Italien: Salvini fordert Steuerreform als Wirtschafts-Defibrillator

Matteo Salvini vor dem Lincoln Memorial in Washington. Foto: Matteo Salvini

Für den Fall, dass die Steuerlast nicht um mindestens zehn Milliarden Euro gesenkt wird, hat der Lega-Chef mit einem Ende der Koalition gedroht

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Kurz nach der Europawahl empfahl die EU-Kommission den EU-Mitgliedsstaaten wegen der Verschuldung Italiens ein Defizitverfahren gegen das Land (vgl. Italien: Drei Milliarden EU-Bußgeld gegen 30 Milliarden Euro Steuersenkung). Letzte Woche übermittelte der parteifreie italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte dem scheidenden EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, dem ebenfalls scheidenden EU-Ratspräsidenten Donald Tusk und den Regierungen der 27 außeritalienischen EU-Mitgliedsländer eine Stellungnahme dazu, in der es heißt, die "fragwürdige Bewertung" der Situation seines Landes sei "nicht nachvollziehbar", weshalb man darüber verhandeln müsse.

Medienberichten nach sind sich Conte und Juncker weniger bezüglich des italienischen Staatshaushalts im laufenden Jahr uneins, als bezüglich des Haushaltsdefizits im nächsten. Grund dafür ist der Wunsch des italienischen Innenministers und Lega-Chefs Matteo Salvini, die aktuell fast gar nicht wachsende italienische Wirtschaft mit einem positiven "Steuer-Schock" wie mit einem Defibrillator wiederzubeleben.

Am 30. Mai hatte er dazu bei einer Pressekonferenz im Innenministerium eine Steuersenkung in Höhe von 30 Milliarden Euro gefordert, um damit für Einkommen unter 50.000 Euro die Steuern auf pauschal 15 Prozent zu senken. "Die Italiener", so Salvini damals, hätten ihn, seine Partei und die Koalition nämlich "nicht gewählt, um irgendwelche Dezimalstellen beim Defizit einzuhalten". Am Freitag schraubte er seine Forderung gegenüber dem Corriere della Sera auf mindestens zehn Milliarden Euro Steuersenkung zurück, drohte aber gleichzeitig mit einem Ende der Koalition, wenn er sich damit nicht durchsetzen kann:

Nach seiner Reise in die USA sei letzte Woche seine Überzeugung, dass Italien sich an Donald Trumps Steuersenkungspolitik orientieren muss und "eine mutige Steuerreform braucht", noch fester geworden. Er halte es deshalb für seine "Pflicht, diese umzusetzen". Sollte er "nicht in der Lage sein, das zu tun", werde er sich "verabschieden und gehen".

"Rolle der Notenbanken und der Europäischen Zentralbank"

Bereits am 28. Mai hatte er in einem Video auf seinem Facebook-Profil angeregt, dass die EU eine "große europäische Konferenz zum Thema Wirtschaftswachstum, Investitionen und Beschäftigung" veranstaltet, um "das Recht auf Beschäftigung, auf Familie und auf Gesundheit in den Vordergrund zu stellen". Bei dieser Konferenz soll Salvinis Wunsch nach "auch über die Rolle der Notenbanken und der Europäischen Zentralbank" gesprochen werden.

Das machen die Mächtigen unter den europäischen Staats- und Regierungschefs derzeit auch ohne eine solche Konferenz. Bis zum ersten November müssen sie nämlich einen Nachfolger für den italienischen EZB-Chef Mario Draghi finden, dessen Amtszeit am 31. Oktober endet.

Manche Beobachter glauben, dass nach dem Nein des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron zum Deutschen Manfred Weber als EU-Kommissionspräsidenten und den mit der europäischen Niedrigzinspolitik verbundenen Zolldrohungen des US-Präsidenten Donald Trump die Chancen des Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann gestiegen sind, diesen Posten zu übernehmen (vgl. Wird doch Weidmann Draghi-Nachfolger). Einige davon fürchten jedoch, dass Weidmann dann die Transferunionspolitik Draghis nicht nur fortsetzen, sondern sogar ausbauen könnte (vgl. Notenbanken am Ende).

M5S müsste bei Neuwahlen Machtverlust befürchten

Die Ankündigung Salvinis, sich im Falle der Ablehnung seiner Steuersenkungswünsche zu "verabschieden", dürfte auch als Warnung an den Koalitionspartner M5S gerichtet gewesen sein. Anders als beispielsweise die deutsche SPD, in der es derzeit keinen Kopf zu geben scheint, bei dessen Austausch Stimmverluste drohen, hat die Lega mit Salvini ein eindeutiges Zugpferd. Dass sie nach seinem Rückzug an einer Koalition mit der M5S festhält, wäre den Wählern wohl schwer vermittelbar - und gilt deshalb als ausgesprochen unwahrscheinlich.

Die M5S argumentiert zwar ebenso wie Salvini, dass Steuersenkungen sinnvoll wären, um die Wirtschaft zu beleben, gilt aber gegenüber Brüssel als handzahmer als die Lega. In noch größerem Ausmaß gilt dies für Conte und den ebenfalls parteifreien Finanzminister Tria. Deshalb könnte die von Beppe Grillo gegründete Bewegung im Laufe des Jahres vor der Wahl stehen, entweder auf Conte und Tria oder auf ihre Regierungsbeteiligung zu verzichten.

In den Juniumfragen liegt sie nämlich nur noch bei 16,8 bis 18,5 Prozent, während die Lega auf 34 bis 37,3 kommt. Das würde wahrscheinlich nicht für eine Koalition aus der M5S und der bei 22 bis 24,5 Prozent gemessenen sozialdemokratischen PD reichen, aber vielleicht für eine aus Matteo Salvinis Lega, Giorgia Melonis Frattelli d'Italia (6,3 bis 7,5 Prozent) und Silvio Berlusconis Forza Italia (6,2 bis 9,2 Prozent).

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