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Kaczyński: Deutschlands Stiefel und Polens Knechtschaft

Jarosław Kaczyński. Foto (2020): gov.pl/CC BY 3.0 PL

Affektgeladener Wahlkampf in Polen; Spannungen zwischen den Nachbarn: Konflikt über Reparationszahlungen, Patriot-Lieferung und EU-Einfluss Berlins. PiS-Chef nennt Opposition in Polen "Handlanger der Deutschen".

Heute besucht der polnische Präsident Andrzej Duda seinen deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier. Zwischen den beiden Ländern gibt es einigen Gesprächsbedarf.

Konfliktstoffe sind die polnische Forderung nach Reparationszahlungen, die Verlegung deutscher Flugabwehrraketensysteme vom Typ Patriot nach Polen und der deutsche Einfluss in der EU. Auch da geht es um große Summen Geld – und um Forderungen der polnischen Regierung an die Adresse Deutschlands.

Der Vorsitzende der Regierungspartei PiS, Jarosław Kaczyński, macht das gespannte Verhältnis zwischen den beiden Nachbarn zu einem Wahlkampfthema mit Affekt-Rhetorik. So warnte er bei einer Wahlkampfveranstaltung vor einer vertieften EU-Integration, die von Berlin angestrebt würde. Mit der Folge für Polen, wie ihn die FAZ zitiert, dass das Land "unter den deutschen Stiefel geraten" [1] würde.

Laut der Zeitung rede Jarosław Kaczyński seinen Landsleuten ein, "Berlin knechte Europa und wolle den Polen die Unabhängigkeit nehmen".

"Unter einem Stiefel lebt es sich schlecht", so Kaczyński. Nach seiner Auffassung sei Brüssel lediglich das "ausführende Organ". Die Entscheidungen würden in Berlin fallen. Polen drohe, dass es seine Unabhängigkeit verliere.

Indessen erinnerte der neue polnische Botschafter in Berlin, Dariusz Pawlos, in einem Interview mit der Welt am Sonntag an das Konfliktthema "Reparationszahlungen". Für eine solche Forderung, "ein für alle schmerzhaftes Thema", gebe es keinen guten Zeitpunkt [2].

Das Vorankommen bei diesem Thema hänge von beiden Seiten ab. Pawlos gibt zu bedenken, "dass es gerade in Kriegszeiten wichtig ist, daran zu erinnern, dass Kriegsverbrechen nicht verjähren".

Wir sind Zeugen eines neuen Vernichtungskrieges in der Ukraine. In diesem Zusammenhang erklärte Bundesjustizminister Buschmann erst kürzlich, dass das, was Russland tut, nicht ungesühnt bleiben dürfe. Das sehen wir auch so. Was wir und Deutschland gegenüber Russland fordern, sollte aber auch für Deutschland selbst gelten.

Deutsche Schuld ist für uns kein abschließend geklärtes Thema.

Dariusz Pawlos [3]

Pawlos sieht in Deutschland auch bei einem weiteren Thema, den EU-Geldern, in einer Art Bringschuld. Es handle sich immerhin um "das einflussreichste Land in der EU". So könnte die deutsche Regierung dazu beitragen, "dass Polen endlich die 36 Milliarden Euro aus dem Corona-Aufbaufonds ausgezahlt werden". Ein finanziell solides Polen sei auch im Interesse Deutschlands.

Zu den Patriot-Systemen, die Deutschland an Polen liefern sollte, äußerte sich de neue polnische Botschafter in Berlin der Sonntagszeitung gegenüber so: "Die Frage ist nicht, ob, sondern wann die Patriot-Batterien nach Polen kommen. Eine Entscheidung wird rasch bekannt gegeben." (Die Red.)

Jarosław Kaczyński: "Polen kann keinen starken Staat haben, weil unsere Nachbarn dies nicht wollen."

Im Herbst 2023 finden in Polen die Parlamentswahlen statt. PiS (Recht und Gerechtigkeit), die Partei von Jarosław Kaczyński, muss fürchten, abgewählt zu werden. Zu dem Zweck wird die polnische Opposition dämonisiert und in die Rolle als Kollaborateur des polnischen Feindes Deutschland gerückt.

