"Megalopolis": Was passiert, wenn das Imperium zu zerbrechen beginnt?

Filmstill "Megalopolis"

Bild: © Phil Caruso / Lionsgate / Constantin Film

Wofür ist das Kino gemacht, wenn nicht für genau solche Filme? Francis Ford Coppolas funkensprühende, opulente Antwort auf die Frage nach der Zukunft.

Utopias turn into dystopias.

Dialogauszug

In der Eröffnungsszene von Francis Ford Coppolas einmaligem, unverwechselbarem "Megalopolis" balanciert ein Mann recht gefährlich und knapp vor dem Absturz auf dem Dachsims eines Wolkenkratzers, himmelhoch über einer Metropole, die Manhattan so ähnlich sieht wie Gotham City. Er tritt kurz über die Schwelle, doch kurz vor dem Absturz ruft er: "Steh still, Zeit!" Und sie tut es.

Der Wunsch, die Zeit anzuhalten, prägt die Menschheitsgeschichte und kommt nicht nur bei älteren Männern wie dem 85-jährigen Francis Ford Coppola vor. Aber man kann schon hier Verbindungen zwischen Charakter und Regisseur ziehen – und jeder Film ist in der Lage, die Zeit selbst anzuhalten und sie sogar zurückzudrehen. Aber nicht für immer.

Der nun folgende Film handelt von einer ganzen Gesellschaft, ja: einer Zivilisation, die ähnlich prekär und kurz vor dem Absturz darauf hofft, die Zeit stillzustellen. Die Stadt heißt "New Rome", und alle wichtigen Figuren haben römische Namen: Cesar Catilina, Cicero, Crassus, Claudius, Pulcher,

Mit Sexyness und Hedonismus

Es ist ein übles Gebräu aus Narzissmus, unkontrollierter Gier und politischer Propaganda, das diesen Ort prägt und sich zu einem Maelstrom bündelt, in dem diese Gesellschaft sich zunehmend selbst verschlingt.

Nur einige wenige kühne Menschen, Künstler und Intellektuelle, Idealisten, mit dem Mut zum Träumen, schwimmen gegen den Strom und streben nach nichts weniger als einer neuen Morgenröte der Menschheit. Mit Mut, Neugier und Technik, nicht etwa als "Zurück zur Natur" und auf keinen Fall mit "woken Ideen", sondern mit Sexyness und Hedonismus.

Der Mann heißt Caesar (Adam Driver), wie der römische Feldherr, der die Republik zerstörte, um sie zu retten, der sich im Jahr 44. v. Chr. zum Diktator auf Lebenszeit einsetzte und der das römische Imperium begründete.

Megalopolis (15 Bilder)

Bild: © Phil Caruso / Lionsgate / Constantin Film

Aber er ist auch eindeutig eine Verkörperung des Regisseurs Francis Ford Coppola selbst – ein großer Visionär, der mit ansehen muss, wie eine einstmals große Sache (nennen wir es Kino) vor seinen Augen zerstört wird, und der entschlossen ist, sie nicht sterben zu lassen, sondern mit neuem Leben zu erfüllen.

In einer nahen dystopischen Zukunft

Caesar wird im Film beschrieben als "A man of the future so obsessed by the past." Und er hält relativ früh im Film den berühmten Monolog vom Hamlet. Er ist charismatisch und begabt mit allerlei übermenschlichen Fähigkeiten, wie der Gabe, die Zeit anzuhalten. Zugleich ist er getrieben von inneren Dämonen.

In einer nahen dystopischen Zukunft versucht Caesar, ein visionärer Architekt und Nobelpreisträger, der vom tragischen Tod seiner Frau gequält wird, eine neue futuristische, idealtypische Stadt zu erschaffen, die er "Megalopolis" nennt.

Er plant, diese mithilfe einer Substanz namens Megalon zu bauen, die er erfunden hat und die physikalischen Gesetze überschreiten kann.

Skepsis und Träume

Ihm entgegen stehen zwei Männer: Der Bürgermeister Franklyn Cicero (Giancarlo Esposito), ein Mann der Beharrung und des Konservativen, der das bestehende System weitgehen aufrechterhalten will und reformistisch agiert:

Die Leute brauchen keine Träume, sie brauchen Arbeit, Schulen.

Cicero verspricht Kindergärten statt Visionen und "Beton, Beton, Beton", was im Englischen heißt: "Concrete, concrete, concrete", also auch "Konkret, konkret, konkret" bedeutet - der Mann ist ein antiidealistischer Skeptiker.

Er, der die Stadt mit strengen Gesetzen regiert, sieht in Caesars revolutionären Ideen eine Bedrohung für seine Macht und den Status quo. Während Caesar verspricht, die Stadt zu erneuern, sieht Cicero nur das Chaos, das solche Veränderungen mit sich bringen könnten.

Dumm nur, aber typisch für Shakespeare wie für Coppola, dass diese ganzen politischen Gegensätze durchzogen und verzerrt werden durch private: Denn Cicero hat auch aus persönlichen Gründen etwas gegen Caesar – er war der ermittelnde Staatsanwalt beim Tod von dessen Frau und wollte Caesar hinter Gittern bringen. Wir ahnen, dass es Dinge gibt, die er verbirgt.

Und jetzt ist da noch Julia (Nathalie Emmanuel), die einzige, geliebte und sehr intelligente Tochter des Bürgermeisters. Zunächst sträubend, denn weniger und weniger widerwillig, verliebt sie sich in den Sprössling des gegnerischen Clans, in den Mann der Zukunft, Caesar.

