Grenzenloses Wachstum im All: Obsessionen reicher Männer

Falls es irgendwo da draußen intelligentes Leben gibt, will es wohl nichts mit "uns" und dem Wirtschaftssystem, das wir bisher tolerieren, zu tun haben. Bild: Arek Socha auf Pixabay (Public Domain)

Bezos, Branson, Musk: Turbokapitalistischer Größenwahn und die journalistische Verehrung seiner Agenda am Beispiel eines öffentlich-rechtlichen Radiosenders. Ein Kommentar

Ein Beitrag mit dem Titel "Fabriken im Weltall - Raumfahrt wird zunehmend zum großen Geschäft" wurde kürzlich im Magazin Breitengrad auf Bayern 2 gesendet. Telepolis hat bereits regelmäßig über das Thema berichtet. Auch der elitäre und klimaschädliche Charakter des Weltraumtourismus wurde hier bereits thematisiert. Nun wurde der Themenkomplex anlässlich eines sich abzeichnenden Hypes im öffentlich-rechtlichen Radio wieder aufgegriffen, allerdings weitgehend unkritisch.

Gut 50 Jahre nach der Apollo-11-Mondlandung erleben wir einen neuen Weltraum-Enthusiasmus. Diesmal geht es nicht darum, unseren Wissensdurst zu stillen, zu forschen und zu neuen Abenteuern aufzubrechen. Jetzt geht es um viel Geld, neue Business-Modelle und die Zukunft unserer Wirtschaft.

(Bayern 2 / Breitengrad)

Dazu wird auch eine Forscherin der Harvard-Universität zitiert, die sagt, die Ökonomie der Zukunft werde eine Weltraum-Ökonomie sein. "Economics of Space" nennt sich ihr Fachbereich an der Harvard Busineess School hochtrabend.

Ökonomie im Weltall?

Die Behauptungen der "Weltraum Ökonomen" werden in diesem Beitrag als tatsächliche, alternativlose Perspektive für die Zukunft des Wirtschaftens der Menschheit insgesamt dargestellt. Dies wird mit der Bestimmtheit und vermeintlichen Sicherheit von Apologeten des Weltraum-Kommerzes untermauert, beziehungsweise mit Aussagen von Wirtschaftsakteuren, die offenbar von Profitinteressen geleitet werden.

Die Erde sei endlich, wenn also die Weltwirtschaft und die Bevölkerung wachse, sei das Weltall die einzige Möglichkeit, wo es hingehen könne, sagt in dem Beitrag Amazon-Gründer Jeff Bezos, dem das Weltraum-Unternehmen Blue Origin gehört. Dafür habe er bereits eine "radikale Idee", heißt es in dem Beitrag:

"Jegliche Schwerindustrie wird von der Erde ausgelagert. Die Erde selber wird als raumplanerisch als Wohngebiet und für leichte Industrie ausgewiesen werden."

Der Amazon-Gründer besitzt bereits ein obszönes Vermögen von rund 145 Milliarden Euro. Und er will mehr, wie er es hier offen ausspricht. Natürlich schiebt er andere Gründe vor. Vermutlich, weil es nicht gut ankäme, wenn er sagen würde, er wolle ins All expandieren, um persönlich noch reicher und mächtiger zu werden.

Die Idee, die Schwerindustrie in All zu verlagern wird von Bezos dargestellt, als wäre die Planung dafür lange bekannt, unumstritten und quasi schon unter Dach und Fach. Natürlich handelt es sich nach heutigem Stand hingegen um reine Science-Fiction. Ob das jemals klappen kann und ob das sinnvoll ist, sei mal dahin gestellt. Derzeit ist es weder möglich noch realistisch.

Es verwundert auch nicht, dass der Gründer des Unternehmens Amazon, in dem täglich tonnenweise fabrikneuer Artikel vernichtet werden, einen unbegrenzten Anspruch auf den Verbrauch von weiteren Ressourcen, nun auch extraterrestrischen, erhebt. Der Autor des Beitrags, Arthur Landwehr, nimmt das als gegeben hin.

Es ist keine Frage mehr. Wir erweitern gerade unseren Lebensraum - wenn auch nicht mit Kolonien, wie in Science-Fiction-Filmen, aber eben doch als Wirtschaftsraum. Wo stehen wir da - und was passiert schon jetzt? Wie weit entfernt sind wie von Fabriken im Weltraum? Wie wird schon heute, wie morgen Geld verdient?