Die PiS-Regierung verlangt überdies 1,3 Billionen Euro Reparationszahlungen [4] für begangenes Unrecht des Nazi-Regimes von Deutschland. Dariusz Pawłoś, der polnische Botschafter in Berlin, erklärte: "Die Bundesregierung hält die Angelegenheit für rechtlich abgeschlossen. Wir nicht [5]. Kriegsverbrechen verjähren nicht."

Wie gespannt die Stimmung ist, ließ sich auch an der Auseinandersetzung über die Patriot-Abwehrsysteme sehen. Verteidigungsministerin Lambrecht bot am 20. November Polen solche an, nachdem eine ukrainische S-300-Rakete am 15. November auf polnisches Territorium gestürzt war und zwei Menschen tötete.

Trotz Versuchen von ukrainischer Seite, allen voran von Präsident Selenskyj, die Russen verantwortlich zu machen, war man in Polen und dem Rest der Nato entschlossen, dieses Mal dem Narrativ nicht zu folgen, um nicht in den Krieg gezogen zu werden.

Es setzte sich die Version durch, dass die Rakete von ukrainischen Truppen zur Abwehr von russischen Raketen abgeschossen wurde und versehentlich in Polen einschlug, weil der Selbstzerstörungsmechanismus nach Verfehlen des Ziels nicht ausgelöst wurde. Die wirklichen Schuldigen seien aber die Russen, die den Krieg begonnen haben.

Die Lieferung der Patriot-Systeme

Warum Lambrecht dennoch Polen Patriot-Systeme gegen russische Raketen anbot, mag eher damit zu tun haben zu demonstrieren, dass Deutschland Polen – und die Nato an der Ostflanke – auch militärisch unterstützt, um gute Stimmung zu erzeugen. Schließlich wurde Deutschland häufig kritisiert, zu zögerlich zu sein und zu wenige Waffen an die Ukraine zu liefern.

Schnell kam Jarosław Kaczyński ins Spiel, der vorschlug, um die Bundesregierung zu brüskieren, dass die Luftabwehrsysteme doch an die Ukraine geliefert werden sollten, wohl wissend, dass dies die Bundesregierung nicht machen wird.

Auch die USA lieferte bislang keine Patriot-Systeme, zudem müsste zum Bedienen und Einschulen deutsches Personal in die Ukraine verlegt werden. Auf ukrainischen Boden, so die polnische Argumentation, könne man russische Raketen, auch solche, die Richtung Polen unterwegs sind, besser abschießen.

Die US-Regierung hielt sich raus und gab den Schwarzen Peter an die Bundesregierung, welche Waffen an die Ukraine geliefert werden, sei eine Entscheidung der einzelnen Länder. Deutschland argumentiert, die Systeme seien Teil des kollektiven Verteidigungssystems der Nato, müssten also auf Nato-Territorium bleiben.

Tobias Lindner, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, sagte, sie würden in Polen an der Ostflanke verlegt [6] werden. Überdies versicherte er, dass sowohl die "deutsche Öffentlichkeit unsere Politik bei der Unterstützung der Ukraine sehr" unterstütze uns es auch einen breiten Konsens im Parlament gebe:

Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass wir die Ukraine so lange wie nötig unterstützen werden – mit humanitärer Hilfe, beim Wiederaufbau und auch mit militärischer Hilfe.

Tobias Lindner, Staatssekretär im Auswärtigen Amt

Zudem sagte er, dass es im Krieg legitime militärische Ziele außerhalb des ukrainischen Territoriums gebe, er nannte explizit Russland. Die Bundesregierung bremst nach den ukrainischen Drohnenangriffen auf russische Luftwaffenstützpunkte die Ukraine nicht.

Nach langem Hin und Her akzeptierte die polnische Regierung dann das deutsche Angebot. Allerdings unter Bedingungen. Mariusz Błaszczak, stellvertretender Ministerpräsident und Verteidigungsminister, beschwert sich weiterhin, dass Deutschland die Vertraulichkeit über die Gespräche nicht gewahrt [7] habe, die allerdings von der polnischen Regierung und Medien hochgespielt wurden.

