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Glocken der Heimat

Fronttheater

Das Dritte Reich im Selbstversuch, Teil 15: Fronttheater

Nachdem wir beim letzten Mal erfahren haben, was die Engländer für fiese Kerle sind, wenden wir uns heute zwei für die Zukunft des Landes wichtigen Fragen zu: Unter welchen Umständen darf eine verheiratete Frau weiter ihren erlernten Beruf ausüben und warum ist der Deutsche ein Kulturmensch? Antworten gibt ein Vorbehaltsfilm, der an Aktualität gewonnen hat, seit die CSU aus ideologischen Gründen die Herdprämie fordert und deutsche Künstler zur Truppenbetreuung nach Afghanistan fliegen.

Das Dritte Reich im Selbstversuch, Teil 14 [1]: Festigkeit des Herzens: Von der Erfindung der Alufolie zum Sitzkind

Hauptgegner der braven Deutschen in Rabenalts Fronttheater sind nicht die Taliban, sondern erneut die Briten. Mittlerweile ist der von den anderen angezettelte Krieg ausgebrochen (Premiere des im Jahr 1941 spielenden Films war am 24. September 1942). Am Anfang zeigt eine Trickaufnahme eine Landkarte mit Berlin und Linien, die von dort strahlenförmig zu den vielen Fronten führen, an denen gekämpft wird. Nur gut, dass der Deutsche ein Kulturmensch ist. "In diesem Krieg schweigen die Musen nicht", informiert uns ein Text. "Seit die Waffen sprechen, fahren zahlreiche Frontbühnen von Truppe zu Truppe. So erfreuen deutsche Künstler durch ihr Spiel deutsche Soldaten. Von ihrem Wirken erzählt dieser Film."

Verteidigung der Sicherheit

René Deltgen, in Achtung! Feind hört mit! noch britischer Spion, hat die Seiten gewechselt. Als Dr. Paul Meinhardt ist er ein erfolgreicher Berliner Anwalt und mit der großen Schauspielerin Lena Andres (Heli Finkenzeller) verheiratet, die ihm zuliebe ihren Beruf aufgegeben hat. Im Chauvi-Kino der Nazis ist das so selbstverständlich, dass Meinhardt seinen Wunsch nicht einmal begründen muss. Lena hat in sich hineingehorcht und entdeckt, dass ihr das Theaterspielen ohne Pauls Liebe nichts bedeutet. Weil der Gatte nicht will, dass sie auf der Bühne steht (warum?), verzichtet sie darauf. Ihre Entscheidung wird als das Normalste von der Welt präsentiert, keine weitere Diskussion erforderlich. Das, was folgt, könnte (freiwillig oder unfreiwillig) komisch sein, wenn es nicht so traurig wäre. Der Regisseur hätte alle Möglichkeiten gehabt, subversiv zu sein, doch seine Inszenierung ist bierernst. Es sagt viel über das Dritte Reich, dass sich dieser blöde Film zu einem der Kassenschlager der Saison mauserte, auf Augenhöhe mit dem ungleich stärker beworbenen Preußenepos Der große König (Friedrich II. verliert eine Schlacht, überwindet eine Krise und kehrt triumphal zurück).

Fronttheater

Paul wird zur Flak eingezogen. Lena bleibt allein zuhaus. Erst akzeptiert sie brav, nur noch "Frau Dr. Meinhardt" zu sein, nicht mehr der Bühnenstar Lena Andres. Dann bringt sie den Gatten zum Bahnhof, und fortan ist Dr. Meinhardt weg, weil er in der Fremde Feinde töten muss. Bald droht ihr die Decke auf den Kopf zu fallen - aus Frust, nicht wegen Bomberangriffen, denn der Krieg findet hier nur in anderen Ländern statt, die Nazi-Deutschland besetzen musste, um sich gegen fremde Aggressoren zu schützen. Einmal, an der Atlantikküste, schießt Pauls Einheit ein britisches Flugzeug ab. "Der kommt nicht mehr nach Berlin, Lena", sagt er dazu. Da weiß man wenigstens, warum die Wehrmacht in Frankreich einfallen und bis zum Atlantik vorrücken musste. Rein defensiv, das Ganze. In Berlin gibt es Verdunklungspflicht, aber der Grund dafür wird vor Deutschlands Grenzen ausgeschaltet. Besser, man schießt die Briten schon über dem Meer ab. Da richten sie keinen Schaden an. Und wenn sie nicht solche Aggressoren wären, gäbe es den Krieg gar nicht (Deltgen alias Flakschütze Meinhardt stellt die Verbindung zu Achtung! Feind hört mit! her, wo die Briten das Geheimnis der Ballonsperren ausspionieren wollten).

Fronttheater

Ich kann mir durchaus vorstellen, dass so etwas, in einer Gesellschaft mit gleichgeschalteten Medien ständig wiederholt, die gewünschte Wirkung entfaltete. Heute haben wir Informationsfreiheit (mit Einschränkungen). Wenn jemand diesen Unsinn trotzdem glaubt, liegt es an einem verfehlten Geschichtsunterricht. Es gibt geeignete Mittel, solche Schäden zu beheben. Das Verbot von Filmen gehört nicht dazu. Umgekehrt versteht man im Rückblick ziemlich schnell, wie damals kriegerische Handlungen gerechtfertigt wurden. Wenn wir diese Filme ansehen und diskutieren würden, statt sie wegzusperren, würden wir über das Dritte Reich viel lernen. Das wäre auch für Politiker gut, die unsere Sicherheit am Hindukusch verteidigen wollen. Natürlich besteht ein riesengroßer Unterschied zwischen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg und der Bundeswehr in Afghanistan. Aber das Argument (Verteidigung der eigenen Sicherheit in fremden Ländern) ist historisch vorbelastet. Wer sich dessen bewusst ist, wird die Vergangenheit mitdenken, präziser formulieren und Missverständnisse leichter vermeiden.

Positive thinking

Lena liest zur moralischen Aufrüstung Kleists Penthesilea. Weil sich die Frau im NS-Kino jedoch über den Mann definiert, ist das Leben der Amazone ohne den in den Krieg gezogenen Paul öd und leer. Einige von Lenas früheren Kollegen sind beim Fronttheater tätig. Die Verwaltung hat ihren Sitz in Berlin, da will sich Lena nützlich machen. Eine Rückkehr auf die Bühne lehnt sie ab, weil sie es Paul versprochen hat. Aber dann gibt Edith Reiß die liebeskranke Diva und der Theatermacher Langhammer, Lenas alter Regisseur, steht bei einer Tournee durch das besetzte Frankreich ohne Hauptdarstellerin da. "Wir sind hier im Kampf wie ein Soldat, wie ein Arbeiter in der Fabrik", meint der Regisseur. Spätestens bei diesem Dialog ahnt man, was kommen wird, denn das Soldatsein geht in diesen Filmen über alles. 50.000 Soldaten, ergänzt Dr. Gall, der Leiter der Truppenbetreuung, haben sich schon so gefreut und würden bitter enttäuscht sein, wenn Lena bei ihrem Nein bleiben sollte. Also reist sie der Theatertruppe hinterher, um die tapferen Frontsoldaten mit Minna von Barnhelm und Calderóns Lustspiel Die Dame Kobold zu beglücken.

