Glocken der Heimat

Seite 3: Töten mit Schwung

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Kaum beim Fronttheater angekommen, steht Lena schon als Minna von Barnhelm auf der Bühne. Das muss so sein, denn schließlich geht es um die Segnungen der deutschen Kultur. Die uniformierten Zuschauer im Film, quer durch alle Dienstgrade, sind beglückt ob des ihnen gebotenen Kunstgenusses. Dem Kinopublikum jedoch wollten die Filmemacher nicht mehr Lessing zumuten als unbedingt erforderlich. Lena und Langhammer als Tellheim sprechen ein paar Sätze aus dem Stück (2. Akt, Szene 9), damit ist das abgehakt. Den Weg zur leichten Muse ebnet Die Dame Kobold, die Verwechslungskomödie von Calderón. Lena trägt beim Fechten eine Strumpfhose, damit der kulturell interessierte Zuschauer einen Blick auf die Beine von Heli Finkenzeller erhaschen kann. Hilde und Monika Keller, Lenas liebreizende, von Hedi und Margot Höpfner verkörperte Kolleginnen, führen spanische Tänze auf, oder etwas in der Art, und ein andermal - da schon ohne Calderón - den "Kaiserwalzer". Rabenalt zufolge wurden die Geschwister Höpfner auf persönlichen Wunsch von Adolf Hitler besetzt.

Fronttheater

Nachdem auch an den Barockdichter Calderón ein Haken gemacht ist, kann sich der Film dem widmen, was er auf der Bühne lieber mag: Gesang und Tanz und Frauenkörper, ohne störendes Theaterspielen. Weil aber eigentlich die deutsche Hochkultur, bei Bedarf braun eingefärbt, den Kampfgeist der Soldaten stärken soll, und nicht der deutsche Schlager, müssen Situationen her, die es erfordern, Minna und Major Tellheim über Bord zu werfen. Das geht zum Beispiel so: Walter Hülsen, der von Gerda geliebte Inspizient, trifft zufällig einen alten Schulfreund. Der Mann ist Offizier der Kriegsmarine und berichtet von den armen U-Boot-Besatzungen, die sich seit zwei Wochen furchtbar langweilen. Und gerade jetzt, als das Fronttheater kommt, sollen sie am nächsten Morgen auslaufen.

Fronttheater

Hülsen organisiert spontan eine Nachtvorstellung. Die Künstler, obwohl todmüde, machen natürlich gerne mit. Nicht weit vom Hafen steht ein Schloss. Das Schloss hat einen Saal mit einer Bühne und offenbar keinen Eigentümer, den man fragen muss, ob man den Saal benutzen darf. Selbst als Deutscher, schließe ich daraus, kann man im Krieg, als Eindringling in einem fremden Land, nicht immer höflich sein. Außerdem sind die Franzosen - siehe Monsieur Bock in Achtung! Feind hört mit! - selber schuld. Rabenalt und seine drei (!) Drehbuchautoren haben sowieso ein ganz anderes Problem. Auf der Bühne im Schloss könnte man nun Minna von Barnhelm aufführen. Genau das soll aber verhindert werden. Also schicken sie Langhammer, den Regisseur, vor Hülsens Zusammentreffen mit seinem Schulfreund rasch auf irgendeine Erledigung. Was er da tut, ist egal. Wichtig ist nur, dass er irgendwo anders ist, denn Langhammer ist auch der Hauptdarsteller, und ohne Tellheim keine Minna. Wenn das so ist, meinen die Künstler, dann improvisieren wir und machen "Cabaret" (gemeint ist ein bunter Abend mit Gesang und Tanz).

Im Dritten Reich, sagen die Fans und die Vermarkter von DVDs und VHS-Kassetten, erlebte der deutsche Film seine größte Zeit. Das ist ein Mythos. Die Liste der Regisseure, Autoren, Schauspieler, Kameraleute, Komponisten etc., die nach Hitlers Machtergreifung nicht im Land bleiben konnten oder wollten, ist ellenlang. Dem deutschen Kino der tausend braunen Jahre merkt man an allen Ecken und Enden an, dass es sich von diesem Aderlass nicht erholte, weil in der Mehrzahl Leute mit weniger Talent, handwerklichem Können und Einfallsreichtum nachrückten. Sehr deutlich ist das an den vielen Schwachstellen in der Konstruktion der Geschichten zu erkennen. Eine der schwierigsten Aufgaben beim Drehbuchschreiben ist die, es so hinzukriegen, dass die Figuren zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind und dass sich das auf logische Weise aus der Handlung ergibt. Langhammer wird einfach weggeschickt, weil ihn Drehbuch und Regie nicht brauchen können. Vorbereitung gibt es keine.

