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Ineffizienter Wasserstoff, Klimaschutzeffekt eines Tempolimits und Atomkraft statt Kohle

Drei Fragen aus dem Forum. Eine Telepolis-Kolumne.

Wie ineffizient ist Wasserstoff?

Den Artikel "Warum Wasserstoff als Erdgas-Ersatz ein Märchen ist" [1] von Christoph Jehle und Ralf Streck kommentiert ein User wie folgt [2]:

Zwei Elefanten im Raum

1. Atomstrom

2. Gas (aus Russland)

Niemand wird daran vorbeikommen.

Im Artikel fehlt übrigens eine einfach physikalische Betrachtung der In-Effizienz und damit auch der Nachhaltigkeit von Wasserstoff im Vergleich zu bisherigen Energieträgern. (...) Immerhin fällt der Satz:

"Erst wenn die Stromerzeugung aus Erneuerbaren einen massiven Überschuss liefern würde, könnte man überhaupt an die Erzeugung von grünem Wasserstoff denken."

Auf die Ineffizienz von Wasserstoff gegenüber anderen Technologien wird im Artikel tatsächlich an mehreren Stellen eingegangen. Beispielsweise wird darauf verwiesen, dass mit erneuerbarem Strom betriebene Wärmepumpen sehr viel effizienter für die Heizung sind, als mit erneuerbarem Strom Wasserstoff herzustellen um damit Gebäude zu heizen.

Die Herstellung von "grauem Wasserstoff", also solchem aus fossilen Brennstoffen, ist natürlich noch weniger zu empfehlen, auch in Bezug hierauf steht im Text: "Pro gewonnener Tonne Wasserstoff entstehen gleichzeitig zehn Tonnen CO2, sodass sich grauer Wasserstoff klimaschädlich auswirkt."

Zur Effizienz von "grünem Wasserstoff" schreibt das Umweltbundesamt [3]:

Der Wirkungsgrad der Wasserstoffelektrolyse unterscheidet sich je nach konkretem Verfahren, näherungsweise kann von 75 Prozent ausgegangen werden. Es ist denkbar, die Abwärme aus der Wasserstoffherstellung in Wärmenetze einzuspeisen, um einen Teil der Verluste der Elektrolyse nutzbar zu machen. Bei der Herstellung von grünem Wasserstoff entsteht kein CO₂ als schädliches Treibhausgas. Im Zentrum einer treibhausgasneutralen und nachhaltigen Entwicklung sollte daher grüner Wasserstoff stehen.


Umweltbundesamt

Wie "effizient" Wasserstoff ist, liegt aber letztlich an der Anwendung und welche Alternativen zur Verfügung stehen. So ist es ebenfalls effizienter einen Pkw batterieelektrisch zu betreiben, anstatt auf Wasserstoffbasis mit Brennstoffzelle oder gar mit aus Wasserstoff hergestellten synthetischen Kraftstoffen.

"Je nach E-Fuel-Anwendung liegt der Wirkungsgrad von Strom zu Nutzenergie zwischen etwa zehn Prozent und 35 Prozent, was zu einem Bedarf an erneuerbarer Stromerzeugung führt, der zwei- bis 14-mal höher ist als bei direkten Elektrifizierungsalternativen", heißt es beispielsweise in einer 2021 im Magazin Nature veröffentlichten Studie [4].

Wasserstoff beziehungsweise E-Fuels sollten daher nur in Bereichen eingesetzt werden, die nicht direkt mit erneuerbarem Strom betrieben werden können. Dazu gehören die Stahlindustrie, der Langstreckenflugverkehr oder die Langstreckenschifffahrt. Atomstrom und fossiles Erdgas sollten hingegen am besten durch erneuerbaren Strom ersetzt werden.

Klimaschutzeffekt durch Tempolimit und Neun-Euro-Ticket gering?

Mehrere Kommentare zum Artikel "Warum ‚Klimachaoten‘ das Bundesverdienstkreuz bekommen sollten" [5] von David Goeßmann beschäftigen sich mit der Höhe der CO2-Einsparungen durch ein Tempolimit auf Autobahnen oder durch die Verstetigung des Neun-Euro-Tickets. Und wieder wird dagegen die Atomkraft ins Spiel gebracht [6]:

Laut Umweltbundesamt würde ein Tempolimit von 100 auf deutschen Autobahnen die jährlichen CO2-Emissionen um 5,4 Millionen Tonnen reduzieren [1]. Dem 9-Euro-Ticket wird für drei Monate ein Einspareffekt von 2 Millionen Tonnen CO2 bescheinigt, also 8 Millionen Tonnen CO2 im Jahr [2]

Laut Umweltbundesamt betrugen die CO2-Emissionen im Jahr 2021 in Deutschland 762 Millionen Tonnen [3]. Die Einsparungen durch ein Tempolimit 100 beliefen sich also auf 0,71%, während das 9-Euro-Ticket knapp 1,05% der CO2-Emissionen Deutschlands einsparen würde.

