Glocken der Heimat
Seite 2: Intermezzo mit Heinz Rühmann
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Ärger gab es trotzdem. Stein des Anstoßes war eine kurze Szene in Paris. An der Rezeption des von KdF zum "Künstlerheim" umfunktionierten Carlton begegnen sich zufällig Hans Söhnker und Heinz Rühmann. Söhnker sagt, er sei auf dem Weg nach Orleans, Rühmann will nach Bordeaux, um in seiner Paraderolle als Mustergatte aufzutreten (die Film-Version war einer der Hits der Saison 1937/38). Das stieß einigen hochrangigen Persönlichkeiten bei KdF und Wehrmacht sauer auf, weil sich Rühmann offenbar nie in der hier suggerierten Weise bei der Truppenbetreuung engagiert hatte. Aus heutiger Sicht ist an Heinz Rühmanns Gastauftritt etwas anderes interessant. Als Star vermeintlich unpolitischer Filme (die das nie waren) legitimierte er durch seine Mitwirkung das Projekt von Fronttheater, holte er es aus dem Dunstkreis der reinen Propaganda heraus, hob er es auf die sozusagen höhere Ebene des Patriotismus. Und das wiederum steigerte die angestrebte Wirkung. Auch das gehört zur Funktionsweise der Propaganda mit dazu.
Warum machte Rühmann dabei mit? Weil er es für richtig hielt? Weil er ein Opportunist war, dem es primär um die Karriere ging? Weil er bis 1936 mit einer Jüdin verheiratet gewesen war und seine zweite Frau, Hertha Feiler, nach Nazi-Maßstäben eine "Vierteljüdin" war? Im Land der Nürnberger Rassegesetze arbeiteten beide Ehepartner mit einer Sondergenehmigung und waren vom Wohlwollen von Bonzen wie Joseph Goebbels abhängig. Übernahm Hertha Feiler die weibliche Hauptrolle in Rabenalts Flucht ins Dunkel, weil sie wollte oder weil sie nicht anders konnte? Kirsten Heiberg wurde mit einem zweijährigen Auftrittsverbot bestraft, als sie sich weigerte, in die NSDAP einzutreten und die Besetzung ihres Heimatlandes Norwegen kritisierte. Sollte man ihr das zugute halten, wenn man sie als Femme fatale in Achtung! Feind hört mit! entdeckt, oder hat das eine mit dem anderen nichts zu tun? War ihr - wie scheinbar den Prüfern der FSK, die 1981 eine leicht gekürzte Version (mit intakter Propaganda) für Kinder ab 12 freigaben - nicht aufgefallen, dass das ein Reklamefilm für einen Angriffskrieg, die Gestapo und eine Terrororganisation namens "Volksgerichtshof" ist, wollte sie es nicht sehen oder wäre es ihr egal gewesen, als sie die Rolle annahm? Und wie war das mit Joachim Gottschalk, dem Darsteller des Ernst Engelbrecht in Flucht ins Dunkel, der ein Star und Publikumsliebling war und unter enormen Druck geriet, weil er sich nicht von seiner jüdischen Frau trennen wollte?
Man ahnt, dass das eine komplizierte Welt war, die sich nicht einfach in ein Gut-Böse-Raster pressen lässt. Gottschalk und seine Frau konnte man nach dem Ende des Dritten Reichs nicht mehr fragen, weil die beiden 1941 in ausweglos erscheinender Lage gemeinsam Suizid begangen hatten; ihren Sohn nahmen sie mit in den Tod (unbedingt mal Kurt Maetzigs Ehe im Schatten anschauen, wenn sich eine Gelegenheit ergibt). Doch das Ehepaar Rühmann, nehme ich an, hätte wichtige Aufschlüsse geben können, wenn es im Nachkriegsdeutschland gelungen wäre, das Thema ehrlich anzugehen. Stattdessen richteten sich die Deutschen mit dem Märchen von der überwiegend harmlosen Unterhaltung behaglich ein und schoben das Böse auf eine Liste mit verbotenen Filmen ab, die sie nicht einmal selbst erstellten. Das überließen sie den Alliierten, die dafür gute Gründe hatten. In der BRD wurde die Liste ein Instrument zur Abtötung einer dringend notwendigen Diskussion. Denen, die mitgemacht hatten, half sie bei der Bereinigung ihres Lebenslaufs.