Ja, genau. Der deutsche Landser freut sich auf den Klassiker von Gotthold Ephraim Lessing und auf eine barocke Verwandlungs- und Gesellschaftskomödie aus dem politisch unverdächtigen Spanien (da herrschte der faschistische Diktator Franco, seit ihm die Legion Condor etwas unter die Arme gegriffen hatte). In der Realität war zwar eher das Oberflächliche gefragt, statt Unterhaltung mit Tiefgang und Widerhaken, aber nicht in diesem Film und nicht beim Propagandaminister Joseph Goebbels, der ständig im Clinch mit der Wehrmacht und der NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude" lag und 1940 eine vom Oberkommando der Wehrmacht (OKW) an alle Truppenteile verschickte Direktive durchdrückte, der zufolge es nicht um seichte Unterhaltung zu gehen habe, sondern "alle Veranstaltungen der Stärkung der inneren Kräfte" zu dienen hatten: "Jegliche Art reißerischer, geschmackloser, kitschig-patriotischer oder anstößiger Darbietung ist abzulehnen."

Fronttheater

Lessings Nathan der Weise war im Dritten Reich verboten, und Minna von Barnhelm gehörte zu den meistgespielten Stücken, womit noch nichts darüber gesagt ist, ob und wie es für die jeweilige Aufführung bearbeitet wurde. Im Herbst 1940 lief eine nazifizierte Filmversion an, die um Lessings Humanismus und die Skepsis seines Major Tellheim dem Krieg gegenüber beraubt ist und die bis heute wegen ihrer angeblichen Werktreue gelobt wird. Hans Schweikart, der Regisseur von Das Fräulein von Barnhelm, wusste es besser und wollte sich lieber nicht daran erinnern, als er nach dem Krieg Intendant der Münchner Kammerspiele wurde. Einer der Schlüsselsätze lautet: "Solange uns unsere Gegner zum Krieg zwingen, müssen wir unsererseits zu Zwangsmitteln greifen." Eben. Damit ist die Grundaussage vieler NS-Propagandafilme kurz und knapp zusammengefasst.

Hier lohnt ein Vergleich mit Großbritannien, dem Land des bösen Feindes. Gleich nach dem Krieg drehte Sidney Gilliat Green for Danger. Erzählt wird eine Liebes-, Eifersuchts- und Mordgeschichte in der Grafschaft Kent des Jahres 1944. Die Nerven der Figuren sind zum Zerreißen gespannt, weil jederzeit eine deutsche V1 einschlagen und den Tod bringen könnte (die Bezeichnung V1 für diesen flugzeugähnlichen Marschflugkörper hatte Goebbels’ Propagandaministerium erfunden, und das "V" stand für "Vergeltungswaffe", weil die Engländer an allem schuld waren). Ort der Handlung ist ein zum Hospital umfunktioniertes Landhaus. In einer sehr schönen Szene sitzt der Frauenheld Dr. Eden (Leo Genn) mit Schwester Linley (Sally Gray) im Garten, aus einem Gebüsch heraus beobachtet vom eifersüchtigen Dr. Barnes (Trevor Howard).

Green for Danger

Dr. Eden versucht, seine neue Eva ins Bett zu kriegen, indem er Lorenzos Rede an Jessica aus Shakespeares Der Kaufmann von Venedig zitiert: "In such a night as this, / When the sweet wind did gently kiss the trees …". Plötzlich erscheint Inspektor Cockrill (Alastair Simm), antwortet mit dem Dialog der skeptischen Jessica in Shakespeares Stück ("In such a night / Did young Lorenzo swear he loved her well, / Stealing her soul with many vows of faith / And ne’er a true one.") und biegt den Busch zurück, hinter dem Dr. Barnes versteckt ist. Die Szene dient einer mehrfachen Entlarvung, ist voll distanzierender Ironie und zugleich sehr berührend - durch die Worte Shakespeares, gesprochen in einem englischen Garten vor einem Tudorhaus. Damit ist sie typisch für das britische Kino dieser Jahre, das in schwerer Zeit mehr durch die Rückbesinnung auf die gemeinsame Kultur ein Gefühl für die nationale Identität vermittelte als durch den Rückgriff auf das Feindbild vom verbrecherischen Ausländer.

Green for Danger

Einmal referiert der etwas wichtigtuerische Dr. White, der Leiter des Hospitals, über die Bedeutung des positiven Denkens für die Aufrechterhaltung der Moral. Das wird wieder ironisiert und ist doch Programm. Der wunderbarste Film zum Thema gelang Michael Powell und Emeric Pressburger mit A Canterbury Tale (1944). Da wird der Zauber der englischen Landschaft und der aus ihr hervorgegangenen, in Bezug zur Gegenwart gesetzten Dichtkunst Geoffrey Chaucers beschworen. Einmal steigt Alison (Sheila Sim) auf einen Hügel, sieht die Kathedrale und glaubt, die Stimmen von Chaucers Pilgern, ihr Gelächter und Lautenklänge zu hören, die ihr der Wind zuträgt. Plötzlich taucht Colpeper (Eric Portman), der örtliche Kulturhistoriker, wie eine Erscheinung aus dem Gras auf und versichert ihr, dass es die Stimmen und Klänge wirklich gibt, in ihrem Inneren. Das ist einer der magischsten Momente der englischen Kinogeschichte, der ein durch die Kraft der Dichtung bewirktes Leinwandwunder einleitet. A Canterbury Tale ist von Anfang bis Ende Propaganda und doch ein Fest von Kunst und Kultur sowie des positiven Denkens. Es geht darum, was sich zu verteidigen lohnt und warum; nicht darum, was bekämpft werden muss.

A Canterbury Tale

Dem gegenüber waren die Nazis die Meister der Negativität. Wenn bei Rabenalt der Wind weht, dann nur, um den Frauen den Rock hochzublasen, damit der Voyeur etwas zu begaffen hat. Das Kino des Dritten Reichs ist nicht einer auf positive Weise identitätsstiftenden Kunst verpflichtet, sondern stellt die bei Bedarf umgebogene Literatur in den Dienst einer menschenverachtenden, auf Expansion ausgerichteten Ideologie wie in Schweikarts Barnhelm-Verfilmung. Die treibende Kraft ist nicht Minnas Vernunft wie bei Lessing, sondern Tellheims Ehre. Das ist mehr als eine Akzentverschiebung. "Schweikarts Filmversion fand seine ‚Abspielbasis’ zwischen Narvik und Tripolis, zwischen Brest und der Krim, wo sie dazu beitragen sollte, den Okkupationsgeist deutscher Truppen zu stärken", schreibt Karsten Witte in Lachende Erben, Toller Tag (sehr gutes, einer Neuauflage harrendes Buch über die Filmkomödie im Dritten Reich). So hatte Lessing sich das nicht gedacht.

Kunst für anstrengende Kampftage

Die Truppenbetreuung war ein schwieriges, von Kompetenzüberschneidungen, Neid, Missgunst und Beschwerden begleitetes Geschäft. Die beste Ausgangsposition hatte die "Kraft durch Freude" (KdF), eine Unterorganisation der von Robert Ley geführten Deutschen Arbeitsfront, die per Vertrag mit dem Kriegsministerium von 1936 für die Freizeitgestaltung der Soldaten zuständig war und schon in Friedenszeiten Gastspiele bei der Wehrmacht und beim Reichsarbeitsdienst gegeben hatte. Goebbels drängte den KdF-Einfluss entschlossen zurück, sah sich aber weiter Begehrlichkeiten des Konkurrenten Ley ausgesetzt, dessen KdF bei der praktischen Durchführung unverzichtbar war und die selbst Programm machen wollte, statt das dem Minister zu überlassen. Zur Wehrbetreuung gehörten auch politische Reden. Das lag ebenfalls im Verantwortungsbereich von Ley, des Reichsorganisationsleiters der NSDAP, was Goebbels genauso ärgerte wie die Aktivitäten des NS-Chefideologen Alfred Rosenberg, der sich zur "Interessenwahrung der Partei" das Recht zusichern ließ, den Stammbaum der unter Vertrag genommenen Künstler und ihrer Ehepartner auf nicht-arische Verwandte zu überprüfen und davon mit dem ihm eigenen Fanatismus Gebrauch machte.