Fronttheater

Die Geschwister Höpfner ergriffen nach dem Krieg den Lehrberuf, unterrichteten Schauspiel, Tanz und Gesang (das von Hedi in Hamburg gegründete und drei Jahrzehnte lang geleitete Studio gibt es heute noch). Zu ihren Schülern zählen die TV-Polizisten Klaus J. Behrendt und Maja Maranow, Thomas Fritsch und Doris Nefedov alias Alexandra, die uns auf dem Höhepunkt der Studentenrevolte das Lied von der Taiga und das vom Zigeunerjungen sang. Als Hilde und Monika Keller in Fronttheater erfreuen die Geschwister Höpfner die U-Bootfahrer nach dem bereits erwähnten "Kaiserwalzer" (in transparenten Kleidern) mit einem Auftritt in Hot Pants. Logischerweise haben deutsche Künstlerinnen, die mit Minna von Barnhelm durch Frankreich touren, so etwas im Koffer. In diesen Kostümen bieten die Schwestern eine jener miserabel choreographierten Stepptanz-Nummern, die als Kampfansage an Hollywood gedacht waren und doch wie eine Kapitulationserklärung wirken. Bruni Löbel als Gerda singt ein Lied, das dann Generationen von Fernsehzuschauern als Evergreen präsentiert wurde: "Wer ist hier jung, wer hat hier Schwung, was Tolles mitzumachen …"

Fronttheater

Das Tolle haben wir zuvor schon im Wehrmachtskino gesehen, in das wir die Schauspieler begleiten durften. Gezeigt wird die Deutsche Wochenschau. Der Soldatenchor singt "Ran an den Feind!" zu Bildern vom Angriff deutscher Flieger auf ein britisches Schiff. "Der Engländer schießt aus allen Rohren! Es hilft ihm nichts", jubelt der Sprecher. "Wer nach England fährt, fährt in den Tod!" Die Komödianten tragen noch ihre Barnhelm-Kostüme, weil die Nazi-Propaganda unter einem "Analogiezwang in historischen Kategorien zur Legitimation des Weltkriegs" (Karsten Witte) stand. Gelegenheiten, eine Verbindung zwischen Preußen und dem Dritten Reich herzustellen, wurden selten ausgelassen. "Toll, die Jungs!" kommentiert einer vom Fronttheater. "Phantastisch!" Eben. Engländer umbringen, das macht Freude. Mag sein, dass die Leute das wirklich so empfanden, als sie 1942 diesen Film sahen. Inzwischen ist ein interessantes historisches Dokument daraus geworden. Man erfährt aus erster Hand, wie damals die Kinozuschauer auf den Krieg eingeschworen wurden. Wer heute noch Engländer töten will, vielleicht beim nächsten Shopping-Trip nach London, weil sie böse Feinde sind, ist ein Vollidiot und braucht einen Therapeuten, kein Filmverbot.

Die Flak braucht ein Gerät

Die Komödianten stärken also den Kampfesmut der Marine, der Luftwaffe und der Infanterie. Aber was ist eigentlich mit Dr. Paul Meinhardt, dem Mann von der Flak und von Lena? Bestimmt hat jeder schon mal eine dieser Szenen gesehen, wo zwei räumlich getrennte Liebende zur gleichen Zeit den sich im Weltall treffenden Blick auf den Mond oder einen Stern am Firmament richten. In Fronttheater wird sie mit dem nazitypischen Zynismus präsentiert. Bei Rabenalt schauen Lena und Paul hoch zu einem von den Suchscheinwerfern der deutschen Luftabwehr zerschnittenen Himmel, und wir sollen das für romantisch halten. Man kann es aber auch nur schrecklich finden. Einmal würden sich die beiden fast körperlich begegnen, weil Lena an dem Ort einen Auftritt hat, wo Paul die Engländer vom Himmel schießt. Das würde eine böse Überraschung geben, denn Lena hat Paul verschwiegen, dass sie ohne seine Erlaubnis beim Fronttheater spielt. (Der Gatte muss auf den Besuch der Vorstellung verzichten, weil sein Zug im letzten Moment in Alarmbereitschaft versetzt wird - das Drehbuch, nicht der Krieg verlangt es so, weil den Autoren nichts besseres eingefallen ist.)

