Indiana Jones und das Grab der Hollywood-Helden
Seite 2: Die Zeitmaschine
Eine Zeitmaschine ist gewissermaßen auch dieser Film. Er zeigt nämlich Hauptdarsteller Harrison Ford nicht nur so, wie er heute aussieht, sondern in diesen ersten zwanzig Minuten des Films auch digital verjüngt wie in seinen besten Jahren.
Diese digitale Verjüngung funktioniert erstaunlich gut und viel besser als es noch kürzlich in "The Irishman" von Martin Scorsese mit Robert de Niro und Al Pacino der Fall war. Das hat auch etwas damit zu tun, dass hier das Publikum in einer einzigen unentwegten Actionsequenz mitgerissen wird, in der das Bild nie zur Ruhe kommt oder gar stehen bleibt, und die Zuschauer deswegen auch niemals Zeit haben, sich in Ruhe darauf zu konzentrieren, wie gut das alles tatsächlich aussieht.
Es geht in diesem Beginn zunächst vor allem um die Reetablierung des Titelhelden durch um Wiedererkennbarkeit (mit charakteristischer Peitsche und Filzhut), und um Befriedigung der rückwärtsgewandten Sehnsüchte des Publikums.
Schon 1981 wagte Regisseur Steven Spielberg mit "Jäger des verlorenen Schatzes" sehr bewusst – und übrigens zurückgehend auf eine Idee, die ihm George Lucas geschenkt hatte – den Rückgriff auf jene B-Movie-Abenteuer, die ihn in seiner Kindheit begeistert hatten. Der Film mit seinem scheinbar unzeitgemäßen Helden wurde ein unerwarteter Welterfolg, auch weil er die Nostalgie-Bedürfnisse einer ganzen Generation befriedigte.
So folgten drei weitere Kino-Abenteuer, eine Fernsehserie und diverse "nicht autorisierte" Ableger. Auch Hauptdarsteller Harrison Ford verschmolz zunehmend mit der Rolle des schlagkräftigen Archäologen, die ihn erst wirklich zum Actionstar machte. 42 Jahre nach dem Auftakt kehren Jones und sein Darsteller nun noch einmal, ein letztes Mal (?), auf die Leinwand zurück. Regie führte James Mangold, denn erstmals in einem "Indiana Jones"-Film war Steven Spielberg nicht an der Produktion beteiligt.
Die CIA und Abu Graib: Das unterbewusste Bild-Arsenal des 21. Jahrhunderts
Wenn der Held Indiana Jones in den ersten Minuten gefangen genommen wird und man ihm einen Sack über den Kopf zieht, ruft Mangold damit im Publikum auch fast automatisch das unterbewusste Bild-Arsenal des 21. Jahrhunderts ab.
Wir alle sollen zuerst an die CIA und Abu Graib denken, bevor wir begreifen, dass dies alles im Zweiten Weltkrieg spielt und es sich um die Nazis und die SS handelt. Aber auch wenn hier mit aktuellen Motiven gespielt wird, kann es hier aber klarerweise nicht darum gehen, irgendetwas historisch ernst zu nehmen.
Kurz vor seiner geplanten Hinrichtung kann Jones sich dann – nicht gerade unerwartet – befreien. Nach einer rasenden Verfolgungsjagd springt er aus einem fahrenden Motorrad auf einen fahrenden Zug, und bringt zwischendurch noch mehrere Dutzend Nazis zur Strecke.
Alles erinnert an Zugszenarien in Klassikern des Westernfilms wie "The great train robbery" oder The General" oder auch an "Snowpiercer" von Bong Joon-hoo, den letzten Film, der das Zugmotiv in ein großes Spektakel verwandelt hat.
(In diesem Zug sieht man dann übrigens auch den deutschen Darsteller Matthias Schweighöfer. In der einzigen, sehr sehr kurzen Szene, in der Schweighöfer auftritt, hat er genau zwei Worte zu sagen, nämlich "Sieg Heil!". Historisch nicht sehr authentisch, außer für Hollywoods Nazi-Vorstellungen.)
Hitler korrigieren ...
Nach diesem furiosen Start folgt dann ein Zeitsprung in die Wochen der Mondlandung, den Juli 1969. Indiana Jones sieht jetzt so aus, wie Harrison Ford eben heute aussieht: Ein älterer Herr, dessen Filmfigur gerade als Professor in Ruhestand getreten ist, und von seiner Patentochter Helena, der Nichte eines Freundes aufgesucht wird.
Sie wird von Phoebe Waller-Bridge gespielt, dem "Fleabag"-Star, der vielleicht trotzdem einfach ein bisschen überschätzt ist und nicht jene Allzweckwaffe des Erfolgs sein kann, als die man sie jetzt allerorten einsetzt: bei James Bond, als Droide in "Solo: A Star Wars Story".
