Glocken der Heimat

Fronttheater

Das Dritte Reich im Selbstversuch, Teil 15: Fronttheater

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Nachdem wir beim letzten Mal erfahren haben, was die Engländer für fiese Kerle sind, wenden wir uns heute zwei für die Zukunft des Landes wichtigen Fragen zu: Unter welchen Umständen darf eine verheiratete Frau weiter ihren erlernten Beruf ausüben und warum ist der Deutsche ein Kulturmensch? Antworten gibt ein Vorbehaltsfilm, der an Aktualität gewonnen hat, seit die CSU aus ideologischen Gründen die Herdprämie fordert und deutsche Künstler zur Truppenbetreuung nach Afghanistan fliegen.

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Hauptgegner der braven Deutschen in Rabenalts Fronttheater sind nicht die Taliban, sondern erneut die Briten. Mittlerweile ist der von den anderen angezettelte Krieg ausgebrochen (Premiere des im Jahr 1941 spielenden Films war am 24. September 1942). Am Anfang zeigt eine Trickaufnahme eine Landkarte mit Berlin und Linien, die von dort strahlenförmig zu den vielen Fronten führen, an denen gekämpft wird. Nur gut, dass der Deutsche ein Kulturmensch ist. "In diesem Krieg schweigen die Musen nicht", informiert uns ein Text. "Seit die Waffen sprechen, fahren zahlreiche Frontbühnen von Truppe zu Truppe. So erfreuen deutsche Künstler durch ihr Spiel deutsche Soldaten. Von ihrem Wirken erzählt dieser Film."

Verteidigung der Sicherheit

René Deltgen, in Achtung! Feind hört mit! noch britischer Spion, hat die Seiten gewechselt. Als Dr. Paul Meinhardt ist er ein erfolgreicher Berliner Anwalt und mit der großen Schauspielerin Lena Andres (Heli Finkenzeller) verheiratet, die ihm zuliebe ihren Beruf aufgegeben hat. Im Chauvi-Kino der Nazis ist das so selbstverständlich, dass Meinhardt seinen Wunsch nicht einmal begründen muss. Lena hat in sich hineingehorcht und entdeckt, dass ihr das Theaterspielen ohne Pauls Liebe nichts bedeutet. Weil der Gatte nicht will, dass sie auf der Bühne steht (warum?), verzichtet sie darauf. Ihre Entscheidung wird als das Normalste von der Welt präsentiert, keine weitere Diskussion erforderlich. Das, was folgt, könnte (freiwillig oder unfreiwillig) komisch sein, wenn es nicht so traurig wäre. Der Regisseur hätte alle Möglichkeiten gehabt, subversiv zu sein, doch seine Inszenierung ist bierernst. Es sagt viel über das Dritte Reich, dass sich dieser blöde Film zu einem der Kassenschlager der Saison mauserte, auf Augenhöhe mit dem ungleich stärker beworbenen Preußenepos Der große König (Friedrich II. verliert eine Schlacht, überwindet eine Krise und kehrt triumphal zurück).

Fronttheater

Paul wird zur Flak eingezogen. Lena bleibt allein zuhaus. Erst akzeptiert sie brav, nur noch "Frau Dr. Meinhardt" zu sein, nicht mehr der Bühnenstar Lena Andres. Dann bringt sie den Gatten zum Bahnhof, und fortan ist Dr. Meinhardt weg, weil er in der Fremde Feinde töten muss. Bald droht ihr die Decke auf den Kopf zu fallen - aus Frust, nicht wegen Bomberangriffen, denn der Krieg findet hier nur in anderen Ländern statt, die Nazi-Deutschland besetzen musste, um sich gegen fremde Aggressoren zu schützen. Einmal, an der Atlantikküste, schießt Pauls Einheit ein britisches Flugzeug ab. "Der kommt nicht mehr nach Berlin, Lena", sagt er dazu. Da weiß man wenigstens, warum die Wehrmacht in Frankreich einfallen und bis zum Atlantik vorrücken musste. Rein defensiv, das Ganze. In Berlin gibt es Verdunklungspflicht, aber der Grund dafür wird vor Deutschlands Grenzen ausgeschaltet. Besser, man schießt die Briten schon über dem Meer ab. Da richten sie keinen Schaden an. Und wenn sie nicht solche Aggressoren wären, gäbe es den Krieg gar nicht (Deltgen alias Flakschütze Meinhardt stellt die Verbindung zu Achtung! Feind hört mit! her, wo die Briten das Geheimnis der Ballonsperren ausspionieren wollten).

