Krank? Pech gehabt! Manager wollen Gehalt teilweise streichen
Manager großer Konzerne fordern einen Karenztag bei Krankheit. Arbeitnehmer sollen am ersten Tag kein Gehalt mehr bekommen. Was die Bosse dabei verschweigen.
Gestiegene Krankentage sorgen für Diskussionen. Der Allianz-Vorstand Oliver Bäte fordert, dass die Arbeitnehmer am ersten Tag der Krankmeldung keinen Lohn mehr erhalten sollen: "Damit würden die Arbeitnehmer die Kosten für den ersten Krankheitstag selbst tragen". Durch diesen Karenztag würden die Arbeitgeber entlastet.
Auch Mercedes-Boss Ola Källenius unterstützt den Vorschlag, denn der hohe Krankenstand sei ein Problem für die Unternehmen.
Da die Arbeitgeber die Lohnfortzahlung ab dem ersten Arbeitstag zu tragen haben, haben sie schon häufiger gefordert, die Belastung für die Unternehmen durch die Ausfälle der Beschäftigten zu reduzieren. Denken Sie etwa an die Hausbesuche der Tesla-Manager.
Prof. Dr. Michael Fuhlrott, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Die Reaktion der Manager zeigt, dass sich die Zeiten ändern. Zu einer "neue Leistungsdebatte für Deutschland" ruft Haufe.de auf. "Denn der Leistungsbegriff ist in den Jahren des wirtschaftlichen Erfolgs zunehmend gesellschaftlich in Verruf geraten", stellt die Haufe-Online-Redaktion fest. "Wir sollten wieder stolz darauf sein, etwas leisten zu können".
Sorge um Arbeitsunlust und innere Kündigung
Eine vermeintliche "Arbeitsunlust" und die "innere Kündigung" vieler Angestellter beschäftigt Tina Ruseva, Vorsitzende des Bundesverbands New Work:
Die Antwort könnte in der Art und Weise liegen, wie sich Arbeit in den letzten 40 Jahren seit der Einführung des Internets verändert hat.
In der Vergangenheit gab es eine Arbeitswelt mit "einem engmaschigen Netz aus Anweisungen, Abläufen und Autoritäten", so Ruseva. Arbeiten wurde vom "Müssen" beherrscht. Die zunehmende Digitalisierung fördere aber eine andere Art der Arbeitsorganisation. Teamarbeit werde bedeutsamer, ein anderes Arbeiten mit New Work bestimmend.
Mit jedem Klick und jeder neuen Software verließen wir Stück für Stück die starren Büroschreibtische, bis wir uns schließlich ganz in der Cloud wiederfanden. In dieser schwebenden, digitalen Welt arbeiten wir nicht mehr an einem festen Ort, sondern in einem Netzwerk aus Daten und Ideen, das uns überallhin begleitet.
Tina Ruseva
Und das "traditionelle Arbeitsethos, zusammen mit seinen festen Regeln und Gewohnheiten", verflüchtigte sich, beschreibt die New-Work-Expertin. Der Weg gehe von "Standardisierung zu Innovation und von Muss-Kultur zu Eigenmotivation".
Ethik solle nicht vergessen werden, fordert Gregor Thüsing. Der Professor findet, dass "ethische Fragen im Arbeits- und Sozialrecht zunehmend an Bedeutung gewinnen". Der Direktor des Instituts für Arbeitsrecht an der Universität Bonn wurde im Oktober 2024 in den Deutschen Ethikrat berufen. Er ist damit der erste Arbeits- und Sozialrechtler in diesem Gremium.
Unternehmen "sollten auch ethische Standards erfüllen, die das Wohl der Mitarbeiter in den Mittelpunkt stellen. Wenn Unternehmen ethische Werte in ihrer Personalpolitik verankern, kann das nicht nur das Arbeitsklima verbessern, sondern auch die Mitarbeiterbindung und das Ansehen des Unternehmens steigern", sagt der Jurist. "Ethik kann zudem dabei helfen, die Arbeitskultur in Unternehmen zu stärken".
Leistungsdruck durch New Work
New Work als einen Weg zur Selbstbestimmung zu beschreiben, lässt die Erfahrungen von vielen Beschäftigten außen vor. Denn die Unternehmensleitung steuert die Arbeitsprozesse indirekt, indem sie Ziele, häufig in Form von Kennziffern, vorgibt, die die Beschäftigten erfüllen müssen.
Dabei ist nicht "der Weg" das Vorrangige, vielmehr entscheidet der Angestellte, wie das Ziel zu erreichen ist. