Halb so schlimm ist doppelt so gut

Wer sich Feinde vom Leib halten will, schützt sich mit weniger Abschreckung manchmal besser

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Mit leuchtend farbigen Mustern auf ihrer Haut versuchen die Pfeilgiftfrösche, Feinde abzuschrecken. Ihre Zeichnung ist ein eindeutiges Warnsignal: Ich bin giftig. Das machen sich einige ungiftige Familienmitglieder zunutze: Sie imitieren die grell-bunte Haut ihrer Verwandten, um damit Fressfeinde zu bluffen. Warum sie dabei aber – entgegen alle Erwartungen – nicht unbedingt die giftigsten Vertreter ihrer Sippschaft nachahmen, haben Biologen jetzt herausgefunden.

Das Froschchameleon: Allobates zaparo (Bild: David Cannatella)

Die Pfeilgiftfrösche (Familie der Dendrobatiden) gehören zu den farbigsten Fröschen überhaupt. Sie sind relativ klein – zwischen 20 und 40 Millimeter Größe – tagaktiv und leben in den tropischen Regenwäldern Mittel- und Südamerikas – vom Süden Nicaraguas bis nach Peru, Bolivien und Brasilien. Ihren Namen verdanken die Frösche der Tatsache, dass ihre je nach Art unterschiedlichen Hautgifte von den Indios zur Gewinnung von Pfeilgift verwendet werden.

Doch nicht alle Pfeilgiftfrösche sind giftig. Zur Verwandtschaft zählen auch Mitglieder, die selbst völlig harmlos sind, aber die Signalfarben giftigerer Arten tragen, um Fressfeinde abzuschrecken. Diese Strategie ist bekannt als Bates’sche Mimikry. Dabei ist die Art, deren Eigenschaften nachgeahmt werden, meist in großer Individuenzahl vertreten, so dass ihre Wehrhaftigkeit vielen natürlichen Feinden des Gebiets bekannt ist. Würde ein Minderheitenmodell nachgeahmt, würde der Räuber zu häufig die Erfahrung machen, dass die Tarnung völlig harmlos ist, und der Schutz der Mimikry würde verpuffen.

Wo ein Imitator allerdings mit mehreren giftigen Verwandten in einem Lebensraum zusammenlebt, tritt der seltene Fall ein, dass er mit seiner Mimikry unterschiedliche Arten imitiert (Bates’scher Polymorphismus). Je nach Umgebung sehen manche „Trittbrettfahrer“ also erheblich anders aus. Normalerweise erwarten Biologen in solchen Fällen, dass die giftigste Art oder die am häufigsten vorkommenden Art imitiert wird. Wie Catherine Darst und Molly Cummings von der Section of Integrative Biology jedoch jetzt im Dschungel von Ecuador feststellten, sind dem Pfeilgiftfrosch Allobates zaparo diese wissenschaftlichen Prognosen ziemlich schnuppe.

Untypische Anpassung

Wie sie in der aktuellen Ausgabe von Nature (Vol. 440 vom 9. März 2006, doi:10.1038/nature04297) darlegen, richtet der kleine Frosch seine Mimikry an seinen Verwandten Epipedopates bilinguis und Epipedopates parvulus aus, die beide sehr ähnlich gefärbt sind. Ihr auffallendstes Merkmal ist ein leuchtendrot gesprenkelter Rücken. A. zaparos Anpassung folgt dabei einem bestimmten Muster: Lebt er in einem Lebensraum mit jeweils nur einem der beiden Familienmitglieder, passt er sich diesem an. Teilt er das Habitat mit beiden Froscharten, ahmt er immer die Mimikry von E. bilinguis nach.

Epipedobates bilinguis (Bild: David Cannatella)

Um zu klären, warum das so ist, bestimmten Darst und Cummings in einem ersten Schritt die Frequenz der verschiedenen Froscharten. Dazu wählten sie einen etwa acht Kilometer langen Pfad in der Nähe von Rio Arajuno in der Provinz Napo in Ecuador aus und kontrollierten an zehn aufeinander folgenden Tagen. Dabei stellten sie fest, dass E. parvulus häufiger vorkam als E. bilinguis. Auch bei der Giftigkeit lag E. parvulus vorn. A. zaparo imitierte also erstaunlicherweise den selteneren und obendrein ungiftigeren Verwandten.

Um herauszufinden, warum sich dieses Tarnverhalten im Verlauf der natürlichen Selektion herausgebildet hat, experimentierten die Biologinnen mit dem Lernverhalten von Fressfeinden, insbesondere mit dem Verhalten der Stimulusgeneralisierung.

Epipedobates parvulus (Bild: David Cannatella)

Bei ihren Versuchen setzten sie vier Wochen alte Hühnerküken ein. Die lernten sehr schnell, den ungenießbaren Fröschen aus dem Weg zu gehen. Am schnellsten stellte sich dieses Vermeidungsverhalten bei E. parvulus, dem giftigeren der beiden Tiere ein. Anschließend wollten Darst und Cummings wissen, wie effektiv die Mimikry ist. Und sie kamen zu dem Ergebnis, dass sowohl die „Probanden“, die mit E. bilinguis trainiert hatten, als auch diejenigen, die mit E. parvulus gelernt hatten, ihr Vermeidungsverhalten sofort auf A. zaparo übertrugen. Eine wichtige Rolle spielte dabei jedoch, wie gut die Tarnung imitiert wurde: Perfekt nachgeahmte Mimikry funktionierte immer, fiel die Mimikry jedoch eher „schlampig“ aus, musste schon das giftigere Modell imitiert werden, damit sie noch Schutz bot.

Tarnung á la E. bilinguis

Trotzdem hängt die Wirkung einer Tarnung nicht allein von der Qualität ab: Denn die Küken, die mit dem giftigeren Modell gelernt hatten, übertrugen ihre Stimulus-Erfahrungen zwar auf das weniger toxische Modell. Umgekehrt jedoch funktionierte das nicht. Die Küken nämlich, die mit dem ungiftigeren Frosch E. bilinguis trainiert hatten, reagierten nicht auf die Mimikry von E. parvulus. Damit wird auch klar, warum A. zaparo in Gebieten, in denen er mit beiden Froscharten zusammenlebt, mit der Tarnung à la E. bilinguis am besten fährt. Sie bietet den höchsten Überlebensschutz: Denn wer sich von diesem Modell abschrecken lässt, lässt sich nur von ihm abschrecken, wer jedoch dem giftigeren Frosch E. parvulus aus dem Weg geht, der fürchtet sich auch vor der Tarnung von E. bilinguis.

„Wir haben handfeste Beweise dafür bringen können, dass die Selektionskraft, die die Ähnlichkeit von A. zapatero mit dem weniger giftigen und weniger häufigen Modell E. bilinguis beeinflusst hat, der stimulus-kontrollierten Generalisierung des Fressfeindes von gelerntem Vermeidungsverhalten folgt“, fasst Darst die Ergebnisse zusammen. „Unsere Arbeit liefert daher eine Hypothese, die auf dem klassischen psychologischen Phänomen der Stimulusgeneralisierung beruht und die vielleicht erklären kann, warum die echten Beispiele für Polymorphismus nach Bates so spärlich sind.“