher Schub in Richtung besserer Customer Relations bewirkbar wäre: jeder Online-Anbieter hat ein öffentliches und nicht-zensierbares "Schwarzes Brett" für Kunden auf seiner Homepage zu führen. Dieser Vorschlag kommt gerade rechtzeitig, wird doch der ECommerce-Richtlinienentwurf der EU in diesen Wochen europaweit diskutiert und begutachtet.

Trond Andresens Vorschlag sieht so aus: Unternehmen, die Waren oder Dienstleistungen elektronisch verkaufen, haben auf ihrer Homepage den Kunden ein öffentliches und unredigiertes Forum anzubieten, in dem Anfragen und Probleme geäußert und vom Anbieter natürlich auch beantwortet werden können. Dieses "Schwarze Brett" für Kunden soll neben verbesserten Customer Relations auch der Schaffung einer gewissen Transparenz und Partizipation auf Kundenseite behilflich sein. Also Informationen der Kunden untereinander über Produktfehler, Serviceschwächen, Distributionsprobleme usw. ermöglichen. Aus der Art, wie das betroffene Unternehmen auf solche Kundenanfragen oder Äußerungen reagiert, läßt sich dann ganz gut die Ernsthaftigkeit des Umgangs mit Verbrauchern ablesen.

Dieses verbraucherfreundliche Publizitäts-Ei, das hier dem ECommerce gelegt wird, ist den Unternehmungen in der Praxis natürlich wohl weniger willkommen. Ein Anbieter will ja, so ein eherner Marketinggrundsatz, neben dem Preis seiner Waren auch das Erscheinungsbild seines Unternehmens umfassend kontrollieren können. Maulende Kunden, noch dazu auf der Firmen-Homepage, sind da ein Alptraum fürs klassische Marketingverständnis.

Deshalb werden Unternehmen so etwas - außer in der papierenen Theorie der Marktwirtschaft - nicht freiwillig machen, man muß es ihnen also vorschreiben. Gesetzgeber können das. Und solche "Spielregeln" für Märkte sind immer schon üblich gewesen: Preisangabenvorschriften, Lebensmittelhygiene, Verbraucherschutzbestimmungen, Werberegeln, alles das gibt es, seit es Märkte gibt, weil: ohne Spielregeln kann man bekanntlich nicht einmal Kartenspielen, von komplizierteren Spielen, wie es der Austauschprozeß auf Märkten ist, ganz zu schweigen. National wird so eine Regelung vielleicht noch nicht soviel Sinn ergeben, aber als europäische Lösung ginge das schon recht gut. Die aktuelle EU-Richtlinie zum ECommerce bietet sich dafür bestens an. Ein nächstes Ziel könnte ein globaler Standard sein, auch dies ist realisierbar. Das weltweite GATT und GATS-Reglement der WTO (World Trade Organisation) würde ganz gut solche "social clauses" und "consumer clauses" vertragen, die fehlen bislang im Welthandel nämlich vollständig.