Es gab Theateraufführungen, Kammermusik und Konzerte mit großem Orchester, aber auch Varieté und bunte Abende. Manch ein Kommandeur holte lieber rassige Sängerinnen, Artisten oder eine frivole Tingeltangel-Truppe zur Unterhaltung seiner Soldaten als die Vertreter der klassischen Bühnenkunst oder einen Rezitator völkischer Gedichte. Das scheint ein wenig der Stellungnahme des OKW vom September 1940 zu widersprechen, die Geerte Murmann in ihrem Buch Komödianten für den Krieg zitiert. "Verschiedene Aussprachen mit Offizieren und Mannschaften aller Wehrmachtsteile haben immer wieder ergeben, daß sich Soldaten aller Dienstgrade nach anstrengenden und aufregenden Kampftagen einer künstlerisch gehobenen und anspruchsvollen Darbietung mit besonderer Anteilnahme und Dankbarkeit zuwenden", heißt es da. Man darf aber nicht alles für bare Münze nehmen, was im Dritten Reich in dem Glauben zu Papier gebracht wurde, dass es das wohl sein müsse, was die Herren in den Ministerien und an der Spitze der Parteiorganisationen lesen wollten.

Weil zwischen Theorie und Praxis eine Lücke klaffte, nahm die Wehrmacht die gewünschten Künstler zur Not direkt unter Vertrag, statt sich mit dem Propagandaministerium lang herumzustreiten, ob die eingekauften Darbietungen geschmackvoll genug oder vielleicht doch zu kitschig waren. Manch ein General soll ihm bekannten Kunstschaffenden lukrative Gastauftritte zugeschanzt haben. Auf Betreiben von Goebbels wurden solche Eigenmächtigkeiten untersagt. Anschließend gab es so viele Ausnahmeanträge, von denen die meisten genehmigt wurden, dass es fast wie vor der neuen Regelung war. Nur der Wust der Bürokratie wurde immer dichter. Auch die Botschaften in den besetzten Ländern mischten mit, sodass oft Künstler bei der kämpfenden Truppe auftauchten, mit denen die KdF-Organisatoren nicht gerechnet hatten. Und an der Heimatfront wurde mit dem Finanzministerium darüber gefeilscht, wer was bezahlen sollte und wie die Kosten zu verbuchen waren.

Wer zur Truppenbetreuung wollte, schloss üblicherweise einen Vertrag mit einer der KdF-Agenturen ab. In den ersten Kriegsjahren waren solche Engagements sehr gefragt, und die Gründe nicht ausschließlich patriotischer Natur. Die Gagen waren üppig, man entging dem Wehrdienst oder der Arbeit in der Rüstungsindustrie, sah fremde Länder und genoss die enge Anbindung an eine siegreiche Armee, bei der man Dinge kriegen konnte, die es in der Heimat kaum mehr gab (einmal wird in Fronttheater kurz mitgeteilt, dass in Berlin die Lebensmittel rationiert sind). Das bedeutete nicht automatisch, dass die Truppe von den besten Kräften unterhalten wurde. Das Auswahlverfahren war intransparent und die Qualitätssicherung ein Problem, das KdF, Propagandaministerium etc. bis zur Kapitulation nicht in den Griff bekamen.

Um den Führungsanspruch seines Ministeriums zu bekräftigen, ordnete Goebbels im Frühjahr 1940 eine kulturelle Großoffensive mit Gastspielen der besten deutschen Opernhäuser und Theater an. Das setzte einzelne Glanzlichter, stand jedoch im krassen Widerspruch zur Qualität vieler anderer Darbietungen. Es gab Künstler mit mehr oder weniger Talent, eingespielte Wandertheater wie bei Rabenalt und kurzfristig angereiste Leute, die vorher noch nie zusammen aufgetreten waren und ohne Probe auf der Bühne standen. So häuften sich die Beschwerden über Gastspiele, die nicht geeignet waren, den Soldaten die Überlegenheit der deutschen Kultur vor Augen zu führen, für die sie nach dem Kunstgenuss wieder kämpfen sollten.

Tönende Freunde und Kriegsgewinnler

Wer mit dem Gebotenen nicht zufrieden war, machte seinen Ärger gern an den Gagen fest. Theoretisch sollte ein Künstler bei der Truppenbetreuung dasselbe verdienen wie im zivilen Leben. Praktisch war es so, dass infolge der raschen Gebietsgewinne in den ersten Kriegsjahren die Nachfrage das Angebot bei weitem überstieg, was geschäftstüchtige Kunstschaffende und deren Agenten für sich auszunutzen wussten. Oder es kamen Leute und strichen die nominellen Höchstgagen ein, die sie in Deutschland nie hätten verlangen können, weil sie zu schlecht waren. Murmann zitiert aus dem geheimen Schreiben eines Admirals an das Oberkommando der Kriegsmarine aus dem Frühjahr 1941. Der Offizier wundert sich über "erstaunliche Vergütungen", beispielsweise über 75 Reichsmark pro Tag für die Mitglieder der KdF-Musikgruppe "Tönende Freunde". Vom Kameradschaftsschiff "Stella Polaris" gingen Berichte über Künstler ein, die noch vor Ort mit ihrem leicht verdienten Geld protzten, was an die "Kriegsgewinnler des Weltkriegs" erinnere und geeignet sei, "zersetzend auf die Einsatzfreudigkeit der Einheiten" zu wirken. Korvettenkapitän Frühling vom Oberkommando der Marine drohte, ohne "umgehende Klärung und Säuberung" gar keine KdF-Veranstaltungen mehr zu akzeptieren. Auch unter Deutschlands Zivilisten wuchs der Unmut, weil Leute der zweiten oder dritten Garnitur mit völlig überzogenen Gagenforderungen in die Heimat zurückkehrten.

Goebbels und Hans Hinkel, der Chef des Sonderreferats Truppenbetreuung im Propagandaministerium, sorgten wie üblich für neue, bald wieder durchlöcherte Regelungen, auf dass alles besser werde. Die Eindämmung des "kriegsgewinnlerischen Unternehmertums" durch Ausschalten der hohe Vermittlungs- und Produktionsgebühren einstreichenden Gastspieldirektionen scheiterte am Widerstand von KdF, wo man die seit Jahren gepflegte Zusammenarbeit mit solchen Theaterprofis für unverzichtbar hielt (die von Goebbels favorisierte Vermittlung von Künstlern durch das Arbeitsamt funktionierte mehr schlecht als recht). Als die Gagen gedeckelt wurden (zuerst bei 75 RM pro Tag, später bei 800 RM im Monat, mit Ausnahmen), ging die Bereitschaft zur Truppenbetreuung massiv zurück. Für die Qualität war diese Ministeranordnung auch nicht gut, weil häufig diejenigen zuhause blieben, die in der Heimat aufgrund ihrer Klasse mit lukrativeren Engagements rechnen konnten.