Zum Vergleich: Ein Kohlekraftwerk mit 3,4 GW Leistung wie das in Niederaußem verursacht rund 30 Millionen Tonnen CO2 im Jahr [4]. Grob gesagt, sind es also rund 10 Millionen Tonnen CO2, die man pro Gigawatt abgeschalteter Kohlekraft im Deutschland einsparen würde.

Die verbleibenden sechs deutschen Kernkraftwerke haben eine Leistung von 8,5 GW [5]. Würde man diese Kernkraftwerke weiterlaufen lassen, so könnte man die Kohlekraftwerke Neurath, Weisweiler und Niederaußem (siehe [4]) bis auf einen Rest von 900 Megawatt (MW) abschalten. Dies würde rund 70 Millionen Tonnen CO2 im Jahr einsparen, also rund 9,19 Prozent der deutschen CO2-Gesamtemissionen im Jahr 2021. (...)

Diese Zahlen zu den Einspareffekten eines Tempolimits und des Neun-Euro-Tickets sind korrekt, ebenso die CO2-Emissionen Deutschlands im Jahr 2021. Die Vergleichsgröße für Tempolimit und Neun-Euro-Ticket sollten allerdings die Emissionen des Verkehrssektors sein. Diese betrugen im vergangenen Jahr 148 Millionen Tonnen [7]. Für jeden einzelnen Sektor gibt es Vorgaben aus dem Bundesklimaschutzgesetz, die erfüllt werden müssen. Der Verkehrssektor lag 2021 um drei Millionen Tonnen über der Vorgabe.

Bis zum Jahr 2030 müssen die Emissionen aus dem Verkehrssektor auf 85 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente sinken, wofür das Verkehrsministerium bislang kein Konzept vorgelegt hat [8]. Tempolimit und Neun-Euro-Ticket können zwar nur einen kleinen Beitrag leisten, sind aber einfach umzusetzende Maßnahmen. Der Stromsektor hat seine eigenen Ziele zu erfüllen, mit dem Aufrechnen eines Sektors gegen den anderen werden weder minus 65 Prozent bis 2030 noch Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen sein.

Können Atomkraftwerke klimaschädliche Kohlekraftwerke ersetzen?

So lautet, vereinfacht formuliert, der zweite Teil der Fragestellung aus dem oben zitierten Kommentar. Die Angaben zu Kraftwerksleistung und Emissionen sind wie dargestellt nicht richtig.

Es gibt in Deutschland nur noch drei Kernkraftwerke mit einer Betriebsgenehmigung, deren Gesamtleistung liegt bei vier Gigawatt (GW). Zurzeit wird über eine Verlängerung im Streckbetrieb diskutiert [9]. Dadurch wird quasi die restliche Kapazität der Brennelemente über längere Zeit gestreckt, die Kraftwerke können nicht auf unbegrenzte Zeit volle Leistung bringen und die verbleibenden Strommengen werden dadurch nicht wirklich mehr – Fazit: Ihre Ersatzkapazitäten sind gering.

Für eine echte Laufzeitverlängerung müssten neue Brennelemente eingesetzt werden, deren Lieferzeit mindestens zwölf Monate betragen würde. Außerdem müssten die rund 40 Jahre alten Kraftwerke eine umfassende Sicherheitsüberprüfung durchlaufen, deren Ergebnis offen wäre. Eine nahtlose Laufzeitverlängerung wäre also im Moment nicht möglich.

Schon allein auf dieser Grundlage funktioniert das Rechenspiel nicht, dass die Braunkohlekraftwerke Neurath, Weisweiler und Niederaußem bis auf einen Rest von 900 MW durch Atomkraft ersetzbar wären.

Das Kraftwerk Weisweiler steht dabei aktuell nicht zur Disposition, in Niederaußem sollen die Blöcke E und F mit einer Gesamtleistung von 600 MW aus der Reserve reaktiviert werden, beim Kraftwerk Neurath der Block C mit ebenfalls knapp 300 MW. In der Lausitz wurde bereits der Block Jänschwalde E wieder hochgefahren, Block F soll folgen.