Voraussetzung für das gnädige Entgegennehmen ist, dass die Patriot-Systeme zwar mit deutschem Personal nach Polen verlegt werden, aber dem polnischen Kommando unterstellt werden. Deutschland kann dann nicht mehr alleine über ihren Einsatz entscheiden. Die Patriot-Systeme könnten also zu einem gefährlichen Spielzeug werden.

Hässlicher Wahlkampf

Während einer Rede zu PiS-Anhängern in Chojnice nahm der rechtsnationalistische Kaczyński kein Blatt vor den Mund. Man werde alle jene "vernichten", die vulgär gegen die Regierung protestieren.

Damit meinte er die Verwendung von acht Sternen (********), die "Jebać PiS" (Fuck PiS) bedeuten sollen, sowie von Wypierdalać (Fuck off).

Während der Proteste gegen das von der PiS eingebrachte Abtreibungsverbot, wurden diese Slogans geprägt, verbunden wurde Wypierdalać mit dem Logo von Solidarnosc. Auch in Chojnice zeigten Demonstranten das Acht-Sterne-Logo. "Acht Sterne, das Wort, das mit w beginnt", sagte Kaczyński.

Eine solche offene Grobheit soll unsere Gesellschaft auf die Ebene des Lumpenproletariats reduzieren.

Jarosław Kaczyński

Es geht natürlich auch um die Milliarden Euro, die von der EU wegen des Vorwurfs noch nicht an Polen fließen, das beanstandete Disziplinarkammer beim Obersten Gericht für Richter nur gegen eine gleichartige für "berufliche Verantwortung" ersetzt zu haben.

Für den PiS-Chef verstößt die EU damit gegen Gesetze. Und er sagt, dass die Intervention von Menschen ausgeführt werden, die "bestimmte Länder, insbesondere Deutschland, mehr schätzen als Polen" [8].

Es gibt solche Menschen, und sie haben sich auch in den schwierigsten Situationen, sogar während des Zweiten Weltkriegs, hervorgetan. Jeder, der sich ein wenig mit Geschichte auskennt, weiß das. Solche Leute sind heute daran beteiligt, Polen durch diese Methode des politischen Kampfes zu erniedrigen, um Gewalt in das öffentliche Leben einzuführen.

Jarosław Kaczyński

Vor kurzem klagte er über die deutsche "Dominanz" in Europa [9] und griff wieder auf den Zweiten Weltkrieg zurück. Deutschland wolle mit friedlichen Methoden die Pläne verwirklichen, die es einst mit militärischen Mitteln habe umsetzen wollen.

Jetzt sagte er, es sei das Ziel dieser Leute, womit er die polnische Opposition und die Deutschen meint, dass Polen keine starke Nation sein könne:

Es kann keinen starken Staat haben, weil unsere Nachbarn dies nicht wollen. Aber nein: Wir werden einen starken Staat haben und wir werden diese Menschen vernichten.

Jarosław Kaczyński

In Kaczyńskis Verschwörungstheorie wird die Oppositionspartei Bürgerplattform (PO), die von 2007 bis 2015 regiert hat, als Handlanger deutscher und gleich auch noch russischer Interessen [10] ausgemacht:

Die Politik unserer Vorgänger war eine Politik der Unterwerfung unter Deutschland, das bedeutet de facto unter Russland. Wir wollen nicht unter dem Stiefel stehen, das ist der fundamentale Unterschied zwischen und unseren Gegnern, weder unter dem deutschen Stiefel, noch unter dem russischen oder irgendeinem anderen.

Jarosław Kaczyński

Er sagte, man müsse eine Truppe zum Schutz der Wahlen [11] (Korpusie Ochrony Wyborów) mit 80.000 oder 90.000 Mann aufstellen.

Die Opposition sieht sich verständlicherweise im Visier der PiS [12], wenn deren Chef von Zerstörung spricht.

Selbst die Kommunisten haben sich nicht erlaubt, öffentlich die Vernichtung von Menschen anzukündigen, die andere Ansichten haben als die Regierung.

