"Ich gebe den Durstigen einen tiefen Schluck"

Osama Bin Laden will mehr Kämpfer und Geld in den Irak schicken

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Wahrheit und Flunkerei liegen eng beieinander im pittoresken Peshawar, dem "Juwel der Paschtunen", der pakistanischen Grenzstadt am Fuße des legendären Khyber-Passes. Eine Handvoll Opium ist dort manchmal leichter zu ergattern als ein Glas klares, kaltes Wasser. Womöglich trifft dies auch auf die Informationen zu, die dem Newsweek-Reporter bei einem Rendezvous mit einem Taliban- und Al-Qaida-Vertrauten im Kissakhani (Geschichtenerzähler)-Basar von Peshawar zugespielt wurden.

Schon im vergangenen September konnten sich die Newsweek-Reporter Michael Hirsh und Sami Yousafzai davon überzeugen, dass Osama Bin Laden der gefeierte Lokalheld des Kissakhani-Basars ist: Man bejubelte die Wiederauferstehung der ‹Lichtgestalt", der sich damals einige Tage zuvor auf einem Video als lässiger, weiser Wandersmann präsentiert hatte, und verhökerte mit Freudentrillern eine Menge Fotos und Tonbänder Bin Ladens. "Osama ist noch immer stark und kann über Berge gehen", schallte es den Reportern in den Ohren.

Zwei Monate später kam einem der beiden das Allerneueste von Osama Bin Ladin zu Ohren, diesmal nicht von einem Marktschreier, sondern von einem Gewährsmann ("einer verlässlichen Quelle"), der sich als nom de guerre den Namen "Sharafullah", die "Ehre Gottes", zugelegt hat. Der Emissär genießt neben dem Vertrauen der Newsweek-Reporter angeblich auch das von Osama Bin Laden, weshalb er bei einem konspirativen Treffen im Monat Ramadan zwischen drei ranghohen Al-Qaida-Repräsentanten und zwei "Top-Kommandeuren" der Taliban als Übersetzer zugegen gewesen sein will.

Was die "Ehre Gottes" den Reportern beim Tee auftischte, könnte genauso gut ortsansässiges Infotainment sein wie harte Fakten. Demnach soll Bin Laden über seine Abgesandten mitgeteilt haben, dass er sich ebenso wie George Bush auf das Hauptschlachtfeld im Irak konzentrieren will und zu diesem Zweck Truppen wie Geld aus Afghanistan abziehen und in den Irak leiten will. Statt der bisherigen Zuwendung von 3 Millionen Dollar, die monatlich an afghanische Dschihadisten ging, soll diese Hilfe jetzt zum Bedauern der Taliban um die Hälfte gekürzt werden und dem Widerstand im Irak zufließen.

Osama und seine Top-Offiziere würden nämlich im Irak "eine großartige Möglichkeit erkennen, dort und in den Nachbarländern wie in der Türkei Amerikaner und deren Alliierte zu töten", zitiert Sharafullah Bin Ladens neueste Vision.

"Das Blutvergießen von Amerikanern ist sehr leicht im Irak. Die Amerikaner gehen im tiefen, ständig steigendem Wasser unter", lässt der Metaphern jagende "Scheich" seine Botschafter verkünden. "Ich gebe den Männern, die durstig sind, die Möglichkeit einen tiefen Schluck zu nehmen."

Zwar sei das Fund-Raising, das Sammeln von Geldern für die Qaida, durch den von den USA eingeleiteten Finanzkrieg gegen die Organisation und ihre Verbündeten ziemlich erschwert worden, hätten Osamas Sprecher bei dem Treffen zugegeben; Dennoch sei es Osamas Wille, den Widerstand in Afghanistan wie versprochen zu sichern und obendrein den irakischen Widerstand zu verstärken.

An willigen Dschihadisten, die darauf brennen, im Irak eingesetzt zu werden, mangelt es der Qaida anscheinend nicht. Sogar aus Europa sollen sich die Dschahidis auf dem Weg in den Irak machen. Der Newsweek-Report zitiert Quellen, wonach etwa 1.000 Qaida-Kämpfer, Militärausbilder und -berater eng mit den afghanischen Widerständlern zusammen arbeiten. Ein Drittel davon soll jetzt in den Irak entsandt werden. Etwa 170 Kämpfer, die vom pakistanischen Waziristan aus in Afghanistan operierten, sollen nach Angaben eines Geheimagenten bereits in den Irak und benachbarte Länder aufgebrochen sein.

Die meisten Qaida-Kämpfer würden dazu die Überland-Route durch Iran nehmen, den "idealen Transitweg", da das Land einerseits an alle wichtigen Länder grenze - Pakistan, Afghanistan, Irak und die Türkei - und andrerseits es die Bush-Administration derzeit wegen der Schwierigkeiten im Irak nicht schaffe, einen größeren Druck auf die Regierenden im Iran auszuüben. So erklärte beispielsweise ein Sprecher der Regierung in Teheran zur Frage der Verhaftung von al-Qaida-Verdächtigen im Iran: "Bevor wir die liebsten Interessen Amerikas erwägen, müssen wir uns um die Interessen unseres Volkes kümmern."

Sharafullah zufolge war die andere tot geglaubte Führerfigur der afghanischen Zeloten, Taliban-Chef Mullah Omar, wenig begeistert von der Kursänderung Bin Ladins, die sich schon seit einiger Zeit abzeichnete, weswegen die Qaida-Emissäre den anwesenden Taliban-Abgesandten dazu rieten, sich mit den übrigen Verbänden des afghanischen Widerstandes zu vereinen, vor allem mit den Truppen von Gulbuddin Hekmatiar und Said Akbar Agha.

Daraufhin befragt, ob Washington glaube, dass das konspirative Ramadan-Treffen stattgefunden habe, soll der CIA-Sprecher William Harlow jeden Kommentar dazu verweigert haben.