Impeachment-Ermittlungen gegen Biden: Wie genau schauen Medien hin?

Seite 2: Generalstaatsanwalt Schokin: Enttäuschte Hoffnung?

So sahen die berüchtigte Ukraine-Hardlinerin Victoria ("Fuck the EU") Nuland – heute unter Joe Biden als geschäftsführende Vize-Außenministerin wieder in Amt und Würden – sowie der damalige US-Botschafter Geoffrey R. Pyatt einer Zusammenarbeit mit Generalstaatsanwalt Viktor Schokin generell positiv entgegen.

Das belegen ein direkter Brief von Nuland an Schokin vom Juni 2015 sowie eine Ansprache Pyatts vor dem Odesa Financial Forum Ende September.

In derselben Ansprache wies Pyatt allerdings bereits auf einen Vorfall hin, den viele Medienberichte als den eigentlichen Grund für Schokins Suspendierung anführen.

Im April 2014 hatte die britische Strafverfolgungsbehörde Serious Fraud Office 23 Millionen Dollar an illegalen Vermögenswerten des Burisma-Gründers Mykola Slotschewskyj beschlagnahmt, der im selben Jahr aus der Ukraine floh. Schokin werde verdächtigt, das Verfahren sabotiert zu haben.

Auf die Aufforderung der britischen Behörden, die Beschlagnahme mit Beweisen zu untermauern, habe die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft lediglich Slotschewskyjs Anwälte darüber informiert, dass es keinen Fall gegen ihn gebe, so Pyatt.

Die britischen Behörden stellten die Strafverfolgung Anfang 2015 mit der Begründung ein, dass – aus Mangel an Beweisen – "keine Gründe für eine weitere Prüfung des Falles" vorgelegen hätten.

Beißhemmung bei Oligarchen?

Nicht recht zum Sabotage-Vorwurf passen mag allerdings die Behauptung der New York Times von 2019, wonach

(…) Hunter Biden und seine amerikanischen Geschäftspartner (…) Teil einer breit angelegten Anstrengung von Burisma (waren), gut vernetzte Demokraten in einer Zeit einzubinden, in der das Unternehmen mit Ermittlungen konfrontiert war, die nicht nur von ukrainischen Kräften im eigenen Land, sondern auch von Beamten der Obama-Regierung unterstützt wurden.

New York Times

Beziehungsweise:

Als Herr Schokin im Februar 2015 Generalstaatsanwalt wurde, übernahm er mehrere Ermittlungen gegen das Unternehmen und Herrn Slotschewskyj, unter anderem wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung und Geldwäsche. Herr Schokin leitete auch eine Untersuchung über die Vergabe lukrativer Gaslizenzen an Unternehmen im Besitz von Herrn Slotschewskyj ein, als er Leiter des ukrainischen Ministeriums für Ökologie und natürliche Ressourcen war.

New York Times

Der Vorwurf der Oligarchen-Schonung mutet auch an anderer Stelle inkonsistent an: So ließ Schokin im Jahr 2015 Hennadij Korban festnehmen.

Korban galt als enger Vertrauter eines der mächtigsten Oligarchen der Ukraine: Ihor Kolomojskyj. Dieser wurde lange als Eigentümer von Burisma gehandelt und gilt als treibende Kraft hinter Wolodymyr Selenskyjs Präsidentschaftskandidatur.

Kolomojskyj selbst wurde Anfang September 2023 im Zuge von Korruptionsermittlungen verhaftet.

Ein weiteres Indiz, das gegen Schokins Beißhemmung spricht, ist die Beschlagnahme von Eigentum des Burisma-Gründers Slotschewskyj, die Schokin im Februar 2016 anordnete, kurz vor seiner endgültigen Entlassung im April. Doch dazu gleich.

"Verrückt" oder bedroht?

Schokin selbst beteuerte im September 2019 in einer Stellungnahme vor dem Landgericht Wien, Poroschenko habe ihm auf Druck Joe Bidens nahegelegt, sein Amt aufzugeben. Als Grund gab Schokin an, dass er eine "weitreichende Korruptionsuntersuchung" gegenüber Burisma angestrengt habe, die mutmaßlich auch Bidens Sohn Hunter ins Visier genommen hätte.

Poroschenko bestritt gegenüber Fox News, dass eine Einflussnahme Bidens zur Amtsenthebung geführt habe und bezeichnete seinen vorigen Verbündeten Schokin als "verrückt".

Nach Auskunft der ukrainischen Anti-Korruptions-NGO AntAC wurde die Beschlagnahme von Slotschewskyjs Vermögen am 1. November 2016 aufgehoben, nachdem die Generalstaatsanwaltschaft den Fall vorläufig abgeschlossen hatte.

"Der Fall wurde im Laufe der Zeit in eine Untersuchung wegen möglicher Steuervermeidung umgewandelt, und eine Tochtergesellschaft von Burisma zahlte Steuern nach", liest man in der Washington Post. Ganz abgeschlossen war der Fall damit aber noch nicht.

2020 berichtet die ukrainische Nachrichtenagentur ukrinform, dass Ermittler der ukrainischen Antikorruptionsbehörde NABU eine Gruppe von Personen festgenommen haben. Sie sollen versucht haben, der NABU-Leitung ein Bestechungsgeld in Höhe von 6 Millionen US-Dollar zu überweisen – mit dem Ziel, das Strafverfahren gegen Slotschewskyj einzustellen, das die Generalstaatsanwaltschaft im Herbst 2019 an den NABU übertragen hatte.

Späte Bestätigung

In einem Interview mit Ex-Fox-Moderator Tucker Carlson Ende August 2023 bestätigte Hunter Bidens (mittlerweile) ehemaliger Geschäftspartner Devon Archer indirekt die Darstellungen Schokins:

(…) er (Schokin) stellte (für Burisma) eine Bedrohung dar, er beschlagnahmte das Vermögen von Nikolai, ein Haus, einige Autos, einige Grundstücke (…) Nikolai kehrte nie in die Ukraine zurück, nachdem Schokin sein gesamtes Vermögen beschlagnahmt hatte (…) die gesamte (internationale) Gemeinschaft hat Druck ausgeübt, um Schokin zu entlassen, und dann wurde er entlassen, und dann wurde Burisma irgendwie vom Haken gelassen.

Tucker Carlson: Devon Archer

Damit schien Archer eines der Indizien-Fundamente des 2023 angestrengten Impeachment-Verfahrens zu zementieren, wonach die Absetzung von Wiktor Schokin ein politisch motivierter Zug war, der den Generalstatatsanwalt als "Bedrohung" neutralisieren sollte.

Archer konterkariert in besagtem Gespräch auch die in den Medien oftmals vorgebrachte Behauptung, Joe Biden habe keine tiefere Kenntnis über die Geschäftsbeziehungen seines Sohnes gehabt. Über die "Bedrohung" jedenfalls soll er genau Bescheid gewusst haben.

Die direkte Beteiligung Joe Bidens an den Geschäften seines Sohnes, auf die das Impeachment-Verfahren im Wesentlichen abzielt, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Und die Auswertung der Informationen, die sich auf dem lange verleugneten Laptop Hunter Bidens befinden, sind ein Thema für sich (eine extensive Zusammenfassung findet sich bei dieser anonym verwalteten Website).

Allerdings stimmt es wenig zuversichtlich, dass schon die Kerngeschichte mehrfach fehler-, lückenhaft oder (partei-)politisch verzerrt wiedergegeben wurde.

Die Flut der Einflussnahme und die Wellen der strategischen Kommunikation dürften angesichts der im kommenden Jahr bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen nicht abebben.