Glaube in Flammen: Koranverbrennungen unter der Lupe des deutschen Strafrechts

Seite 2: Was würde in Deutschland passieren?

Der "Blasphemieparagraph" 166 StGB

Maßgeblich für die Beurteilung der strafrechtlichen Relevanz der Koranverbrennungen ist der Abschnitt des Strafgesetzbuches (StGB) zu "Straftaten, die sich auf Religion und Weltanschauung beziehen". In Betracht kommt zunächst Paragraph 166 StGB. Die Norm sanktioniert Beschimpfungen, die Bekenntnisse, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen betreffen.

In der Rechtsprechung spielt der Paragraph, der Blasphemie (Gotteslästerung) unter Strafe stellt, seit geraumer Zeit nur noch eine sehr untergeordnete Rolle. Dennoch weigerten sich die Regierungsparteien in der Vergangenheit, ihn ganz abzuschaffen. Auch in anderen europäischen Ländern sind blasphemische Äußerungen noch strafbar, obgleich sie im Gegensatz zur deutschen Rechtslage oft nur mit einer Geldstrafe bestraft werden.

Schützen soll § 166 StGB vor allem den öffentlichen Frieden, nicht aber (so die überwiegende Ansicht) das religiöse Gefühl des Einzelnen. Erforderlich für eine Strafbarkeit nach § 166 StGB ist also, dass der Täter bestimmte soziale Gruppen gewaltfördernd und aggressiv ausgrenzt.

Den öffentlichen Frieden gefährdet eine Äußerung dann, wenn die Wahrscheinlichkeit der durch sie ausgelösten Ausschreitungen durch Dritte, die die Äußerung auf eine bestimmte Weise aufnehmen, gesteigert wird. Die Voraussetzungen für eine Beschimpfung im Sinne der Norm liegen nicht vor, wenn der Äußerung eine gewisse aggressive Tendenz fehlt. Das ist im Fall einer Verbrennung des Koran problematisch: Geht mit dem Akt des Verbrennens keine gravierende herabsetzende Äußerung einher, die verbal abgegeben wird, ist der Tatbestand des § 166 StGB wohl nicht erfüllt.

Koranverbrennung als Volksverhetzung?

Auch Paragraph 130 StGB (Volksverhetzung) schützt das Rechtsgut des öffentlichen Friedens, genauer das allgemeine Interesse an einem friedvollen Zusammenleben. Relevant bei einer Koranverbrennung würde insbesondere der erste Absatz der Norm. Der Tatbestand ist erfüllt, wenn der Täter gegen bestimmte Teile der Bevölkerung hetzt, die durch ihre weltanschaulichen Überzeugungen oder sozialen oder wirtschaftlichen Verhältnisse als Gruppe miteinander verbunden sind.

Das trifft natürlich auf Religionsgemeinschaften zu, die gerade ihre religiöse Überzeugung verbindet. Die Tathandlung muss unter eine der Handlungsvarianten des § 130 StGB fallen, also entweder ein Aufstacheln zum Hass oder ein Auffordern zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen beinhalten.

Beim Aufstacheln reizt der Täter den Adressaten seines Handelns zu einer feindseligen, emotional gesteigerten Haltung. Fordert er seine Adressaten zu etwas auf, muss diese Aufforderung eine Gewalt- oder Willkürmaßnahme zum Inhalt haben. Es muss dem Täter darum gehen, dass Dritte sich seiner Haltung anschließen und ebenfalls Hass empfinden – dass er damit erfolgreich ist, ist nicht erforderlich.

In der Vergangenheit wurden als taugliche Tathandlungen Hetzjagden oder aber Parolen mit der Aufforderung, "ausländische" Personen des Landes zu verweisen, erachtet. Verbrennt der Täter den Koran, ohne sich dabei verbal zu äußern, fehlt der Appellcharakter seiner Handlung. Zwar tut er kund, dass er den Islam selbst missbilligt, fordert aber niemanden sonst auf, es ihm gleichzutun.

Beleidigungsdelikte: Koranverbrennung als Ehrverletzung?

Das Verbrennen eines Korans könnte allerdings den Tatbestand des böswilligen Verächtlichmachens eines Teiles der Bevölkerung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllen. Der Täter müsste hierbei durch die Koranverbrennung Andere als verachtenswert dargestellt haben. Diese Tatvariante wird ergänzt durch die Beleidigungsdelikte in den Paragraphen 185, 186 und 187 StGB.

Sowohl beim Tatbestand der Volksverhetzung als auch bei Beleidigungen ist die Abgrenzung zur Meinungsfreiheit sehr problematisch. Wann eine Äußerung die Grenzen der Meinungsfreiheit überschreitet und schließlich als Beleidigung oder sogar Volksverhetzung eingestuft werden kann, ist eine Gratwanderung und immer einzelfallabhängig.

