Heißer Sommer in der Antarktis
Die Energie- und Klimawochenschau: Von gefährlichen antarktischen Rückkoppelungen, grünen Image-Kampagnen, Teslas Elektrodampfwalze und Protesten gegen das Kohlekraftwerk Datteln 4
Erst letzte Woche haben wir an dieser Stelle über einen neuen Temperatur-Rekord aus der Antarktis berichtet, wo derzeit der Hochsommer zu Ende geht. 18,3 Grad Celsius wurden am 6. Februar an der argentinischen Forschungsstation La Esperanza gemessen, die an der Nordspitze der antarktischen Halbinsel gegenüber von Feuerland liegt.
Nun wurde diese Marke wenige Tage später auf der in der Nähe von Esperanza gelegenen Seymour-Insel gerissen. Dort maßen Wissenschaftler 20,7 Grad Celsius, wie der Fachinformationsdienst Wetter.at berichtet. Für gewöhnlich bewegen sich die Temperaturen auf der Insel im Sommer knapp unter Null Grad Celsius, wie es auf der Webseite der dortigen argentinischen Station heißt.
Beide Messungen müssen noch von einem Komitee der Weltmeteorologie-Organisation WMO bestätigt werden, wie diese kürzlich in Bezug auf Esperanza klarstellte. Dabei werden auch die Kalibrierung der Messgeräte, deren Position und andere Daten untersucht. Bei neuen oder tatsächlichen Rekorden von internationalem Interesse ist das die übliche Vorgehensweise, die einige Zeit in Anspruch nehmen wird.
Die WMO weist allerdings darauf hin, dass sich die Antarktische Halbinsel, die der Südamerika am nächsten gelegene Teil des Eiskontinents ist, in den letzten 50 Jahren mit drei Grad viel schneller als der Rest des Planeten erwärmt hat. Entsprechend habe der jährliche Eisverlust dort zwischen 1979 und 2017 um das Sechsfache zugenommen.
Gefährliche Rückkoppelung
Die Nachrichten aus dem fernen Süden sind auch deshalb besorgniserregend, weil sich in den letzten Jahren die Hinweise mehren, dass das Eis dort weniger stabil ist, als lange von der Mehrheit der Klimaforscher angenommen. Erst letzte Woche hatten wir berichtet, dass eine neue Studie davon ausgeht, dass der große Thwaites-Gletscher in der Westantarktis seinen Kipppunkt bereits überschritten hat und nicht mehr zu stabilisieren ist. Der Gletscher fließt westlich der Antarktischen Halbinsel in den pazifischen Ozean.
Von seinem Nachbar, dem Pine-Island-Gletscher, brach letzte Woche ein 350 Quadratkilometer großer Eisberg ab, wie die Plattform LiveScience berichtet. Das ist für sich genommen noch nicht besonders ungewöhnlich, allerdings häufen sich derlei Ereignisse an den beiden Gletschern und auch an der nahe gelegen Antarktischen Halbinsel in den letzten beiden Jahrzehnten.
Östlich der Halbinsel grenzt das Westantarktische Eisschild an das Weddellmeer, die ein Teil des Südatlantiks ist. Dort hat eine Gruppe britischer, chilenischer, australischer, neuseeländischer und italienischer Forscher Eis und Sediment am Meeresboden untersucht, um die Geschichte der Region während der letzten Warmzeit 129.000 bis 116.000 Jahre vor der Gegenwart zu rekonstruieren.
Ihre Ergebnisse haben sie letzte Woche in den angesehenen Proceedings of the National Academy of Sciences aus den USA veröffentlicht. Und die haben es in sich. Sie stellten fest, dass der in dieser Zeit um sechs bis neun oder vielleicht auch mehr Meter höhere Meeresspiegel zum größeren Teil eine Folge erheblichen Eisverlustes in der Westantarktis war.
Das Abschmelzen war wie auch heutigen Tags vor allem das Ergebnis von wärmeren Meereswasser. Im Weddellmeer wird ein viele hundert Meter dicker Eispanzer aufs Meer hinausgeschoben und an der Unterseite vom Meerwasser abgetaut. So weit, so bekannt. Neu ist an der Studie, dass das Abschmelzen und damit eine wichtige Quelle des Meeresspiegelanstiegs für eine konkrete Region detailliert rekonstruiert wurde.
