zurück zum Artikel

Irland, Polen, Deutschland, Tschechien, Großbritannien, Österreich, Italien …?

Der Vertrag von Lissabon und seine Hindernisse - ein Überblick

Als die EU-Verfassung [1] noch EU-Verfassung hieß, da wurde sie von den Parlamenten reihenweise angenommen, aber in den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt. In Großbritannien führte die Regierung daraufhin eine versprochene Volksabstimmung gar nicht mehr durch. Stattdessen brachte die EU-Bürokratie ein paar kosmetische Veränderungen am Vertrag an, benannte ihn um und beschloss, dass dieser "neue" Vertrag nicht mehr durch Volksabstimmungen, sondern nur mehr durch Abgeordnete und Amtsträger ratifiziert werden sollte. In Frankreich änderte man sogar die Verfassung, damit der Lissabon-Vertrag ohne Volksabstimmung durchgewunken werden konnte.

Lediglich in Irland schrieb die Verfassung eine Volksabstimmung so klar vor, das die Regierung glaubte, das Risiko in dem als ausgesprochen EU-freundlich bekannten Land eingehen zu können. Wie sich vor ein paar Wochen zeigte, ging diese Rechnung nicht auf – möglicherweise unter anderem auch deshalb, weil die Wahlpropaganda ein bisschen zu sehr nach dem Hausierermotto "das sind nur Formalitäten, das brauchen sie nicht durchzulesen bevor Sie unterschreiben" gestaltet war [2].

Die EU-Bürokratie um Elmar Brok [3] will nun ein zweites Referendum auf der Insel, bei dem den Iren die Pistole auf die Brust gesetzt werden soll: Unveränderte Annahme oder Rauswurf [4]. Allerdings weckte die Entscheidung des irischen Volkes auch den Mut anderer kritischer Kräfte, die vor dem irischen Referendum kaum wahrgenommen wurden. Dazu zählen nicht nur der polnische Staatspräsident Lech Kaczynski (der den Vertragstext beim Wort nahm und sich weigerte, ihn nach der Ablehnung durch das irische Volk zu unterzeichnen) oder kritische Richter am Bundesverfassungsgericht , die durch eine Intervention bei Bundespräsident Köhler verhinderten, dass vor einer Prüfung vollendete Tatsachen geschaffen werden: Auch in Tschechien, Großbritannien, Italien und Osterreich gibt es Bewegung in Justiz und Politik.

Polen

Eigentlich war festgelegt, dass der Lissaboner Vertrag nur dann in Kraft tritt, wenn er in allen 27 Ländern ratifiziert wird. Lech Kaczynski kündigte Anfang der Woche in einem Zeitungsinterview an, sich genau daran halten zu wollen. Bemerkenswert ist deshalb, das Frankreichs Staatspräsident Sarkozy, der sich derzeit mit großem Pomp als EU-Präsident inszeniert, seine Einschatzung, der Pole werde den Vertrag schon noch ratifizieren, damit begründete, das Kaczynski ein "ehrlicher Mann" [5] sei. Denn wenn den Katholiken möglicherweise tatsächlich so etwas wie ein Lügeverbot in der Ausübung politischer Kernkompetenzen einschränkt, dann muss es gerade dazu führen, dass er sich an das hält, was ursprünglich vereinbart war: Dass der Vertrag nur dann in Kraft treten kann, wenn er tatsächlich in allen 27 Ländern angenommen wird. Auch in Irland. Allerdings schwächte Kaczynski seine Äußerung schon kurz nachdem er sie gemacht hatte wieder insoweit ab, als er versprach, den Vertrag dann ratifizieren zu wollen, wenn ein entsprechendes Ergebnis aus Irland vorliegt.

Deutschland

In Deutschland klagen nicht nur der Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler [6], sondern auch die die ÖDP [7] und die Linksfraktion beim Bundesverfassungsgericht. Einer der Kernpunkte der Klagen sind die auch als "trojanische Pferde" bezeichneten Artikel 48 EUV und (308) 352 AEUV. Die beiden Vorschriften würden den Rat dazu ermächtigen [8] nicht nur Kernbereiche des Lissabon-Vertrages selbst, sondern auch andere EU-Verträge, ganz oder zum Teil zu ändern. Abgesehen von der Außen- und Wehrpolitik sind solche Änderungen in allen Bereichen möglich. Die von den Vertragsbefürwortern gern genannte verstärkte Beteiligung des Europaparlaments beschränkt sich dabei – wie in den meisten anderen Fällen auch – auf eine bloße Anhörung.

