KI und GPT: Tschüss, ihr Nutzlosen!

Bedroht Künstliche Intelligenz millionenfach Jobs und gar die "menschliche Zivilisation"? Oder geht es wieder nur um mehr Kontrolle? Hier eine kritische Zwischenbilanz.

Vor wenigen Tagen ist Gordon Moore gestorben. Wer die extrem schnellen Entwicklungen in der sogenannten digitalen Revolution versinnbildlichen will, bedient sich gerne des Gesetzes, das der Intel-Mitgründer 1965 aufstellte.

"Moores law" besagt (grob), dass sich die Leistung eines Computerchips rund alle zwei Jahre verdoppelt. Exponentielles Wachstum. Dessen Zeuge werden wir derzeit auch bei der Künstlichen Intelligenz (KI, engl.: AI) und dem sogenannten Deep Learning.

Der heilige Gral und das neue Millionen-Prekariat

Zumindest legt die beeindruckend rasante Entwicklung der Programme Chat-GPT (Generative Pre-trained Transformer) und dessen Nachfolger GPT-4 dies nahe. Steckte das im November 2022 veröffentlichte Chat-GPT bei der US-Zulassungsprüfung für Juristen (Uniform Bar Exam) bereits zehn Prozent der Teilnehmer in die Tasche, schaffte GPT-4 einige Monate später schon ganze 90 Prozent. Bei der Biologie-Olympiade übertraf es sogar 99 Prozent seiner menschlichen Mitbewerber. Und GPT-5 ist bereits unterwegs.

Open AI, das Unternehmen mit Hauptsitz in San Francisco, welches GPT-4 Mitte März veröffentlicht hat, verspricht eine gegenüber dem Vorgänger bessere Anpassung an die menschlichen Bedürfnisse ("alignment") und mehr faktenbasierte Antworten. Vorgänger Chat-GPT hatte schließlich noch recht viele "Halluzinationen", sprich: Es baute syntaktisch sinnvolle Sätze mit falschen Informationen und Zitaten zusammen. Man könnte auch sagen: Lügen.

Mit solchen Kinderkrankheiten soll es aber bald zu Ende sein. Wenn die sogenannte "generative" (oder auch: statistische) KI von GPT mit einer "symbolischen" KI gepaart wird, die nicht nur Satzbau, sondern auch Logik modelliert, erscheint für manche Beobachter schon der heilige Gral der Informatik am Horizont: Die technologische Singularität – der Zeitpunkt, an dem die Künstliche Intelligenz die menschliche vollständig übertrifft. Doch zunächst folgt eine Zwischenetappe, in der AI zu AGI wird.

AGI steht für "artificial general intelligence", also eine (summarische) Superintelligenz, die selbstreflektiert, beziehungsweise, wie es im englischsprachigen Raum heißt, "sentient", also: empfindungsfähig, ist. Einer solchen Entität schreibt Open-AI-CEO Samuel Altman die Kraft zu, das System des Kapitalismus zu zerstören. Und sieht man nicht schon erste Anzeichen dafür?

Meta-CEO Marc Zuckerberg kündigte am Datum des Erscheinens von GPT-4 im Zuge einer "Effizienz"-Initiative an, 10.000 Stellen zu streichen und 5.000 weitere nicht neu zu besetzen. Im gleichen Atemzug ließ er seine Facebook-Gefolgschaft wissen, dass der Großteil der Investitionen in KI-Automatisierung fließt. Zwei Tage danach berichtet das Magazin Business Insider von einer Entlassungswelle im IT-Sektor, die seit Anfang 2022 insgesamt 200.000 Stellen umfasst.

Voraussage Weltwirtschaftsforum: 85 Millionen Entlassungen

Hatte das Weltwirtschaftsforum 2020 bereits prognostiziert, dass aufgrund des Fortschritts der sogenannten Vierten Industriellen Revolution bis 2025 insgesamt 85 Millionen Entlassungen bevorstünden, legte die umstrittene Investmentbank Goldman Sachs am 26. März mit noch weitaus erschütternden Zahlen nach.

Demnach könnte KI alleine in den USA und Europa rund ein Viertel aller Stellen vollständig und zwei Drittel teilweise ersetzen. Betroffen seien insgesamt 300 Millionen Arbeitsplätze. Gleichzeitig verspricht die KI, das weltweite Bruttosozialprodukt um sieben Prozent zu erhöhen.

Zu den am meisten betroffenen Jobs zählen laut der Goldman-Analyse "repetitive" Büro- und Verwaltungstätigkeiten (46 Prozent), Juristische Dienstleistungen (44 Prozent) sowie die Tätigkeiten von Architekten und Ingenieuren. Am wenigsten gefährdet sind demnach Reinigungs- und Wartungsarbeiten (ein Prozent), Installations- und Reparaturberufe (vier Prozent) sowie die Arbeit auf dem Bau (6 Prozent).

Besteht aber vielleicht gar kein Grund, sich Sorgen zu machen?

Eigentum – Sache der Elite oder der Algorithmen?

Das suggeriert jedenfalls die WEF-Prognose von 97 Millionen neuen Jobs, die im Zuge der KI-Automatisierung entstehen – also 12 Millionen mehr, als entfallen. Eine kürzlich erschienene Studie, die Business Insider zitiert, rechnet allerdings damit, dass sogenannte Large Language Modules (LLMs) wie GPT-4 deutlich mehr Tätigkeiten aufmischen, als weithin angenommen.

Dazu zählen besonders Jobs im "Telemarketing", aber auch weniger naheliegende Jobs wie Lehrberufe – etwa für (Fremd-)Sprachen und Geschichte. Wenn man liest, dass die Kleidungsmarke Levi’s mit KI-generierten Models experimentiert, "um für mehr Diversität zu sorgen" regt das die Fantasie für Jobverluste zusätzlich an.

Der israelische Historiker Yuval Noah Harari hat 2017 in gewohnt provokanter Weise von einer "neuen Klasse der Nutzlosen" gesprochen, die die "KI-Revolution" hervorbringen wird – die Konnotation mit "nutzlosen Essern" ist unüberhörbar und auch das sogenannte "lebensunwerte Leben" im Nationalsozialismus schwingt im Echo mit. Harari stellt zwei neue Gesellschaftsmodelle zur Debatte:

Wenn Algorithmen Menschen aus dem Arbeitsmarkt verdrängen, könnten sich Reichtum und Macht in den Händen einer winzigen Elite konzentrieren, die im Besitz der allmächtigen Algorithmen ist, was zu einer noch nie dagewesenen sozialen und politischen Ungleichheit führt. Alternativ könnten die Algorithmen selbst zu den Eigentümern werden.

Yuval Noah Harari

Um die "überflüssigen" humanen Ressourcen aufzufangen, führen zahlreiche Debatten-Teilnehmer ein bedingungsloses Grundeinkommen ins Feld. Der Think-Tank Demos Helsinki, bekannt für das Szenario der Algorithmen-gesteuerten "post-voting-society", hat in Finnland bereits mit dem "tragfähige[n] Konzept zur Existenzsicherung im digitalen Zeitalter" (Vgl. Smart City Charta) experimentiert.

Während der Corona-Krise 2020 sprachen sich in einem Beitrag für das WEF die stellvertretende UN-Generalsekretärin Kanni Wignaraja und sogar der Papst für ein "universal basic income" (UBI) aus.

Zahlreiche Kritiker warnen dagegen vor einem Einfallstor für ein Sozialkreditsystem nach chinesischem Vorbild. Und zuletzt wurden auch noch andere Gründe gegen GPT angeführt.

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