Fronttheater

Ich kann mir durchaus vorstellen, dass so etwas, in einer Gesellschaft mit gleichgeschalteten Medien ständig wiederholt, die gewünschte Wirkung entfaltete. Heute haben wir Informationsfreiheit (mit Einschränkungen). Wenn jemand diesen Unsinn trotzdem glaubt, liegt es an einem verfehlten Geschichtsunterricht. Es gibt geeignete Mittel, solche Schäden zu beheben. Das Verbot von Filmen gehört nicht dazu. Umgekehrt versteht man im Rückblick ziemlich schnell, wie damals kriegerische Handlungen gerechtfertigt wurden. Wenn wir diese Filme ansehen und diskutieren würden, statt sie wegzusperren, würden wir über das Dritte Reich viel lernen. Das wäre auch für Politiker gut, die unsere Sicherheit am Hindukusch verteidigen wollen. Natürlich besteht ein riesengroßer Unterschied zwischen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg und der Bundeswehr in Afghanistan. Aber das Argument (Verteidigung der eigenen Sicherheit in fremden Ländern) ist historisch vorbelastet. Wer sich dessen bewusst ist, wird die Vergangenheit mitdenken, präziser formulieren und Missverständnisse leichter vermeiden.

Positive thinking

Lena liest zur moralischen Aufrüstung Kleists Penthesilea. Weil sich die Frau im NS-Kino jedoch über den Mann definiert, ist das Leben der Amazone ohne den in den Krieg gezogenen Paul öd und leer. Einige von Lenas früheren Kollegen sind beim Fronttheater tätig. Die Verwaltung hat ihren Sitz in Berlin, da will sich Lena nützlich machen. Eine Rückkehr auf die Bühne lehnt sie ab, weil sie es Paul versprochen hat. Aber dann gibt Edith Reiß die liebeskranke Diva und der Theatermacher Langhammer, Lenas alter Regisseur, steht bei einer Tournee durch das besetzte Frankreich ohne Hauptdarstellerin da. "Wir sind hier im Kampf wie ein Soldat, wie ein Arbeiter in der Fabrik", meint der Regisseur. Spätestens bei diesem Dialog ahnt man, was kommen wird, denn das Soldatsein geht in diesen Filmen über alles. 50.000 Soldaten, ergänzt Dr. Gall, der Leiter der Truppenbetreuung, haben sich schon so gefreut und würden bitter enttäuscht sein, wenn Lena bei ihrem Nein bleiben sollte. Also reist sie der Theatertruppe hinterher, um die tapferen Frontsoldaten mit Minna von Barnhelm und Calderóns Lustspiel Die Dame Kobold zu beglücken.

Ja, genau. Der deutsche Landser freut sich auf den Klassiker von Gotthold Ephraim Lessing und auf eine barocke Verwandlungs- und Gesellschaftskomödie aus dem politisch unverdächtigen Spanien (da herrschte der faschistische Diktator Franco, seit ihm die Legion Condor etwas unter die Arme gegriffen hatte). In der Realität war zwar eher das Oberflächliche gefragt, statt Unterhaltung mit Tiefgang und Widerhaken, aber nicht in diesem Film und nicht beim Propagandaminister Joseph Goebbels, der ständig im Clinch mit der Wehrmacht und der NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude" lag und 1940 eine vom Oberkommando der Wehrmacht (OKW) an alle Truppenteile verschickte Direktive durchdrückte, der zufolge es nicht um seichte Unterhaltung zu gehen habe, sondern "alle Veranstaltungen der Stärkung der inneren Kräfte" zu dienen hatten: "Jegliche Art reißerischer, geschmackloser, kitschig-patriotischer oder anstößiger Darbietung ist abzulehnen."

