Israelischer Journalist: Was erwarten wir?
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Haggai Matar aus Tel Aviv warnt Israelis vor Gräueltaten in Reaktion auf Hamas-Massaker. Er erinnert an die Gewalttreiber. Und an eine fatale Dynamik. Gastbeitrag.
Vor dem Hintergrund des Hamas-Angriffs und der israelischen Bombardierung des Gazastreifens interviewte der US-Sender Democracy Now Haggai Matar. Matar ist ein israelischer Journalist und Geschäftsführer der Zeitschrift +972. +972 ist die Vorwahl von Israel und den besetzten Gebieten.
Matar verweigert aus Gewissensgründen den Kriegsdienst und hat sich dagegen ausgesprochen, in der israelischen Armee zu dienen. Sein Artikel nach dem Hamas-Angriff trägt die Überschrift "Gazas Schockangriff hat Israelis in Angst und Schrecken versetzt. Er sollte auch den Kontext enthüllen". Das Interview führten Amy Goodman und Juan Gonzales.
Wir sprechen mit ihnen in Tel Aviv. Erklären Sie uns den Kontext, den Sie für wichtig halten.
Haggai Matar: Als ich den Artikel nach dem Angriff am Samstag schrieb, war der Schock noch frisch. Wir hatten noch nicht das ganze Ausmaß des Grauens, der Gräueltaten im Süden Israels erfahren, die Hunderte von Menschen, die in ihren Häusern und bei einem Musikfestival massakriert wurden, ganze Gemeinden, die dezimiert wurden. Diese Geschichten sickerten nur allmählich durch, und der Schock über diese Tragödie, diese Gräueltaten, beginnt gerade erst zu wirken.
Es war mir wichtig, diesen kollektiven Schock und die Schrecklichkeit dieses Angriffs anzuerkennen, aber auch zu verstehen, wie wir als Israelis über viele Jahre hinweg ein Gefühl der Immunität entwickelt haben. Israel konnte zum Beispiel vor dem Hintergrund von Kriegen den Gazastreifen bombardieren und ganze Familien auslöschen, ganze Stadtteile zerstören, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, und dass, wenn der Gazastreifen mit Raketen antwortete, fast alle von dem Schutzschirm "Iran Dome" abgefangen werden.
Die Zahl der Opfer zwischen Israelis und Palästinensern in den vergangenen Kriegen lag in den letzten zehn Jahren bei eins zu 100, eins zu 200 oder so. Gerade eben ertönten hier in Tel Aviv Luftalarmsirenen. Aber ich bin nicht von meinem Schreibtisch aufgestanden, denn ich weiß, dass es Iron Dome gibt. Ich fühle mich ziemlich sicher.
Dieses Gefühl der Sicherheit wurde mit einem Schlag durch den Anschlag am Samstag aufgebrochen und verschwand. Aber es ist mir wichtig, Israelis und Menschen in der Welt daran zu erinnern, dass die Palästinenser dieses Gefühl der Schutzlosigkeit in den letzten Jahrzehnten ständig erlebt haben, vor allem die Menschen in Gaza, die regelmäßig von Israel angegriffen werden.
Wenn wir also darüber nachdenken, wie wir den Angriff der Hamas verstehen müssen, ohne ihn zu rechtfertigen, jedoch die Tatsache anerkennend, dass er nicht unprovoziert oder einseitig erfolgt ist, wenn wir über die nächsten Schritte nachdenken wollen, müssen wir sehen, dass es keine militärische Lösung gibt. Diese wiederholten Angriffe auf den Gazastreifen bringen nichts als Tod sowie Zerstörung und keine Hoffnung für irgendjemanden von uns.
Über die Behauptung, dass es ein unprovozierter oder einseitiger Angriff war, haben Sie geschrieben, dass, Zitat, "die israelische Armee routinemäßig in palästinensische Städte und Flüchtlingslager eindringt. Die rechtsextreme Regierung lässt Siedlern völlig freie Hand, um neue illegale Außenposten zu errichten und Pogrome gegen palästinensische Städte und Dörfer zu veranstalten, wobei Soldaten die Siedler begleiten und Palästinenser, die versuchen, ihre Häuser zu verteidigen, töten oder verstümmeln." Könnten Sie darüber sprechen, wie die Palästinenser diese neue rechtsextreme Regierung in Israel in ihrem täglichen Leben erlebt haben?
Haggai Matar: Wir müssen uns zuallererst an Geschehenes erinnern, um den Kontext zu verstehen. Nichts von dem, was diese Regierung tut, ist völlig neu – die Angriffe auf Gaza, die Ausweitung der Siedlungen, die Angriffe auf palästinensische Gemeinden im Westjordanland. Nichts von alledem ist neu. Die rechtsextreme Regierung geht nur noch einen Schritt weiter, was, wie Sie wissen, in einem größeren Zusammenhang gesehen werden muss. Aber wir sollten auch darüber sprechen, wo die Dinge schlimmer geworden sind.
Seit der Wahl der neuen Regierung haben die Siedler im Westjordanland viel mehr Spielraum erhalten, um zu tun, was sie wollen. Es gibt absolut keine Leitplanken, keine Beschränkungen für das, was Siedler anrichten dürfen.
Wenn sie palästinensische Gemeinden angreifen und ihre Häuser in Brand stecken, werden sie von Soldaten begleitet und geschützt. Wenn sie neue Außenposten auf palästinensischem privatem Land errichten wollen, können sie das tun.
Wenn sie mitten in Nablus beten wollen, mitten in einer der größten palästinensischen Städte im Westjordanland, können sie das tun, und Soldaten werden sie begleiten und beschützen.
Die Palästinenser fühlen sich also schutzlos, weil die palästinensische Polizei sie nicht schützen kann und darf. Sollten sie versuchen, sich zu verteidigen, würden die Soldaten sie erschießen. Das ist also die Realität, die die Palästinenser schon seit Langem und in den letzten Monaten zunehmend spüren.