Für ein böswilliges Verächtlichmachen (die dritte Variante der Volksverhetzung) fehlt dem Akt der nonverbalen Koranverbrennung wohl wieder der auffordernde Charakter. Salwan Momika hat zwar deutlich gemacht, dass er selbst den Islam verachtet. Dass aber auch andere Verachtung empfinden und ihr auf dieselbe Weise Ausdruck verleihen sollten, hat er nicht ausdrücklich gefordert.

Betrachtet man die Beleidigungsdelikte, ergibt sich noch eine weitere Schwierigkeit. Der Täter muss nicht nur seine Missachtung kundgeben, sondern damit auch die Ehre einer anderen Person angreifen. Hier gilt es, ganz genau hinzusehen. Denn die Norm bezieht sich auf konkretisierbare andere Personen, solche, deren Identität erkennbar und benennbar ist.

Ob darüber hinaus auch Personengruppen, also sogenannte Kollektivbeleidigungen strafbar sind, ist sehr umstritten. Wenn es sich um eine Personengruppe handelt, dann muss diese zumindest hinreichend von anderen Menschen abgrenzbar und überschaubar sein. Die Gruppe der muslimischen Menschen, die der Täter mit der Koranverbrennung mutmaßlich adressieren wollte, ist keinesfalls eindeutig abgrenzbar.

So hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, als es um die Parole "ACAB" ("All Cops are Bastards") ging und darum, ob es sich bei den hier adressierten Polizisten um eine konkretisierbare Gruppe handelte.

Fazit

Zur Strafbarkeit der Koranverbrennungen, die sich in Schweden ereignet haben, werden teilweise noch weitere Straftatbestände erwogen, wie etwa die gemeinschädliche Sachbeschädigung nach § 304 StGB. Auch wird teilweise laut über den polizeilichen Notstand nachgedacht, mit dem in Deutschland Versammlungen aufgelöst werden können, wenn eine besondere Gefährdungslage besteht.

Letztlich wird man einzelne vergleichbare Handlungen immer mit dem Gewicht der Meinungsfreiheit abwägen müssen. Für Staaten, die ihrer rechtsstaatlichen Verantwortung gerecht werden wollen, gibt es hier keinen unbegrenzten Spielraum. Hier lassen sich schlicht keine eindeutigen Grenzen ziehen. Im Falle Schwedens hat die starke Gewichtung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung sicher auch politische Gründe.

Man möchte sich nicht in die Enge treiben lassen. Vor dem Hintergrund der besonderen Bedeutung des muslimischen Glaubens für viele Menschen ließe sich sicher auch überzeugend argumentieren, dass mit dem Verbrennen der Heiligen Schrift des Islam die Grenze der Meinungsfreiheit erreicht ist.

Was die Gewichtung der Meinungsfreiheit betrifft, muss man sich der Konsequenz der Verurteilung einer solchen Tat (ein Grundrechtseingriff) bewusst sein: die Kultur der freien Meinungsäußerung müsste zukünftig auf allen Ebenen stärker reguliert werden – auch bei vergleichbaren ehrenrührigen Angriffen auf andere Religionsgemeinschaften, auf andere soziale Gruppen.

Diese Regulierung müsste sich zudem auf die zahlreichen Ebenen erstrecken, auf denen heute die eigene Meinung kundgetan werden kann. Ob das erstrebenswert ist und zielführend, um verbale Verrohung abzuwenden, oder ob eine demokratische Gesellschaft stark genug ist, solche und vergleichbare Provokationen auszuhalten und sich nicht davon aufwiegeln zu lassen, ist eine herausfordernde Frage für jedes Gericht.

Fest steht, dass viele der Probleme, die aktuell aus der Koranverbrennung resultieren, nichts mehr mit einer nüchternen Beurteilung der Einzeltat zu tun haben. Es geht vielmehr um Symbolik und unterstellte politische Provokationsabsichten, letztlich um entfachte Emotionen.

Am besten könnte man die (nicht eindeutig bekannten) Absichten dieses und vergleichbarer Täter wohl konterkarieren, wenn man sich nicht von ihnen aufwiegeln und aufstacheln ließe und ihnen möglichst wenig Aufmerksamkeit schenkte. Wenn man die Koranverbrennung mit Distanz als die verletzende Meinungsäußerung gegenüber einer Glaubensgemeinschaft betrachten würde, die sie ist, ohne sie zu instrumentalisieren.

Könnte der Täter allerdings in Zukunft weitere Anhänger und Nachahmer seiner Tat gewinnen und tatsächlich "überall in Europa" Korane verbrennen, wie er jüngst ankündigte, würde wohl auch seine Verurteilung wegen Volksverhetzung wahrscheinlicher.

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