Fronttheater

Lessings Nathan der Weise war im Dritten Reich verboten, und Minna von Barnhelm gehörte zu den meistgespielten Stücken, womit noch nichts darüber gesagt ist, ob und wie es für die jeweilige Aufführung bearbeitet wurde. Im Herbst 1940 lief eine nazifizierte Filmversion an, die um Lessings Humanismus und die Skepsis seines Major Tellheim dem Krieg gegenüber beraubt ist und die bis heute wegen ihrer angeblichen Werktreue gelobt wird. Hans Schweikart, der Regisseur von Das Fräulein von Barnhelm, wusste es besser und wollte sich lieber nicht daran erinnern, als er nach dem Krieg Intendant der Münchner Kammerspiele wurde. Einer der Schlüsselsätze lautet: "Solange uns unsere Gegner zum Krieg zwingen, müssen wir unsererseits zu Zwangsmitteln greifen." Eben. Damit ist die Grundaussage vieler NS-Propagandafilme kurz und knapp zusammengefasst.

Hier lohnt ein Vergleich mit Großbritannien, dem Land des bösen Feindes. Gleich nach dem Krieg drehte Sidney Gilliat Green for Danger. Erzählt wird eine Liebes-, Eifersuchts- und Mordgeschichte in der Grafschaft Kent des Jahres 1944. Die Nerven der Figuren sind zum Zerreißen gespannt, weil jederzeit eine deutsche V1 einschlagen und den Tod bringen könnte (die Bezeichnung V1 für diesen flugzeugähnlichen Marschflugkörper hatte Goebbels’ Propagandaministerium erfunden, und das "V" stand für "Vergeltungswaffe", weil die Engländer an allem schuld waren). Ort der Handlung ist ein zum Hospital umfunktioniertes Landhaus. In einer sehr schönen Szene sitzt der Frauenheld Dr. Eden (Leo Genn) mit Schwester Linley (Sally Gray) im Garten, aus einem Gebüsch heraus beobachtet vom eifersüchtigen Dr. Barnes (Trevor Howard).

Green for Danger

Dr. Eden versucht, seine neue Eva ins Bett zu kriegen, indem er Lorenzos Rede an Jessica aus Shakespeares Der Kaufmann von Venedig zitiert: "In such a night as this, / When the sweet wind did gently kiss the trees …". Plötzlich erscheint Inspektor Cockrill (Alastair Simm), antwortet mit dem Dialog der skeptischen Jessica in Shakespeares Stück ("In such a night / Did young Lorenzo swear he loved her well, / Stealing her soul with many vows of faith / And ne’er a true one.") und biegt den Busch zurück, hinter dem Dr. Barnes versteckt ist. Die Szene dient einer mehrfachen Entlarvung, ist voll distanzierender Ironie und zugleich sehr berührend - durch die Worte Shakespeares, gesprochen in einem englischen Garten vor einem Tudorhaus. Damit ist sie typisch für das britische Kino dieser Jahre, das in schwerer Zeit mehr durch die Rückbesinnung auf die gemeinsame Kultur ein Gefühl für die nationale Identität vermittelte als durch den Rückgriff auf das Feindbild vom verbrecherischen Ausländer.

Green for Danger

Einmal referiert der etwas wichtigtuerische Dr. White, der Leiter des Hospitals, über die Bedeutung des positiven Denkens für die Aufrechterhaltung der Moral. Das wird wieder ironisiert und ist doch Programm. Der wunderbarste Film zum Thema gelang Michael Powell und Emeric Pressburger mit A Canterbury Tale (1944). Da wird der Zauber der englischen Landschaft und der aus ihr hervorgegangenen, in Bezug zur Gegenwart gesetzten Dichtkunst Geoffrey Chaucers beschworen. Einmal steigt Alison (Sheila Sim) auf einen Hügel, sieht die Kathedrale und glaubt, die Stimmen von Chaucers Pilgern, ihr Gelächter und Lautenklänge zu hören, die ihr der Wind zuträgt. Plötzlich taucht Colpeper (Eric Portman), der örtliche Kulturhistoriker, wie eine Erscheinung aus dem Gras auf und versichert ihr, dass es die Stimmen und Klänge wirklich gibt, in ihrem Inneren. Das ist einer der magischsten Momente der englischen Kinogeschichte, der ein durch die Kraft der Dichtung bewirktes Leinwandwunder einleitet. A Canterbury Tale ist von Anfang bis Ende Propaganda und doch ein Fest von Kunst und Kultur sowie des positiven Denkens. Es geht darum, was sich zu verteidigen lohnt und warum; nicht darum, was bekämpft werden muss.