(Bayern 2 / Breitengrad)

An dieser Stelle wird deutlich, dass sich der Journalist von den Marketing-Sprüchen anstecken lässt und weder neutral noch sachlich bleiben kann, denn natürlich ist nicht ausgemacht, ob wir, abgesehen von Satelliten im All und ein paar Forschungsprojekten, unseren Lebensraum in dieser Form erweitern können und wollen. Er lässt vollkommen außer Acht, dass die Menschheit vor massiven Herausforderungen auf der Erde selbst steht, wenn es darum geht, den menschengemachten Klimawandel in Schach zu halten, das gesamte Energiesystem auf erneuerbare Energien umzustellen und sich gegen die massiven Naturkatastrophen zu rüsten, die zweifelsohne auf uns zurollen.

Nischenprodukte aus dem All

Nach den fantastisch klingenden Ankündigungen folgt nun die Ernüchterung. Es gibt offenbar ein paar Nischenprodukte, für die es sich lohnen könnte, sie im All zu produzieren. Vielleicht:

Es gibt Medikamente, die kann man auf der Erde nicht gut produzieren. Und für die lohne es sich sicher irgendwann, Raumstationen mit echten Produktionsanlagen zu haben.

(Bayern 2 / Breitengrad)

Neben diesem speziellen Medikament werden auch besonders leistungsfähige Glasfaser-Produkte im Beitrag genannt. Hier aber gigantische Massenmärkte zu imaginieren - oder gar die Verlagerung der gesamten Industrie, wäre schon eine seltsame Interpretation auf Basis solcher Aussagen.

Was aber sehr wohl ein Wachstumsmarkt ist, ist der Markt für Raketen- und Satellitenanbieter, in dem sich inzwischen auch viele sogenannte Startups tummeln - auch hierzulande

Allerdings ist hier auch wieder fraglich, wie viele dieser Unternehmen, die mit Wagniskapital hochgejazzt werden, am Ende überleben. Praktisch alle dieser Unternehmen sind im Bereich von Satelliten oder Raketenstarts aktiv, also realen Branchen, in denen schon seit Jahrzehnten Umsätze und Gewinne generiert werden, und deren Produktion von Technologie auf der Erde stattfindet. Zum Thema der privaten Satellitenanbieter kommt in dem Beitrag der frühere Nasa-Chef Jim Bridenstine zu Wort: "Wir wollen auch eine Vielzahl von Anbietern, die miteinander im Preiswettbewerb stehen, im Bereich von Innovationen und im Bereich von Sicherheit", sagt er.

Erläutert wird das in dem Beitrag so:

Dahinter steckt ein strategisches Ziel: in den Anfängen war Raumfahrt ein staatliches Monopol, das in erster Linie Kosten verursachte. Die Rolle des Staates soll jetzt sein, die Strukturen und Bedingungen zu schaffen, dass sich ein Markt entwickeln kann.

(Bayern 2 / Breitengrad)

"Unser Gesamtziel ist unsere Aktivitäten im erdnahen Orbit zu kommerzialisieren."

(Ex-Nasa-Chef Jim Bridenstine)

An dieser Stelle wird auch die durch und durch kapitalistische Doktrin deutlich, die vor allem von den zitierten US-Weltraum-Apologeten gepredigt wird. Alles und jeder muss in diesem Weltbild dem Primat des menschengemachten Marktes unterworfen werden. Auch das Weltall soll sich dem nicht entziehen können. Hier scheint es sich um eine Art religiöses Prinzip zu handeln, dass den "freien Markt" und den Profit als zentrale Säulen des Glaubens definiert.

Im Rahmen dieses Glaubens ist all das, was vom Staat kommt, ineffizient und all das, was privat gemacht wird, effizient und visionär. Eine binäre Weltsicht, die natürlich so nicht der Realität entspricht. Das "staatliche Monopol" bei der Raumfahrt habe in erster Linie nur Kosten verursacht; aber Forschung und Wissenschaft sollen doch kein Geld einspielen! Die Politische Sichtweise des Autors scheint zu sein, dass alle menschlichen Aktivitäten auch Geld generieren müssten, um Sinn zu ergeben. Ganz im Sinne aktueller neoliberaler Wissenschaftspolitik, welche die Universitäten zu einer Vorstufe des Marktes, zu Spinoff-Agenturen degradieren möchte.