Dabei sind die Wissenschaftler auch darauf gestoßen, dass in Folge des umfangreichen Abtauens auch an die Meeresboden gebundenen Gashydrate destabilisiert wurden. Solche gibt es in sehr großen Mengen auch am anderen Pol in den flachen Schelfmeeren vor der Küste Sibiriens. Dabei handelt es sich um das hocheffektive Treibhausgas Methan, das bei niedrigen Temperaturen und hohem Wasserdruck mit Wassermolekülen ein spezielles, brennbares Eis bildet.
Werden solche Gashydrat-Vorkommen durch Erwärmung destabilisiert, wird das Treibhausgas freigesetzt und verstärkt wiederum die globale Erwärmung. Zu solch einer Rückkoppelung ist es vermutlich - so das Ergebnis der erwähnten Studie - während der letzten Warmzeit im Weddellmeer gekommen. Das könnte auch ein Teil der Erklärung dafür sein, dass der Meeresspiegel seinerzeit um etliche Meter höher als der aktuelle lag, obwohl die globale Durchschnittstemperatur der heutigen sehr ähnlich gewesen ist.
Fracking in Argentinien
Rund 2600 Kilometer nördlich der Seymour-Insel liegt in der Mitte Argentiniens, in der Provinz Neuquen, Vaca Muerta, ein Städtchen, das in der Energiepolitik des Landes eine wichtige Rolle einnimmt. Verschiedene Firmen haben dort begonnen, sogenannte unkonventionelle Erdöllagerstätten zu erschließen.
Der begehrte Rohstoff ist dort in Gesteinsporen eingeschlossen und soll künftig durch das sogenannte und insbesondere in den USA vielfach praktizierte Fracking gewonnen werden. Dafür wird ein Wasser-Sand-Chemikalien-Gemisch unter hohem Druck in den Untergrund gepresst, das die Poren aufbricht.
Das Verfahren ist teuer, umweltschädlich, gefährdet das Trinkwasser der örtlichen Bevölkerung, verursacht kleine Erdbeben, wird zum Teil auf Land betrieben, auf das die Mapuche, ein dort und im benachbarten Chile lebendes indigenes Volk, Anspruch erheben, und ist bei den gegenwärtig niedrigen Ölpreisen wahrscheinlich nicht einmal ökonomisch sinnvoll. Telepolis-Autorin Gaby Weber hat darüber soeben einen Film veröffentlicht.
"Bezos Earth Fund" - nur Imagepflege?
Auf der Nordhalbkugel ist es derweil bei vielen Unternehmen gängige Praxis, sich ein grünes Image zuzulegen. Braunkohle-Konzern RWE wirbt gerne mit den Windrädern, die er im Ausland betreibt, die mit Kohlestrom fahrende Bahn legt einigen ICE-Loks ein grünes Band um und der Chef eines besonders Transport und Ressourcen aufwendigen Versandhauses entdeckt sein Ökogewissen.
So geschehen mit dem schwerreichen Amazon-Chef Jeffrey Bezos, der Anfang der Woche angekündigte, einen über zehn Milliarden US-Dollar verfügenden Fonds für den Klimaschutz auflegen zu wollen. "Bezos Earth Fund" soll das Vorhaben ganz unbescheiden heißen.
Aus diesem Topf soll es finanzielle Unterstützung für "Wissenschaftler, Aktivisten, NGOs - für alle Anstrengungen geben, die eine reelle Möglichkeit eröffnen, einen Beitrag zum Schutz und Erhalt der natürlichen Welt zu liefern".
Laut Focus finden Amazon-Mitarbeiter das heuchlerisch. In einer auf Twitter verbreiteten Stellungnahme der "Amazon Employees for Climate" heißt es:
Die internationale wissenschaftliche Gemeinschaft ist in einem sehr klar: Alles Öl aus den bereits erschlossenen Quellen zu verbrennen würde bedeuten, dass wir den Planeten nicht vor der Klimakatastrophe schützen können. (...)
Wir begrüßen Jeff Bezos Philantropie, aber die eine Hand kann nicht geben, was die andere nimmt. Die Menschen in aller Welt wollen wissen: Wann hört Amazon auf, Öl- und Gasgesellschaften dabei zu helfen, den Planeten zu plündern? Wann hört Amazon auf, Think-Tanks der Klimaleugner wie das Competitive Enterprise Institute zu finanzieren und Politik zur Verzögerung von Klimaschutzmaßnahmen zu unterstützen? Wann wird Amazon die Verantwortung für die Lungen der Kinder in der Nachbarschaft seiner Lagerhäuser übernehmen und seine Fahrzeuge von Diesel auf Elektromotoren umstellen?