Gelegenheit, gegen die von ihm selbst entworfenen Maßstäbe [9] anzuwenden, könnte dem Bundesverfassungsgericht in den Prüfverfahren gegen die Lissabon-Eingriffe auch die Rechtsprechung des EuGH [10] liefern, die sich in den letzten Jahren in Grundrechtsschutzfragen immer stärker von derjenigen Karlsruhes unterscheidet. Unter anderem wurden in mehreren Urteilen Streik- und Arbeitsschutzrechte deutlich zugunsten der EU-Entsenderichtlinie eingeschränkt.

Tschechien

Auch in Tschechien [11] entscheidet das dortige Verfassungsgericht über den Vertrag. Hier stoppte die zweite Parlamentskammer den Ratifizierungsprozess, nachdem die erste bereits zugestimmt hatte. Als Begründung führten die Senatoren, die mit einer deutlichen Mehrheit für eine Prüfung des Vertrages durch das oberste tschechische Gericht votierten, erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Papiers an. Wann die gerichtliche Prüfung abgeschlossen sein wird, ist noch offen – angeblich liegt der Vertrag dem Gericht bis jetzt noch nicht einmal in tschechischer Übersetzung vor.

Staatspräsident Vaclav Klaus, der ebenfalls am Ratifizierungsprozess mitwirken muss, gilt als eher EU-skeptisch und äußerte [12] bereits unmittelbar nach der Volksabstimmung in Irland als einer der ersten die Auffassung, dass der Vertrag nun endgültig gescheitert sei und der der Ratifizierungsprozess nicht mehr weitergeführt werden könne. "Das Ergebnis", so der tschechische Staatspräsident in einer öffentlichen Erklärung", ist wohl für alle eine klare Mitteilung. Es ist ein Sieg der Freiheit und des Verstands über die künstlichen elitären Projekte und die europäische Bürokratie". Kaczynskis Äußerung bezeichnete er als "sehr vernünftig" und "sehr nah an seiner eigenen".

Wie der tschechische Kurs in den Brüsseler Gremien zukünftig aussehen wird, ist noch nicht ganz klar: Während das schwarzgrüne Kabinett von Premierminister Mirek Topolanek öffentlich verlautbarte [13], dass es den Vertrag für verfassungskonform halte, stuft der Politikwissenschaftler Petr Just etwa die Hälfte der Abgeordneten der Regierungspartei ODS [14] als Vertragsgegner ein. Bei der Abstimmung über den Vertrag im Europaparlament hatten von den 24 tschechischen Abgeordneten fünf dafür gestimmt.

Großbritannien

Obwohl der frühere Premierminister Tony Blair immer wieder öffentlich versichert hatte, dass es in jedem Fall ein Referendum über eine EU-Verfassung geben würde, reichten seinem Nachfolger Premierminister Gordon Brown die wenigen kosmetischen Änderungen am Vertrag, dass er sich nicht mehr an das Versprechen seines Vorgängers gebunden fühlte. Wenig verwunderlich also, dass sich darauf hin zwei Drittel der Wähler betrogen fühlten [15].

Obwohl Großbritannien über keine geschriebene Verfassung verfügt, klagte der Brite John Stuart Wheeler beim High Court, dem obersten britischen Gerichtshof, auf die Einhaltung von Blairs Versprechen. Ende Juni wurde seine Klage erstinstanzlich abgewiesen, Wheeler kündigte jedoch an, in Berufung zu gehen [16]. Da der Vertrag in Großbritannien mit der Unterschrift der Königin im Gegensatz zur Berichterstattung in der deutschen Presse noch nicht vollständig ratifiziert ist, sondern erst noch nach Rom verbracht werden muss, bedeutet die aufgrund des Gerichtsverfahrens erfolgte Anordnung das Lordrichters Richards, dass der Ratifizierungsprozess auch in Großbritannien bis auf weiteres auf Eis liegt. Wenn Wheeler auch im Berufungsverfahren unterliegt, könnte er seinen Fall noch im House of Lords vorbringen, das dem Lissabon-Vertrag allerdings schon zugestimmt hat.

