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Griechenland: Wie autoritär ist Mitsotakis?

Unter Kyriakos Mitsotakis (Nea Dimokratia) werden Presse und Opposition nicht mit Samthandschuhen angefasst. Foto: Presidential Executive Office of Russia / CC-BY-4.0

Während die Aufklärung des Abhörskandals nicht vorankommt, gerät auch die Pressefreiheit unter Druck.

Die Zeichen stehen auf Konfrontation. Im griechischen Parlament blockt die Regierung mit ihrer Mehrheit jeden Versuch der Aufklärung des Abhörskandals [1]. In den Universitäten wütet die Einsatzpolizei, die von der Regierung zur "Universitätspolizei" erklärt wurde.

Die kritische Presse wird von Regierungsmitgliedern angegriffen und mit Strafanzeigen bedacht. Ein neues System der Überprüfung der Presse soll sicherstellen, dass alle Publikationen, welche die Regierung nicht als gemäß der journalistischen Ethik einstuft, keinerlei staatliche oder staatsnahe Werbegelder erhalten sollen.

Gegensätzliche Aussagen zur "Geheimhaltungspflicht"

Im Untersuchungsausschuss zum Skandal ergab sich folgendes Bild: Die geladenen früheren Direktoren des Geheimdienstes EYP, Theodoros Dravilas, Direktor unter Antonis Samaras, und Giannis Roubatis, Direktor unter der Regierung von Alexis Tsipras (Syriza), sagten aus.

Sie beriefen sich – anders als der geschasste EYP-Direktor von Kyriakos Mitsotakis – nicht auf eine "Geheimhaltungspflicht". Beide Aussagewilligen erklärten, dass es gegenüber dem Parlament, welches verfassungsmäßig die oberste Kontrolle hat, keine Geheimhaltungspflicht für sie gibt.

Roubatis gab zudem zu, dass unter seiner Direktion der frühere Treuhandchef Stergios Pitsiorlas abgehört worden sei. Als Grund nannte er eine vorliegende Verdachtssituation, dass die vom griechischen Staat auf Druck der Kreditgeber an ausländische Investoren verscherbelten Immobilien ins Visier nicht näher benannter arabischer Investoren gelangt seien.

Deren Finanzmittel hätten eine zweifelhafte Quelle, hieß es. Roubatis hatte demnach Tsipras über die Abhöraktion informiert [2].

Diese wurde eingestellt, als Pitsiorlas auf den Posten des stellvertretenden Wirtschaftsministers im Kabinett Tsipras wechselte. Pitsiorlas war also zum Zeitpunkt des Abhörens kein Mitglied des Parlaments, wie der von der Regierung Mitsotakis abgehörte Oppositionspolitiker Nikos Androulakis.

Trotzdem bauscht die Regierung die Causa Pitsiorlas auf, ohne aber die Gründe für das Abhören von Androulakis zu erklären. Der Regierungssprecher und zahlreiche Minister und Abgeordnete der Nea Dimokratia betonen, dass Tsipras von der Abhöraktion gewusst habe. Sie sehen aber keinen Widerspruch darin, dass Kontoleon behauptet, er habe mit Mitsotakis nie über die Abhöraktion gegen Androulakis gesprochen und sich im Übrigen keines einzigen Amtsvergehens schuldig gemacht.

Mitsotakis hat sich im Gegensatz zu Tsipras zum politischen Oberdirektor des Geheimdienstes bestimmt. Roubatis musste wegen des Abhörens ebenso zurücktreten, wie Mitsotakis Generalsekretär und Neffe, Grigoris Dimitriadis. Trotzdem soll alles mit rechten Dingen zugegangen sein.

Beweisanträge der Opposition zur Ladung von Zeugen in den Untersuchungsausschuss werden von der Regierungsmehrheit effektiv abgeblockt. Das Abhören aller Griechen sei erlaubt, wenn Gründe der staatlichen Sicherheit vorliegen würden, ist das Narrativ der Regierung.

Dann reicht auch die Unterschrift von nun zwei Staatsanwälten, denn "deren Weisung ist gleichbedeutend mit einem Richterspruch", wie der Pressesprecher der Nea Dimokratia, Tasos Gaitanis, am Freitagabend im Sender Kontra TV sagte.

Der neue Geheimdienstdirektor, Themistoklis Demiris, stellte im Parlament klar, "ich habe die letzten fünfzehn Tage die volle Kontrolle über den Dienst, a priori ist niemand vom Abhören ausgenommen ...".

Kein akademisches Asyl mehr

An den griechischen Hochschulen gab es seit dem Fall der Militärdiktatur 1974 ein akademisches Asyl. Dieses wurde wie ein heiliger Gral gehütet. Grund ist der blutig niedergeschlagene Studentenaufstand gegen die Diktatoren am 17. November 1973.

