Günter Verheugen: Ukraine nicht mehr bedingungslos unterstützen

Verheugen fordert Frieden. Bild: Piotr Drabik, CC BY 2.0

SPD-Politiker drängt auf diplomatische Lösung. Vergleich mit Entspannungspolitik Willy Brandts. Wie er seine Positionen begründet.

Angesichts der jüngsten Eskalation im Ukraine-Krieg hat der SPD-Außenpolitiker und ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen zu Frieden und Diplomatie aufgerufen. "Das Gemetzel muss beendet werden", sagte der 79-Jährige im Interview mit dem Weser Kurier:

"Ich bin sehr geprägt von der frühen Entspannungspolitik. Ich habe sie nicht nur miterlebt, sondern ich war daran beteiligt", sagte er. Wenn Willy Brandts Position gewesen wäre, dass man mit dem damaligen Generalsekretär der KPdSU, Leonid Breschnew, nicht reden kann, wäre der Kalte Krieg wohl noch heute nicht beendet.

Verheugen weiter: "Wenn ich möchte, dass sich die Verhältnisse in einem autoritären Staat ändern, erreiche ich das nicht mit militärischem Druck, sondern indem ich ein Vertrauensverhältnis schaffe."

Der SPD-Mann zeigte sich davon überzeugt, dass angesichts der aktuellen globalen Herausforderungen Krieg das Letzte sei, was die Welt brauche. Es sei notwendig, dass sich die Welt auf lebensbedrohlicher Krisen konzentriere, anstatt ganze Staaten auszugrenzen, nur weil einem ihre Verhältnisse nicht gefallen.

Die westliche Darstellung des Konflikts in der Ukraine vernachlässige oft die Vorgeschichte. Es sei daher wichtig, die Ursachen des Konflikts zu verstehen, um Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. Der Konflikt sei nicht plötzlich aus dem Nichts entstanden, sondern habe eine lange Vorgeschichte.

In dem Gespräch übte Verheugen offen Kritik am Kurs der Ukraine in den vergangenen Jahren. Der Umsturz in der Ukraine werde in Deutschland als eine demokratische Revolution von begeisterten Pro-Europäern dargestellt, führte er aus, und fügt an:

Das war eine fabelhafte PR-Nummer, denn es ist nur ein Ausschnitt der Wahrheit. Es war ein vorbereiteter Staatsstreich. Die ersten Maßnahmen der Übergangsregierung waren gegen die russischstämmige Bevölkerung in der Ukraine gerichtet. Dann begann der Krieg, 2014 mit der sogenannten Anti-Terror-Operation, und die russische Politik von Putin wurde dämonisiert. Die Annexion der Krim hat ihn ins Unrecht gesetzt, das machte es leicht. Der Krieg in der Ukraine wird entsprechend überhöht zu einem Kampf zwischen rivalisierenden Systemen.

Günter Verheugen, eine Schlüsselfigur der deutschen Politik, verfügt über langjährige Erfahrung in internationalen Angelegenheiten. Er war aktiv an der frühen Entspannungspolitik beteiligt und sieht den Aufbau von Vertrauen als entscheidenden Faktor, um Veränderungen in autoritären Staaten herbeizuführen.

Es sei daher kritikwürdig, dass der Ukraine-Konflikt in Deutschland in Schwarz-weiß-Tönen gezeichnet werde. Verheugen zeigte sich davon überzeugt, dass die Realität komplexer und ein differenzierterer Blick notwendig sei, um die Hintergründe des Konflikts zu verstehen.

Verheugen: Deutschland muss seine Ziele überdenken

Im Interview mahnte er zugleich an, die Ziele Deutschlands und des Westens gegenüber Kiew und Moskau zu überdenken. Es sei fraglich, ob das politische Ziel des Westens, Russland die Friedensbedingungen zu diktieren, realistisch sei. Dies gelte auch für die Idee eines Regimewechsels in Moskau, zumal eine solche etwaige Entwicklung große Gefahren berge. Notwendig seien hingegen mehr Verhandlungsbereitschaft und Dialog.

Verheugen erinnert daran, dass Russland trotz aller Differenzen ein attraktiver Partner für eine enge Zusammenarbeit mit der EU sein kann. Er glaube, "dass die Option einer engen Kooperation mit der EU für Russland immer noch attraktiv ist".

Und wenn man in Deutschland sagt, dass man mit diesen Verbrechern doch nichts mehr zu tun haben kann, möchte ich in aller Bescheidenheit auf unsere Vergangenheit hinweisen wollen. Wir haben einen Krieg angefangen, der alle Maßstäbe gesprengt hat, trotzdem wurde uns nach 1945 wieder die Hand gereicht.

Günter Verheugen

Mit Blick auf das Wettrüsten zeigt sich Verheugen besorgt. Er fordert eine Wiederbelebung der Rüstungskontrollpolitik, da Rüstung unproduktiv und umweltschädlich sei. Er betont, wie wichtig es sei, die Lehren aus der Geschichte nicht zu vergessen und die Schrecken des Krieges zu vermeiden.

Schließlich appellierte der Sozialdemokrat an die politischen Führer, alle Anstrengungen zu unternehmen, um Russland und die Ukraine an den Verhandlungstisch zu bringen. Die Strategie der Ukraine könne dabei nicht bedingungslos unterstützt werden, stattdessen müsse Verhandlungsbereitschaft eingefordert werden, um einen Weg zum Frieden zu ebnen.

"Es ist doch offensichtlich, dass die Ukraine verzweifelt versucht, dass das Engagement des Westens und der Nato die Grenze zur direkten Intervention überschreitet", sagte er: Das hätte die direkte Auseinandersetzung der großen Atommächte zur Folge und wäre der Schritt in den Abgrund.

Wir müssen also unsere ganze Kraft einsetzen, um Russland und die Ukraine an den Verhandlungstisch zu bekommen. Ich halte es für einen Fehler, die Strategie der Ukraine bedingungslos zu unterstützen, ohne Verhandlungsbereitschaft zu verlangen, und zwar ohne Vorbedingungen.

Günter Verheugen

In einem sich verändernden globalen Kontext seien Dialog, Diplomatie und Verständigung als Mittel zur Konfliktlösung notwendiger denn je. Verheugen appellierte dafür, die Komplexität der Situation anzuerkennen und nach nachhaltigen Lösungen zu suchen, um Frieden und Stabilität in der Ukraine und darüber hinaus zu sichern.

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