Juncker für Juncker
Der durch die LuxLeaks angeschlagene EU-Kommissionschef geht in die Offensive und verstrickt sich in neue Widersprüche
Für alles verantwortlich, an nichts Schuld: Das ist die Verteidigungsstrategie, die sich der frühere Luxemburger Premier und heutige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in der LuxLeaks-Affäre zurecht gelegt hat. Es gebe "keinen Interessenkonflikt", da er mit der Regierung in Luxemburg nichts mehr zu tun habe, betonte Juncker bei einem Überraschungsauftritt am Mittwoch in Brüssel. Deshalb sei es auch absurd, dass nun "Juncker gegen Juncker" ermitteln soll, wie es die "Süddeutsche" und andere Zeitungen seit Tagen melden.
Er übernehme zwar die politische Verantwortung "für alles, was in jedem Winkel (Luxemburgs) geschieht", sagte Juncker mit einem ironischen Unterton. Allerdings sei er nicht der "Architekt" der Steuerregeln gewesen, die großen Konzernen eine Minimierung der Steuerlast erlauben. Ähnliche Regeln gebe es schließlich auch in den Niederlanden und vielen anderen EU-Ländern. Und was sei schon dabei - schließlich sei doch alles legal gewesen.
Als luxemburgischer Premier und Finanzminister habe er "niemals Anweisungen zu einem bestimmten Steuerfall" gegeben, betonte Juncker - was wenig glaubwürdig klingt, wenn man wie ein Landesvater in alles und jedes hineinregiert. Sein einziger Fehler sei gewesen, nicht schon vorher zu den Enthüllungen in Luxemburg Stellung genommen zu haben. Seit vergangenen Donnerstag, als die Affäre begann, war Juncker komplett abgetaucht. Kein Interview, keine Pressemitteilung, nichts.
Dass er sich am Mittwoch erst der Presse und dann dem Europaparlament stellte, zeigt, wie unhaltbar seine Position geworden war. Eine "politische Kommission" wolle er führen, hatte Juncker bei seinem Amtsbeginn vor zehn Tagen erklärt. Dazu passt es schlecht, wenn man sich bei der ersten politischen Krise wegduckt. Noch schlechter passt es, wenn man dann auch noch - wie geplant - zum G-20-Gipfel nach Brisbane reist, wo es ausgerechnet um den Kampf gegen Steuerflucht und -vermeidung gehen soll.
Es musste also etwas geschehen, Juncker wählte die Flucht nach vorn. Doch dabei verwickelte er sich in neue Widersprüche. So räumte er in einem Nebensatz ein, bereits von dem ehemaligen Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia auf Steuerfälle in Luxemburg angesprochen worden zu sein. Angeblich ging es dabei nur um die Frage, ob die EU-Ermittlungen gegen den US-Internetkonzern Amazon noch unter der alten oder der neuen Kommission eingeleitet werden sollten - und nicht um die mehr als 300 Fälle, die die "Luxemburg Leaks" dokumentiert haben.
Doch selbst wenn dem so gewesen sein sollte: Dann ist es wohl doch nicht so weit her mit Junckers Beteuerung, er werde sich in die Aufklärung der Leaks nicht einmischen und seiner neuen Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager freie Hand lassen. Vielmehr spricht der Hinweis aus Junckers Mund dafür, dass hier ein abgekartetes Spiel gespielt wird: Die alte EU-Kommission leitet Ermittlungen im Fall Amazon ein - und erlaubt so der neuen Juncker-Kommission zu behaupten, man habe sich ja schon an die Arbeit gemacht. Allerdings geht es hier nur um einen Fall - und nicht um mehr als 300 wie bei den LuxLeaks.
Widersprüchlich ist auch Junckers angeblich schon lang gehegter Vorschlag, ein neues EU-Gesetz zur Offenlegung von Steuervergünstigungen für Konzerne auszuarbeiten. Die EU-Kommission bereite auf seine Initiative eine Richtlinie vor, die den automatischen Austausch der so genannten "tax rulings" vorsehe, sagte Juncker. Sobald ein Land einem Unternehmen solche Zusagen mache, müsse es künftig die anderen EU-Länder darüber informieren.
Für Luxemburg dürfte diese Initiative allerdings zu spät kommen. Denn durch die Enthüllungen in der Presse sind die "tax rulings" nun schon bis ins Detail bekannt. Zudem hat die Regierung des Großherzogtums bereits zugesagt, die umstrittenen Regeln zu ändern. Wenn alle EU-Staaten mitziehen, sei auch Luxemburg zu neuen Maßnahmen gegen die Steuerflucht bereit, sagte Finanzminister Pierre Gramegna der "Süddeutschen Zeitung".
Außerdem greift der Vorschlag viel zu kurz. Durch bloßen Informationsaustausch, wie ihn auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in einem eilends veröffentlichten Brief fordert, wird sich die Steuerflucht nämlich kaum beenden lassen. Er sorgt vielleicht für mehr Transparenz, aber wohl kaum für ein Ende des Steuerdumpings. Dafür wären Mindeststeuersätze und eine gemeinsame Steuerbemessungsgrundlage nötig, kritisiert etwa der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold. Davon ist in der "politischen" Juncker-Kommission jedoch keine Rede.
Und so dürfte sich der Luxemburger auch nur kurzzeitig Luft verschafft haben. Die "Schatten über der Kommission", die der liberale Fraktionschef im Europaparlament, Guy Verhofstadt, ausgemacht hat, sind noch nicht verschwunden. Im Gegenteil: sie könnten nun auch die Europaabgeordneten treffen. Die haben es nämlich versäumt, von Juncker eine umfassende Aufklärung zu fordern. In einer hektisch anberaumten Aussprache schonten vor allem Christdemokraten und Sozialdemokraten, die in einer großen Koalition verbunden sind, "ihren" Kommissionschef. "Wir trauen Juncker zu, die Probleme zu lösen", sagte der Fraktionschef der Konservativen, Manfred Weber (CSU). Dabei ist der für viele Beobachter - und wohl auch für viele Bürger - schon selbst zum Problem geworden. Die Linke forderte deshalb einen Misstrauensantrag gegen den neuen Kommissionschef. Sie hat dafür aber nur 52 der 76 nötigen Stimmen zusammengekommen - Mitglieder anderer Fraktionen wollten nicht unterzeichnen.