Kriegstüchtigkeit: "Was will der Lama mit dem Gewehr?"
Westliche Werte? Die Komödie des Filmemachers Pawo Choyning Dorji parodiert Kapitalismus und Kriegstreiberei und hat das Zeug zum Kultfilm.
In unserer allzu emsig nach Kriegstüchtigkeit strebenden Zeit kommt der Film "Was will der Lama mit dem Gewehr?" – Kinostart 01. August – vielleicht gerade recht: Subtil und satirisch wird uns hier die Absurdität von Profitgier und Kriegsbegeisterung vor Augen geführt.
Zugleich wird der globale Führungsanspruch westlicher Weltdeutung und Werteverbreitung humorvoll auf die Schippe genommen – ganz im Sinne aktuell angesagter und vom konservativen Politfeuilleton angefeindeter Kritiker westlicher Werte wie Pankaj Mishra und Felwine Sarr.
Mehr dazu im zweiten Teil, zunächst zu einem Filmjuwel aus dem himmlischen Himalaja, das Kinobesucher mit Popcorntüte oder wahlweise Meditationskissen genießen können.
Geheimnisvolles Bhutan
Das Königreich Bhutan, der weltweit einzige klimaneutrale Staat, hat etwa die bergigen Dimensionen der Schweiz, weniger Einwohner als Köln und eine atemberaubende Landschaft. Die Hälfte der Fläche besteht aus Nationalparks und Naturschutzgebieten, denn der Umweltschutz steht ebenso in der Verfassung wie die Verpflichtung auf das Glück der Menschen, beinahe realsatirisch "Bruttonationalglück" genannt.
Hier spielt Dorjis Film, meist auf dem Land, in Dorf und Kloster, aber mit Ausflügen in die hektische Welt der Stadt, wo Drogen, Sex und Waffenhandel auf die buddhistischen Bräuche treffen. Sympathisch gezeichnete Figuren werden in einer verwickelten Handlung auf das zentrale Rätsel hingelenkt: Was will der Lama, also der buddhistische Meister, mit dem Gewehr?
Wie wird man eine Demokratie?
Der originell gewählte politische Hintergrund ist eine skurrile Revolution von oben: Im Jahr 2006 bereitet der "Drachenkönig" von Bhutan – der glückbringende Drache ziert auch die Nationalflagge des Landes – seine eigene Abdankung vor: Das kleine Land soll eine Demokratie werden, und zwar in Gestalt einer konstitutionellen Monarchie mit bislang unbekannten Dingen wie politischen Parteien, Parlamenten und freien Wahlen.
Das Volk, das wenig über die Welt weiß, erst kürzlich wurde – nach dem Internet – das Fernsehen in Bhutan eingeführt, ist mehrheitlich mit der Monarchie zufrieden. Man sieht Filme im Public Viewing auf einem alten Fernseher im Dorfladen, staunt etwa über verrückte Filmfiguren wie "James Bond 007" und freut sich über den ersten eigenen, bhutanischen TV-Kanal.
Der Mönch Tashi (Tandin Wangchuk) und sein schweigender Meister (Kelsang Choejay) segnen im bescheidenen Tempel gerade ihr erstes Fernsehgerät mit Weihwasser ein, da sehen sie gleich live die Ankündigung der Regierung, eine mysteriöse "Testwahl" abzuhalten.
Es braucht zwei Gewehre
Man will das Volk mit den merkwürdigen Ritualen der Weißen vertraut machen: Parteienbildung, Wahlkämpfe und Abstimmungen an der Urne. Der Meister unterbricht plötzlich sein Schweigegelübde und, als wäre das nicht schockierend genug, schickt seinen Schüler eilig mit einer absonderlichen, ja, bestürzenden Mission los: Tashi soll bis zum nächsten Vollmond ein, besser gleich zwei Gewehre besorgen!
Kein leichtes Unterfangen im zutiefst friedfertigen Buddhismus Bhutans. Zumal der einzige Waffenbesitzer weit und breit gerade von einem aus der Hauptstadt angereisten Amerikaner und seinem einheimischen Führer (Deki Lhamo) bedrängt wird.
