Johnson: "Physische Kontrollen" an der irischen Grenze auch bei Hard Brexit ausgeschlossen
Der neue britische Premierminister will sich "in allen Szenarien" - also auch im Falle eines Ausstiegs ohne Abkommen - an die Karfreitagsübereinkunft von 1998 halten
Der neue britische Premierminister Boris Johnson ist nach Antrittsbesuchen in Schottland und Wales in Nordirland eingetroffen. Dieser Landesteil ist der für den anstehenden Ausstieg aus der EU heikelste, weil die Backstop-Regelung für die Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland der Knackpunkt ist, an dem das von Johnsons Vorgängerin Theresa May ausgehandelte Ausstiegsabkommen hauptsächlich scheiterte.
Eine Änderung dieser Backstop-Regelung (die das UK auf unabsehbare Zeit dazu zwingen könnte, sich an EU-Regeln zu halten) hat der Tory zum erklärten Ziel von Verhandlungen über eine Reform dieses Abkommens erklärt. Gleichzeitig versuchte er gestern Brüssel und Dublin damit zu locken, dass er die Wiedereinführung "physischer Kontrollen" oder den Wiederaufbau einer "physischen Infrastruktur" an der Grenze zwischen Nordirland und Irland ausschloss.
Sein Kabinett, so Johnson in einem Telefongespräch mit dem irischen Ministerpräsidenten Leo Varadkar, werde sich nämlich "in allen Szenarien" - also auch im Falle eines Ausstiegs ohne Abkommen - an die Karfreitagsübereinkunft von 1998 halten (vgl. Vergebung für einen Terroristen).
Irischer Ministerpräsident hält Backstopp-Klausel weiterhin für "notwendig"
Neben der Abschaffung von Grenzkontrollen sieht diese Karfreitagsübereinkunft auch eine Teilung der Macht zwischen den katholischen und protestantischen Regionalparteien in Nordirland vor. Der dafür nötige Kompromiss gelingt den letzten Wahlsiegern - der protestantischen Democratic Unionist Party (DUP) und der katholischen Sinn Féin - nun bereits seit zweieinhalb Jahren nicht mehr. Deshalb entscheidet das britische Nordirlandministerium aktuell auch in Fragen, die eigentlich unter die Selbstverwaltung fallen. Johnson kündigte nun Gespräche mit allen mit fünf größeren nordirischen Parteien an, um diese Situation aufzulösen.
Varadkar meinte nach dem Telefonat mit dem britischen Premierminister, er halte die Backstopp-Klausel weiterhin für "notwendig". Die von Johnson als Alternative zu Grenzkontrollen ins Spiel gebrachten elektronischen Überwachungslösungen vor und hinter der Grenze bezeichnete er als Angelegenheit, über die erst nach einer Annahme des May-Abkommens gesprochen werden könne. Darüber, dass man dieses Abkommen nicht wieder aufzuschnüren wird, sei sich die EU einig.
Seine vorher ausgestoßene indirekte Drohung, ein Hard Brexit könne in Nordirland die Zahl der Befürworter eines Anschlusses an die Republik Irland zunehmen lassen, wiederholte der Taioseach jedoch nicht mehr. Zuletzt hatten sich in einer im März durchgeführten Ipsos-Umfrage für die Irish Times 45 Prozent der Wahlberechtigten in Nordirland gegen so eine irische "Wiedervereinigung" ausgesprochen, und nur 32 Prozent dafür.
Ankündigung könnte Vorteile im Unterhaus bringen
Weichen Varadkar und Brüssel auch in Zukunft nicht von der Position ab, Mays Ausstiegsabkommen nicht mehr aufzuschnüren, könnte Johnson die Ankündigung, auf keinen Fall neue physische Grenzkontrollen einzuführen, trotzdem Vorteile bringen: Sie dürfte im britischen Unterhaus den Anteil derjenigen Abgeordneten verkleinern, die aus Angst vor solchen Kontrollen vor einem Hard Brexit zurückschreckten. Damit steigt die Chance, dass sich im Parlament keine Mehrheit findet, um so einen Ausstieg zu verhindern.
Ob danach elektronische Überwachungslösungen vor und hinter der Grenze Schmuggel verhindern, ist eine ganz andere Frage. Funktionieren sie nicht, könnten sich britische Regierungen mit ein wenig Schmuggel an der Grenze abfinden. Oder sie könnten die Kontrollen in die britischen Häfen verlagern, in denen Güter für und aus Nordirland verschifft werden. Die DUP, die so eine Lösung bislang blockiert, wäre dann mit gewisser Wahrscheinlichkeit nicht mehr Mehrheitsbeschaffer so einer zukünftigen Regierung.
Walisische Landwirte fürchten um Subventionen
Obwohl Nordirland das in der Brexit-Frage problematischste Gebiet ist, wurde Johnson auch in Schottland und Wales mit Unzufriedenheiten und Befürchtungen konfrontiert. In Schottland, wo am 23. Juni 2016 eine Mehrheit gegen den Ausstieg aus der EU stimmte, strebt die dort herrschende Regionalpartei SNP ein zweites Unabhängigkeitsreferendum ihrer Region an (vgl. Schottland will bis 2021 erneut über seine Unabhängigkeit abstimmen). Umfragen deuten jedoch darauf hin, dass ein zweites schottisches Unabhängigkeitsreferendum nicht anders ausgehen würde als das vor fünf Jahren gescheiterte (vgl. Schottland bleibt britisch).
In Wales stimmte die Bevölkerung 2016 zwar mehrheitlich für einen Ausstieg aus der EU - aber hier fürchten viele Landwirte plötzliche finanzielle Schwierigkeiten, wenn die für diesen Bereich sehr üppigen EU-Subventionen wegfallen. Boris Johnson versuchte sie mit dem Versprechen zu beruhigen, es werde für sie "einen besseren Deal" als vorher geben, ohne dabei konkret zu werden.
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