Die Nea Dimokratia möchte dagegen, wie sie betont, die Universitäten auf europäischen Standard bringen. Daher, so die Regierung, sei eine Universitätspolizei notwendig. Ein entsprechendes Gesetz wurde erlassen. Seit Beginn des neuen Studienjahres patrouillieren nun zum Unmut vieler Studenten, martialisch ausgerüstete Einsatzpolizisten über den Campus. Die Polizisten bedrängen Studentinnen und Studenten, sie kontrollieren jeden, der nicht in ihr Weltbild passt. Studentenproteste sind die Folge.

Am Freitagabend gab es in Thessaloniki an der Aristoteles Universität ein Konzert, organisiert von Studentengruppen, die gegen die ständige Polizeipräsenz auf dem Campus protestieren. Videos zeigen, wie die Einsatzpolizisten in das Publikum, eine Menge von rund 5.000 Personen massenhaft Tränengasgranaten und Blendgranaten werfen. Auch die Bühne wurde unter Beschuss genommen.

Einen Tag später dementierte die Polizei den Vorfall. Es sei keine einzige Granate ins Publikum geworfen worden, heißt es. Tatsächlich habe am Rand des Konzerts eine kleine Gruppe randaliert und sich der Festnahme widersetzt. Der in Griechenland prominente Liedermacher Thanassis Papakonstantinou stand während des Vorfalls auf der Bühne. Er kommentierte die Polizeimeldung mit einer gehörigen Portion Sarkasmus:

"Ja! Uns überkam plötzlich eine unerklärliche Emotion, eine Röte im Gesicht (vor Aufregung?) und Tränen der Trauer. Jemand rief aus, er habe Christus als Wehrpflichtigen gesehen!" Der Ausdruck "Christus als Wehrpflichtigen zu sehen" ist in Griechenland ein Idiom, um etwas Schwieriges und Plötzliches zu beschreiben.

Am Samstag protestierten in Athen Studierende gegen die Polizeigewalt. Es gab, wie üblich, massiven Einsatz von Tränengas und Blendgranaten der Polizei [3].

Journalistische Ethik wird überprüft – aber von wem?

Tatsächlich wurde die Polizeimeldung als Erklärung für die Vorfälle in Thessaloniki von den großen Fernsehstationen wortgetreu verlesen. Auch hier gibt es einen Hintergrund. Die Regierung hat die Polizei als zuständige Instanz für derartige Erklärungen bestimmt. Jedwede andere Version kann als Fake News bezeichnet werden.

Fake News können gerichtlich verfolgt werden, wie der jüngste Fall rund um Flüchtlinge beweist. Diese sollen, so war es Stand der Dinge im August, auf dem griechischen Staatsgebiet einer Insel im Grenzfluss Evros gewesen sein [4].

Die griechische Regierung behauptet stattdessen, dass die Geflüchteten auf dem türkischen Teil des kleinen Eilands gewesen sein sollen. Die Menschen mussten tagelang ausharren. Die Presse beschrieb den Fall. Gegen diejenigen, die in nationalen oder internationalen Medien geschrieben haben, dass die Menschen auf dem griechischen Teil der Insel waren, ermittelt nach Anzeige eines rechtsextremen Politikers nun der Areopag, Griechenlands oberstes Strafgericht.

Die Regierung wirft den Journalisten vor, sie würden in einer konzertierten Aktion im Sinn der Türkei und gegen die Sicherheitsinteressen Griechenlands handeln.

Das Problem der freien Berichterstattung ist, dass es der Presse nicht gestattet wird, im Grenzgebiet Griechenland zur Türkei zu recherchieren. Journalisten sind daher entweder auf Zeugenaussagen oder aber auf Videos und GPS-Daten der Geflüchteten angewiesen, oder sie müssen für investigativen Journalismus Risiken eingehen.

Ein derartiges Risiko ging Georgios Christidis von Der Spiegel ein. Er nutzte seinen Zweitjob als freier Übersetzer und gelangte so mit der Hilfsorganisation HumanRights360 ins Lager, wo die Geflüchteten vom Evros untergebracht wurden. Damit gerieten Christidis und Der Spiegel ins Visier von Immigrationsminister Notis Mitarachi [5]. Die Hilfsorganisation darf ohne staatliche Lizenz aus dem Ministerium von Mitarachi nicht arbeiten.

Sie unterschrieb eine Erklärung, mit der sie im Gegensatz zu allen vorherigen Erklärungen die Version von Mitarachi zum Drama an der Grenze teilt [6]. Gleichzeitig liefert HumanRichts360 Christidis ans Messer. Denn die Organisation behauptet, dass Christidis Aktion eine Einzelaktion des Journalisten gewesen sei:

"Der Eintritt eines Journalisten in das Evros-Flüchtlingslager erfolgte auf seine alleinige Initiative hin, ohne vorherige Kenntnis, Information oder Beteiligung der Verwaltung unserer Organisation. Schließlich war der oben Genannte noch nie ein Mitarbeiter oder Partner unserer Organisation, wie es im Übermittlungsdokument seines Eintrittsantrags fälschlicherweise angegeben war."