Weiter behandelt der Radio-Beitrag das Themenfeld Satellitenindustrie, aktuell sinkenden Kosten durch private Anbieter und neuartige Mini-Satelliten. In den nächsten Jahren kämen tausende Mini-Satelliten mit immer spezielleren Fähigkeiten hinzu - etwa so groß wie Mikrowellenherde. Bauern könnten damit einzelne Felder überwachen lassen, um richtig zu wässern und zu düngen.

Lob auf Weltraumschrott von morgen

"Satelliten gehören längst zu unserem Alltag", heißt es in dem Beitrag. "Was aber ist der nächste Sprung im Weltraum-Business?" In dieser Passage werden nur die vermeintlichen Vorteile der Vielzahl zusätzlicher Satelliten dargestellt, aber nicht die grundsätzliche Kritik an dieser Entwicklung. Zum Beispiel, dass der gute alte Sternenhimmel, wie wir ihn seit Menschengedenken kennen, mitsamt seiner kulturellen und religiös-mythologischen Bedeutung, dadurch zerstört wird. Aber auch, dass sich der Orbit mit Elektroschrott füllt, oder dass der Ressourcenverbrauch für die Produktion und Entsendung einer Myriade von Satelliten mit zum Teil zweifelhaftem Nutzen kaum vertretbar ist.

Es wird ebenfalls nicht kritisiert, dass hier zu einem großen Teil Märkte erschlossen werden sollen, die es vielleicht gar nicht gibt. Es ist schließlich nicht sicher, ob es sinnvoll ist, auch die letzte unbewohnte Ecke der Erde mit Hochgeschwindigkeits-Internet zu versorgen; oder ob der Ressourcenverbrauch dafür in einem vernünftigen Verhältnis zum Ertrag steht. Und Bauern können auch mit einer 100-Euro-Drohne mit einem Bruchteil des Ressourcenverbrauchs ihr Feld von oben betrachten und erkunden, um diese Daten dann von einem Laptop aus zu analysieren. Daneben gibt es für großflächige Landerkundung ja bereits viele leistungsfähige Satelliten von staatlichen Akteuren im Orbit.

Weltraumreisen für schlappe 55 Millionen Dollar

Der größte Schub werde vom Weltraumtourismus ausgehen, heißt es in dem Beitrag. Virgin Galactic von Richard Branson und Blue Origin von Jeff Bezos wollen schon bald Kurzflüge anbieten." Genannt werden für eine Weltumrundung Ticketpreise von 55 Millionen Dollar pro Person.

Reiseleiter und Kommandant der "Crew Dragon" ist Michael Eladio López-Alegría. Der war schon mehrfach für die Nasa im All und ist sicher, dass Ausflüge in den erdnahen Raum Routine werden: "Früher, in den 1920 und 1930ern konnten es sich nur sehr, sehr wohlhabende Menschen leisten, zu fliegen. Heute steigen Leute in ein Flugzeug, um zu einem Geburtstag zu fliegen. Das wird passieren im kommerziellen Raumflug."

(Bayern 2 / Breitengrad)

Die Behauptung, Weltraumtourismus habe eine großartige Zukunft, dürfte zum jetzigen Zeitpunkt sehr gewagt sein. Die Preise im zweistelligen Millionenbereich sprechen für sich. Auch die Behauptung, das werde alles billiger und beizeiten zur Normalität werden, ist so lange unrealistisch, wie keine grundsätzlich neuen Technologien hervorgebracht werden. Wenn beispielsweise Raketenstarts mit Fusionsenergie stattfinden könnten. Aber solche Technologien zu haben ist eine Wunschvorstellung, deren Realisierung wohl derart weit in der Zukunft liegt, dass man nicht viel Energie verschwenden sollte, sich vorzustellen, wie man "zu einem Geburtstag" ins All fliegen könnte.

Vollständige Ignoranz gegenüber ökologischen Aspekten

Selbst wenn ein Flug nicht 50 Millionen Euro, sondern sagen wir nur 50.000 Euro kosten würde (was noch weit, weit weg von den heute realistischen Kosten ist), wäre ein Massentourismus unmöglich. Auch hier erstaunt wieder einmal die vollständige Ignoranz gegenüber ökologischen Aspekten. Denn bisher ist Raketentechnologie vollständig oder fast vollständig fossil und damit nicht zukunftsfähig. Wenn ein großer Teil der Weltbevölkerung vorhätte, regelmäßig ins All zu fliegen, dann wären wir wohl nicht bei 1,5 Grad Erderwärmung bis zum Jahr 2100 (was auch schon unrealistisch sein dürfte), sondern deutlich darüber.