A Canterbury Tale

Dem gegenüber waren die Nazis die Meister der Negativität. Wenn bei Rabenalt der Wind weht, dann nur, um den Frauen den Rock hochzublasen, damit der Voyeur etwas zu begaffen hat. Das Kino des Dritten Reichs ist nicht einer auf positive Weise identitätsstiftenden Kunst verpflichtet, sondern stellt die bei Bedarf umgebogene Literatur in den Dienst einer menschenverachtenden, auf Expansion ausgerichteten Ideologie wie in Schweikarts Barnhelm-Verfilmung. Die treibende Kraft ist nicht Minnas Vernunft wie bei Lessing, sondern Tellheims Ehre. Das ist mehr als eine Akzentverschiebung. "Schweikarts Filmversion fand seine ‚Abspielbasis’ zwischen Narvik und Tripolis, zwischen Brest und der Krim, wo sie dazu beitragen sollte, den Okkupationsgeist deutscher Truppen zu stärken", schreibt Karsten Witte in Lachende Erben, Toller Tag (sehr gutes, einer Neuauflage harrendes Buch über die Filmkomödie im Dritten Reich). So hatte Lessing sich das nicht gedacht.

Kunst für anstrengende Kampftage

Die Truppenbetreuung war ein schwieriges, von Kompetenzüberschneidungen, Neid, Missgunst und Beschwerden begleitetes Geschäft. Die beste Ausgangsposition hatte die "Kraft durch Freude" (KdF), eine Unterorganisation der von Robert Ley geführten Deutschen Arbeitsfront, die per Vertrag mit dem Kriegsministerium von 1936 für die Freizeitgestaltung der Soldaten zuständig war und schon in Friedenszeiten Gastspiele bei der Wehrmacht und beim Reichsarbeitsdienst gegeben hatte. Goebbels drängte den KdF-Einfluss entschlossen zurück, sah sich aber weiter Begehrlichkeiten des Konkurrenten Ley ausgesetzt, dessen KdF bei der praktischen Durchführung unverzichtbar war und die selbst Programm machen wollte, statt das dem Minister zu überlassen. Zur Wehrbetreuung gehörten auch politische Reden. Das lag ebenfalls im Verantwortungsbereich von Ley, des Reichsorganisationsleiters der NSDAP, was Goebbels genauso ärgerte wie die Aktivitäten des NS-Chefideologen Alfred Rosenberg, der sich zur "Interessenwahrung der Partei" das Recht zusichern ließ, den Stammbaum der unter Vertrag genommenen Künstler und ihrer Ehepartner auf nicht-arische Verwandte zu überprüfen und davon mit dem ihm eigenen Fanatismus Gebrauch machte.

Es gab Theateraufführungen, Kammermusik und Konzerte mit großem Orchester, aber auch Varieté und bunte Abende. Manch ein Kommandeur holte lieber rassige Sängerinnen, Artisten oder eine frivole Tingeltangel-Truppe zur Unterhaltung seiner Soldaten als die Vertreter der klassischen Bühnenkunst oder einen Rezitator völkischer Gedichte. Das scheint ein wenig der Stellungnahme des OKW vom September 1940 zu widersprechen, die Geerte Murmann in ihrem Buch Komödianten für den Krieg zitiert. "Verschiedene Aussprachen mit Offizieren und Mannschaften aller Wehrmachtsteile haben immer wieder ergeben, daß sich Soldaten aller Dienstgrade nach anstrengenden und aufregenden Kampftagen einer künstlerisch gehobenen und anspruchsvollen Darbietung mit besonderer Anteilnahme und Dankbarkeit zuwenden", heißt es da. Man darf aber nicht alles für bare Münze nehmen, was im Dritten Reich in dem Glauben zu Papier gebracht wurde, dass es das wohl sein müsse, was die Herren in den Ministerien und an der Spitze der Parteiorganisationen lesen wollten.