Österreich

Nach katastrophalen Wahlergebnissen und einer Eurobarometer-Umfrage [17], in der sich nur noch eine relativ kleine Minderheit der Bürger für einen Verbleib in der EU aussprach, schrieben der Kanzler Gusenbauer und der designierte SPÖ-Parteichef Faymann einen Brief an den Herausgeber der Kronen Zeitung, der von ÖVP, Grünen und den meisten Medien als Kurswechsel der Partei interpretiert wurde. Das interpretationsoffene Schreiben bezeichnet den Lissabonner Vertrag allerdings nicht klar als abgelehnt, sondern spricht lediglich von möglichen neuen Vertragswerken, bei denen sie ihre Koalitionspartner davon überzeugen wolle, Volksabstimmungen abzuhalten. Inwieweit diese Absichtserklärung tatsächliche Auswirkungen auf die Positionen der Regierungsmitglieder in den europäischen Gremien haben wird, bleibt abzuwarten. Dass sich ausgerechnet der ehemalige deutsche Außenminister Joseph Fischer bemüßigt sah, die Vorstöße – so Kritiker - "im Kasernenhofton" [18] zu kritisieren [19] dürfte das Lager der Vertragsbefürworter in Österreich weiter schrumpfen lassen.

Italien

Auch in Italien wurde nach dem Regierungswechsel die Forderung nach grundlegenden Änderungen am Vertrag laut: Finanzminister Giulio Tremonti äußerte [20] bereits mehrmals die Auffassung, dass der Vertrag nicht in Stein gemeißelt sei und das Signal aus Dublin in Nachverhandlungen berücksichtigt werden müsse. Dafür, dass der wendige Ex-Sozialist, der noch 2004 für die Eu-Verfassung warb, sich tatsächlich in eine andere Richtung entwickelt haben könnte, spricht sein 2008 erschienenen Buch "La paura e la speranza - Europa" in dem er eine deutlich stärkere Regulierung der Finanzmärkte fordert. Inwieweit er mit solchen Positionen allerdings die Europapolitik der italienischen Regierung beeinflussen kann, wird sich zeigen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3419167

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.youtube.com/view_play_list?p=86EF311FC83D1447
[2] https://www.heise.de/tp/features/Frankreich-Holland-Irland-3418513.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Verfassungsfeinde-feierten-in-Berlin-3410748.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Was-Irland-und-Simbabwe-gemeinsam-haben-3419127.html
[5] http://www.focus.de/politik/ausland/eu-vertrag-sarkozy-fordert-kaczynskis-zustimmung-ein_aid_315264.html
[6] http://www.peter-gauweiler.de/pdf/Klage-Lissabon-Vertrag.pdf
[7] http://www.oedp.de/themen/demokratie-sicherheit/oedp-politik/eu-verfassung/EU-Verfassungsbeschwerde
[8] http://www.t-blog.de/41902/verfassungsbeschwerde-gegen-vertrag-von-lissabon/
[9] https://www.heise.de/tp/features/Auf-zum-letzten-Gefecht-3418683.html
[10] https://www.heise.de/tp/features/Das-seltsame-Rechtsverstaendnis-des-Europaeischen-Gerichtshofs-3407055.html
[11] https://www.heise.de/tp/features/Auf-zum-letzten-Gefecht-3418683.html
[12] http://www.tschechien-online.org/news/12669-referendum-irland-vaclav-klaus-begrusst-ablehnung-lissabon-vertrags/
[13] http://www.focus.de/politik/diverses/tschechien-eu-vertrag-ist-verfassungskonform_aid_314503.html
[14] http://www.ods.cz/
[15] http://news.scotsman.com/uk/Labour-has-broken-pledge-on.4140378.jp
[16] http://www.telegraph.co.uk/opinion/main.jhtml?xml=/opinion/2008/06/25/dl2504.xml
[17] https://www.heise.de/tp/features/Was-Irland-und-Simbabwe-gemeinsam-haben-3419127.html
[18] https://lists.servus.at/mailman/private/mailfriwe/
[19] http://www.rp-online.de/public/article/politik/deutschland/584511/Fischer-kritisiert-Gusenbauer.html
[20] http://www.bueso.de/node/5947/pdf