Real wäre zu erwarten, dass diese Form des Tourismus zur Zielscheibe für Klimaproteste wird - ein klares Risiko für Unternehmen.

Im Übrigen sind bei futuristischen Weltraumtouristik-Planern derzeit nur Flüge in relativ geringe Höhen angedacht: Bei Virgin Galactic etwa nur kurze Flüge in 100 Kilometern Höhe. Bei Reisezielen in größeren Höhenlagen - die Raumstation ISS befindet sich in rund 400 Kilometern Höhe -, stiege der Ressourcenverbrauch entsprechend an.

Kapitalistischer Expansionszwang

Es gehe auch gar nicht darum, heute zu sagen, was man im All tun will, und dann die Infrastruktur dafür zu bauen, drängt Jeff Bezos:

"Die Aufgabe unserer, meiner Generation ist es, die Infrastruktur zu bauen. So dass die Möglichkeiten geschaffen werden. Wir werden eine Straße ins All bauen."

(Jeff Bezos / Bayern 2 / Breitengrad)

Diese Aussage sollte bei Betrachtung ihrer Konsequenzen fassungslos machen. Hunderte Milliarden oder gar Billionen sollen laut Bezos auf gut Glück investiert werden, mit allen katastrophalen Folgen für Umwelt und Klima. Und dann wollen wir mal sehen, was man mit dieser Infrastruktur so anfangen kann. Das ist fataler Fortschritts- und Größenwahn. Herrn Bezos mit diesen Worten unkommentiert zu zitieren ist mindestens unkritischer Journalismus.

"Und zukünftig? Wir werden im All für das All produzieren", ist der Autor des Bayern-2-Beitrags sicher. Die Rede ist auch von riesigen 3D-Druckern. Nicht mehr Raketen brächten dann Satelliten ins All, sondern diese würden auf Raumstationen montiert und ausgesetzt. Dies sei der erste Schritt, um "unseren ökonomischen Lebensraum um einige Hundert Kilometer nach oben zu verlagern". Der nächste Schritt sei aber längst in der Planung: ein zweiter Wirtschaftsraum. Gemeint ist der Mond.

Das klingt alles ganz fantastisch, aber lohnt sich das denn? Wieso sollte man Dinge im All produzieren, die viel billiger und einfacher auf der Erde herzustellen sind? Und zwar ohne einen wahnwitzigen Aufwand durch Tausende von Raketenstarts. Allein die Tatsache, dass sich die Szene seit 1978 regelmäßig trifft, um die Möglichkeiten extraterrestrischer Industrieproduktion zu besprechen, bisher aber keine Produktion außerhalb der Erde stattfindet, könnte ein Hinweis darauf sein, dass es sich auch in der nahen und mittleren Zukunft nicht lohnen wird. Vielleicht ist so ähnlich wie es auch bei der Fusionsenergie, von der stets heißt, in 30 bis 50 Jahren sei es endlich so weit.

Was will man auf dem Mond? Was auf dem Mars? Nicht zuletzt glaubt man, dass es dort große Mengen wertvoller Metalle und die für die Elektronikindustrie so wichtigen seltenen Erden gibt.Statt erst mal ein vernünftiges Recycling für Lithium-Ionen-Akkus und Smartphones auf der Erde einzuführen, verschwendet man lieber mit ungezügeltem Konsumwahn alle knappen Ressourcen unseres Planeten und wendet noch mehr Ressourcen auf, um vielleicht irgendwann weitere Ressourcen von einem andern Planeten beziehen zu können.

Das ergibt einfach keinen Sinn. Man macht hier drei Schritte vor dem ersten und könnte sich zwei Schritte sparen, wenn man das Ressourcenthema gleich richtig angehen würde und zwar ohne Wachstumsideologie, sondern mit der Einsicht, dass Recycling und Sparsamkeit, vielleicht sogar Verzicht ein Fortschritt sein kann.

