Grüne Propaganda oder kindgerechte Warnung? Dieses Buch spaltet Deutschland

Detail aus Paluch-Sperber-Buch. So negativ muss es aber gar nicht gelesen werden. Bild: klett-kinderbuch.de

Neurechte sind in Aufruhr und warnen vor dem Weltuntergang im Kinderzimmer. Ein gewollter Skandal. Und was der Name der Autorin damit zu tun hat.

Große Aufregung herrscht derzeit um ein Kinderbuch, das bereits im Jahr 2021 erschienen ist und sich mit dem Weltuntergang und möglichen Auswegen beschäftigt. Die Zeichnungen stammen von Annabelle von Sperber, den Text hat die Ehefrau von Robert Habeck, Andrea Paluch, für das Buch mit dem Titel "Die besten Weltuntergänge" geschrieben. Es ist im Klett-Kinderbuchverlag mit Sitz in Leipzig erschienen.

Die Faszination des Weltuntergangs ist nicht neu: Auf der Streamingplattform Netflix läuft derzeit der Endzeitfilm "Leave this world behind" mit Julia Roberts, Ethan Hawke und Mahershala Ali, in dem die Welt langsam vor die Hunde geht.

Waldtiere versammeln sich bedrohlich vor den Menschen, selbstfahrende Autos machen sich selbstständig und krachen ineinander, führerlose Tanker stranden am sonnigen Sandstrand, Flugzeuge fallen vom Himmel, Zähne fallen aus und schrille Töne treiben die Menschen in den Wahnsinn.

Es gibt einen trumpistischen Prepper mit Dreitagebart, Schirmmütze und Gewehr, der aber die nötige Medizin gegen Zahnausfall hat, und am Ende entdeckt die jüngste Protagonistin des Films den rettenden Atombunker mit Konserven und heimeligen DVD-Filmen, die auch im dunklen Refugium ein Weiterleben in scheinbarer Normalität versprechen.

Ein solcher Film zu Weihnachten und Jahreswechsel ist kein Zufall. Denn es scheint, dass der deutsch-österreichische Philosoph Günther Anders zum Theoretiker einer Zeit wird, die sich eher den Untergang und den Zusammenbruch von Gesellschaften, ja der ganzen Weltgesellschaft vorstellen kann, als den Aufbau einer gerechten Welt, die Natur und Mensch versöhnt und soziale Unterschiede zumindest minimiert, wenn sie schon die Klassenunterschiede nicht aufheben will.

Tatsächlich können wir uns heute nicht nur die "nackte Apokalypse" (G. Anders) besser vorstellen als die kommunistische Weltgesellschaft – und so gelingt es Netflix auch besser, erstere in Bilder zu fassen als letztere.

Das war nicht immer so. Als Herbert Marcuse mitten in der Revolte von 1968 vom "Ende der Utopie" sprach, meinte er, dass im Spätkapitalismus trotz aller Verdinglichung und Ausbeutung eine gute Gesellschaft für alle im Bereich des Möglichen und nicht mehr des Fantastischen liege.

Als Ernst Bloch nach dem "Prinzip Hoffnung" in der Geschichte suchte, wollte er noch in den herrschaftlichsten und unterdrückerischsten Unternehmungen wie der kolonialen Welteroberung Momente kommunistischer Potenzialität, Wissenschaftlichkeit und Kollektivität ausmachen.

Als die Generation X, sagen wir, die heute 50-Jährigen, in ihren Kinder- und Jugendbüchern blätterte, um die Welt und die Städte von morgen zu erkunden, machte sie sich nicht nur mit aus heutiger Sicht reichlich antiquierten Armbandradios vertraut, sondern auch mit solarbetriebenen Asteroidenstädten; sie erwartete in der Zukunft vierzehn Meter hohe "Mondsprünge", weil die Olympischen Spiele 2020 im Weltraum stattfinden sollten.

Enttäuschte Zukunftsvisionen

Auch der 2020 verstorbene anarchistische Anthropologe David Graeber träumte als Science-Fiction-begeistertes Kind von fliegenden Autos, musste aber in seinem 2016 erschienenen Buch "Bürokratie" feststellen, dass Technologien, die alternative Zukunftswelten ermöglichen würden, systematisch verhindert und stattdessen Technologien für Krieg, Erhöhung der Arbeitsdisziplin und soziale Kontrolle gefördert wurden.