Weil zwischen Theorie und Praxis eine Lücke klaffte, nahm die Wehrmacht die gewünschten Künstler zur Not direkt unter Vertrag, statt sich mit dem Propagandaministerium lang herumzustreiten, ob die eingekauften Darbietungen geschmackvoll genug oder vielleicht doch zu kitschig waren. Manch ein General soll ihm bekannten Kunstschaffenden lukrative Gastauftritte zugeschanzt haben. Auf Betreiben von Goebbels wurden solche Eigenmächtigkeiten untersagt. Anschließend gab es so viele Ausnahmeanträge, von denen die meisten genehmigt wurden, dass es fast wie vor der neuen Regelung war. Nur der Wust der Bürokratie wurde immer dichter. Auch die Botschaften in den besetzten Ländern mischten mit, sodass oft Künstler bei der kämpfenden Truppe auftauchten, mit denen die KdF-Organisatoren nicht gerechnet hatten. Und an der Heimatfront wurde mit dem Finanzministerium darüber gefeilscht, wer was bezahlen sollte und wie die Kosten zu verbuchen waren.

Wer zur Truppenbetreuung wollte, schloss üblicherweise einen Vertrag mit einer der KdF-Agenturen ab. In den ersten Kriegsjahren waren solche Engagements sehr gefragt, und die Gründe nicht ausschließlich patriotischer Natur. Die Gagen waren üppig, man entging dem Wehrdienst oder der Arbeit in der Rüstungsindustrie, sah fremde Länder und genoss die enge Anbindung an eine siegreiche Armee, bei der man Dinge kriegen konnte, die es in der Heimat kaum mehr gab (einmal wird in Fronttheater kurz mitgeteilt, dass in Berlin die Lebensmittel rationiert sind). Das bedeutete nicht automatisch, dass die Truppe von den besten Kräften unterhalten wurde. Das Auswahlverfahren war intransparent und die Qualitätssicherung ein Problem, das KdF, Propagandaministerium etc. bis zur Kapitulation nicht in den Griff bekamen.

Um den Führungsanspruch seines Ministeriums zu bekräftigen, ordnete Goebbels im Frühjahr 1940 eine kulturelle Großoffensive mit Gastspielen der besten deutschen Opernhäuser und Theater an. Das setzte einzelne Glanzlichter, stand jedoch im krassen Widerspruch zur Qualität vieler anderer Darbietungen. Es gab Künstler mit mehr oder weniger Talent, eingespielte Wandertheater wie bei Rabenalt und kurzfristig angereiste Leute, die vorher noch nie zusammen aufgetreten waren und ohne Probe auf der Bühne standen. So häuften sich die Beschwerden über Gastspiele, die nicht geeignet waren, den Soldaten die Überlegenheit der deutschen Kultur vor Augen zu führen, für die sie nach dem Kunstgenuss wieder kämpfen sollten.

Tönende Freunde und Kriegsgewinnler

Wer mit dem Gebotenen nicht zufrieden war, machte seinen Ärger gern an den Gagen fest. Theoretisch sollte ein Künstler bei der Truppenbetreuung dasselbe verdienen wie im zivilen Leben. Praktisch war es so, dass infolge der raschen Gebietsgewinne in den ersten Kriegsjahren die Nachfrage das Angebot bei weitem überstieg, was geschäftstüchtige Kunstschaffende und deren Agenten für sich auszunutzen wussten. Oder es kamen Leute und strichen die nominellen Höchstgagen ein, die sie in Deutschland nie hätten verlangen können, weil sie zu schlecht waren. Murmann zitiert aus dem geheimen Schreiben eines Admirals an das Oberkommando der Kriegsmarine aus dem Frühjahr 1941. Der Offizier wundert sich über "erstaunliche Vergütungen", beispielsweise über 75 Reichsmark pro Tag für die Mitglieder der KdF-Musikgruppe "Tönende Freunde". Vom Kameradschaftsschiff "Stella Polaris" gingen Berichte über Künstler ein, die noch vor Ort mit ihrem leicht verdienten Geld protzten, was an die "Kriegsgewinnler des Weltkriegs" erinnere und geeignet sei, "zersetzend auf die Einsatzfreudigkeit der Einheiten" zu wirken. Korvettenkapitän Frühling vom Oberkommando der Marine drohte, ohne "umgehende Klärung und Säuberung" gar keine KdF-Veranstaltungen mehr zu akzeptieren. Auch unter Deutschlands Zivilisten wuchs der Unmut, weil Leute der zweiten oder dritten Garnitur mit völlig überzogenen Gagenforderungen in die Heimat zurückkehrten.