Wo man versucht, die Geschichte per Verbot zu bewältigen, blüht die Nostalgie. Wahrscheinlich hat Fronttheater viel zu der sentimentalisierten Vorstellung von der Truppenbetreuung beigetragen, die bis heute vorherrscht. Nachzulesen ist das in den einschlägigen Internetforen zur Wehrmacht und ihren Traditionen. Da berichten jetzt die Enkel, was ihnen der Opa früher mal erzählt hat, und die Erinnerung des Opas war vermutlich von Fronttheater überlagert. Manches ließe sich ganz einfach korrigieren, indem man Rabenalts Film mit dem kontrastiert, was da nicht gezeigt wird. Aber der Film, die Quelle der nostalgischen Verklärung, ist ja verboten und wird so gut wie nie aufgeführt. Veranstalter, die sich der Mühe unterziehen, eine dieser einzig möglichen Vorstellungen mit Referent zu beantragen, nehmen lieber Harlans Jud Süß, weil unser liebster Nazi-Propagandaschinken ein volles Haus garantiert. So verengt man den Blick auf die Propaganda, die keineswegs nur da zu finden ist, wo der böse Jude die blonde Frau vergewaltigt, und so perpetuiert man die Lügen der Vergangenheit.
Kein Duke Ellington in Fronttheater
Lena fährt also mit dem Wandertheater durch das besetzte Frankreich. Soldaten lagern an der Küste, wo sich malerisch die Wellen brechen, und einer singt ein gefühliges Lied dazu. Die Musik besorgte Werner Bochmann, der nach dem Krieg für Heimatschnulzen komponierte, 1967 den Bundesfilmpreis (Filmband in Gold) sowie 1984 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse erhielt und ein halbes Jahrhundert lang im bayerischen Schliersee wohnte, wo er begraben und eine Straße nach ihm benannt ist. Sein Geburtsort Meerane ehrt ihn mit einer Dauerausstellung im Kunsthaus. Das wollen wir ihm gönnen. Befremdlich ist allerdings dieser Satz auf der Webseite www.meerane.de:
Werner Bochmann, geboren am 17. Mai 1900 in Meerane, war einer der bekanntesten Filmkomponisten der Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg.
Und im Krieg? Da (und auch davor, wenn ich richtig gezählt habe) war er der meistbeschäftigte Filmkomponist des Dritten Reichs. Das Kunsthaus Meerane hätte sich da nicht so zieren müssen, denn die Filmmusik ist die unpolitischste Form der Unterhaltung überhaupt. Das wird einem jede Mutter bestätigen, die ihren Sohn im Krieg verlor und durch Herrn Bochmanns schöne Melodie zum Lied "Gute Nacht, Mutter" getröstet wurde. Ein Höhepunkt des Zynismus im NS-Film ist dieser in Wunschkonzert von Kammersänger Wilhelm Strienz dargebotene Schmachtfetzen aber auch.
So ein Ausflug an der frischen Atlantikluft (wir sind wieder bei Fronttheater) ist sehr appetitanregend. Darum reihen sich die Komödianten gleich mal fröhlich vor der Gulaschkanone ein, und als einer von den Soldaten mit sich ringt, ob er seine gute deutsche Wurst mit den jungen Damen vom Theater teilen oder doch allein essen soll, ist das - Hoho! - sehr lustig. In diesem Krieg sind alle so gut drauf, dass man zur Abwechslung dringend Lena und ihre Kollegin Gerda braucht. Lena ist ab und an bedrückt, weil sie dieses Problem mit ihrem Paul hat, der noch nicht weiß, dass sie wieder beim Theater ist, obwohl sie ihm versprochen hatte, der Bühne fern zu bleiben. Und Gerda vergießt Tränen, weil sie den Inspizienten Walter Hülsen liebt, der erst noch erkennen muss, dass sie und nicht Lena die richtige Frau für ihn ist. Als Hülsen macht Rudolf Schündler wieder gut, was er als Zeichner Grelling in Achtung! Feind hört mit! am deutschen Volk verbrochen hat. Gerda wird von Bruni Löbel verkörpert. Älteren Fernsehzuschauern ist sie als Oma Herta in Forsthaus Falkenau vertraut und aus diversen Dokumentationen, wo sie als letzte Überlebende aus der vermeintlich großen Zeit des deutschen Kinos erzählte. Das war die, in der diese tollen, erstklassig gemachten Unterhaltungsfilme entstanden, wo all jene mitwirkten, die sich nicht für die Nazi-Propaganda hergaben.