Der Waffenhändler (Harry Einhorn) ist ebenfalls scharf auf das Gewehr, denn es handelt sich um eine wertvolle Antiquität, einen Vorderlader aus dem US-Bürgerkrieg – und der hektische US-Amerikaner hat schon das erste Gebot abgegeben. Doch kurze Zeit später kommt Tashi und überbringt würdevoll den Wunsch seines Meisters an den tiefgläubigen buddhistischen Bergbauern. Was wiegt schwerer –der Segen des Lamas oder ein Sack voller Dollars?
Zudem ist dem vom wenig Kapitalismus-konformen Buddhismus schwer irritierten US-Amerikaner auch noch die spärlich bewaffnete Staatsmacht Bhutans auf den Fersen. Denn Waffenhandel ist im Land natürlich strikt verboten und die elegante Wahlleiterin aus der Hauptstadt, Tshering Yangden (Pema Zangmo Sherpa), versetzt die Bergbevölkerung mit ihrer neumodischen "Testwahl" in Aufruhr.
Lachtränen und Weltfriede
Aber hier soll nicht verraten werden, welche Rolle James Bond, ein gewaltiger Yak-Schinken und zwei hochmoderne Maschinenpistolen in der bis zuletzt hochspannenden Komödie spielen werden. Nur soviel: Als es im Kinosaal wieder hell wurde, sah man in den Augen vieler Zuschauer neben Lachtränen auch Tränen der Rührung – und es handelte sich bei der Kinobesetzung um hartgesottene Filmkritiker.
Neben kluger Story mit warmherziger Botschaft qualifizieren auch eine souveräne Kameraarbeit und überzeugende Schauspieler den Film zur Arthouse-Perle und zum Kinoerfolg dieses Sommers.
Kurzum: Wenn Sie etwas für den Weltfrieden tun wollen, laden Sie schnell ein paar bellizistische Grünen-Anhänger ins Kino ein. "Was will der Lama mit dem Gewehr?" bewirkt vermutlich mehr an Aufklärung als alle vor belehrenden Schautafeln erhobenen Zeigefinger von "Anstalt"-Kabarettisten der letzten zehn Jahre – und das auch noch unterhaltsam und mit Humor.
Zwischen Tarantino und Pankaj Mishra
Der begnadete Filmemacher ist Pawo Choyning Dorji, ein bekennender Tarantino-Fan aus Bhutan, der 2019 mit seinem Film "Lunana. Das Glück liegt im Himalaya" schon eine Oscar-Nominierung und einige Auszeichnungen einheimsen konnte.
Spielte "Lunana" im Lehrermilieu, könnte sein "Lama mit dem Gewehr" zur Rettung vieler Politiklehrer werden, um beim Thema "Demokratie" die Oberschüler aus dem didaktisch bedingten Halbschlaf zu wecken. Denn Dorji packt das Thema nicht nur humorvoll in seine pfiffige Handlung, sondern kritisiert an diesem besonders heiklen Beispiel auch die arrogante Rechthaberei westlicher Politik.
Wenn unsere Medien Parlamentswahlen westlicher Machtart als allein seligmachenden Weg zu einer Mitbestimmung der Bevölkerung hinstellen, wird dies oft als liberal-koloniale Herrschaftsattitüde gesehen.
Die Wut konservativer Feuilletons
Erst in jüngerer Zeit dringen Stimmen aus dem Süden mit ihrer diesbezüglichen Kritik in unsere Debatten vor. Etwa der indische Buchautor Pankaj Mishra, der für seine Kolonialismus-Kritik "Aus den Ruinen des Empires" den Leipziger Buchpreis erhielt, mit "Das Zeitalter des Zorns" einen internationalen Bestseller landete und durch seine Liberalismus-Kritik "Freundliche Fanatiker: Über das ideologische Nachleben des Imperialismus" aktuell erneut die Wut konservativer Feuilletons auf sich zog.