Goebbels reagierte mit der Einführung einer Kriegsdienstverpflichtung für deutsche Künstler. Während der Gagenstopp sofort Ergebnisse brachte, verzögerten sich die Gegenmaßnahmen durch die Tücken von Bürokratie und Funktionärswesen. Die Theaterkammer ließ sich Zeit mit der Erarbeitung der Ausführungsbestimmungen zur Dienstverpflichtung, und die benötigten Formulare gingen bei feindlichen Luftangriffen verloren, oder zumindest wurde das behauptet. Bestimmt gab es viele, die dem Minister zeigen wollten, dass seine Anordnungen den Praxistest nicht bestehen konnten. Die Lücken im Programm mit Kräften aus den besetzten Ländern zu füllen, war auch keine Lösung. Bei "Ausländern" (eigentlich waren es Inländer, mit den Deutschen als Invasoren), die so schlecht wie ihre deutschen Kollegen waren, hatten die Soldaten weniger Hemmungen, ihrem Unmut Luft zu machen. Wenn sie besser waren, stellte das wieder die Überlegenheit der deutschen Kultur in Frage.

Der fortschreitende Motivationsverlust der Künstler hatte auch mit dem Kriegsverlauf zu tun. Siegreiche Truppen zu unterhalten ist etwas anderes als eine Armee auf dem Rückzug. Der Aufenthalt an der Front wurde immer gefährlicher. Zu den Klagen über die Qualität der Darbietungen kamen vermehrt solche über die mangelnde Bereitschaft der Kunstschaffenden, sich in die vordersten Linien zu wagen. Rabenalts Fronttheater, gedreht und uraufgeführt vor der Schlacht von Stalingrad, spielt zur Zeit der Westoffensiven von 1941, als die Euphorie noch groß war, doch die geschilderten Probleme mit der Truppenbetreuung gab es alle schon. Davon sollte das Kinopublikum nichts mitbekommen. Abgesehen von ein paar vorsichtigen Verweisen auf die Wirklichkeit (die etatmäßige Hauptdarstellerin lässt sich wie viele ihrer echten Kolleginnen krank schreiben, weil sie nicht an die Westfront will) wird ein stark verschönertes und damit verfälschtes Bild der realen Zustände geboten.

Intermezzo mit Heinz Rühmann

Ärger gab es trotzdem. Stein des Anstoßes war eine kurze Szene in Paris [2]. An der Rezeption des von KdF zum "Künstlerheim" umfunktionierten Carlton begegnen sich zufällig Hans Söhnker und Heinz Rühmann. Söhnker sagt, er sei auf dem Weg nach Orleans, Rühmann will nach Bordeaux, um in seiner Paraderolle als Mustergatte aufzutreten (die Film-Version war einer der Hits der Saison 1937/38). Das stieß einigen hochrangigen Persönlichkeiten bei KdF und Wehrmacht sauer auf, weil sich Rühmann offenbar nie in der hier suggerierten Weise bei der Truppenbetreuung engagiert hatte. Aus heutiger Sicht ist an Heinz Rühmanns Gastauftritt etwas anderes interessant. Als Star vermeintlich unpolitischer Filme (die das nie waren) legitimierte er durch seine Mitwirkung das Projekt von Fronttheater, holte er es aus dem Dunstkreis der reinen Propaganda heraus, hob er es auf die sozusagen höhere Ebene des Patriotismus. Und das wiederum steigerte die angestrebte Wirkung. Auch das gehört zur Funktionsweise der Propaganda mit dazu.

Fronttheater

Warum machte Rühmann dabei mit? Weil er es für richtig hielt? Weil er ein Opportunist war, dem es primär um die Karriere ging? Weil er bis 1936 mit einer Jüdin verheiratet gewesen war und seine zweite Frau, Hertha Feiler, nach Nazi-Maßstäben eine "Vierteljüdin" war? Im Land der Nürnberger Rassegesetze arbeiteten beide Ehepartner mit einer Sondergenehmigung und waren vom Wohlwollen von Bonzen wie Joseph Goebbels abhängig. Übernahm Hertha Feiler die weibliche Hauptrolle in Rabenalts Flucht ins Dunkel [3], weil sie wollte oder weil sie nicht anders konnte? Kirsten Heiberg wurde mit einem zweijährigen Auftrittsverbot bestraft, als sie sich weigerte, in die NSDAP einzutreten und die Besetzung ihres Heimatlandes Norwegen kritisierte. Sollte man ihr das zugute halten, wenn man sie als Femme fatale in Achtung! Feind hört mit! entdeckt, oder hat das eine mit dem anderen nichts zu tun? War ihr - wie scheinbar den Prüfern der FSK, die 1981 eine leicht gekürzte Version (mit intakter Propaganda) für Kinder ab 12 freigaben - nicht aufgefallen, dass das ein Reklamefilm für einen Angriffskrieg, die Gestapo und eine Terrororganisation namens "Volksgerichtshof" ist, wollte sie es nicht sehen oder wäre es ihr egal gewesen, als sie die Rolle annahm? Und wie war das mit Joachim Gottschalk, dem Darsteller des Ernst Engelbrecht in Flucht ins Dunkel, der ein Star und Publikumsliebling war und unter enormen Druck geriet, weil er sich nicht von seiner jüdischen Frau trennen wollte?

Man ahnt, dass das eine komplizierte Welt war, die sich nicht einfach in ein Gut-Böse-Raster pressen lässt. Gottschalk und seine Frau konnte man nach dem Ende des Dritten Reichs nicht mehr fragen, weil die beiden 1941 in ausweglos erscheinender Lage gemeinsam Suizid begangen hatten; ihren Sohn nahmen sie mit in den Tod (unbedingt mal Kurt Maetzigs Ehe im Schatten anschauen, wenn sich eine Gelegenheit ergibt). Doch das Ehepaar Rühmann, nehme ich an, hätte wichtige Aufschlüsse geben können, wenn es im Nachkriegsdeutschland gelungen wäre, das Thema ehrlich anzugehen. Stattdessen richteten sich die Deutschen mit dem Märchen von der überwiegend harmlosen Unterhaltung behaglich ein und schoben das Böse auf eine Liste mit verbotenen Filmen ab, die sie nicht einmal selbst erstellten. Das überließen sie den Alliierten, die dafür gute Gründe hatten. In der BRD wurde die Liste ein Instrument zur Abtötung einer dringend notwendigen Diskussion. Denen, die mitgemacht hatten, half sie bei der Bereinigung ihres Lebenslaufs.

Wo man versucht, die Geschichte per Verbot zu bewältigen, blüht die Nostalgie. Wahrscheinlich hat Fronttheater viel zu der sentimentalisierten Vorstellung von der Truppenbetreuung beigetragen, die bis heute vorherrscht. Nachzulesen ist das in den einschlägigen Internetforen zur Wehrmacht und ihren Traditionen. Da berichten jetzt die Enkel, was ihnen der Opa früher mal erzählt hat, und die Erinnerung des Opas war vermutlich von Fronttheater überlagert. Manches ließe sich ganz einfach korrigieren, indem man Rabenalts Film mit dem kontrastiert, was da nicht gezeigt wird. Aber der Film, die Quelle der nostalgischen Verklärung, ist ja verboten und wird so gut wie nie aufgeführt. Veranstalter, die sich der Mühe unterziehen, eine dieser einzig möglichen Vorstellungen mit Referent zu beantragen, nehmen lieber Harlans Jud Süß, weil unser liebster Nazi-Propagandaschinken ein volles Haus garantiert. So verengt man den Blick auf die Propaganda, die keineswegs nur da zu finden ist, wo der böse Jude die blonde Frau vergewaltigt, und so perpetuiert man die Lügen der Vergangenheit.

