Ist DOOM schuld am Schulmassaker in Littleton?
Verhindert ein Verbot von Computerspielen die Ausübung von Gewalt?
Voller Entsetzen mußten wir in diesen Tagen die Nachricht aufnehmen, daß zwei 17-18jährige Schüler in Amerika ein Massaker mit Schußwaffen angerichtet haben. Unbarmherzig gingen sie durch die Räume der Schule und schossen auf alles, was sich bewegte. Eine fürchterliche Parallele wurde deutlich, ist doch genau diese Vorgehensweise oft auch die einzige Spielhandlung in den sogenannten Ego-Shootern wie z.B. DOOM und Quake. Als starker Kämpfer ist man mit verschiedenen Waffen ausgerüstet und muß sich in einem Labyrinth von Gängen seiner Haut wehren. Die Spielenden schießen oft schon prophylaktisch, um möglichst nicht getroffen zu werden.
Die folgenden Meldungen in der Presse schienen diese anfänglichen Ahnungen nur noch zu bestätigen: Beide Täter sahen sowohl Gewaltfilme wie "Natural Born Killers" oder "Jim Carroll" mit Filmliebling Leonardo DiCaprio und spielten auch Gewaltspiele wie "DOOM" oder "Quake". Natürlich sucht man bei solch irrational erscheinenden Taten nach Motiven. Und was scheint näher zu liegen, als einen direkten Zusammenhang zwischen Gewaltspielen und derartigen Amokläufen zu sehen? Gestern kam es überdies zu einer weiteren Schießerei an einer kanadischen Schule, an der ein Nachahmer, ebenfalls mit langem Mantel, zwei Schüler erschoß.
Jugendschützer waren 1993 erstaunt, daß Spiele wie DOOM in den Staaten frei verkäuflich waren. DOOM und Quake dürfen in der Bundesrepublik nicht an Personen unter 18 Jahren verkauft werden, und der Handel darf für solche indizierte Titel nicht werben. Sie stehen auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. In Deutschland gibt es sowohl den gesetzlichen als auch einen freiwilligen präventiven Jugendschutz. Der gesetzliche Jugendschutz basiert auf dem "Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte" (GjS). Hier ist festgelegt, daß Medien indiziert werden, wenn sie "sozialethisch desorientierend" wirken. Im Blickpunkt der BPjS, die nur auf Antrag der Jugendämter tätig wird, stehen frauenverachtende, rassistische, gewaltverherrlichende und NS-verherrlichende Medien. 1998 wurden 59 Computerspiele auf den Index gesetzt.
Liegt die Schlußfolgerung nun noch näher, man müsse einfach derartige Computerspiele und den freien Verkauf von Waffen verbieten, und schon könne nichts mehr passieren?
Es ist zwar in Deutschland deutlich schwieriger, wenn nicht sogar unmöglich, an Schußwaffen heranzukommen. Dennoch beschreiben viele Pädagogen "die Jugend" als gewaltbereit. Sogar Umschreibungen wie "Jugend ohne Gnade" sind in wissenschaftlichen Stellungnahmen zu lesen. Viele Untersuchungen zeigen, daß Kinder und Jugendliche ein hohes Maß an Gewalterfahrungen besitzen, wobei nicht nur die Gewalt gegen Personen mit körperlicher Schädigung gemeint ist, was viele Menschen ausschließlich mit dem Begriff Gewalt assoziieren. Vielmehr sind Kinder und Jugendliche auch psychischer Gewalt z.B. durch Liebesentzug oder struktureller Gewalt z.B. in der Schule ausgesetzt. Ebenso erfahren sie durch die Medien, daß es noch real angewandte Gewalt wie Krieg und Vertreibung und fiktive Gewalt im Film und Spiel gibt. Und manche realen Bilder von verkohlten Leichen oder Massenhinrichtungen im Kosovo, die in den letzten Tagen auch in den Nachrichten am Nachmittag gezeigt wurden, sind in ihrer Konsequenz für Kinder und Jugendliche noch schwerer zu verarbeiten, als die Zeichentrickbilder in Computerspielen.