Dann wäre da noch die Sache mit dem Wasserstoff, der aus Wasser auf dem Mond gewonnen werden soll. Die Umwandlung von Wasser in Wasserstoff benötigt vor allem eines: viel Energie. Sehr viel Energie. Und die muss man auf dem Mond durch Photovoltaik erzeugen mit Solarzellen, die in Fabriken auf der Erde hergestellt werden. Und zwar mit einer enormen Lieferkette mit zig Zulieferern, hunderten von Produktionsschritten. Wer also Wasserstoff auf dem Mond effizient herstellen möchte, muss erst einmal diese gesamte Lieferkette und alle notwendigen Fabriken auf den Mond verlagern. Und dann hoffen, dass dort auch alle Rohstoffe vorhanden sind, die für den Bau benötigt werden. Auch das ist mehr als unklar.

In anderen Worten: Es geht hier um unausgegorene Ideen, deren Umsetzbarkeit mehr als zweifelhaft sind. Ganz abgesehen von der Frage, warum zum Teufel man unbedingt vom Mond zum Mars fliegen möchte. Mit enormem Ressourcenaufwand, um dort noch mehr Ressourcen zu gewinnen, um dann wieder auf der Erde das ökonomische Wachstum vermeintlich unendlich fortsetzen zu können.

Immerhin eine kritische Erkenntnis bleibt unterm Strich stehen, wenn es gegen Ende des Beitrags vom 21. Mai heißt:

Wir brauchen auf jeden Fall Umweltschutzgesetze für den Weltraum.

Aber die Problematik von Ressourcenverbrauch und Umweltschutz auf der Erde für die angeblich nahende Weltraum-Expansion wird vollständig ausgeblendet. Was definitiv nicht stimmt, ist die Aussage, dass nationale Eitelkeiten und Geopolitik beim "Rennen ins All" heutzutage keine Rolle spielen würden. China etwa sieht sich mit seinem autoritären Turbo-Kapitalismus mit kommunistischem Deckmantel sehr wohl als Gegenentwurf zu westlichen Gesellschaften und zum liberalen oder rheinisch geprägten Kapitalismus. Und im Westen sieht sich die Mehrheit ebenfalls als Gegenentwurf zu den autokratisch-staatsinterventionistischen Marktwirtschaften.

Auch in Russland sieht man das eigene Land als Machtblock, der im Wettbewerb zum Westen, insbesondere den USA steht. Im Beitrag wird es aber so dargestellt, als würde jene vermutete "neue Dimension de Globalisierung" zu einer Welt führen, in der alle Interessen ähnlich seien, in der alles zu einem großen Marktplatz würde. Ganz so, als führe die Globalisierung die Menschheit zusammen, wohingegen sie in Wirklichkeit mit brachialer Ungerechtigkeit und Härte die Menschheit spaltet.

Narzissten mit ökonomischer Macht

Wer sind diese Milliardäre, die das Thema der ökonomischen "Eroberung" des Alls so vehement vorantreiben? Und steckt neben der kapitalistischen Logik nicht auch eine psychologische Komponente in ihrem Engagement? Und welche Psychologie steckt dahinter? Es ist schon auffällig, dass man bei den drei Protagonisten ähnliche Persönlichkeitsmuster erkennen kann. Vor allem sind es Elon Musk mit SpaceX ("Wenn die Regeln so sind, dass du nicht vorankommst, dann musst du gegen die Regeln kämpfen"), Jeff Bezos mit Blue Origin ("Das Leben ist zu kurz, um sich mit Leuten abzugeben, die nicht einfallsreich sind") und Richard Branson mit Virgin Galactic ("Wenn dir deine Träume keine Angst machen, sind sie zu klein").

Es liegt der Verdacht nahe, es könnte sich bei diesen Herren um Größenwahnsinnige, medizinisch ausgedrückt um Narzissten grandioser Ausprägung handeln. Viele Persönlichkeiten dieser Art streben an, in Gesellschaft und Beruf an hohe, einflussreiche Positionen zu gelangen - und nicht wenige von ihnen schaffen dies auch. Dies wird von Seiten der Wissenschaft als sehr problematisch angesehen:

Narzissten grandioser Ausprägung sind über-selbstbewusst und verlassen sich häufig auf ihre eigene Intuition, wenn sie Entscheidungen treffen. (…) Sie übernehmen in Organisationen häufig Führungspositionen. Diese Tendenzen können Organisationen, die sie leiten, einem Risiko aussetzen.