Fronttheater

Da eine deutsche Frau so etwas eigentlich nicht macht, sondern ihrem Mann gehorsam ist, muss es umständlich erklärt werden. Für einen langen Brief ist keine Zeit (50.000 Soldaten warten sehnlichst auf die deutsche Hochkultur). Eine Freundin rät, es Paul erst nach Ende der vierwöchigen Tournee zu sagen. Dann ist Lena wieder daheim, und Paul kann sehen, dass ihr Engagement nur eine Ausnahme war, keine wirkliche Rückkehr auf die Bühne. Bis dahin gibt die Freundin Lenas Briefe in Berlin auf, um den Schwindel zu verbergen. Diese Erklärung hätte helfen können, das größte Problem des Films zu lösen. Paul kämpft für Führer und Vaterland, zeigt als Soldat der Wehrmacht schon 1941 brav den Hitlergruß (dort erst 1944 verpflichtend eingeführt), ist dann aber sauer, wenn sich seine Frau zur Truppenbetreuung meldet und ihre vaterländische Pflicht erfüllt. Wie kann das sein? Antwort: Weil ihn Lena hintergeht und belügt. Als Zuschauer muss man sich das selbst dazu denken, weil es die Autoren versäumt haben, diesen Konflikt herauszuarbeiten und Rabenalt ein zu mittelmäßiger Regisseur war, um Schwächen des Drehbuchs durch die Inszenierung auszugleichen.

Paul muss den Treuebruch seiner Gattin vor Ablauf der vier Wochen entdecken, weil sonst die Handlung zum Erliegen käme. Natürlich tut er das, indem er in Berlin eine leere Wohnung vorfindet. Aber wie bringt man ihn da hin? Heimaturlaub nach ein paar Wochen an der Front? Unmöglich. Wenn man sonst keine Idee hat und sein Handwerk nicht beherrscht, macht man es wie hier: Soldat Meinhardt, sagt der Vorgesetzte an der Atlantikküste, fahren Sie doch mal nach Berlin und holen Sie uns ein Gerät; und wenn Sie schon mal da sind, dürfen Sie gern daheim vorbeischauen und da übernachten. Das Gerät hat keinen Namen und keine Nummer. Paul könnte es getrost in die Spree werfen, statt das Ding mit sich herumzuschleppen, weil man es nur braucht, um seinen Aufenthalt in Berlin zu "motivieren". Peinlichkeiten dieser Art gibt es im Kino des Dritten Reichs zuhauf. Fürwahr, die große Zeit des deutschen Films!

Goebbels änderte zwar dauernd seine Meinung, wie ein deutscher Film zu sein habe, lernte aber mit den Jahren viel über die handwerklichen Aspekte. Dazu gehört das Drehbuch. Es lag an solchen Unzulänglichkeiten, würde ich sagen, dass er Fronttheater nicht wirklich mochte, obwohl das Werk sehr beachtliche sechs Millionen Reichsmark einspielte und als "staatspolitisch und volkstümlich wertvoll" eingestuft wurde. "Die Charaktere sind schlecht gezeichnet", schrieb er am 14.8.1942 in sein Tagebuch, "der Konflikt an den Haaren herbeigezogen und die Handlung ganz äußerlich und schlecht gemacht." Rabenalt und seine Apologeten konstruierten daraus nach dem Krieg einen Antagonismus zwischen ihm und dem Propagandaminister, womit belegt werden sollte, dass der Regisseur aus politischen Gründen aneckte.

In seinem 1985 erschienenen Goebbels-Buch teilt Rabenalt mit, dass er "Schleichwerbung" für KdF gemacht habe, um dem Propagandaminister eins auszuwischen und dem Film das von diesem gewünschte "vaterländische Pathos" zu nehmen. Mit abgedruckt ist ein Dankesbrief von Robert Ley, als wäre das ein Beweis für seine, Rabenalts, regimekritische Haltung. Wenigstens behauptet er nicht, dass der ihn lobende Ley in Wirklichkeit ein Widerstandskämpfer war und zum Kreis der Verschwörer um Graf Stauffenberg gehörte.

Wenn du auf Urlaub kommst …

Um den Männern vom U-Boot ein paar besinnliche Momente zu bereiten, bevor sie in See stechen, um britische Schiffe zu versenken, singt Lena auf der Bühne im Schloss: "Wenn du auf Urlaub kommst, ist bei mir Feiertag, dann dreht sich alles nur um dich, allein um dich …" In der nächsten Szene betritt Paul die gemeinsame Wohnung in Berlin. Das klingt nach bitterer Ironie. Ein besserer Regisseur hätte aus dieser Szene, mit einem Schauspieler wie René Deltgen, einiges machen können. Das Unausgesprochene mit zu inszenieren war Rabenalt nicht gegeben. Bei ihm läuft Pauls Ankunft in der leeren Wohnung so mechanisch-routiniert ab wie fast alles, was ich in seinen Filmen gesehen habe. Paul erfährt von der Hausmeisterin die Wahrheit und ist wenig mehr als eine beleidigte Leberwurst, wenn er sich an den Tisch setzt, um Lena einen Brief zu schreiben: Du hast dich also für das Theater entschieden. Ich hoffe, dass du da glücklicher wirst als mit mir und dergleichen.