Jan Grabiec, Sprecher der Bürgerplattform

Marcin Kierwiński, Generalsekretär der Bürgerplattform, sagte: "Der Wunsch, Polen zu vernichten, die die PiS nicht unterstützen, zeigt, dass Kaczynski vor Hass an die Wand gefahren ist. Hinter ihm steht … Weißrussland." Borys Budka, der Vorsitzende der Bürgerplattform sagte:

"Wir werden diese Menschen vernichten", ist das Motto von Kaczyńskis Regierung. Für ihn ist jeder ein Feind, der nicht wie er denkt. Er behandelt Polen wie eine private Farm und sein einziges Ziel ist Macht.

Borys Budka, der Vorsitzende der Bürgerplattform

Umfragen sehen Oppositionsparteien vorne

Nach der neuesten Wahlumfrage von letzter Woche kam die PiS auf 33,6 Prozent der Stimmen [13] . An zweiter Stelle läge die Bürgerkoalition mit einer Unterstützung von 26,9 Prozent, die neue grüne Mittepartei Polen 2050 erreichte 10,8 Prozent.

In den Seijm kämen auch noch die Linke (9,7 Prozent), die Polnische Bauernpartei PSL (5,9 Prozent) und die nationalistische, neoliberale und EU-kritische Konfederacja (5 Prozent). Die Oppositionsparteien hätten also eine deutliche Mehrheit.

Die Bürgerplattform strebt ein Zusammengehen der vier linksliberalen Oppositionsparteien (PO, Polen 2050, Linke und PSL) an, die nach der Umfrage, wenn sie vereint antreten, eine Mehrheit von 48,3 Prozent gegenüber der PiS mit 37,2 Prozent gewinnen würden. Profitieren würde die Konfederacja, die 8,1 Prozent erzielen könnte.

Eine Schlappe könnte der PiS am Dienstag drohen, wenn der Sejm über das Misstrauensvotum gegen den Justizminister Zbigniew Ziobro abstimmt, das PO, Linke und Polen 2050 eingebracht haben. Ziobro, der Architekt der polnischen "Justizreform", ist von der rechten Partei Solidarna Polska, die mit der PiS eine Koalition bildet.

Der Beitrag entstand in Kooperation mit dem Overton-Magazin [14].


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https://www.heise.de/-7391693

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.faz.net/aktuell/politik/wie-politiker-in-polen-deutschland-zum-feindbild-machen-18523269.html
[2] https://www.welt.de/politik/ausland/plus242600403/Dariusz-Pawlos-Polen-ist-der-Anwalt-der-Ukraine.html
[3] https://www.welt.de/politik/ausland/plus242600403/Dariusz-Pawlos-Polen-ist-der-Anwalt-der-Ukraine.html
[4] https://overton-magazin.de/top-story/polen-will-deutschland-wegen-geforderter-reparationszahlungen-international-unter-druck-setzen/
[5] https://www.polskieradio.pl/399/7980/Artykul/3084933,Ambasador-RP-w-Niemczech-dla-Welt-am-Sonntag-zbrodnie-wojenne-nie-ulegaja-przedawnieniu
[6] https://ukrainian.voanews.com/a/germany-mfa-on-patriot-drones-/6869637.html
[7] https://www.pap.pl/aktualnosci/news%2C1503103%2Cszef-mon-potwierdza-niemcy-naruszyli-poufnosc-rozmow-o-patriotach.html
[8] https://www.tvp.info/65006408/zniszczymy-tych-ludzi-zobacz-co-naprawde-powiedzial-prezes-pis-jaroslaw-kaczynski
[9] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/kaczynski-dominanz-europa-101.html
[10] https://notesfrompoland.com/2022/12/08/we-will-destroy-these-people-says-polish-leader-kaczynski-in-response-to-protests/
[11] https://twitter.com/pisorgpl/status/1600913124730683392
[12] https://www.tvp.info/65006408/zniszczymy-tych-ludzi-zobacz-co-naprawde-powiedzial-prezes-pis-jaroslaw-kaczynski
[13] https://wiadomosci.wp.pl/opozycja-razem-czy-osobno-sprawdzilismy-wszystkie-scenariusze-na-wybory-6842049297812000a
[14] https://overton-magazin.de/top-story/jaroslaw-kaczynski-wir-werden-einen-starken-staat-haben-und-wir-werden-diese-menschen-vernichten/