Irak: Die USA am Ende ihrer Lektionen
Dem Land geht es sehr schlecht. Spielen China und Iran die besseren Karten?
Die Fabrikation des Feindbildes China ist gegenwärtig das auffälligste Charakteristikum der nach außen gerichteten Politik der "America-First"-Regierung. Sowohl US-Präsident Trump wie Außenminister Pompeo machten am Sonntag Boulevardpolitik mit dem Vorwurf, dass das "kommunistische China" verantwortlich für die weltweite Corona-Krise ist. Das Virus stamme aus einem chinesischen Labor, sagten beide.
Auch wenn es laut Berichten innerhalb der US-Geheimdienste, die derzeit geschäftsführend vom Scharfmacher und Trump-Parteigänger Richard Grenell geleitet werden, weder Beweise zum Vorwurf noch Einstimmigkeit in der Einschätzung gibt, so ist dies für Administration kein Grund für Zurückhaltung. Die Anti-China-Botschaft muss raus.
Letztlich wird sie ja auch von zahllosen Publikationen getragen, nicht unbedingt in der Zuspitzung "chinesisches Virus aus Wuhan", aber in der Grundausrichtung sehr ähnlich. Auch in deutschen oder französischen Publikationen überwiegen die grundsätzlichen Vorwürfe am autoritären chinesischen System, das in der Corona-Krise sein hässliches Gesicht zeige.
Wer ist glaubwürdiger?
Die Kritik an Chinas Politik ist nicht neu, aber über die Corona-Krise baut sich nun die nächste Kampagnenwelle auf, die in die Medien rollt. China antwortet darauf. So kursiert zum Beispiel aktuell auf Twitterseiten von Beobachtern, die sich mit dem Nahen Osten beschäftigen, ein Videoclip, der die erfolgreiche "Anti-Covid"-Mission eines chinesischen Teams im Irak zeigt. Es stammt von der chinesischen Presseagentur Xinhua.
China hat geholfen, was haben die USA getan, um dem Irak aus der Krise zu helfen?, ist die Frage, die der Clip im gegenwärtigen politischen Kontext aufwirft. Man kann sie noch weiter fassen: Ist die Zeit der Ablösung gekommen?
Ist die Glaubwürdigkeit der USA im Nahen Osten nun durch die Corona-Krise bis zu einem kritischen Punkt erschöpft, den viele Analysten seit längerem voraussehen? Dass die bisherige Machtkonstellation kippt, und die US-Rivalen - China, Russland, Iran - den größeren Einfluss bekommen und die Neuordnung prägen?
Das zeichnet sich ab, ist aber im Detail ist noch nicht klar einzuschätzen. Auch die USA haben offenbar geholfen, als im Irak die Angst vor einer Verbreitung der Sars-CoV-2-Infektion anstieg, allerdings erstmal über Versprechungen und Ankündigungen. Der Irak brauche dringend weitere finanzielle Unterstützung, hieß es kürzlich bei Bloomberg.
Um die Iraker geht es nicht
Ein weiteres Detail bestätigt die Annahme, dass die Hilfe der "America-First"-US-Regierung für den Irak begrenzt ist und sich nicht prioritär am Wohl der Bevölkerung orientiert, sondern an den geopolitischen strategischen Interessen, die man im Irak verfolgt.
So wurde die "Ausnahmerlaubnis" für den notwendigen Import iranischer Energielieferungen, die gegen die US-Sanktionspolitik verstoßen, zuletzt kurzfristiger als zuvor verlängert. Und dies zu Zeiten, in denen große politische Spannungen im Irak jederzeit wieder hochkochen können.
Der Eindruck, der sich damit bestärkt, läuft darauf hinaus, dass es den USA wichtiger ist, den Irak als geopolitischen Schauplatz für ihren Konflikt mit Iran zu nutzen, als dass es ihnen um ein besseres Leben der Bevölkerung ginge.
Zur Erinnerung: Um die "Herzen und Köpfe der Bevölkerung", um ein besseres Leben für sie als unter dem Diktator Saddam Hussein ging es in der breiten Regierungs- und Medienpropaganda vor und nach dem Angriff der USA auf den Irak im Frühjahr 2003. Damit wurde die Invasion und die anschließende Besatzung - neben der Bedrohung durch fiktive Massenvernichtungswaffen - begründet.