Amazon Enployees for Climate
Amazon bedrohe Mitarbeiter, die auf Amazons Beitrag zur Klimakrise hinweisen. Das Unternehmen ist auch sonst seit Jahren für seine harten Arbeitsbedingungen und gewerkschaftsfeindliche Politik bekannt. Hier geht es zu einer deutschen Facebook-Gruppe von sich wehrenden Amazon-Beschäftigten in der Gewerkschaft ver.di.
Auch Umweltschützer halten wenig von dem Versandhandel. Kritisiert wird unter anderem, dass Rücksendungen einfach vernichtet werden.
Welche E-Mobilität?
Elon Musk, eine andere US-amerikanische Lichtgestalt des modernen Turbo-Kapitalismus und ähnlich gewerkschaftsfeindlich wie Jeffrey Bezos, hat sich kürzlich vorgenommen, Brandenburg mit einem neuen Tesla-Werk zu beglücken. Angelockt wurde er vermutlich unter anderem durch eine dringend um Arbeitsplätze und ein grünes Image bemühte Landesregierung, die ansonsten der Energiewende gegenüber eher zugeknöpft ist und lieber der Braunkohle huldigt sowie der EPH/LEAG, einem intransparenten und zwielichtigen Aufkäufer alter Kohlekraftwerke, den roten Teppich ausrollt.
Mit mehreren hundert Millionen Euro Unterstützung aus dem Steuersäckel kann Tesla für das neue Werk bei Grünheide östlich von Berlin rechnen, will die Zeit erfahren haben. Anfang Februar wurde mit der Kommune ein Kaufvertrag für ein 300 Hektar großes und zu einem knappen Drittel bewaldetes Grundstück abgeschlossen. Die sofort aufgenommenen Rodungsarbeiten wurden allerdings Anfang der Woche vorerst vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg gestoppt.
Die Grüne Liga hatte beim Gericht einen "Eilantrag gegen den Vollzug des 'vorzeitigen Beginns'" eingelegt. Die Arbeiten müssen nun ruhen, bis das Gericht über den Antrag entschieden hat. Allerdings seien die 95 Hektar bereits zum größeren Teil abgeholzt, heißt es in dem oben verlinkten Stern-Video.
Die Grüne Liga kritisiert das beschleunigte Verfahren trotz ernsthafter Einwände unter anderem des Verkehrsclubs Deutschlands und des Wasserverbands Strausberg-Erkner. Ersterer weist auf die nicht ausreichende Bahninfrastruktur in der Region hin, Letzterer sieht die Trinkwasserversorgung durch den hohen Wasserbedarf des Konzerns gefährdet.
Tesla steht nicht über dem Gesetz. Dass Ministerpräsident Woidke dem Investor einen solchen Zeitplan verspricht, haben wir als öffentliche Aufforderung zum Rechtsbruch empfunden. Alle Beteiligten sollten auf den Boden der Tatsachen zurückkehren und den Tesla-Antrag genauso sorgfältig prüfen, wie das bei jedem anderen Antragsteller auch erfolgen muss.
Heinz-Herwig Mascher, Vorsitzender der Grünen Liga Brandenburg
Musk spricht unterdessen von 12.000 Arbeitsplätzen und 10.000 Elektroautos pro Woche, die in Grünheide vom Band rollen sollen, die ersten bereits im nächsten Jahr. Zunächst soll vor allem der Tesla Y hergestellt werden, ein Wagen, der nach Tesla-Angaben aus dem Stand in 5,1 Sekunden auf 100 km/h beschleunigen kann und es auf eine Höchstgeschwindigkeit von 217 km/h bringt.
Die Klage ist im Landesverband der Umweltgruppe übrigens umstritten. Eine Gruppe von Mitgliedern spricht in einem offenen Brief von planlosem und intransparentem Vorgehen. Inwieweit sich dahinter inhaltliche Meinungsverschiedenheiten verbergen, bleibt zunächst unklar.