Fronttheater

Lena kehrt mit dem schönen Gefühl nach Berlin zurück, auch ein Soldat zu sein. Als sie den Brief ihres Gatten entdeckt, ist sie verzweifelt. "Die Schauspielerei", sagt sie, "bedeutet mir gar nichts, wenn ich ihn verlieren würde" (und als Zuschauer des Jahres 2012 fragt man sich perplex, warum sie diesem unangenehmen Kerl nicht längst den Laufpass gegeben hat). Noch ist es nicht zu spät. Die Wehrmacht eilt in Griechenland von Sieg zu Sieg, und Paul ist mit dabei. Auch Langhammers Theatertruppe hat in Griechenland ihren nächsten Einsatz. Lena kommt in der Hoffnung mit, dass sie Paul dort finden wird. In Athen will Langhammer die Minna unterhalb der Akropolis aufführen, im antiken Theater des Herodes Atticus. Ein Offizier findet das gewagt, doch Langhammer ist sich seiner Sache sicher: "Es ist gar kein so großer Weg von der Lessing’schen bis zur attischen Klarheit." Attische Klarheit? Muss man nicht verstehen. Wichtig ist nur diese Botschaft: Die Deutschen stehen in der Nachfolge der alten Griechen (genau genommen ist das Odeon im römischen, nicht im griechischen Stil erbaut), sind die neuen Repräsentanten der abendländischen Kultur (mehr dazu hier). Die Griechen des Jahres 1941 kommen nur in Gestalt von Bauern vor, die keine richtigen Straßen bauen können - Wohl dem, der in Griechenland einen Panzer hat! - und noch mit Eseln unterwegs sind.

Erinnern wir uns kurz an Green for Danger und A Canterbury Tale. Da geht die englische Literatur eine harmonische Verbindung mit Orten, Personen und Geschichte ein. So vergewissern sich diese Filme auf eine positive, konstruktive Weise der nationalen Identität. In Fronttheater werden nun bald deutsche Soldaten als die "neuen Griechen" am Felsen der Akropolis sitzen und deutschen Schauspielern in preußischen Kostümen dabei zusehen, wie sie ein deutsches Stück aufführen. Minna von Barnhelm ist da nicht etwa die Kulturbotschafterin in einem fremden Land, was auch denkbar wäre. Die Kultur wird vielmehr vergewaltigt und zum Instrument der Rechtfertigung von Eroberung und Okkupation degradiert. Das ist Kulturimperialismus der schlimmsten Sorte.

Fronttheater

Kunst und Militär werden endgültig eins, als Wachtmeister Herrmann, im zivilen Leben Kammersänger, mit seiner Flakeinheit Suchscheinwerfer aufstellt, um die Bühne zu beleuchten. Am Abend der Vorstellung soll es eine der populären Ringsendungen des Großdeutschen Rundfunks geben: eine Konferenzschaltung mit Live-Aufnahmen von Orten überall im besetzten Europa, wo gerade ein Fronttheater auftritt. Das Radio würde gern eine Szene aus Lessings Minna übertragen. Nein nein, sagt Langhammer, der begeisterte Theatermacher, bloß nicht, das Stück ist dafür (für ein deutsches Massenpublikum) nicht geeignet (für die Verdrängung einer anderen - in diesem Fall: der griechischen - Kultur aber schon). Die Live-Schaltung aus Athen soll ein richtiger Soldat bestreiten, Wachtmeister Herrmann.

Ein Kampfgebet, ein Losungswort, ein Marschbefehl

Wie es der Zufall will, befindet sich der am Arm verwundete Paul Meinhardt in Athen in einem Lazarett. Am Abend sitzt er nichts ahnend im Publikum. Kaum erkennt er seine Gattin als Minna auf der Bühne, erlebt er eine Spontanbekehrung. Paul weiß jetzt, wie wichtig das ist, was Lena tut und eilt in die Kulissen, um zu signalisieren, dass er ihr wieder gut ist. "Heute ist mir klar geworden, dass du Theater spielen musst", sagt er am Schluss der Vorstellung. "Ich werde dich nie mehr daran hindern." Geerte Murmann sieht darin "eine erstaunliche, emanzipatorische Tendenz". Allerdings zeichnen sich solche NS-Filme dadurch aus, dass die Männer großzügig sein können, weil die Frauen im Laufe der Handlung lernen, das für sich anzunehmen, was die Ideologie von ihnen verlangt. "Nein", antwortet Lena, "wir werden das tun, was wir uns vorgenommen haben." Sie ist jetzt das dressierte Frauchen, das seine Lektion gelernt hat.