(Charles A. O'Reilly / Nicholas Hall, Ökonomen der Stanford University)

Es klingt also fast, als solle die Menschheit in ein wahnwitziges Abenteuer von Ressourcenverschwendung und Umweltkatastrophe hineingezwungen werden, das maßgeblich von wenigen reichen Männern mit Persönlichkeitsstörung vorangetrieben wird.

Die Redaktion von Quarks hat die Symptome dieses Typus im prägnant zusammengefasst, von denen fünf erfüllt sein müssen, damit laut Diagnoseschlüssel DSM-5 eine narzisstische Persönlichkeitsstörung vorliegt. Man gleiche sie ab mit den Verhaltensweisen und Aussagen der drei genannten Männer:

1. Die Person hält sich für grandios wichtig.

2. Sie ist stark eingenommen von Fantasien von Erfolg, Macht und Schönheit.

3. Sie glaubt einzigartig und besonders zu sein und nur von ebenso angesehenen und erfolgreichen Menschen verstanden zu werden.

4. Sie verlangt nach übermäßiger Bewunderung.

5. Sie hegt ständig Ansprüche auf eine Sonderbehandlung.

6. Andere nutzt der Betreffende für seine eigenen Ziele aus.

7. Es fehlt an Empathie: Die Gefühle und Bedürfnisse der Mitmenschen werden nicht gesehen.

8. Die Person ist oft neidisch auf andere oder glaubt umgekehrt, andere neiden ihr ihren Erfolg.

9. Sie benimmt sich arrogant und überheblich.

Ihr Traum würde bestehende Probleme dramatisch verschärfen

Fassen wir also zusammen: Derzeit gibt es einen Hype um die Expansion kapitalistischen Gewinnstrebens ins All. Dieser Hype wird unter anderem maßgeblich von einigen "charismatischen Führungspersönlichkeiten" vorangetrieben, die nicht frei sind von Eitelkeit und Geltungssucht, um es mal freundlich auszudrücken. Die Menschheit soll mit hohem Ressourcenaufwand in ein Abenteuer gezwungen werden, das bestehende Umwelt- und Ressourcenprobleme verschärfen würde. Insbesondere in Bezug auf Klimawandel und soziale Ungerechtigkeit.

Die Gläubigen eines angeblich goldenen Zeitalters im Weltall sind entweder Handlanger oder direkte Profiteure, wie eben die genannten Silicon-Valley-Ideologen und Multimilliardäre. Sie gedenken ihr futuristisches Süppchen auf dem Rücken der Menschheit zu kochen und sich ganz nebenbei einen Platz in den Geschichtsbüchern zu erkaufen. Auch die US-Raumfahrtbehörde Nasa spielt mit ihrem Fokus auf den Mars und außerirdischen Welten dieses Spiel mit. Dass es auch anders geht, zeigt der Fokus der europäischen Raumfahrtbehörde Esa, der vornehmlich auf Erdbeobachtung und Analyse von Umweltproblemen und Klima auf unserem Planeten liegt.

Es fällt den Weltraum-Kapitalisten offenbar leicht, von den Problemen und Herkulesaufgaben abzulenken, die auf der Erde gelöst werden müssen, wenn sie vermeintliche Lösungen gedanklich "einfach" ins All verlagern. Vielleicht auch, weil große Teile der medialen Öffentlichkeit die technokratische Fortschrittsideologie teilen und in ihrem Denken sehr stark von Science-Fiction-Literatur und -Filmen beeinflusst sind.

Die genannten Tycoons und ihre Anhänger wollen nicht einsehen, dass Wachstum begrenzt ist und begrenzt sein muss. Seit "Die Grenzen des Wachstums" vom Club of Rome 1972 angemahnt wurden, haben sie offenbar nichts dazu gelernt. Man klemmt nach wie vor in der Wachstumsideologie des fordistischen Zeitalters fest und tarnt sie heute auch noch als Fortschritt. Das Schlusswort soll dem Wissenschaftshistoriker Peter Fischer überlassen bleiben:

"Wer heute noch in der Wirtschaft Innovation und Wachstum verknüpft, wie aktuell geschieht, ist ein Selbstmordattentäter. Wir fragen zu oft, was neu, und zu wenig, was gut ist."

(Peter Fischer)