Helena erinnert Jones an die vermisste zweite Hälfte der "Antikythera" und bittet um seine Hilfe bei der Suche. Um diese Suche dreht sich nun der Rest der Handlung.
Denn es gibt eine weitere Überraschung: Auch in den Sechzigerjahren gibt es noch Nazis. Sie arbeiteten sogar für die Nasa, die US-Weltraumbehörde. Nein, wir meinen jetzt nicht Wernher von Braun, sondern Jürgen Voller. Auch die Nazis sind dem wertvollen Objekt ein Vierteljahrhundert nach Kriegsende wieder auf den Fersen.
Der gefährlichste Antagonist ist ein Zivilist, dem Indiana Jones schon in der Exposition begegnete: Der Wissenschaftler, der als solcher Wissenschaftler bereits dadurch noch für den allerletzten Zuschauer markiert ist, dass er bei jeder Gelegenheit eine Brille auf der Nase hat. Er wird vom Dänen Mats Mikkelsen ("Hannibal") gespielt.
Den ganzen Film über wendet Voller selber recht wenig Gewalt an – dafür aber hat er einen ganzen Schlägertrupp bei sich, der für ihn die "Drecksarbeit" erledigt. Diese Gruppe sieht aus wie ein Kuriositätenkabinett der Nazi-Schergen des Kinos: Es gibt den Groben, der für einen normalen Menschen viel zu groß und viel zu breit ist, eine Art "Beißer" in blond, es gibt einen perversen Sadisten, es gibt den Mitläufer.
Und dann gibt es noch – Überraschung – die schwarze Frau: Ausgerechnet eine linke "Black Panther"-Aktivistin mit cooler Sonnenbrille und Afro-Look hat sich auch den Faschisten angedient – was die politische Agenda des Films als neokonservativ entlarvt.
Mit Hilfe der Maschine will Voller die Zeit zurückdrehen: "Ihr Amerikaner habt den Krieg nicht gewonnen" schnaubt er Jones an, "Hitler hat ihn verloren. Er hat Fehler gemacht. Mit dem Ding werde ich sie alle korrigieren..."
"Its called capitalism": Stehlen und zurückstehlen
Es folgt nun ein recht übliches Action-Stationendrama: Schätze werden gestohlen und zurückgestohlen, immer ergeben sich Gelegenheiten, um den Helden in gefährliche Situationen zu verwickeln.
Die Suche nach der verlorenen Zeitmaschine führt zunächst nach Marokko, von dort ins Mittelmeer. Dazwischen gibt es so spektakuläre wie verrückte Verfolgungsjagden: zuerst in New York, dann durch die Kasbah von Tanger, dann unter Wasser, dann geht es in Syrakus ähnlich munter weiter. Insofern erinnert alles tatsächlich an einen James Bond-Film, in dem es ja auch letztlich darum geht, in möglichst pittoresken, möglichst exotischen Schauplätzen den immergleichen Helden das Immergleiche tun zu lassen.
Zugleich gibt es wesentliche Unterschiede zu Bond: Der hat es mit zwischenstaatlichen Gegnern zu tun, die sich an bürgerliche, wenn nicht gar ritterliche Spielregeln halten. Das Böse ist nie einfach brutal, es ist technisch und oft intellektuell avanciert. Die Feinde von Indiana Jones kommen aus dem Dschungel, sie sind ideologische, religiöse Fanatiker. Man muss sie unterdrücken, wenn man nicht verlieren will.
Der einzige etwas schwache Moment des Films ist der, wo dieser sich offenbar zu einer anderen, ungewohnten Form von Ernsthaftigkeit verpflichtet fühlt.
Als Indiana Jones gefragt wird, wohin er mit einer Zeitmaschine am liebsten reisen möchte, antwortet er nicht etwa mit irgendeiner großartigen historischen Epoche, über die er mehr erfahren möchte, sondern damit, dass er in den Moment zurückreisen würde, in dem sein Sohn sich freiwillig für den Vietnam-Krieg gemeldet hat, und kurz darauf im Krieg getötet wurde. Was dann auch seine private Ehe zerstört hat ...
All dies wirkt ein wenig wie eine moralische Pflichtübung, als müsste man diese Figur doch noch mit Ernst und Psychologie grundieren. Es ist der schwächste Moment in diesem Film; man hat den Eindruck, als müsste hier dieser Figur eine Dimension des Ernstes und der Glaubwürdigkeit, ein Element der psychologischen Triftigkeit angeschminkt werden.
Dies ist aber völlig überflüssig, denn man geht ja nicht wegen der psychologischen Glaubwürdigkeit oder aufgrund irgendwelcher Sentimentalitäten in "Indiana-Jones"-Filme.