Fronttheater

Vorgenommen haben sie sich (weil der Gatte es so wollte), dass Lena ihren Beruf aufgibt und Hausfrau wird, während Paul natürlich weiter als Anwalt arbeitet, wenn er nicht gerade Soldat sein muss. Lena nimmt dieses konservative Modell nun dankbar an. Das ist perfide und nichts weiter als eine Variante der männlichen Unterwerfungsphantasien, denen Rabenalt später in seinen "erotischen" Romanen viel Raum gab. Daraus lässt sich lernen, dass man für Pornographie keine entblößten Geschlechtsorgane braucht. Es gibt auch eine Pornographie der Gedanken und der Ideologie. Aber solange das Fronttheater existiert, erklärt Paul abschließend (in seiner Wehrmachtsuniform harmonisch vereint mit den Komödianten in ihren Preußenkostümen), wird seine Gattin weiter auf der Bühne stehen. Widerlicher geht es nicht. Solange die Nazis andere Länder mit Krieg überziehen, darf Lena Andres, die große Schauspielerin, mit Erlaubnis ihres Mannes im Theater auftreten und den Kampfeswillen der Truppe stärken. Wenn alle Feinde unterjocht sind, hat auch die berufstätige Frau verloren und zieht sich in ihr Heim zurück, um dem Gatten sein Essen zuzubereiten. Das ist geschickt konstruiert. Ich erkenne da eine Gehirnwäsche, keine "emanzipatorische Tendenz".

Fronttheater

Nach diesem "Happy End" auf Nazi-Art tritt der für die Rundfunkübertragung verantwortliche Offizier ans Mikrophon: "Kameraden! Aus Athen, aus dem riesigen Rund des Odeon des Herodes Atticus, grüßen jetzt unsere Soldaten die Heimat. Sie danken soeben mit begeistertem Beifall deutschen Künstlern, die auch hierher Freude und Entspannung brachten. Unser Gruß soll ein neues Lied sein, gesungen von einem Soldaten, Wachtmeister Hermann." Und dann bringt Kammersänger Wilhelm Strienz als Wachtmeister Herrmann - das ist derselbe Strienz, der in Wunschkonzert "Gute Nacht, Mutter" singt - die Militaristenschnulze von den Glocken der Heimat zu Gehör. Dazu sieht man andächtig lauschende deutsche Menschen (und einige Verbündete): Soldaten im Odeon, Zivilisten in der Heimat, Angehörige verschiedener Waffengattungen in ihren Einsatzgebieten, Paul und Lena, die Geschwister Höpfner, Gerda und ihr Inspizient an der Akropolis, alle vereint durch den Großdeutschen Rundfunk und die deutsche Kunst. Der Wind weht Gerda den Rock hoch, weil das ein Film von Arthur Maria Rabenalt ist. Und am Schluss - kein Witz - fährt ein Panzer in den Sonnenuntergang.

Fronttheater

Natürlich ist das Propaganda. Hart an der Nazi-Satire ist es aber auch. Interessanter als die Frage, ob das heute noch so wirksam ist wie früher (wie sollte es das, in einem völlig anderen Kontext?), scheint mir zu sein, dass man es dem Publikum des Jahres 1942 so präsentieren konnte und dass es so viele Leute gut fanden. Also: Bitte freigeben! Wir haben ein Recht darauf zu wissen, welcher Gehirnwäsche unsere Vorfahren unterzogen wurden und wie sie funktionierte. An Filmen wie an denen von Arthur Maria Rabenalt lässt sich das hervorragend studieren. Wer verhindern will, dass sich die Vergangenheit wiederholt, muss sie kennen. Sonst gastiert eines Tages, wenn wir die derzeit undankbaren Griechen wieder mögen, der Musikantenstadl der ARD - oder Carmen Nebel vom ZDF - am Felsen der Akropolis, und Heino singt im Duett mit Florian Silbereisen "Glocken der Heimat". Das wollen wir selbst dann unbedingt vermeiden, wenn der TV-Beauftragte für politische Korrektheit auf der entnazifizierten Version bestehen sollte - ohne "Ein Kampfgebet, ein Losungswort, ein Marschbefehl von Ort zu Ort…"

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