Island: Attraktion Billigstrom

Die älteste Aluminiumhütte Islands wurde vom Schweizer Unternehmen Alusuisse in der Nähe von Hafnarfjörður errichtet und gehört heute zu Rio Tinto Alcan. Das chinesische Bergbauunternehmen Chinalco ist der größte Anteilseigner bei Rio Tinto. Die gesamte Jahresproduktion von Aluminium in Island: rund 800000 Tonnen. Mehr als die Hälfte der Aluminiumproduktion auf Island ist für den holländischen Markt bestimmt. Bild: Bernd Schröder

Wie preiswerte Energie und ausgesetzte Handelszölle ausländische Interessenten anlocken

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Den in Island produzierenden Aluminiumschmelzen ging es bisher relativ gut, auch dann, wenn auf dem Weltmarkt etwa fallende Preise lasteten wie Ende 2015, als das Leichtmetall fast auf einen Tonnenpreis von unter 1400 US-Dollar abrutschte - verglichen mit einem Hoch von 2800 US-Dollar im Jahre 2011.

Die drei Aluminiumhütten des Landes, deren Konzernzentralen in den USA und Kanada zu finden sind, hatten 2015 einen Anteil von 38% am Gesamtexportvolumen Islands, das 15.6 Milliarden US-Dollar betrug. Vorteilhaft für die Unternehmen: die riesigen Energiereservoirs Islands. Denn für die Herstellung von einem Kilogramm Aluminium werden 13-16 kWh Strom verbraucht.

Die Preise für Geothermie und Wasserkraft der Abnehmer der Century Aluminum Company in Grundartangi und der Alcoa-Hütte Fjardaál in Reyðarfjörður sind über Verträge an den Weltmarktpreis von Aluminium gekoppelt. Rio Tinto Alcan hingegen musste seine Energieversorgung 2010 neu verhandeln und verlor die Weltpreisbindung: Die Energiepreise folgen nun dem US-Verbraucherpreisindex.

Das Unternehmen hat so die Verbindung seines Produkts zum preisbestimmenden Faktor verloren und steckt in Schwierigkeiten. Im November 2015 wurde eine Schließung der Hütte nicht mehr ausgeschlossen, nachdem eine Ankündigung der Einstellung von Zeitarbeitern zu Streikdrohungen der Belegschaft geführt hatte. Century Aluminium könnte ein ähnliches Schicksal drohen, wenn 2019 die Verträge für ein Drittel der bereitgestellten Energie auslaufen und neu verhandelt werden.

Am besten steht Alcoa da, deren Energievertrag bis 2048 gilt. Alcoa bezieht seine Energie aus dem 690-MW-Wasserkraftwerk von Kárahnjúkar, dessen Bau heftig umstritten war. Die Errichtung zusätzlicher Wasserkraftwerke ist als Anreiz für den Bau weiterer Aluminiumhütten im Gespräch. Und daran schließt sich ein anderes Problem an: Mit der immensen Ausweitung des Tourismussektors geraten die energieintensiven Hütten immer mehr in die Kritik. Denn die zahlreichen Gäste kämen nicht, heißt es, um Hüttenkunde zu studieren oder pharaonische Baustellen zu besichtigen - die wollten stattdessen die unberührte Natur des hohen Nordens genießen.

Während Aluminium schon seit längerem auf der Insel Fuß gefasst hat, gesellt sich nun der ebenfalls energieintensiv zu gewinnende Nachbar aus dem Periodensystem hinzu: Silicium.

Im Siliciumfieber: Die nächste energieintensive Metallurgie in ausländischer Hand

Die Nachfrage nach Silicium ist groß, vor allem als Rohstoff für Photovoltaikmodule, und vor allem in China, dem gleichzeitig weltgrößten Siliciumhersteller. Dort demonstrieren sie mit dem Longyangxia Dam Solar Park ihre Entschlossenheit, erneuerbaren Energien eine Chance zu geben. Die 27-Quadratkilometer-Sonnenfarm ist die größte Anlage ihrer Art weltweit und in ständiger Vergrößerung begriffen - mittlerweile mit einer Leistung von 850 MW.

Silicium findet in der Halbleiterbranche, als Legierungsbestandteil in der Aluminiumindustrie oder in verschiedenen Anwendungen in der Chemieindustrie Abnehmer. Polykristallines Silicium wird durch die Raffination von Rohsilicium gewonnen und ist ein Grundstoff für die Photovoltaik-Branche. Bei herkömmlichen Solarmodulen benötigt man rund fünf Tonnen des Materials, um ein Megawatt an Leistung zu erzeugen. Die weltweite Herstellung nimmt rasant zu: 2014 wurden 228.000 Tonnen polykristallines Silicium hergestellt. Industrievertreter erhoffen eine Verdopplung der Produktion bis 2018. Der Großteil des Erzeugnisses geht in die Solarbranche.