Mishra weigert sich aus gutem Grund, die dort kolportierte Mär von Indien als "größter Demokratie der Welt" zu bestätigen und attackiert stattdessen Präsident Modis neoliberalen Hindu-Suprematismus.
Mishra kritisiert die neokoloniale Ignoranz des Nordens und verweist auf den Erzliberalen O'Brian:
Als Conor Cruise O'Brian in den 1960er Jahren Afrika und Asien besuchte, fiel ihm auf, dass viele Menschen in den früheren Kolonien "von dem Wort ‚Liberalismus‘ angewidert waren". Sie sahen darin "eine beschönigende Maske, die eine zutiefst habgierige Gesellschaft vor der von ihr ausgeraubten Welt aufsetzt."
Pankaj Mishra
Liberale "Bland Fanatics"
O'Brian habe nicht verstanden, warum man den Liberalismus für eine Ideologie der Reichen hielt, weil sie genau die Regeln zu universellen Werten erhob, die Entstehung und Fortbestand des Kapitalismus begünstigen.
Mishra beschreibt, wie kolonialer Rassismus, Unmenschlichkeit und Überlegenheitskult in liberalen Ideologien gedeiht und spätestens mit Tony Blairs New Labour auf ehemals sozialistisch oder wenigstens sozial gestimmte Politik übergreifen konnte. Die Idee der Republik, des Parlamentarismus selbst wurde dadurch zunehmend unglaubwürdiger:
Die französische und die US-amerikanische Republik, die allen Menschen demokratische Rechte versprachen, setzten zugleich eine globale Hierarchie durch, in der die Rechte einigen wenigen vorbehalten blieben und allen übrigen vorenthalten wurden.
Pankaj Mishra
Dabei stand auch die rassisch begründete Ausschließung von Anfang an "im Zentrum des liberalen Universalismus". Von Nixon über Reagan und Trump, von Thatcher über Blair und den Brexiteer Boris Johnson, verfolgt Mishra die immer extremer werdende Ideologie westlicher Herrschaftseliten. Sein Programm ist die Enthüllung der verborgenen Schattenseiten einer von westlichen Medien sorgfältig glorifizierten Machtelite:
Die freundlichen Fanatiker bemühten sich sehr, ihre parfümierte Vorstellung angloamerikanischer Überlegenheit vor der anrüchigen Vergangenheit des Völkermords, der Sklaverei und des Rassismus -wie auch vor dem Gestank der Korruption in den Wirtschaftsunternehmen- zu schützen ...
Pankaj Mishra
Dabei ist "freundliche Fanatiker" noch eine eher freundliche Übersetzung, denn der Originaltitel "Bland Fanatics", hebt im Wort "Bland" noch andere Seiten hervor: zwar milde, höflich, einschmeichelnd, aber auch kühl, ironisch -die listige Arroganz des Kolonialisten schwingt deutlicher mit als im Deutschen.
Als ersten Vertreter der bland fanatics knöpft sich Mishra den Kennedy-Biografen und bekennenden Bilderberg-Conférencier Niall Ferguson vor. Der von der BBC hofierte schottische Historiker strebe nach einer Reinwaschung nebst Revival des Imperialismus und trete dabei in Fußstapfen von Nazi-Befürwortern und Rassisten wie T. L. Stoddard, der in den USA der 1920er-Jahre mit faschistoiden Bestsellern die Angst vor Schwarzen schürte.
Die verkrampft-feindselige Haltung heutiger westlicher Eliten gegenüber anderen Kulturen wurzele in solch dunklen Ideologien und ziele weiterhin auf Machterhalt ab.
Felwine Sarr und Afrotopia
Aber Mishra ist nicht der einzige derzeit diskutierte Kritiker westlicher Werteverbreitung. Aus dem Senegal erfreut sich Falwine Sarr einer gewissen Aufmerksamkeit für seinen Essay Afrotopia, den sogar die Bundeszentrale für Politische Bildung in ihr Programm aufgenommen hat.