Goebbels und Hans Hinkel, der Chef des Sonderreferats Truppenbetreuung im Propagandaministerium, sorgten wie üblich für neue, bald wieder durchlöcherte Regelungen, auf dass alles besser werde. Die Eindämmung des "kriegsgewinnlerischen Unternehmertums" durch Ausschalten der hohe Vermittlungs- und Produktionsgebühren einstreichenden Gastspieldirektionen scheiterte am Widerstand von KdF, wo man die seit Jahren gepflegte Zusammenarbeit mit solchen Theaterprofis für unverzichtbar hielt (die von Goebbels favorisierte Vermittlung von Künstlern durch das Arbeitsamt funktionierte mehr schlecht als recht). Als die Gagen gedeckelt wurden (zuerst bei 75 RM pro Tag, später bei 800 RM im Monat, mit Ausnahmen), ging die Bereitschaft zur Truppenbetreuung massiv zurück. Für die Qualität war diese Ministeranordnung auch nicht gut, weil häufig diejenigen zuhause blieben, die in der Heimat aufgrund ihrer Klasse mit lukrativeren Engagements rechnen konnten.

Goebbels reagierte mit der Einführung einer Kriegsdienstverpflichtung für deutsche Künstler. Während der Gagenstopp sofort Ergebnisse brachte, verzögerten sich die Gegenmaßnahmen durch die Tücken von Bürokratie und Funktionärswesen. Die Theaterkammer ließ sich Zeit mit der Erarbeitung der Ausführungsbestimmungen zur Dienstverpflichtung, und die benötigten Formulare gingen bei feindlichen Luftangriffen verloren, oder zumindest wurde das behauptet. Bestimmt gab es viele, die dem Minister zeigen wollten, dass seine Anordnungen den Praxistest nicht bestehen konnten. Die Lücken im Programm mit Kräften aus den besetzten Ländern zu füllen, war auch keine Lösung. Bei "Ausländern" (eigentlich waren es Inländer, mit den Deutschen als Invasoren), die so schlecht wie ihre deutschen Kollegen waren, hatten die Soldaten weniger Hemmungen, ihrem Unmut Luft zu machen. Wenn sie besser waren, stellte das wieder die Überlegenheit der deutschen Kultur in Frage.

Der fortschreitende Motivationsverlust der Künstler hatte auch mit dem Kriegsverlauf zu tun. Siegreiche Truppen zu unterhalten ist etwas anderes als eine Armee auf dem Rückzug. Der Aufenthalt an der Front wurde immer gefährlicher. Zu den Klagen über die Qualität der Darbietungen kamen vermehrt solche über die mangelnde Bereitschaft der Kunstschaffenden, sich in die vordersten Linien zu wagen. Rabenalts Fronttheater, gedreht und uraufgeführt vor der Schlacht von Stalingrad, spielt zur Zeit der Westoffensiven von 1941, als die Euphorie noch groß war, doch die geschilderten Probleme mit der Truppenbetreuung gab es alle schon. Davon sollte das Kinopublikum nichts mitbekommen. Abgesehen von ein paar vorsichtigen Verweisen auf die Wirklichkeit (die etatmäßige Hauptdarstellerin lässt sich wie viele ihrer echten Kolleginnen krank schreiben, weil sie nicht an die Westfront will) wird ein stark verschönertes und damit verfälschtes Bild der realen Zustände geboten.

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