Kaczyński: Deutschlands Stiefel und Polens Knechtschaft
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Affektgeladener Wahlkampf in Polen; Spannungen zwischen den Nachbarn: Konflikt über Reparationszahlungen, Patriot-Lieferung und EU-Einfluss Berlins. PiS-Chef nennt Opposition in Polen "Handlanger der Deutschen".
Heute besucht der polnische Präsident Andrzej Duda seinen deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier. Zwischen den beiden Ländern gibt es einigen Gesprächsbedarf.
Konfliktstoffe sind die polnische Forderung nach Reparationszahlungen, die Verlegung deutscher Flugabwehrraketensysteme vom Typ Patriot nach Polen und der deutsche Einfluss in der EU. Auch da geht es um große Summen Geld – und um Forderungen der polnischen Regierung an die Adresse Deutschlands.
Der Vorsitzende der Regierungspartei PiS, Jarosław Kaczyński, macht das gespannte Verhältnis zwischen den beiden Nachbarn zu einem Wahlkampfthema mit Affekt-Rhetorik. So warnte er bei einer Wahlkampfveranstaltung vor einer vertieften EU-Integration, die von Berlin angestrebt würde. Mit der Folge für Polen, wie ihn die FAZ zitiert, dass das Land "unter den deutschen Stiefel geraten" würde.
Laut der Zeitung rede Jarosław Kaczyński seinen Landsleuten ein, "Berlin knechte Europa und wolle den Polen die Unabhängigkeit nehmen".
"Unter einem Stiefel lebt es sich schlecht", so Kaczyński. Nach seiner Auffassung sei Brüssel lediglich das "ausführende Organ". Die Entscheidungen würden in Berlin fallen. Polen drohe, dass es seine Unabhängigkeit verliere.
Indessen erinnerte der neue polnische Botschafter in Berlin, Dariusz Pawlos, in einem Interview mit der Welt am Sonntag an das Konfliktthema "Reparationszahlungen". Für eine solche Forderung, "ein für alle schmerzhaftes Thema", gebe es keinen guten Zeitpunkt.
Das Vorankommen bei diesem Thema hänge von beiden Seiten ab. Pawlos gibt zu bedenken, "dass es gerade in Kriegszeiten wichtig ist, daran zu erinnern, dass Kriegsverbrechen nicht verjähren".
Wir sind Zeugen eines neuen Vernichtungskrieges in der Ukraine. In diesem Zusammenhang erklärte Bundesjustizminister Buschmann erst kürzlich, dass das, was Russland tut, nicht ungesühnt bleiben dürfe. Das sehen wir auch so. Was wir und Deutschland gegenüber Russland fordern, sollte aber auch für Deutschland selbst gelten.
Deutsche Schuld ist für uns kein abschließend geklärtes Thema.
Dariusz Pawlos
Pawlos sieht in Deutschland auch bei einem weiteren Thema, den EU-Geldern, in einer Art Bringschuld. Es handle sich immerhin um "das einflussreichste Land in der EU". So könnte die deutsche Regierung dazu beitragen, "dass Polen endlich die 36 Milliarden Euro aus dem Corona-Aufbaufonds ausgezahlt werden". Ein finanziell solides Polen sei auch im Interesse Deutschlands.
Zu den Patriot-Systemen, die Deutschland an Polen liefern sollte, äußerte sich de neue polnische Botschafter in Berlin der Sonntagszeitung gegenüber so: "Die Frage ist nicht, ob, sondern wann die Patriot-Batterien nach Polen kommen. Eine Entscheidung wird rasch bekannt gegeben." (Die Red.)
Jarosław Kaczyński: "Polen kann keinen starken Staat haben, weil unsere Nachbarn dies nicht wollen."
Im Herbst 2023 finden in Polen die Parlamentswahlen statt. PiS (Recht und Gerechtigkeit), die Partei von Jarosław Kaczyński, muss fürchten, abgewählt zu werden. Zu dem Zweck wird die polnische Opposition dämonisiert und in die Rolle als Kollaborateur des polnischen Feindes Deutschland gerückt.
