Go Europe!
Wollte man die Bevölkerung in Europa konstant halten, müssten jährlich viele Millionen von Menschen einwandern
Nach einem vorläufigen Bericht über eine Studie, die gegenwärtig von der United Nations Population Division (UNDP) ausgearbeitet wird, wäre eine verstärkte Immigration in Länder mit einer abnehmenden und alternden Bevölkerung eine Lösung der mit der schrumpfenden Zahl von Werktätigen verbundenen Probleme bei der Altersvorsorge.
Nach den Berechnungen nimmt in den europäischen Staaten und in Japan während der nächsten 50 Jahre die Bevölkerung erheblich ab. So wird Italien mit einer gegenwärtigen Bevölkerung von 57 Millionen im Jahr 2050 noch 41 Millionen Einwohner haben, Russland 121 Millionen (heute: 147 Millionen) oder Japan 105 Millionen (heute: 127 Millionen). Gleichzeitig steigt die Zahl der Menschen, die über 65 Jahre alt sind, um 15 bis 35 Prozent an.
Die Studie arbeitet vier Szenarios für Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Russland, Südkorea, Großbritannien und die USA aus: Bevölkerungsentwicklung ohne Einwanderung; Höhe der Einwanderung, um die Bevölkerungszahl konstant zu halten; Höhe der Einwanderung, um die Größe der arbeitenden Bevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren konstant zu halten; Höhe der Einwanderung, um das Verhältnis zwischen der arbeitenden Bevölkerung und der Zahl der Menschen im Ruhestand konstant zu halten.
Würde man beispielsweise die Bevölkerung von Italien konstant halten wollen, so müsste das Land jährlich 240000 Menschen einwandern lassen. Die Zahl der Menschen im arbeitsfähigen Alter nimmt etwa in Italien von jetzt 39 Millionen auf 22 Millionen im Jahr 2050 ab, in Deutschland von jetzt 56 Millionen auf 43 Millionen. Noch weniger wären es, wenn es überhaupt keine Einwanderung geben würde. Um die Größe der arbeitenden Bevölkerung konstant zu halten, müssten Italien jährlich 350000 und Deutschland jährlich eine halbe Million Einwanderer ins Land holen. Noch größere Einwanderungsströme wären allerdings notwendig, um das Verhältnis der Menschen im Ruhestand zur arbeitenden Bevölkerung konstant zu halten. Gibt es heute ungefähr fünf Menschen im arbeitsfähigen Alter auf einen Menschen über 65 Jahre, so wäre das Verhältnis im Jahr 2050 2:1. Wollte man ein Verhältnis von 4:1 konstant halten, müssten jährlich 2,2 Millionen Menschen in Italien oder 3,4 Millionen Menschen in Deutschland einwandern.
Anstatt also die Festung Europa weiter auszubauen und die Grenzen zu sichern, müsste man nach diesen Szenarien nicht nur eine gezielte Einwanderung zulassen, sondern permanent eine aktive Einwanderungspolitik machen, die Europa bald im Kern entscheidend verändern und zu einem wirklichen multikulturellen Euroland machen würde, das seine Identität und so auch jede nationalistische Verankerung aufgeben müsste. Natürlich spricht nichts dafür, dass zumindest in nahe Zukunft derartig konstante "Umsiedelungsaktionen" in einem Projekt, das man "Go Europe" nennen könnte, stattfinden und gewollt werden. Man wird auch vermuten können, dass ein solches Experiment in historischen Ausmaßen zu gewaltigen internen Konflikten führen würden. Noch jedenfalls ist das Bedürfnis und die Not in der Festung Europa nicht groß genug. Die Studie bleibt freilich auch reichlich abstrakt, weil sie lediglich Voraussagen über die Bevölkerungsstruktur macht, aber nicht berücksichtigt, wie sich die unterschiedlichen Szenarien auf den Arbeitsmarkt und den Lebensstandard auswirken.