Kein Duke Ellington in Fronttheater

Lena fährt also mit dem Wandertheater durch das besetzte Frankreich. Soldaten lagern an der Küste, wo sich malerisch die Wellen brechen, und einer singt ein gefühliges Lied dazu. Die Musik besorgte Werner Bochmann, der nach dem Krieg für Heimatschnulzen komponierte, 1967 den Bundesfilmpreis (Filmband in Gold) sowie 1984 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse erhielt und ein halbes Jahrhundert lang im bayerischen Schliersee wohnte, wo er begraben und eine Straße nach ihm benannt ist. Sein Geburtsort Meerane ehrt ihn mit einer Dauerausstellung im Kunsthaus. Das wollen wir ihm gönnen. Befremdlich ist allerdings dieser Satz auf der Webseite www.meerane.de [4]:

Werner Bochmann, geboren am 17. Mai 1900 in Meerane, war einer der bekanntesten Filmkomponisten der Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg.

Und im Krieg? Da (und auch davor, wenn ich richtig gezählt habe) war er der meistbeschäftigte Filmkomponist des Dritten Reichs. Das Kunsthaus Meerane hätte sich da nicht so zieren müssen, denn die Filmmusik ist die unpolitischste Form der Unterhaltung überhaupt. Das wird einem jede Mutter bestätigen, die ihren Sohn im Krieg verlor und durch Herrn Bochmanns schöne Melodie zum Lied "Gute Nacht, Mutter" getröstet wurde. Ein Höhepunkt des Zynismus im NS-Film ist dieser in Wunschkonzert von Kammersänger Wilhelm Strienz dargebotene Schmachtfetzen [5] aber auch.

Fronttheater

So ein Ausflug an der frischen Atlantikluft (wir sind wieder bei Fronttheater) ist sehr appetitanregend. Darum reihen sich die Komödianten gleich mal fröhlich vor der Gulaschkanone ein, und als einer von den Soldaten mit sich ringt, ob er seine gute deutsche Wurst mit den jungen Damen vom Theater teilen oder doch allein essen soll, ist das - Hoho! - sehr lustig. In diesem Krieg sind alle so gut drauf, dass man zur Abwechslung dringend Lena und ihre Kollegin Gerda braucht. Lena ist ab und an bedrückt, weil sie dieses Problem mit ihrem Paul hat, der noch nicht weiß, dass sie wieder beim Theater ist, obwohl sie ihm versprochen hatte, der Bühne fern zu bleiben. Und Gerda vergießt Tränen, weil sie den Inspizienten Walter Hülsen liebt, der erst noch erkennen muss, dass sie und nicht Lena die richtige Frau für ihn ist. Als Hülsen macht Rudolf Schündler wieder gut, was er als Zeichner Grelling in Achtung! Feind hört mit! am deutschen Volk verbrochen hat. Gerda wird von Bruni Löbel verkörpert. Älteren Fernsehzuschauern ist sie als Oma Herta in Forsthaus Falkenau vertraut und aus diversen Dokumentationen, wo sie als letzte Überlebende aus der vermeintlich großen Zeit des deutschen Kinos erzählte. Das war die, in der diese tollen, erstklassig gemachten Unterhaltungsfilme entstanden, wo all jene mitwirkten, die sich nicht für die Nazi-Propaganda hergaben.

Als man schon fast glauben möchte, dass es in Frankreich gar keine Franzosen gibt, tauchen doch noch ein paar auf. Einer ist ein Gastwirt, ein Hotel hat französisches Personal, und alle machen den Eindruck, als würden sie sich über die netten Gäste aus Deutschland aufrichtig freuen. À propos: Eine Hauptaufgabe der Organisation "Kraft durch Freude" war früher die Veranstaltung von Urlaubsreisen. Jetzt ist Krieg, die Ortskommandantur sorgt für die Unterbringung im Hotel (das klappt sicher besser als vorher bei den Franzosen), doch die Begegnung mit Land und Leuten ist touristischer Natur geblieben. Da hatte bestimmt auch die Wehrmacht nichts dagegen, auf deren Verlangen die Gefahren, denen Lena und ihre Gefährten ausgesetzt sind, weil an der Front doch irgendwie gekämpft wird, stark abgemildert wurden. Übertriebener Realismus hätte potentielle Truppenbetreuer abschrecken können, und der Bedarf war groß. Den Ausfall der Hauptdarstellerin hätte man zur Not mit der zweiten Besetzung eines Schmierentheaters kompensiert. Nicht in Fronttheater. Da siegt die Kunst. Regisseur Langhammer sagt die Tournee nur deshalb nicht ab, weil in Lena ein nicht nur adäquater, sondern sogar besserer Ersatz zur Verfügung steht.

Werbung für ein Engagement bei der Truppenbetreuung hätte eine Thematisierung der Gage machen können. Natürlich spielt das keine Rolle, weil deutsche Künstler nicht nach Geld fragen, wenn sie freudigen Herzens ihre Patriotenpflicht erfüllen. Trotz Lebensmittelrationierung in Berlin hamstert auch niemand französische Delikatessen (in der Wirklichkeit ein gern in Anspruch genommener Bonus). Fritz Muliar schreibt in seinem Memoirenband Streng indiskret, dass das gemütliche Beisammensein nach der Vorstellung, der inoffizielle Teil des Abends, zu den Highlights der sonst nicht immer sehr inspirierenden Truppenbetreuung gehörte. Da tauschte man Führerwitze aus, die daheim im Reich verboten waren. So ein feuchtfröhliches Beisammensein stand im Widerspruch zu einer Vorschrift, in der es hieß: "Ein sofortiger Abtransport nach der Vorstellung ist aus allgemeinen, personellen und verkehrstechnischen Gründen der Abwehr anzustreben" (Gründe der Abwehr = Angst vor Spionen und Saboteuren).

Fronttheater

Um diese Vorschrift kümmerte sich niemand - außer in Fronttheater. Da bringen nur mal zwei Soldaten Wasser für die Badewanne, damit Rabenalt spärlich bekleidete Künstlerinnen zeigen kann. An der Kanalküste, an der Lenas Truppe entlang fährt, hörte man die von der BBC gesendete Tanzmusik ab, angereiste Orchester mussten sie im inoffiziellen Teil der Veranstaltung nachspielen (und dazu nicht groß gezwungen werden), nachdem das Pflichtprogramm mit Titeln wie "Singende, klingende Welt" oder "Mit Musik, da woll’n wir lustig sein" geschafft war. Selbstverständlich nicht in Fronttheater. Da gibt es Werner Bochmann, nicht Glenn Miller und Duke Ellington. Lena sieht man höchstens mal am Volksempfänger sitzen, um die neuesten Meldungen aus dem Führerhauptquartier zu empfangen. Die deutschen Soldaten sind allzeit freundlich, höflich und hilfsbereit, und niemals die grölende und alkoholisierte Menge, auf die man als echter Truppenbetreuer an schlechten Tagen stoßen konnte. Oder sind das nur ganz üble, von der Feindpropaganda verbreitete Gerüchte? Sollte es doch immer so gewesen sein wie in Fronttheater, wo das soldatische Publikum fein säuberlich in Reih und Glied sitzt, andächtig lauscht und am Schluss der künstlerischen Darbietung dankbar applaudiert?