Als Herd der Gewalterfahrung wird die Familie angesehen. Wie aggressiv und rüde wird im Straßenverkehr miteinander umgegangen? Wieviel Haß wird ausländischen Mitbürgern entgegengebracht? Was für ein Umgangston herrscht in der Familie? Hier lernen Kinder, daß Gewaltanwendung zum Alltag gehört und übertragen das Gelernte in ihren Lebensbereich. Entsprechend suchen sie sich Gleichgesinnte, mit denen sie einen entsprechenden Umgang hegen oder weiter einüben. Scherzhafte Rempeleien, Knuffe, Schläge oder Tritte gehören zu den (fast) rituellen Gebärden. Blitzschnell kann sich aus einer soeben noch spielerischen Situation das Geschehen wandeln: Wird ein "Treffer" subjektiv als zu stark wahrgenommen, entsteht sofort eine ernste und brutale Prügelei. Dabei werden diese Kämpfe nicht mehr abgebrochen, wenn der vermeintliche Gegner aufgibt, sondern es wird solange weiter geschlagen und getreten, bis sich dieser nicht mehr rührt oder offensichtlich schwer verletzt ist. Die Wissenschaftler sind sich nicht einig, ob ein solches Verhalten einhergeht mit einer Brutalisierung der Gesellschaft oder hier vermeintlich Gelerntes aus der eigenen Gewalterfahrung umgesetzt wird. In jedem Fall ist es ein Signal an andere: "Seht her und merkt Euch gut, wer mir zu nahe tritt, dem ergeht es ebenso". Damit wird der Status in der Gruppe festgelegt und wird vom Prügelnden als Anerkennung erfahren.
Hier beginnt die Gewaltspirale zur Bewaffnung, denn den Unterlegenen kann der nächste Schritt zur Bewaffnung mit einem Messer, Schlagring, Schlagstock oder einer Gaspistole führen. Man muß sich deutlich machen, daß eine Bewaffnung immer aus der Angst heraus vorgenommen wird, in der Welt der Stärke zu unterliegen.
Wie konnten Jugendliche allerdings so tief verletzt und verängstigt werden, daß sie zu einer so schrecklichen Tat schreiten konnten? Das muß umso nachdenklicher machen, wenn man jetzt hört, daß sie die Tat lange vorbereitet hatten. Sie galten als ausgegrenzt, aber wer hat sie in diese Abseitsposition gerückt, daß sie einer Trenchcoat-Ideologie nachgingen? Und noch ein Vorurteil muß man zur Seite schieben, denn Gewalttaten gibt es nicht nur in Städten oder Slums; auch hier stammen die Täter aus einer beschaulichen Kleinstadt mit 35.000 Einwohnern. Trotz dieser eigentlich behüteten Atmosphäre muß man sie heute als sozial verwahrlost ansehen. Dafür wird aber wohl kaum jemand zur Verantwortung gezogen werden.
Ähnliche Schlußfolgerungen zieht auch Herr Dr. Gerstenberger, der Leiter der Unterhaltungsoftware Selbstkontrolle (USK):
Gerade nach dem Massaker in der amerikanischen Schule stellt sich verstärkt die Frage, ob z.B. Ego-Shooter wie DOOM gewaltverherrlichend wirken und solche Straftaten hervorrufen. Stimmt das?
Gerstenberger: Wenn Jugendliche sich zu Mord und Selbstmord entschließen, dann scheitern sie in der wirklichen Welt, nicht in der Spielewelt. Mitleid wird im wirklichen Leben gelernt oder nicht. In Computerspielen kann es jedenfalls nicht erlernt werden, deshalb kann es dort aber auch nicht verlernt werden. Zu dem Schluß kommt Prof. Fritz, Medienexperte aus Köln, jüngst auch in einem Gutachten für die USK. Zum Mörder wird keiner, weil er spielt. Der USK ist ein solcher Fall nicht bekannt.
Die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle arbeitet im Bereich des präventiven Jugendschutzes, hier werden von den Mitgliedsfirmen des Verbandes der Unterhaltungssoftware Deutschland (VUD) fast alle Computerspiele freiwillig zur jugendschutzrelevanten Prüfung vorgelegt. Wie viele Computerspiele werden der USK zur Prüfung vorgelegt und welcher Anteil davon wird als "jugendgefährdend" eingestuft?
Gerstenberger: Über 4.060 Titel wurden seit 1994 geprüft. Demnach wurden ca. 90 % aller Spiele geprüft. Etwa 5% aller Titel erhielten durch die prüfenden Pädagogen, Soziologen, Journalisten ein "nicht geeignet unter 18 Jahren". Etwa 15% dieser 18er Titel wurden später durch behördlichen Jugendschutz auf Antrag indiziert und als "jugendgefährdend" eingestuft. Das Achtungszeichen der USK wurde insofern bestätigt. Zugleich wurde per Selbstkontrolle also häufiger auf Risiken des Mediums hingewiesen als durch die interessierte Öffentlichkeit.
Krieg und Gewalt sind Themen in Computerspielen, kann man solche Titel ernsthaft noch als Spiele verkaufen?
Gerstenberger: Computerspiele münden sowenig in Schulmassakern wie Jugendschutz den Kosovo-Krieg verhindern kann. Krieg und Gewalt sind auch Themen in Büchern, Theatern, im Film und im Fernsehen. Weil wir uns die eigene Welt dort vorspielen und zugleich unser Wissen über die Welt aus Medien beziehen. Man kann sich wünschen, Kindern und Jugendlichen mögen Krieg und Gewalt als Themen des Spiels erspart bleiben. Dann muß man sie aber von der Welt abschotten, die ihnen diese Themen ja auch aufdrängt. Im Moment können sie in Medien eher den Eindruck gewinnen, der wirkliche Krieg sei eine Art Computerspiel, nicht umgekehrt.