Weniger kämpferisch als Mishra beklagt aber auch Sarr, dass der Westen von südlichen Ländern die Erfüllung westlicher "Standards" einfordert, die sich oft als ideologische Sichtweisen entpuppen. Dazu gehört es, Länder nach Maßstäben zu bewerten, die ihrer Kultur und Gesellschaft nicht gerecht werden, ihnen dann Entwicklungsbedarf zu attestieren und angeblich selbstlose Hilfen zu gewähren, die im Endeffekt westlichem Machterhalt dienen.
Besonders Afrika wurde stets und noch verschärft, seit es den Kolonialismus abschütteln konnte, herabgewürdigt:
Seit den 1960er-Jahren und seit dem Morgen der Unabhängigkeit ist Afrika… ohne Unterlass als der Kontinent beschrieben worden, der einen Fehlstart hingelegt hat und seitdem am Abdriften ist: ein sterbendes Ungeheuer, dessen jüngste Zuckungen das baldige Ende ankündigen. Die grimmigen Zukunftsprognosen folgen einander im Gleichschritt …
Auf dem Höhepunkt der Aids-Pandemie prophezeiten einige Auguren nichts weniger als die Auslöschung allen Lebens auf dem afrikanischen Kontinent. Soll diese Ansammlung von Elend doch von einer Gesundheitskatastrophe zugrunde gerichtet werden, der übrigen Menschheit kann es dann nur besser gehen.
Falwine Sarr, Afrotopia
Afrika müsse, so der Kulturökonom Sarr, die Rolle seiner Kultur neu überdenken. Kultur sei als Suche nach Zwecken, nach Zielen und Gründen, überhaupt zu leben, zu betrachten. Kultur sei ein Weg, dem menschlichen Abenteuer einen Sinn zu verleihen, und der Westen könne auch von Afrika lernen.
Wie wir auch von Bhutan lernen könnten, zeigt der Film von Pawo Choyning Dorji, denn er parodiert nicht nur Kapitalismus und Kriegstreiberei, sondern auch die westliche Demokratie. In seiner Testwahl teilt die Wahlleiterin die Dorfbewohner in drei vorgegebene Parteien: Eine steht für Tradition, eine für Wirtschaftsaufschwung, eine für soziale Gerechtigkeit.
Nun sollen die Dörfler lernen, die Mitglieder der anderen Parteien so richtig zu hassen und mit ihnen zu streiten. Die sind aber irritiert, kann das moderne Demokratie-Getue wirklich ihr Leben besser machen? An dieser Stelle ist die Kritik von Dorji vielleicht etwas zu naiv, doch zeigt sie vermutlich, wie in vielen Weltgegenden unser politisches System gesehen wird.
Für Gesellschaften, die von brachialer ökonomischer Ungleichheit und Klassismus geprägt sind, mag das mehr Sinn ergeben als für das friedliche Bhutan, wie es Dorji uns präsentiert. 2008 fanden die 2006 geplanten Wahlen tatsächlich statt; es zogen nur zwei Parteien ins Parlament ein: Eine Partei für Frieden und Wohlstand mit 45 von 47 Sitzen sowie die Volksdemokratische Partei mit zwei Mandaten.
Was will der Lama mit dem Gewehr? Originaler Titel: The Monk and the Gun (Bhutan, USA, Frankreich, Taiwan 2023), 107 Min., Kinostart: 1. August 2024, Buch und Regie: Pawo Choyning Dorji, Kamera: Jigme Tenzing, Darsteller: Tandin Wangchuk, Deki Lhamo, Pema Zangmo Sherpa, Tandin Sonam, Harry Einhorn; Filmverleih: MFA+
Literatur: Mishra, Pankaj: Freundliche Fanatiker: Über das ideologische Nachleben des Imperialismus, Frankfurt/M. 2021, S. Fischer Verlag. (Rezension des Autors)
Sarr, Felwine: Afrotopia, Berlin 2019, Matthes & Seitz; BPB-Ausgabe (Rezension des Autors).
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