Töten mit Schwung

Kaum beim Fronttheater angekommen, steht Lena schon als Minna von Barnhelm auf der Bühne. Das muss so sein, denn schließlich geht es um die Segnungen der deutschen Kultur. Die uniformierten Zuschauer im Film, quer durch alle Dienstgrade, sind beglückt ob des ihnen gebotenen Kunstgenusses. Dem Kinopublikum jedoch wollten die Filmemacher nicht mehr Lessing zumuten als unbedingt erforderlich. Lena und Langhammer als Tellheim sprechen ein paar Sätze aus dem Stück (2. Akt, Szene 9), damit ist das abgehakt. Den Weg zur leichten Muse ebnet Die Dame Kobold, die Verwechslungskomödie von Calderón. Lena trägt beim Fechten eine Strumpfhose, damit der kulturell interessierte Zuschauer einen Blick auf die Beine von Heli Finkenzeller erhaschen kann. Hilde und Monika Keller, Lenas liebreizende, von Hedi und Margot Höpfner verkörperte Kolleginnen, führen spanische Tänze auf, oder etwas in der Art, und ein andermal - da schon ohne Calderón - den "Kaiserwalzer". Rabenalt zufolge wurden die Geschwister Höpfner auf persönlichen Wunsch von Adolf Hitler besetzt.

Fronttheater

Nachdem auch an den Barockdichter Calderón ein Haken gemacht ist, kann sich der Film dem widmen, was er auf der Bühne lieber mag: Gesang und Tanz und Frauenkörper, ohne störendes Theaterspielen. Weil aber eigentlich die deutsche Hochkultur, bei Bedarf braun eingefärbt, den Kampfgeist der Soldaten stärken soll, und nicht der deutsche Schlager, müssen Situationen her, die es erfordern, Minna und Major Tellheim über Bord zu werfen. Das geht zum Beispiel so: Walter Hülsen, der von Gerda geliebte Inspizient, trifft zufällig einen alten Schulfreund. Der Mann ist Offizier der Kriegsmarine und berichtet von den armen U-Boot-Besatzungen, die sich seit zwei Wochen furchtbar langweilen. Und gerade jetzt, als das Fronttheater kommt, sollen sie am nächsten Morgen auslaufen.

Fronttheater

Hülsen organisiert spontan eine Nachtvorstellung. Die Künstler, obwohl todmüde, machen natürlich gerne mit. Nicht weit vom Hafen steht ein Schloss. Das Schloss hat einen Saal mit einer Bühne und offenbar keinen Eigentümer, den man fragen muss, ob man den Saal benutzen darf. Selbst als Deutscher, schließe ich daraus, kann man im Krieg, als Eindringling in einem fremden Land, nicht immer höflich sein. Außerdem sind die Franzosen - siehe Monsieur Bock in Achtung! Feind hört mit! - selber schuld. Rabenalt und seine drei (!) Drehbuchautoren haben sowieso ein ganz anderes Problem. Auf der Bühne im Schloss könnte man nun Minna von Barnhelm aufführen. Genau das soll aber verhindert werden. Also schicken sie Langhammer, den Regisseur, vor Hülsens Zusammentreffen mit seinem Schulfreund rasch auf irgendeine Erledigung. Was er da tut, ist egal. Wichtig ist nur, dass er irgendwo anders ist, denn Langhammer ist auch der Hauptdarsteller, und ohne Tellheim keine Minna. Wenn das so ist, meinen die Künstler, dann improvisieren wir und machen "Cabaret" (gemeint ist ein bunter Abend mit Gesang und Tanz).

Im Dritten Reich, sagen die Fans und die Vermarkter von DVDs und VHS-Kassetten, erlebte der deutsche Film seine größte Zeit. Das ist ein Mythos. Die Liste der Regisseure, Autoren, Schauspieler, Kameraleute, Komponisten etc., die nach Hitlers Machtergreifung nicht im Land bleiben konnten oder wollten, ist ellenlang. Dem deutschen Kino der tausend braunen Jahre merkt man an allen Ecken und Enden an, dass es sich von diesem Aderlass nicht erholte, weil in der Mehrzahl Leute mit weniger Talent, handwerklichem Können und Einfallsreichtum nachrückten. Sehr deutlich ist das an den vielen Schwachstellen in der Konstruktion der Geschichten zu erkennen. Eine der schwierigsten Aufgaben beim Drehbuchschreiben ist die, es so hinzukriegen, dass die Figuren zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind und dass sich das auf logische Weise aus der Handlung ergibt. Langhammer wird einfach weggeschickt, weil ihn Drehbuch und Regie nicht brauchen können. Vorbereitung gibt es keine.

Fronttheater

Die Geschwister Höpfner ergriffen nach dem Krieg den Lehrberuf, unterrichteten Schauspiel, Tanz und Gesang (das von Hedi in Hamburg gegründete und drei Jahrzehnte lang geleitete Studio gibt es heute noch [6]). Zu ihren Schülern zählen die TV-Polizisten Klaus J. Behrendt und Maja Maranow, Thomas Fritsch und Doris Nefedov alias Alexandra, die uns auf dem Höhepunkt der Studentenrevolte das Lied von der Taiga und das vom Zigeunerjungen sang. Als Hilde und Monika Keller in Fronttheater erfreuen die Geschwister Höpfner die U-Bootfahrer nach dem bereits erwähnten "Kaiserwalzer" (in transparenten Kleidern) mit einem Auftritt in Hot Pants. Logischerweise haben deutsche Künstlerinnen, die mit Minna von Barnhelm durch Frankreich touren, so etwas im Koffer. In diesen Kostümen bieten die Schwestern eine jener miserabel choreographierten Stepptanz-Nummern, die als Kampfansage an Hollywood gedacht waren und doch wie eine Kapitulationserklärung wirken. Bruni Löbel als Gerda singt ein Lied, das dann Generationen von Fernsehzuschauern als Evergreen präsentiert wurde: "Wer ist hier jung, wer hat hier Schwung, was Tolles mitzumachen …"

Fronttheater

Das Tolle haben wir zuvor schon im Wehrmachtskino gesehen, in das wir die Schauspieler begleiten durften. Gezeigt wird die Deutsche Wochenschau. Der Soldatenchor singt "Ran an den Feind!" zu Bildern vom Angriff deutscher Flieger auf ein britisches Schiff. "Der Engländer schießt aus allen Rohren! Es hilft ihm nichts", jubelt der Sprecher. "Wer nach England fährt, fährt in den Tod!" Die Komödianten tragen noch ihre Barnhelm-Kostüme, weil die Nazi-Propaganda unter einem "Analogiezwang in historischen Kategorien zur Legitimation des Weltkriegs" (Karsten Witte) stand. Gelegenheiten, eine Verbindung zwischen Preußen und dem Dritten Reich herzustellen, wurden selten ausgelassen. "Toll, die Jungs!" kommentiert einer vom Fronttheater. "Phantastisch!" Eben. Engländer umbringen, das macht Freude. Mag sein, dass die Leute das wirklich so empfanden, als sie 1942 diesen Film sahen. Inzwischen ist ein interessantes historisches Dokument daraus geworden. Man erfährt aus erster Hand, wie damals die Kinozuschauer auf den Krieg eingeschworen wurden. Wer heute noch Engländer töten will, vielleicht beim nächsten Shopping-Trip nach London, weil sie böse Feinde sind, ist ein Vollidiot und braucht einen Therapeuten, kein Filmverbot.

Die Flak braucht ein Gerät

Die Komödianten stärken also den Kampfesmut der Marine, der Luftwaffe und der Infanterie. Aber was ist eigentlich mit Dr. Paul Meinhardt, dem Mann von der Flak und von Lena? Bestimmt hat jeder schon mal eine dieser Szenen gesehen, wo zwei räumlich getrennte Liebende zur gleichen Zeit den sich im Weltall treffenden Blick auf den Mond oder einen Stern am Firmament richten. In Fronttheater wird sie mit dem nazitypischen Zynismus präsentiert. Bei Rabenalt schauen Lena und Paul hoch zu einem von den Suchscheinwerfern der deutschen Luftabwehr zerschnittenen Himmel, und wir sollen das für romantisch halten. Man kann es aber auch nur schrecklich finden. Einmal würden sich die beiden fast körperlich begegnen, weil Lena an dem Ort einen Auftritt hat, wo Paul die Engländer vom Himmel schießt. Das würde eine böse Überraschung geben, denn Lena hat Paul verschwiegen, dass sie ohne seine Erlaubnis beim Fronttheater spielt. (Der Gatte muss auf den Besuch der Vorstellung verzichten, weil sein Zug im letzten Moment in Alarmbereitschaft versetzt wird - das Drehbuch, nicht der Krieg verlangt es so, weil den Autoren nichts besseres eingefallen ist.)