Ihre Missachtung der Souveränität der Regierung und der demokratischen Institutionen in Bagdad machte die US-Regierung Anfang dieses Jahres deutlich, als sich Washington einfach über die Aufforderung, die Truppen abzuziehen, die über einen Parlamentsentschluss erging, hinwegsetzte. Das passte nicht zu den eigenen Absichten, den Irak betreffend.
Solches Herrschaftsgebaren erzeugt Widerstand, wie die US-Truppen im letzten Jahrzehnt im Irak erlebten, der größer wird, je schlechter es dem Land geht und je offensichtlicher damit verbundene Versprechen - "die USA als benevolenter Partner" - annulliert werden.
Corona im Irak
Zwar ist der Irak von der Sars-CoV-2-Pandemie, zumindest im Spiegel der Infektionszahlen der letzten Wochen, nicht so stark heimgesucht, wie es befürchtet worden war, aber die Kollateralfolgen sind immens.
Der Ölexport ist Iraks wirtschaftliche Lebensader und der Sturz des Ölpreises eine Katastrophe für die Regierung, sie kann die Staatsbediensteten nicht mehr bezahlen, es droht eine Zunahme der Arbeitslosigkeit, die schon bei den Protesten in den Monaten vor Corona ein treibender Faktor war. Die Proteste waren so stark, dass der Regierungschef Ende November 2019 zurückgetreten ist - und wie zur Illustrierung der schwierigen Verhältnisse im Irak als geschäftsführender Ministerpräsident im Amt blieb.
Zu diesen innenpolitischen Schwierigkeiten, die anderswo als Ausnahmesituation bezeichnet würden, kam noch die Eskalation zwischen Iran und den USA, die auf irakischem Boden über Milizen und US-Soldaten stattfand. Der Konflikt lud zunächst die Proteste weiter auf und gab dann den Rahmen zur Tötung des iranischen Generals Soleimani und des irakischen Vizekommandeurs der al-Hashd-asch-Schaabi-Milizen durch eine US-Ermordungsaktion am Bagdader Flughafen.
Dem folgte eine Vergeltungsaktion Irans auf irakische Basen mit US-Militärs. Dannach setzten sich die kriegerischen Auseinandersetzungen auf irakischem Boden fort. Die Medienberichte dazu gerieten durch die Pandemie in den Hintergrund.
Intensivierte Angriffe des IS
Aktuell wird berichtet, dass Angriffe des IS, dessen Milizen nun während des Ramadans eine "Guerilla-Taktik" erproben, in den letzten Tagen auffallend an Intensität zugenommen haben. Auch dies wird mit Covid-19 in Zusammenhang gebracht. Die IS-Milizen würden die Gunst der Stunde nutzen, die ihnen durch die Unsicherheit über die Pandemie zugefallen sei. Allerdings haben sie auch eine andere Gelegenheit auf ihrer Seite.
Die USA kooperierten im irakischen Kampf gegen den IS, der große Städte wie Mosul wieder unter die Kontrolle von Bagdad brachte, mit den al-Hashd-asch-Schaabi-Milizen, die Bodentruppen für die US-Luftangriffe abgaben. Die Volksmobilisierungseinheiten waren ein wichtiger Faktor für die Niederlage des IS. Mit der Eskalation des Streites zwischen den USA und Iran auf irakischem Boden und den politischen Kampfansagen aus Washington ist die "gemeinsame Front" passé.
Dies geschieht vor dem Hintergrund einer schwierigen Regierungsbildung im Irak, wo die Einflusssphären des Iran und der USA mithineinspielen. Auch dazu meldete sich US-Außenminister Pompeo mit dem Rat, konfessionelle Quoten, die die Regierungsbildung erschweren, bleiben zu lassen. Darin würde der große Fehler liegen.
Ausgelassen hat Pompeo dabei, dass die USA diese Proporzregelung maßgeblich mitgestaltet hatten. Aus Sicht der USA sind es immer die Fehler der anderen, die den Irak in große Schwierigkeiten bringen. Die eigene Rolle übersieht man.
Zwar kursierte eine Zeitlang die Parole von den "Lektionen, die man im Irak gelernt hat", in der Wirklichkeit sieht es aber nicht danach aus. Eher danach, dass die anderen strategischen Mitspieler im Irak klüger vorgehen, weniger rabiat und autoritär. Die Wiederkehr der IS-Angriffe stärkt allerdings auch die Fraktion der US-Falken, die auf eine Militärpräsenz der USA im Land pochen.