Inzwischen kündigten die Obersten Landesjugendbehörden eine Vereinbarung mit dem VUD, wonach die USK alle Titel auch auf filmische Sequenzen zu prüfen habe. Wenn der Film im Produkt überwiegt, sollte die CD-ROM von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) geprüft werden. Die Gutachter der USK bescheinigten bei jeder individuellen Prüfung der eingereichten Computerspiele, daß dieses in der Regel nicht der Fall war. Denn selbst wenn es Video- oder Animationssequenzen gab, so konnte interaktiv vom Spielenden Einfluß durch Wegklicken genommen werden. Ab dem 1. Mai sollen nun - nach Auffassung der Obersten Landesjugendbehörden - alle Titel der FSK vorgelegt werden. Eine inhaltliche Auseinandersetzung findet nicht statt.
Auch zu diesem aktuellen Thema haben wir den Leiter der USK befragt:
Nach Presseberichten dürfen ab 1. Mai Computerspiele nur noch von der FSK geprüft werden und nur solche Spiele darf der Handel vertreiben. Der USK wird vorgeworfen, daß sie nicht im Sinne des Jugendschutzgesetzes geprüft habe. Wie soll sich nun der Verbraucher orientieren?
Gerstenberger: Der Verbraucher wird die USK-Sticker weiterhin auf der Verpackung finden. Weil die USK der Selbstverpflichtung und dem Auftrag der Antragsteller entsprechend auch zukünftig Computer- und Videospiele prüfen wird. Dabei hält sie sich, wie seit fünf Jahren, an geltendes Recht. Die Obersten Landesjugendbehörden haben in den letzten Tagen erklärt, daß sie die Kennzeichnung für alle CD-ROMs beanspruchen, die "eindeutig von filmischen Sequenzen geprägt sind". Filme prüft die USK nicht. Und interaktive Spiele auf CD-ROM sind keine dem Film vergleichbaren "Bildträger". Die ganze Konfrontation nutzt dem Verbraucher gar nichts. Und sie schadet dem Jugendschutz.
Der Handel ist stark verunsichert, so Anita Gallitzendörfer von der Firma CDV, denn auf ihre Nachfrage teilte die FSK ihr mit, daß man Computerspiele nicht prüft bzw. wegen mangelnder Ausstattung auch nicht prüfen könne. Sollten die Hersteller aber meinen, daß sich auf der CD-ROM filmische Sequenzen befinden, dann könne sie das Produkt doch zur Prüfung einreichen.
Pädagogen aus dem Jugendschutzbereich sehen die Gefahr, daß hier im Kompetenzenstreit möglicherweise das eigentliche Ziel "Jugendschutz" auf der Strecke bleibt. Niemand weiß, welche Interessen sich hier wirklich verstecken, denn die Unterhaltungsoftwareindustrie will sich natürlich auch nicht vom konkurrierenden Verband der Filmwirtschaft prüfen lassen. Inzwischen ist der Fall gerichtlich eingereicht worden und letztlich wird man wohl auf eine Entscheidung der Bundesverfassungorgane warten müssen. Der VUD wird seine Computerspiele auch weiterhin den Gutachtern der USK vorlegen.
Es bleibt der Appell des US-Präsidenten Clinton, daß Amerika aufwachen möge. Nach 15 Toten werden die Stimmen wieder lauter, nun endlich den freien Verkauf von Waffen einzuschränken oder zu verbieten. Was aber leistet eigentlich eine Gesellschaft gegen Ausgrenzung und Gewalterfahrung? Wird es nicht endlich Zeit für eine Friedenserziehung?
Im Bereich der Computerspiele bleibt zu hoffen, daß nicht erst aufgrund solch grausamer Geschehnisse über den Jugendschutz nachgedacht wird oder im Kompetenzgerangel der Institutionen der präventive Jugendschutz auf der Strecke bleibt. Gerade den Gutachtern der USK ist ihre Verantwortung bewußt, so daß sie ihre Bewertungspraxis laufend überprüfen müssen, weil sich auch fortwährend die Spielinhalte ändern. Eltern und Kinder sollten sich zusammensetzen und die Spiele gemeinsam aussuchen und vielleicht sogar gemeinsam spielen. Das Siegel der USK kann immer nur Empfehlung sein, die Verantwortung obliegt den Eltern und uns allen als Teil der Gesellschaft. Programmierern sei ans Herz gelegt, schon bei der Entwicklung der Spiele auf problematische Inhalte zu verzichten.