Zwei Kriegsschauplätze in der Welt zeigen, dass jede vernünftige Gestaltung der Welt, jede notwendige und nur kollektiv zu erreichende Korrektur und Rettung des Planeten hinter barbarischen Atavismen zurücktreten muss.

In der Ukraine ist ein klassischer Territorialkonflikt, zusätzlich angeheizt durch Wachstumsdivergenzen, mangelnden Minderheitenschutz und die Politik hegemonialer Einflusssphären, zu einem Stellungs- und Abnutzungskrieg eskaliert, der aufgrund westlicher wie östlicher ideologischer Eskalationslogiken endlos erscheint. Die Schützengräben in der Ukraine ähneln denen des Ersten Weltkriegs am Hartmannswillerkopf – nur flacher.

Aktuelle Tendenzen weisen nicht in lichte Zukunft

In Israel weckte ein Angriff militarisierter Gaza-Bewohner auf umliegende israelische Dörfer und ein Musikfestival Assoziationen an bestialische mittelalterliche Pogrome oder rassistische Sklavenaufstände wie die von Nat Turner.

Irritiert werden die Pogrom-Assoziationen durch Stimmen wie die der Hannah-Arendt-Preisträgerin Masha Gessen, die auf das dauerhafte Einpferchen der Gaza-Bevölkerung hinweist und Gaza mit einem Getto vergleicht.

Was auch immer wahr sein mag: Genozidaler Judenhass, antiweißer Sklavenaufstand, Ghettorebellion - all dies weist in eine schreckliche Vergangenheit und nicht in eine lichte Zukunft.

Und Israel antwortet mit einem Krieg, der alle Logiken eines Kolonialkrieges des 19. und 20. Jahrhunderts aufweist: Vertreibung der Zivilbevölkerung, Abschneiden oder Zerstören lebenswichtiger Infrastruktur. Ferner gleicht Gaza den zerbombten Städten des Zweiten Weltkriegs, von Guernica bis Berlin.

Diese Welt mit ihren Grausamkeiten und ihrer Tendenz zur Regression macht auch vor den Seelen von Kindern und Jugendlichen nicht halt. Auch Pandemie, Lockdown-Maßnahmen und Klimawandel sind Erfahrungen, die sich deutlich und nachhaltig in das kollektive Gedächtnis der Jüngeren eingeschrieben haben.

Das Bilderbuch von Andrea Paluch und Annabelle von Sperber versucht, sich dem zu stellen und existenzielle Fragen diskutierbar zu machen. Dabei sind die zwölf Zukunftsbilder durchaus "anregend", wie der Untertitel verspricht. Wie im klassischen Märchen das Gute und das Böse gleichberechtigt nebeneinanderstehen, so wechseln sich im Buch utopische und dystopische Szenarien ab.

Erinnerungen an "The World of the Future"

Einige der großformatigen Bilder haben einen ähnlichen Zuschnitt wie die utopischen Zeichnungen, die beispielsweise Kenneth Gatland und David Jefferis 1979 in dem Jugendbuch "The World of the Future" entwarfen, mit dem die Jugend der damaligen Bundesrepublik dank des Bertelsmann-Verlags ab 1980 vertraut gemacht wurde.

Im "Weltuntergänge"-Buch von 2021 stellen sieben von insgesamt zwölf Zukunftsbildern Gesellschaftsentwürfe vor, die ein gutes Leben für alle zeigen. Die Menschheit ist mit der Natur versöhnt, bewegt sich ohne Autos, trägt intelligente Weltraumkleidung:

Sie misst die Gesundheitsdaten der Menschen, so dass eine Krankheit sofort erkannt und behandelt werden kann. Bei Christian konnte so schon ein Herzinfarkt verhindert werden. Vermisste Kinder können per GPS gefunden werden …

In einem der utopischen Zukunftsentwürfe sind alle Tiere frei, denn Tiere zu essen verstößt gegen die Moral dieser Zukunftsgesellschaft:

Wer unbedingt Fleisch essen will, muss sein Tier schlachten. Fleisch kann man auch von Jägern kaufen, die Tiere erschießen, die sich zu stark vermehren. Die Menschen ernähren sich gesund und müssen selten zum Arzt oder ins Krankenhaus ... Alles ist gerecht verteilt. Überall auf der Welt gibt es genug Wasser und Nahrung für Mensch und Tier.

Das Buch scheut sich aber auch nicht, am Ende eine Erde ohne Menschen zu zeigen. Als letztes Bild der Zwölf. Auch als letztes Wort?

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