Fronttheater

Da eine deutsche Frau so etwas eigentlich nicht macht, sondern ihrem Mann gehorsam ist, muss es umständlich erklärt werden. Für einen langen Brief ist keine Zeit (50.000 Soldaten warten sehnlichst auf die deutsche Hochkultur). Eine Freundin rät, es Paul erst nach Ende der vierwöchigen Tournee zu sagen. Dann ist Lena wieder daheim, und Paul kann sehen, dass ihr Engagement nur eine Ausnahme war, keine wirkliche Rückkehr auf die Bühne. Bis dahin gibt die Freundin Lenas Briefe in Berlin auf, um den Schwindel zu verbergen. Diese Erklärung hätte helfen können, das größte Problem des Films zu lösen. Paul kämpft für Führer und Vaterland, zeigt als Soldat der Wehrmacht schon 1941 brav den Hitlergruß (dort erst 1944 verpflichtend eingeführt), ist dann aber sauer, wenn sich seine Frau zur Truppenbetreuung meldet und ihre vaterländische Pflicht erfüllt. Wie kann das sein? Antwort: Weil ihn Lena hintergeht und belügt. Als Zuschauer muss man sich das selbst dazu denken, weil es die Autoren versäumt haben, diesen Konflikt herauszuarbeiten und Rabenalt ein zu mittelmäßiger Regisseur war, um Schwächen des Drehbuchs durch die Inszenierung auszugleichen.

Paul muss den Treuebruch seiner Gattin vor Ablauf der vier Wochen entdecken, weil sonst die Handlung zum Erliegen käme. Natürlich tut er das, indem er in Berlin eine leere Wohnung vorfindet. Aber wie bringt man ihn da hin? Heimaturlaub nach ein paar Wochen an der Front? Unmöglich. Wenn man sonst keine Idee hat und sein Handwerk nicht beherrscht, macht man es wie hier: Soldat Meinhardt, sagt der Vorgesetzte an der Atlantikküste, fahren Sie doch mal nach Berlin und holen Sie uns ein Gerät; und wenn Sie schon mal da sind, dürfen Sie gern daheim vorbeischauen und da übernachten. Das Gerät hat keinen Namen und keine Nummer. Paul könnte es getrost in die Spree werfen, statt das Ding mit sich herumzuschleppen, weil man es nur braucht, um seinen Aufenthalt in Berlin zu "motivieren". Peinlichkeiten dieser Art gibt es im Kino des Dritten Reichs zuhauf. Fürwahr, die große Zeit des deutschen Films!

Goebbels änderte zwar dauernd seine Meinung, wie ein deutscher Film zu sein habe, lernte aber mit den Jahren viel über die handwerklichen Aspekte. Dazu gehört das Drehbuch. Es lag an solchen Unzulänglichkeiten, würde ich sagen, dass er Fronttheater nicht wirklich mochte, obwohl das Werk sehr beachtliche sechs Millionen Reichsmark einspielte und als "staatspolitisch und volkstümlich wertvoll" eingestuft wurde. "Die Charaktere sind schlecht gezeichnet", schrieb er am 14.8.1942 in sein Tagebuch, "der Konflikt an den Haaren herbeigezogen und die Handlung ganz äußerlich und schlecht gemacht." Rabenalt und seine Apologeten konstruierten daraus nach dem Krieg einen Antagonismus zwischen ihm und dem Propagandaminister, womit belegt werden sollte, dass der Regisseur aus politischen Gründen aneckte.

In seinem 1985 erschienenen Goebbels-Buch teilt Rabenalt mit, dass er "Schleichwerbung" für KdF gemacht habe, um dem Propagandaminister eins auszuwischen und dem Film das von diesem gewünschte "vaterländische Pathos" zu nehmen. Mit abgedruckt ist ein Dankesbrief von Robert Ley, als wäre das ein Beweis für seine, Rabenalts, regimekritische Haltung. Wenigstens behauptet er nicht, dass der ihn lobende Ley in Wirklichkeit ein Widerstandskämpfer war und zum Kreis der Verschwörer um Graf Stauffenberg gehörte.

Wenn du auf Urlaub kommst …

Um den Männern vom U-Boot ein paar besinnliche Momente zu bereiten, bevor sie in See stechen, um britische Schiffe zu versenken, singt Lena auf der Bühne im Schloss: "Wenn du auf Urlaub kommst, ist bei mir Feiertag, dann dreht sich alles nur um dich, allein um dich …" In der nächsten Szene betritt Paul die gemeinsame Wohnung in Berlin. Das klingt nach bitterer Ironie. Ein besserer Regisseur hätte aus dieser Szene, mit einem Schauspieler wie René Deltgen, einiges machen können. Das Unausgesprochene mit zu inszenieren war Rabenalt nicht gegeben. Bei ihm läuft Pauls Ankunft in der leeren Wohnung so mechanisch-routiniert ab wie fast alles, was ich in seinen Filmen gesehen habe. Paul erfährt von der Hausmeisterin die Wahrheit und ist wenig mehr als eine beleidigte Leberwurst, wenn er sich an den Tisch setzt, um Lena einen Brief zu schreiben: Du hast dich also für das Theater entschieden. Ich hoffe, dass du da glücklicher wirst als mit mir und dergleichen.

Fronttheater

Lena kehrt mit dem schönen Gefühl nach Berlin zurück, auch ein Soldat zu sein. Als sie den Brief ihres Gatten entdeckt, ist sie verzweifelt. "Die Schauspielerei", sagt sie, "bedeutet mir gar nichts, wenn ich ihn verlieren würde" (und als Zuschauer des Jahres 2012 fragt man sich perplex, warum sie diesem unangenehmen Kerl nicht längst den Laufpass gegeben hat). Noch ist es nicht zu spät. Die Wehrmacht eilt in Griechenland von Sieg zu Sieg, und Paul ist mit dabei. Auch Langhammers Theatertruppe hat in Griechenland ihren nächsten Einsatz. Lena kommt in der Hoffnung mit, dass sie Paul dort finden wird. In Athen will Langhammer die Minna unterhalb der Akropolis aufführen, im antiken Theater des Herodes Atticus. Ein Offizier findet das gewagt, doch Langhammer ist sich seiner Sache sicher: "Es ist gar kein so großer Weg von der Lessing’schen bis zur attischen Klarheit." Attische Klarheit? Muss man nicht verstehen. Wichtig ist nur diese Botschaft: Die Deutschen stehen in der Nachfolge der alten Griechen (genau genommen ist das Odeon im römischen, nicht im griechischen Stil erbaut), sind die neuen Repräsentanten der abendländischen Kultur (mehr dazu hier [7]). Die Griechen des Jahres 1941 kommen nur in Gestalt von Bauern vor, die keine richtigen Straßen bauen können - Wohl dem, der in Griechenland einen Panzer hat! - und noch mit Eseln unterwegs sind.