Als man schon fast glauben möchte, dass es in Frankreich gar keine Franzosen gibt, tauchen doch noch ein paar auf. Einer ist ein Gastwirt, ein Hotel hat französisches Personal, und alle machen den Eindruck, als würden sie sich über die netten Gäste aus Deutschland aufrichtig freuen. À propos: Eine Hauptaufgabe der Organisation "Kraft durch Freude" war früher die Veranstaltung von Urlaubsreisen. Jetzt ist Krieg, die Ortskommandantur sorgt für die Unterbringung im Hotel (das klappt sicher besser als vorher bei den Franzosen), doch die Begegnung mit Land und Leuten ist touristischer Natur geblieben. Da hatte bestimmt auch die Wehrmacht nichts dagegen, auf deren Verlangen die Gefahren, denen Lena und ihre Gefährten ausgesetzt sind, weil an der Front doch irgendwie gekämpft wird, stark abgemildert wurden. Übertriebener Realismus hätte potentielle Truppenbetreuer abschrecken können, und der Bedarf war groß. Den Ausfall der Hauptdarstellerin hätte man zur Not mit der zweiten Besetzung eines Schmierentheaters kompensiert. Nicht in Fronttheater. Da siegt die Kunst. Regisseur Langhammer sagt die Tournee nur deshalb nicht ab, weil in Lena ein nicht nur adäquater, sondern sogar besserer Ersatz zur Verfügung steht.
Werbung für ein Engagement bei der Truppenbetreuung hätte eine Thematisierung der Gage machen können. Natürlich spielt das keine Rolle, weil deutsche Künstler nicht nach Geld fragen, wenn sie freudigen Herzens ihre Patriotenpflicht erfüllen. Trotz Lebensmittelrationierung in Berlin hamstert auch niemand französische Delikatessen (in der Wirklichkeit ein gern in Anspruch genommener Bonus). Fritz Muliar schreibt in seinem Memoirenband Streng indiskret, dass das gemütliche Beisammensein nach der Vorstellung, der inoffizielle Teil des Abends, zu den Highlights der sonst nicht immer sehr inspirierenden Truppenbetreuung gehörte. Da tauschte man Führerwitze aus, die daheim im Reich verboten waren. So ein feuchtfröhliches Beisammensein stand im Widerspruch zu einer Vorschrift, in der es hieß: "Ein sofortiger Abtransport nach der Vorstellung ist aus allgemeinen, personellen und verkehrstechnischen Gründen der Abwehr anzustreben" (Gründe der Abwehr = Angst vor Spionen und Saboteuren).
Um diese Vorschrift kümmerte sich niemand - außer in Fronttheater. Da bringen nur mal zwei Soldaten Wasser für die Badewanne, damit Rabenalt spärlich bekleidete Künstlerinnen zeigen kann. An der Kanalküste, an der Lenas Truppe entlang fährt, hörte man die von der BBC gesendete Tanzmusik ab, angereiste Orchester mussten sie im inoffiziellen Teil der Veranstaltung nachspielen (und dazu nicht groß gezwungen werden), nachdem das Pflichtprogramm mit Titeln wie "Singende, klingende Welt" oder "Mit Musik, da woll’n wir lustig sein" geschafft war. Selbstverständlich nicht in Fronttheater. Da gibt es Werner Bochmann, nicht Glenn Miller und Duke Ellington. Lena sieht man höchstens mal am Volksempfänger sitzen, um die neuesten Meldungen aus dem Führerhauptquartier zu empfangen. Die deutschen Soldaten sind allzeit freundlich, höflich und hilfsbereit, und niemals die grölende und alkoholisierte Menge, auf die man als echter Truppenbetreuer an schlechten Tagen stoßen konnte. Oder sind das nur ganz üble, von der Feindpropaganda verbreitete Gerüchte? Sollte es doch immer so gewesen sein wie in Fronttheater, wo das soldatische Publikum fein säuberlich in Reih und Glied sitzt, andächtig lauscht und am Schluss der künstlerischen Darbietung dankbar applaudiert?
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