"Heute ist Amerika Rom"

Der zweite Gegenspieler ist Caesars eifersüchtiger Cousin Clodio Pulcher (Shia LaBeouf), der seine eigenen politischen Ambitionen mit Gewalt und Intriganz durchzusetzen versucht. Seine Hinterlist richtet sich aber vor allem gegen Caesars wohlhabender Onkel Hamilton Crassus III (Jon Voight).

"New Rom" ist ein Ort des Verfalls und der "spätrömischen Dekadenz" (Guido Westerwelle), in dem Armut, Not und Verzweiflung herrschen. Bei den wenigen Mächtigen aber dominieren Arroganz, Perversion, Machtgier, die Unterwerfung des Gemeinwohls unter die Bereicherung einiger weniger, universaler Sinnverlust.

Eine politische Fabel

Es wäre gar nicht nötig gewesen, dass der Filmemacher auch noch unverblümt erklärt:

Heute ist Amerika Rom, und es steht kurz davor, die gleiche Erfahrung zu machen, aus den gleichen Gründen, wie Rom seine Republik verlor und mit einem Kaiser endete.

So wird 85-jährige Regisseur zitiert (Stern), der die USA in der derzeitigen Staatsform vor ihrem Ende sieht. Rom sei "so reich" gewesen und die Senatoren hätten sich nur noch für eigene Interessen eingesetzt, erklärte Coppola dem Magazin The Hollywood Reporter.

Nun, dasselbe ist auch hier passiert. Unsere Senatoren und unsere Abgeordneten sind alle reich und spielen mit ihrer eigenen Macht, anstatt das Land zu leiten, und dann sind wir in Gefahr, es zu verlieren.

Man erkennt: "Megalopolis" ist eine politische Fabel. Sie kritisiert konkret die Gegenwart und zielt zugleich auf universale Ideen.

Es geht nicht primär "um Trump" oder "den Neoliberalismus" oder "soziale Ungleichheit und die Herausforderungen moderner städtischer Lebensbedingungen. Aber die Figuren verkörpern unterschiedliche Prinzipien im Verhältnis zu Macht und Gestaltungswillen.

Caesar repräsentiert Idealismus und das Bemühen um eine bessere Welt, während Bürgermeister Cicero für Pragmatismus steht und Pulcher für egomanen Ehrgeiz.

Filmstill "Megalopolis"
Bild: © Phil Caruso / Lionsgate / Constantin Film

Überbordend und barocke Vision

Die visuelle Vision dieses Films ist überbordend und barock: Man sieht ein Kolosseum in der Nähe des Times Square, Wagenrennen im Stil von "Ben Hur", Gebäude im Retro-Futurismus zwischen Art Deco und "ökologischer Stadt".

Der ganze Film ist eine Zirkusshow aus pompösen und zweckfreien Tableaux vivants vor Kulissen, die auch aus einem Marvel-Movie stammen könnten, Shakespeare-Dialoge folgen auf historische Wochenschaubilder, die Hitler und Mussolini zeigen. Untermalt ist das mal von aktuellem Pop, mal von Pseudo-Sandalenfilmmusik aus Hollywood.

Nach jahrzehntelanger Planung endlich finanziert und in die Tat umgesetzt, ist "Megalopolis" ein mitreißender, in jeder Hinsicht großformatiger Film voller provokanter Ideen und schonungsloser filmästhetischer Erfindungen, dem man das Alter des Regisseurs nicht ansieht.

Coppola scheint vielmehr in einen filmischen Jungbrunnen gestiegen zu sein, und die filmische Erfahrung, die das Ergebnis ist, wirkt nicht wie der Abschluss einer Karriere, sondern wie der tollkühne Entwurf eines anderen Kinos, "al fresco".

Die Notwendigkeit, eine bessere Welt zu schaffen

"Megalopolis" ist ein seltsames, exzessives Artefakt, das in seinen Ansprüchen gefangen ist, und dabei aber äußerst interessant, weil es zeigt, was von den Träumen des New Hollywood geblieben ist.

US-Amerika ist das Imperium, wie es Rom zu seiner Zeit war. US-Amerika ist auch wie Rom eine opulente Spektakel-Gesellschaft. Und Coppola ist überzeugt, dass wir vor dem Untergang auch dieses neuen Römischen Reiches stehen.

Was passiert, wenn das Imperium zu zerbrechen beginnt? Was passiert, wenn die rationale Weltsicht nicht mehr greift? Das sind die Fragen.

"Megalopolis" und ihr Schöpfer glauben an die Notwendigkeit, eine bessere Welt zu schaffen. Die gewagte Utopie, die hier in die Tat umgesetzt werden soll, ist die einer Welt ohne Klassenunterschiede.

Am Schluss steht, wie ein Testament, eine Ode an die Liebe und an die Menschheit.

Spektakelkino und Herzensprojekt

Es ist ein ganz schön merkwürdiger Film, den Francis Ford Coppola da gedreht hat. Spektakelkino mit ganz großer Attitude. Zugleich auch ein ziemlich persönlicher Film, inklusive aller möglichen moralischen Appelle und Ansprachen an die Jugend der Welt und die Menschen der Zukunft.

Ein Untergangsgesang in mancher Hinsicht, fast eine Höllenfahrt, zugleich mit großem Bildungsballast. Die Recherche stamme unter anderem von "Goethe, Euripides, Marc Aurel, Cicero, H.G. Wells" – so der Abspann, in dem Coppola diesen Mitarbeitern dankt.

"Megalopolis" ist ein in naher Zukunft und zugleich einer shakespeareschen Parallelwelt spielendes Science-Fiction-Drama, aber auch ein sehr persönliches Herzensprojekt und eine letztlich ernst gemeinte Analyse der traurigen Lage der USA.

Ein Film, der einen ratlos zurücklässt, dies aber auf eine Weise, dass man ihn sofort noch einmal sehen will, um zu verstehen, was man da sieht.