Vier Unternehmen sind mit neuen Silicium-Werken in Island am Start: United Silicon Carbide, Silicor Materials, Thorsil und der deutsche PCC-Konzern. Und auch bei den Siliciumschmelzen ist die Verfügbarkeit preiswerter Energie ein ausschlaggebendes Kriterium in der Standortauswahl. Wie bei PCC BakkiSilicon hf. Die Anlage wird gerade von den Düsseldorfer Anlagenbauern der SMS-Gruppe errichtet, Gesamtinvestitionssumme: rund 265 Millionen Euro. Das Projekt von PCC trägt zur Rohstoffsicherung Deutschlands bei. Aufgrund dieser strategischen Ausrichtung gibt es Unterstützung durch die Bundesregierung, in Form einer Exportgarantie und einer Garantie für Ungebundene Finanzkredite (UFK-Deckung).

Bau von PCC BakkiSilicon hf, Stand November 2016. Bild: PCC

Der zu verarbeitende Rohstoff Quarzit stammt aus dem konzerneigenen Steinbruch im polnischen Zagórze. Der Plan des Neubaus einer Schmelze in Polen wurde verworfen. Denn trotz 3.000 km Transportweg ist der isländische Standort aufgrund der langfristig gesicherten, kostengünstigen Energieversorgung ökonomisch vorteilhafter. Das Projekt wird außerdem vom isländischen Staat gefördert, zum Beispiel über eine finanzielle Unterstützung der Anfangsinvestition sowie durch langfristige Steuervergünstigungen. Anfang 2018 soll die Anlage in Betrieb gehen. Deutschland importiert jährlich rund 300.000 Tonnen Rohsilicium - die PCC-Fabrik in Húsavík wird eine Kapazität von 32.000 Tonnen im Jahr haben.

Silicor Materials raffiniert Rohsilicium für den Einsatz in Solarzellen. 90% der Firmenkunden sind in China beheimatet. Auf der Suche nach einem Standort für eine große neue Anlage war zuerst ein County im US-Bundesstaat Mississippi im Gespräch, doch die Aussicht auf die Erhebung chinesischer Handelszölle von bis zu 60% auf Silicium für Solarzellen und die Kunde vom Freihandelsabkommen haben das Unternehmen schließlich ins westisländische Grundartangi geführt. Die Anlage soll bis 2019 voll funktionsfähig sein und rund 440 Mitarbeiter beschäftigen. Fertig gestellt, sollen hier jährlich 16.000 Tonnen "Solar-Silicium" gewonnen werden, dessen Herstellung 40% billiger als Polysilicium sein soll.

Die Anlage von United Silicon befindet sich in Helguvík, am gleichen Standort wie Thorsils Rohsiliciumwerk, und hat im November 2016 ihren Betrieb aufgenommen.

Die Ferrosilicium-Hütte von Elkem in Grundartangi ist mit einer Jahresproduktion von 120.000 Tonnen die zweitgrößte der Welt. Das Produkt wird vor allem in der Eisenmetallurgie verwendet. Die Hütte ging 2011 von norwegischen in chinesischen Besitz über. 2012 hatte der neue Betreiber China National BlueStar außerdem in einer gemeinsamen Absichtserklärung mit der isländischen Regierung eine Milliardeninvestition in die Siliciumherstellung in Aussicht gestellt.

Eine Ansiedlung von Kohlenstofffaser-Herstellern wurde in den letzten Jahren beworben, ist bislang jedoch ausgeblieben. Aufgrund des Bedarfs in China könnte es hier zu neuer Bewegung kommen.

Win-win für China und Island?

Das Versprechen des handelsbarrierefreien Zugangs zum riesigen chinesischen Markt für Unternehmen mit Sitz in Island und die Positionierung des Landes als einer der Vorreiter im internationalen Handel könnte der neuen Allianz eine Schlüsselrolle bei der weiteren wirtschaftlichen Erholung Islands zukommen lassen, denn die Folgen des Bankenkollapses von 2008 lasten nach wie vor auf der Insel.

Für China sind die Vorteile einer Allianz mit Island größtenteils geopolitischer Natur. In Peking sieht man eine Reihe von Möglichkeiten in der Arktis - nicht zuletzt die logistischen Vorteile, die sich durch die Schrumpfung der Eiskappe und verbesserte Schifffahrtswege durch die Arktis eröffnen könnten. Eine transarktische Route würde etwa zwei Wochen der Reise zwischen Nordeuropa und Shanghai einsparen und Island zu einem Verkehrsknotenpunkt an der neuen Seidenstraße werden lassen.

Mit einem erleichterten Zugang zur Arktis ist allerdings ein Ansturm auf die dort vermuteten natürlichen Ressourcen zu erwarten. Das könnte mit Islands Ruf als ein führender Befürworter "grüner" Industrien kollidieren.

Apropos Tourismus

Die massive Steigerung des Fremdenverkehrs stößt an die Grenzen der Infrastruktur des Landes und an die der Geduld weiter Teile der einheimischen Bevölkerung. Nichtsdestotrotz rechnen die Isländer für das Jahr 2020 mit 5 Millionen Touristen jährlich.

In Planung befindet sich der sogenannte "Lava Express", voraussichtlicher Baubeginn: 2020. Der Schnellzug soll Touristen vom Flughafen Keflavík ins 49 Kilometer entfernte Reykjavik befördern - mit bis zu 250 km/h. Fast ein Drittel der Strecke soll unterirdisch verlaufen.