Einige Umwelt- und Klimaschützer wie etwa der Berliner Umweltökonom Volker Quaschning, der den Widerstand in Grünheide absurd findet, sehen im Tesla-Werk offenbar einen Beitrag zur Verkehrswende. Doch kann es wirklich die Antwort sein, fossile PS-Monster für den prallen Geldbeutel durch elektrisch betriebene, noch teurere PS-Monster zu ersetzen?
Oder wäre es nicht eher angebracht, weniger und kleinere E-Autos und zwar überwiegend für die Landbevölkerung und als Taxis unters Volk zu bringen und ansonsten, wo möglich, auf einen elektrisch betriebenen öffentlichen Personen- und Lastverkehr zu setzen?
In diesem Zusammenhang könnte auch endlich die Deutsche Bahn vollständig elektrifiziert werden, wie die Deutsche Umwelthilfe mit einer diese Wochen startenden Kampagne "Lückenschluss" fordern will. Nur 60 Prozent der Strecken hätten bisher eine Oberleitung. Das sei weniger als in den meisten anderen europäischen Ländern.
Protest gegen Datteln 4
Allerdings muss man dann auch noch verlangen, dass sich die Bahn endlich aus der Nutzung von Kohlestrom verabschiedet. Danach sieht es derzeit trotz grüner Image-Kampagnen noch gar nicht aus. Vielmehr will sie über langfristige Verträge Strom aus dem Kohlekraftwerk Datteln 4 beziehen.
Dies soll im Sommer den Regelbetrieb aufnehmen und befindet sich nach E.ons Konzernumbau und Anteilsverkäufen inzwischen in der Hand von Fortum. Dieser Konzern gehört dem finnischen Staat und kontrolliert seit kurzem den ehemaligen E.on-Ableger Uniper, der in Datteln als Betreiber auftritt.
Datteln 4 ist für die Klimaschutzbewegung ein besonderes rotes Tuch, weil die Inbetriebnahme eines neuen Kohlekraftwerks angesichts der Klimakrise als Provokation und Sabotage an einem raschen Umsteuern wahrgenommen wird. Daher wurden von verschiedenen Seiten massive Proteste und Aktionen zivilen Ungehorsams angekündigt. Entsprechend wurde die finnische Ministerpräsidentin am Mittwoch bei ihrem Besuch in Berlin vom Netzwerk Ende Gelände, von Greenpeace sowie anderen mit einem kleinen Protest empfangen.
Was sonst noch geschah
Wieder einmal ist in Sachen Klima und Energie weit mehr passiert, als hier ausführlicher berichtet werden könnte. Erwähnenswert wäre zum Beispiel noch, dass sich die Arbeitsgruppe Finanzen der Unionsfraktion im Bundestag vehement dagegen sperrt, dass die Europäische Zentralbank fossile Energieträger aus ihren Portfolio ausschließt.
Einen eigenen Beitrag wäre auch Wert, dass die Regierungskoalition das Solarhandwerk abzuwürgen droht. Wie der Spiegel schreibt, haben die ersten Solarprojekte Schwierigkeiten, Kredite zu finden. Der sogenannte Solardeckel von insgesamt 52 Gigawatt Leistung wird nämlich noch in diesem Frühjahr erreicht und danach werden fertiggestellte Solaranlagen keine garantierte Vergütung für ihren Strom mehr bekommen. Die Koalition wollte den Deckel zwar anheben, doch das zuständige Wirtschaftsministerium betreibt eher Arbeitsverweigerung, wie es aussieht.
Auch die Auseinandersetzung über neue Gasinfrastruktur und Flüssiggasterminals soll nicht ganz unerwähnt bleiben. 32 Gasprojkete will die EU-Kommission fördern, was in Brüssel für erheblichen Wirbel sorgt, während in Schleswig-Holstein die Koalition aus FDP, CDU und Grünen 50 MillionenEuro an Steuergeldern in ein Flüssiggasterminal in Brunsbüttel stecken wollen. Über dieses könnte dann künftig das besonders schädliche Frackinggas aus den USA importiert werden (EU-Ombudsmann untersucht Subventionen für Öl- und Gasindustrie).
Und dann waren noch die endlose Geschichte des Dieselbetrugsskandals, der schwächelnde Golfstrom und realistische Gedankenspiele über zwei Mega-Dämme, die aus Nord- und Ostsee vor dem Meeresspiegelanstieg geschützte Süßwasser-Meere ohne Tümmler, Hering, Makrele, ohne Dorsch, Hummer und Aal und vermutlich auch ohne Wattenmeer machen würden.
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