Die PiS-Regierung verlangt überdies 1,3 Billionen Euro Reparationszahlungen für begangenes Unrecht des Nazi-Regimes von Deutschland. Dariusz Pawłoś, der polnische Botschafter in Berlin, erklärte: "Die Bundesregierung hält die Angelegenheit für rechtlich abgeschlossen. Wir nicht. Kriegsverbrechen verjähren nicht."
Wie gespannt die Stimmung ist, ließ sich auch an der Auseinandersetzung über die Patriot-Abwehrsysteme sehen. Verteidigungsministerin Lambrecht bot am 20. November Polen solche an, nachdem eine ukrainische S-300-Rakete am 15. November auf polnisches Territorium gestürzt war und zwei Menschen tötete.
Trotz Versuchen von ukrainischer Seite, allen voran von Präsident Selenskyj, die Russen verantwortlich zu machen, war man in Polen und dem Rest der Nato entschlossen, dieses Mal dem Narrativ nicht zu folgen, um nicht in den Krieg gezogen zu werden.
Es setzte sich die Version durch, dass die Rakete von ukrainischen Truppen zur Abwehr von russischen Raketen abgeschossen wurde und versehentlich in Polen einschlug, weil der Selbstzerstörungsmechanismus nach Verfehlen des Ziels nicht ausgelöst wurde. Die wirklichen Schuldigen seien aber die Russen, die den Krieg begonnen haben.
Die Lieferung der Patriot-Systeme
Warum Lambrecht dennoch Polen Patriot-Systeme gegen russische Raketen anbot, mag eher damit zu tun haben zu demonstrieren, dass Deutschland Polen – und die Nato an der Ostflanke – auch militärisch unterstützt, um gute Stimmung zu erzeugen. Schließlich wurde Deutschland häufig kritisiert, zu zögerlich zu sein und zu wenige Waffen an die Ukraine zu liefern.
Schnell kam Jarosław Kaczyński ins Spiel, der vorschlug, um die Bundesregierung zu brüskieren, dass die Luftabwehrsysteme doch an die Ukraine geliefert werden sollten, wohl wissend, dass dies die Bundesregierung nicht machen wird.
Auch die USA lieferte bislang keine Patriot-Systeme, zudem müsste zum Bedienen und Einschulen deutsches Personal in die Ukraine verlegt werden. Auf ukrainischen Boden, so die polnische Argumentation, könne man russische Raketen, auch solche, die Richtung Polen unterwegs sind, besser abschießen.
Die US-Regierung hielt sich raus und gab den Schwarzen Peter an die Bundesregierung, welche Waffen an die Ukraine geliefert werden, sei eine Entscheidung der einzelnen Länder. Deutschland argumentiert, die Systeme seien Teil des kollektiven Verteidigungssystems der Nato, müssten also auf Nato-Territorium bleiben.
Tobias Lindner, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, sagte, sie würden in Polen an der Ostflanke verlegt werden. Überdies versicherte er, dass sowohl die "deutsche Öffentlichkeit unsere Politik bei der Unterstützung der Ukraine sehr" unterstütze uns es auch einen breiten Konsens im Parlament gebe:
Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass wir die Ukraine so lange wie nötig unterstützen werden – mit humanitärer Hilfe, beim Wiederaufbau und auch mit militärischer Hilfe.
Tobias Lindner, Staatssekretär im Auswärtigen Amt
Zudem sagte er, dass es im Krieg legitime militärische Ziele außerhalb des ukrainischen Territoriums gebe, er nannte explizit Russland. Die Bundesregierung bremst nach den ukrainischen Drohnenangriffen auf russische Luftwaffenstützpunkte die Ukraine nicht.
Nach langem Hin und Her akzeptierte die polnische Regierung dann das deutsche Angebot. Allerdings unter Bedingungen. Mariusz Błaszczak, stellvertretender Ministerpräsident und Verteidigungsminister, beschwert sich weiterhin, dass Deutschland die Vertraulichkeit über die Gespräche nicht gewahrt habe, die allerdings von der polnischen Regierung und Medien hochgespielt wurden.
Voraussetzung für das gnädige Entgegennehmen ist, dass die Patriot-Systeme zwar mit deutschem Personal nach Polen verlegt werden, aber dem polnischen Kommando unterstellt werden. Deutschland kann dann nicht mehr alleine über ihren Einsatz entscheiden. Die Patriot-Systeme könnten also zu einem gefährlichen Spielzeug werden.