Ich sehe, dass du mich nicht siehst
Tarnumhänge und -felder waren bisher nicht mehr als Stoff archaischer und moderner Mythen. Britische Forscher schlagen nun einen Weg vor, wie aus der fantastischen Idee Wirklichkeit werden könnte
Schon der altdeutsche Recke Siegfried hat ihn getragen, der griechische Unterweltgott Hades (in Form eines Helms) - und schließlich auch Teenie-Zauberer Harry: den sagenhaften Tarnumhang, der vor den Blicken anderer schützt. Zwei Arbeiten im Wissenschaftsmagazin Science beschreiben die Wissenschaft hinter derartigen Vorrichtungen.
Helden kommen selten ganz ohne Versteckspiel aus - und wie sich die Zeiten auch ändern, ein ganz bestimmtes Utensil brauchen die jeweiligen Lieblingshelden auf jeden Fall, das ihnen die Möglichkeit gibt, sich vor allzu neugierigen Augen zu verstecken. Meist kommen die Guten in den Genuss eines solchen Geräts - im Falle der populären Serie „Raumschiff Enterprise“ aber auch die Bösen, die Romulaner, und nichts ließ so sehr die Nerven zittern als das hoffnungsvolle Fiebern darauf, dass beim gegnerischen Raumschiff endlich die Tarnvorrichtung versagt. In Computerspielen gehören sie ebenfalls zum Arsenal, und natürlich kennt jedes Schulkind den heute wohl berühmtesten Tarnumhang-Träger, Harry James Potter, geboren am 31. Juli 1980.
Auch ohne diesen fantastischen Hintergrund suchen Wissenschaftler schon seit geraumer Zeit nach Wegen, die Beobachtung von Objekten zu erschweren. Das Prinzip scheint simpel: Wenn ich nicht möchte, dass mich jemand sieht, muss ich das Licht lediglich so um mich herum führen, als wäre ich gar nicht da. Und in grundlegenden Ansätzen hat man diesen Ansatz sogar schon in die Praxis einführen können - bei Flugzeugen etwa, die mit speziellen Materialien so beschichtet werden, dass sie Radarstrahlen kaum noch reflektieren. Für die Radaraugen des Gegners sind solche Tarnkappen-Fluggeräte denn auch nahezu unsichtbar - mit bloßem Auge hingegen sind sie nach wie vor zu identifizieren. In eine ähnliche Richtung geht die plasmonische Spezialbeschichtung, die vor gut einem Jahr ein Forscherduo vorgeschlagen hatte. Sie reagiert aber nur auf Licht einer ganz bestimmten Wellenlänge und wäre als Tarnfarbe im Alltag deshalb kaum zu gebrauchen.
Japanische Forscher gehen das Problem lieber mit Elektronik an. Vor zwei Jahren berichtete Telepolis über eine Technik, etwas unsichtbar zu machen) - eine Geschichte, die lustigerweise gerade in diesen Tagen wieder die Runde macht. Die Idee dahinter: man projiziert dem zu versteckenden Objekt einfach auf, was man sehen würde, gäbe es das Objekt nicht. Die nötigen Bilder zeichnet eine Kamera hinter dem Tarnumhang-Träger auf. So fehleranfällig diese Methode ist, hat sie doch das Militär längst aufmerksam gemacht.
Was in dieser Woche im Wissenschaftsmagazin Sciene zu lesen ist, geht das Problem nun aber umfassend an. In zwei Beiträgen (doi:10.1126/science.1125907 und doi:10.1126/science.1126493) beschäftigen sich Forscher britischer Universitäten (dank Harry Potter?) damit, wie sich Unsichtbarkeit ganz allgemein bewerkstelligen ließe - das heißt, wie man elektromagnetische Felder störungsfrei um beliebige Objekte herumführen könnte.
Die Wissenschaftler setzen dabei auf so genannte Meta-Materialien, das sind, verallgemeinert, Stoffe, deren Eigenschaften nicht auf ihrer chemischen Zusammensetzung beruhen, sondern auf ihrer grundlegenden Struktur. Meta-Materialien sind wegen einer Eigenschaft berühmt geworden, die man bei in der Natur vorkommenden Stoffen nicht gefunden hatte: ihrem negativen Brechungsindex. Das ist aber nicht die einzige Besonderheit, die man in solche Stoffe „einbauen“ kann. Die Wissenschaftler zeigen nun mathematisch, dass sich mit derartigen Materialien prinzipiell alle Eigenschaften des elektromagnetischen Feldes gezielt verändern lassen. Damit sich beliebige Körper verstecken lassen, folgern die Forscher, müsse man Permittivität und Permeabilität im versteckenden Material kontinuierlich und in weiten Grenzen ändern können - das sehe man aber nicht als prinzipielles Problem.
In der Sprache der Wissenschaft hört sich das so an: „Ideale Unsichtbarkeitsgeräte sind wegen der Wellennatur des Lichts unmöglich“ - das Wissen auch Startrek-Fans, aber: „Die Ungenauigkeiten der Unsichtbarkeit lassen sich beliebig verringern, um Objekte zu verstecken, die viel größer als die Wellenlänge [des Lichts] sind“. Außerdem funktioniert der von den Forschern vorgeschlagene Tarnumhang zunächst nur bei einer bestimmten Wellenlänge - es sei denn, es gelänge, die Abhängigkeit der Brechzahl des Mediums von der Wellenlänge deutlich zu reduzieren. Das ist dann aber ein Problem für die Ingenieure, wie es Studienautor Ulf Leonhardt, Professor für theoretische Physik, schön formuliert: „Finding the most practical design is an engineering problem that depends on practical demands“.