Beide zusammen verfügen über eine Leistung von 1 GW. Zu den 1,9 GW an Braunkohlekraftwerken, die aus der Sicherheitsreserve geholt werden, kommen Steinkohlekraftwerke, die laut Kohleausstiegsgesetz eigentlich in diesem oder nächsten Jahr hätten stillgelegt werden sollen. Nun werden all diese Kraftwerke nicht die ganze Zeit über in Volllast fahren, was Prognosen zu ihren Emissionen schwierig macht.

Für die fünf zu reaktivierenden Braunkohleblöcke hat das Öko-Institut beispielsweise in einer Stellungnahme zum Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz [10] folgende Modellrechnung vorgenommen:

Bei einem Einsatz der Kraftwerke aus der bisherigen Sicherheitsbereitschaft mit 7000 jährlichen Vollbenutzungsstunden würde sich eine zusätzliche Stromerzeugung von 13 TWh pro Jahr ergeben. Dies wäre verbunden mit CO2-Emissionen von 16 Mio. t. Gegenüber der Stromerzeugung aus Erdgas wären dies zusätzliche Emissionen von ca. 9 Mio. t CO2.


Aus der Stellungnahme des Öko-Instituts e.V.

Simon Müller, Direktor des Thinktanks Agora Energiewende, rechnet durch die verstärkte Stromerzeugung aus Kohle insgesamt mit Mehremissionen in Höhe von 20 bis 30 Millionen Tonnen im Jahr [11] – ein Teil würde aber auch auf das Konto steigender Stromexporte nach Frankreich gehen, wo der marode Atomkraftwerkspark nicht den Strombedarf des Landes decken kann.

Und wenn es schon um emissionsfreie Ersatzstrommengen gehen soll: In Deutschland wurde 2020 Strom aus Erneuerbaren Energien in einer Größenordnung von sechs Terawattstunden (TWh) abgeregelt [12]. Das ist fast die Hälfte dessen, was die reaktivierten Braunkohlekraftwerke laut Projektion des Öko-Instituts erzeugen würden.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7310984

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Warum-Wasserstoff-als-Erdgas-Ersatz-ein-Maerchen-ist-7283078.html?seite=all
[2] https://www.heise.de/forum/Telepolis/Kommentare/Warum-Wasserstoff-als-Erdgas-Ersatz-ein-Maerchen-ist/Zwei-Elefanten-im-Raum/posting-41702618/show/
[3] https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/klimaschutz-energiepolitik-in-deutschland/wasserstoff-schluessel-im-kuenftigen-energiesystem#herstellung
[4] https://www.nature.com/articles/s41558-021-01032-7.epdf?sharing_token=WNMrraktjyxydmZ37t5XrtRgN0jAjWel9jnR3ZoTv0NvvcjgkZX46JlO7Nfw7zfyvoADBvTOq9WIfhdmgV2dg_Zm-ooRIvDUajySVOgslfK-wkOrhQeaskxdoHd9CQkDKrEyWaG7Nek-etV6-wjBn0LukVZpsV7ZIbuxiMdSO6Q%3D
[5] https://www.heise.de/tp/features/Warum-Klimachaoten-das-Bundesverdienstkreuz-bekommen-sollten-7297753.html
[6] https://www.heise.de/forum/Telepolis/Kommentare/Warum-Klimachaoten-das-Bundesverdienstkreuz-bekommen-sollten/Zum-CO2-Einsparffekt-von-Tempolimit-und-9-Euro-Ticket/posting-41731208/show/
[7] https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/treibhausgasemissionen-stiegen-2021-um-45-prozent
[8] https://www.heise.de/tp/features/Klima-Verkehrsministerium-verweigert-die-Arbeit-7246013.html
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Kraftwerken_in_der_Europ%C3%A4ischen_Union_mit_der_h%C3%B6chsten_Kohlenstoffdioxidemission
[10] https://www.bundestag.de/resource/blob/900700/1f99dd52e2bd9ba24efcc2d743097233/Stellungnahme-Oeko-Institut-e-V--data.pdf
[11] https://www.sueddeutsche.de/politik/klimabilanz-deutschland-kohlekraftwerke-emissionen-1.5631806
[12] https://www.unendlich-viel-energie.de/mediathek/grafiken/durch-einspeisemanagement-verlorene-stromerzeugung