Wie berechtigt sind die Warnungen vor der "Hellbrise"?
Ex-RWE-Manager Fritz Vahrenholt warnt vor zu viel Wind- und Sonnenstrom im Netz. Er nennt das Phänomen "Hellbrise". Doch wie gefährlich ist die Situation wirklich?
In seinen energiewirtschaftlichen Ansichten wurde Fritz Vahrenholt ganz offensichtlich in seiner Zeit im Vorstand des RWE-Konzerns geprägt, der damals noch voll auf seine Braunkohleabbaurechte im rheinischen Kohlerevier setzte. Nachdem er sich aus dem RWE-Innogy-Vorstand zurückgezogen hatte, fand er seine Aufgabe bei der Deutschen Wildtierstiftung, welche er in einen strammen Anti-Windkraft-Lobbyverein umgebaut hatte.
Mit seiner Ansicht, dass der Klimawandel nicht durch den Menschen beeinflusst werde und seiner Nähe zur Klimaleugnerszene stieß er bei der Deutschen Wildtierstiftung jedoch auf Widerstand und so konzentrierte er seine Arbeit auf wissenschaftlich fundiert erscheinende Bücher und weitere Publikationen, die bei Fachleuten jedoch kaum Begeisterung hervorriefen.
Die 'Hellbrise' – Vahrenholts aktuelle Warnung
Aktuell warnt er vor einer Hellbrise, welche weit gefährlicher sei als die so gefürchtete Dunkelflaute, heißt es im rechts-konservativen Magazin Tichys Einblick. Statt zu wenig Wind und Sonneneinstrahlung, die Deutschland gezwungen hatte, Strom im europäischen Ausland einzukaufen, was preiswerter war als die deutschen Gaskraftwerke anzuwerfen, drohe jetzt schon bald, ein Überangebot der Erneuerbaren, was er als Hellbrise bezeichnet. Das ist aus seiner Sicht noch viel gefährlicher.
Seine Hellbrise droht bei blauem Himmel und Sommermittagssonne sowie einem "leichten Wind über Deutschland", wenn das Land in Feiertagslaune weniger Strom benötigt als aus Photovoltaik verfügbar wäre. Dass sich Windkraftanlagen bei einem Stromüberangebot vergleichsweise einfach aus dem Wind drehen lassen, scheint für Vahrenholt so wenig ein Thema zu sein wie die Tatsache, dass Netzbetreiber bei drohenden Netzengpässen auch Photovoltaik-Anlagen abregeln können.
Zweifelsohne lässt sich dieser Vorgang noch verbessern, sodass nicht die PV-Anlage abgeregelt wird, sondern die Einspeisung ins Netz. Der Eigenverbrauch wäre dadurch eben sowenig betroffen wie die Einspeisung in einen eigenen PV-Speicher.
Demokratisierte, dezentrale Stromerzeugung als Gefahr für den Stromhandel?
Die Dezentralisierung der Stromerzeugung scheint so manchem Stromhändler das Geschäft zu vermasseln, weil er sich nicht mit der Dezentralisierung der Stromerzeugung arrangieren mag, wie der von Vahrenholt zitierte Blogbeitrag im pv magazine zeigt, der nicht die Meinung der Redaktion von pv magazine wiedergibt.
Auch sein Hinweis auf acht Gigawatt konventioneller Must-Run-Kapazität ist letztlich kein Argument gegen die Erneuerbaren. Ein Ausbau von Speichern im Netz könnte einen großen Teil der nicht regelbaren konventionellen Must-Run-Kapazität überflüssig machen. Diese Erkenntnis ist keinesfalls neu.
Vahrenholts Forderungen und seine Position zum anthropogenen Klimawandel
Was Vahrenholt mit seiner Hellbrisen-Panikmache offensichtlich anstrebt, zeigt sein Zitat aus dem ober erwähnten Blogbeitrag im pv magazine der fordert:
Etwa die Sondervergünstigen für Dachanlagen wie Befreiung von Netzentgelten, Mehrwertsteuer und Stromsteuer sofort abzuschaffen, damit der Ausbau von nicht steuerbaren Dachanlagen zum Erliegen kommt.
Da derartige Forderungen weder in den Wahlprogrammen von SPD und CDU noch bei den Grünen zu finden sind, springt Vahrenholt wieder auf seine sattsam bekannte Position zurück, dass es keinen anthropogenen Klimawandel gäbe.
Und wem dies nicht genügt, den begeistert er mit seiner Polemik, dass er gerne wüsste, "wie Deutschland mit einem Anteil von 1,5 Prozent an der CO2-Emission der Welt … die Durchschnittstemperatur auf 1,5 oder 2 Grad Celsius begrenzen kann."
Mit einem deutlich erkennbaren Blick nach Argentinien fabuliert er dann:
Den gesamten Sommer wird Deutschland zittern müssen, wenn nicht endlich eine Bundesregierung mit der Kettensäge durch das Dickicht der falschen Energiepolitik fährt, die uns Wohlstand und Arbeitsplätze kostet und für den Fall der Hellbrise uns weltweit der Lächerlichkeit preisgibt.
Vahrenholts Aversion gegen Erneuerbare und seine Position zur privaten Dach-PV-Anlagen
In seiner Aversion gegen die Erneuerbaren sind für Vahrenholt die privaten Dach-PV-Anlagen, welche schon versiegelte Flächen zur Stromerzeugung nutzen, kein Argument für die dezentrale Stromerzeugung.
Aber auch gegen die Freiflächenphotovoltaik positioniert er sich mit dem Vorwurf, dass die hohen Pachtpreise, die die Goldgräber der Solarprojekte den Landwirten zu zahlen bereit sind, die Landwirte, die diese hohen Pachtpreise nicht erwirtschaften können, aus der landwirtschaftlichen Produktion verdrängen würden. Dabei werden die Pachtpreise für landwirtschaftliche Flächen in der Hauptsache durch branchenfremde Investoren wie Aldi getriggert.
Dass Vahrenholt auf eine Renaissance der Fossilen hofft, zeigt die zum Ende seiner Abhandlung formulierte Erwartung zur Wiederaufnahme der Gaslieferungen aus Russland über den noch intakten Teil der Nord-Stream-Pipelines und eine nach dem Fall des Assad-Regimes erhoffte 1.500 km lange Pipeline von Katar in die Türkei, wobei Katar Gaslieferungen in die EU inzwischen nur noch dann durchführen will, wenn die EU auf ihr Lieferkettengesetz verzichtet.