Erinnern wir uns kurz an Green for Danger und A Canterbury Tale. Da geht die englische Literatur eine harmonische Verbindung mit Orten, Personen und Geschichte ein. So vergewissern sich diese Filme auf eine positive, konstruktive Weise der nationalen Identität. In Fronttheater werden nun bald deutsche Soldaten als die "neuen Griechen" am Felsen der Akropolis sitzen und deutschen Schauspielern in preußischen Kostümen dabei zusehen, wie sie ein deutsches Stück aufführen. Minna von Barnhelm ist da nicht etwa die Kulturbotschafterin in einem fremden Land, was auch denkbar wäre. Die Kultur wird vielmehr vergewaltigt und zum Instrument der Rechtfertigung von Eroberung und Okkupation degradiert. Das ist Kulturimperialismus der schlimmsten Sorte.

Fronttheater

Kunst und Militär werden endgültig eins, als Wachtmeister Herrmann, im zivilen Leben Kammersänger, mit seiner Flakeinheit Suchscheinwerfer aufstellt, um die Bühne zu beleuchten. Am Abend der Vorstellung soll es eine der populären Ringsendungen des Großdeutschen Rundfunks geben: eine Konferenzschaltung mit Live-Aufnahmen von Orten überall im besetzten Europa, wo gerade ein Fronttheater auftritt. Das Radio würde gern eine Szene aus Lessings Minna übertragen. Nein nein, sagt Langhammer, der begeisterte Theatermacher, bloß nicht, das Stück ist dafür (für ein deutsches Massenpublikum) nicht geeignet (für die Verdrängung einer anderen - in diesem Fall: der griechischen - Kultur aber schon). Die Live-Schaltung aus Athen soll ein richtiger Soldat bestreiten, Wachtmeister Herrmann.

Ein Kampfgebet, ein Losungswort, ein Marschbefehl

Wie es der Zufall will, befindet sich der am Arm verwundete Paul Meinhardt in Athen in einem Lazarett. Am Abend sitzt er nichts ahnend im Publikum. Kaum erkennt er seine Gattin als Minna auf der Bühne, erlebt er eine Spontanbekehrung. Paul weiß jetzt, wie wichtig das ist, was Lena tut und eilt in die Kulissen, um zu signalisieren, dass er ihr wieder gut ist. "Heute ist mir klar geworden, dass du Theater spielen musst", sagt er am Schluss der Vorstellung. "Ich werde dich nie mehr daran hindern." Geerte Murmann sieht darin "eine erstaunliche, emanzipatorische Tendenz". Allerdings zeichnen sich solche NS-Filme dadurch aus, dass die Männer großzügig sein können, weil die Frauen im Laufe der Handlung lernen, das für sich anzunehmen, was die Ideologie von ihnen verlangt. "Nein", antwortet Lena, "wir werden das tun, was wir uns vorgenommen haben." Sie ist jetzt das dressierte Frauchen, das seine Lektion gelernt hat.

Fronttheater

Vorgenommen haben sie sich (weil der Gatte es so wollte), dass Lena ihren Beruf aufgibt und Hausfrau wird, während Paul natürlich weiter als Anwalt arbeitet, wenn er nicht gerade Soldat sein muss. Lena nimmt dieses konservative Modell nun dankbar an. Das ist perfide und nichts weiter als eine Variante der männlichen Unterwerfungsphantasien, denen Rabenalt später in seinen "erotischen" Romanen viel Raum gab. Daraus lässt sich lernen, dass man für Pornographie keine entblößten Geschlechtsorgane braucht. Es gibt auch eine Pornographie der Gedanken und der Ideologie. Aber solange das Fronttheater existiert, erklärt Paul abschließend (in seiner Wehrmachtsuniform harmonisch vereint mit den Komödianten in ihren Preußenkostümen), wird seine Gattin weiter auf der Bühne stehen. Widerlicher geht es nicht. Solange die Nazis andere Länder mit Krieg überziehen, darf Lena Andres, die große Schauspielerin, mit Erlaubnis ihres Mannes im Theater auftreten und den Kampfeswillen der Truppe stärken. Wenn alle Feinde unterjocht sind, hat auch die berufstätige Frau verloren und zieht sich in ihr Heim zurück, um dem Gatten sein Essen zuzubereiten. Das ist geschickt konstruiert. Ich erkenne da eine Gehirnwäsche, keine "emanzipatorische Tendenz".

Fronttheater

Nach diesem "Happy End" auf Nazi-Art tritt der für die Rundfunkübertragung verantwortliche Offizier ans Mikrophon: "Kameraden! Aus Athen, aus dem riesigen Rund des Odeon des Herodes Atticus, grüßen jetzt unsere Soldaten die Heimat. Sie danken soeben mit begeistertem Beifall deutschen Künstlern, die auch hierher Freude und Entspannung brachten. Unser Gruß soll ein neues Lied sein, gesungen von einem Soldaten, Wachtmeister Hermann." Und dann bringt Kammersänger Wilhelm Strienz als Wachtmeister Herrmann - das ist derselbe Strienz, der in Wunschkonzert "Gute Nacht, Mutter" singt - die Militaristenschnulze von den Glocken der Heimat [8] zu Gehör. Dazu sieht man andächtig lauschende deutsche Menschen (und einige Verbündete): Soldaten im Odeon, Zivilisten in der Heimat, Angehörige verschiedener Waffengattungen in ihren Einsatzgebieten, Paul und Lena, die Geschwister Höpfner, Gerda und ihr Inspizient an der Akropolis, alle vereint durch den Großdeutschen Rundfunk und die deutsche Kunst. Der Wind weht Gerda den Rock hoch, weil das ein Film von Arthur Maria Rabenalt ist. Und am Schluss - kein Witz - fährt ein Panzer in den Sonnenuntergang.

Fronttheater

Natürlich ist das Propaganda. Hart an der Nazi-Satire ist es aber auch. Interessanter als die Frage, ob das heute noch so wirksam ist wie früher (wie sollte es das, in einem völlig anderen Kontext?), scheint mir zu sein, dass man es dem Publikum des Jahres 1942 so präsentieren konnte und dass es so viele Leute gut fanden. Also: Bitte freigeben! Wir haben ein Recht darauf zu wissen, welcher Gehirnwäsche unsere Vorfahren unterzogen wurden und wie sie funktionierte. An Filmen wie an denen von Arthur Maria Rabenalt lässt sich das hervorragend studieren. Wer verhindern will, dass sich die Vergangenheit wiederholt, muss sie kennen. Sonst gastiert eines Tages, wenn wir die derzeit undankbaren Griechen wieder mögen, der Musikantenstadl der ARD - oder Carmen Nebel vom ZDF - am Felsen der Akropolis, und Heino singt im Duett mit Florian Silbereisen "Glocken der Heimat". Das wollen wir selbst dann unbedingt vermeiden, wenn der TV-Beauftragte für politische Korrektheit auf der entnazifizierten Version bestehen sollte - ohne "Ein Kampfgebet, ein Losungswort, ein Marschbefehl von Ort zu Ort…"


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[3] https://www.heise.de/tp/features/Festigkeit-des-Herzens-Von-der-Erfindung-der-Alufolie-zum-Sitzkind-3503542.html
[4] http://www.meerane.de/meerane/kultur_freizeit_sport/bochmann_ausstellung/bochmann_ausstellung_start.htm
[5] http://www.youtube.com/watch?v=Rn8jQQq9NX8
[6] http://www.schauspielschule-buehnenstudio.de/?Ausbildung/Geschichte
[7] https://www.heise.de/tp/features/Aus-den-Wolken-kommt-das-Glueck-3503473.html
[8] http://www.youtube.com/watch?v=_2DfeIL6cfs