Für Christidis dürften die Folgen übersehbar sein. Wäre er bei einem griechischen Medium beschäftigt, dann sähe die Sache anders aus. Denn, anders als in der Corona-Krise, als die Regierung ohne transparente Kriterien Hilfsgelder nur an die Medien vergab, die in ihrem Sinn berichteten, soll in der aktuellen Krise ein formaljuristisch korrekter Mechanismus geschaffen werden.

Hilfsgelder, staatliche Werbung und Werbung von staatsnahen Betrieben erhalten künftig nur Medien, die im neu zu schaffenden staatlichen Register der Medien als ethisch einwandfrei eingetragen sind [7]. Die Verbreitung von Fake News entspricht nicht der journalistischen Ethik.

Die Frage ist aber im Zweifelsfall: Wer bestimmt, ob es Fake News sind, oder nicht? Bereits jetzt gibt es ein Gesetz [8], das empfindliche Geldstrafen für Fake News im Internet vorsieht:

Wer öffentlich oder über das Internet Falschmeldungen veröffentlicht oder verbreitet, die geeignet sind, die Öffentlichkeit zu beunruhigen oder zu beängstigen oder das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Volkswirtschaft, die Verteidigungsfähigkeit oder die öffentliche Gesundheit des Landes zu erschüttern, wird mit einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monate und einer Geldstrafe bestraft.

Wurde die Tat wiederholt durch die Presse oder das Internet begangen, wird der Täter mit einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten und einer Geldstrafe bestraft. Der tatsächliche Eigentümer oder Herausgebers des Mediums, mit dem die Handlungen der vorherigen Absätze vorgenommen wurden, wird mit derselben Strafe bestraft.


Neufassung des Artikels 191, Paragraph 1

Künftig droht auch Printmedien über das neue Register eine Einschränkung ihrer Berichtsmöglichkeiten. Die Folgen sind in der griechischen Medienwelt spürbar. Vor allem im Fernsehen treffen die Regierungspolitiker selten auf Widerspruch seitens der Journalisten.

Dadurch ist allerdings ihre Reaktionsfähigkeit auf kritische Fragen etwas eingeschränkt. Das jüngste Beispiel lieferte Stelios Petsas, in dessen Amtszeit als Regierungssprecher die Geldvergabe an regierungsfreundliche Medien während der Pandemie fiel.

"Wer sich nicht anpasst, stirbt"

Neubauten von Mietshäusern in Griechenland müssen Gasheizungen haben. Die Abkehr von Heizöl wurde in den vergangenen Jahren vom Staat forciert und auch gefördert. Der Kohleausstieg wurde von der Regierung vorgezogen.

Dadurch erhöhte Griechenland mitten in der aktuellen Energiekrise die Abhängigkeit von Gas in der Stromerzeugung. Die Preise für alternative Heizmethoden, etwa mit Holz oder Pellets sind in exorbitante Höhen gestiegen. Heizen mit Elektrizität ist ökonomisch gesehen unbezahlbar. Die Regierung will dies mit einer Rückkehr zum Heizöl lösen und fördert den Kraftstoff.

Auf drängende Fragen von Oppositionspolitikern und Journalisten während einer Fernsehdiskussion, wie denn die Bürger nun mal ebenso eine Gasheizung gegen eine Ölheizung austauschen, und den erforderlichen Tank installieren sollen, fiel dem stellvertretenden Innenminister Stelios Petsas nur ein: "Wer sich nicht anpasst, stirbt" [9].


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7267720

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Abhoerskandal-in-Griechenland-Eine-Mauer-des-Schweigens-7258794.html
[2] https://www.skai.gr/news/politics/pitsiorlas-den-thelo-na-pistepso-oti-ypirkse-entoli-parakolouthisis-mou-apo-ton-tsipra
[3] https://www.kathimerini.gr/society/562049836/propylaia-entasi-sti-diadilosi-gia-tin-panepistimiaki-astynomia/
[4] https://www.spiegel.de/ausland/vor-europas-grenze-dutzende-gefluechtete-stecken-auf-insel-vor-griechenland-fest-a-a9a4cf8a-46ae-4a49-a9c5-2a44768dc0b0
[5] https://www.efsyn.gr/ellada/dikaiomata/357041_ypoyrgeio-metanasteysis-stohopoiei-tora-kai-spiegel
[6] https://www.efsyn.gr/ellada/dikaiomata/359321_dilosi-symmorfosis-tis-humanrights360-me-ypoyrgeio-metanasteysis
[7] https://www.efsyn.gr/tehnes/media/359374_pane-kala-symfonei-me-tin-epitropi-logokrisias-i-esiea
[8] https://www.lawspot.gr/nomika-nea/fake-news-ti-provlepei-o-neos-poinikos-kodikas-gia-ti-diaspora-pseydon-eidiseon
[9] https://www.efsyn.gr/politiki/kybernisi/359019_prospathei-na-dikaiologisei-o-petsas-opoios-den-prosarmozetai-pethainei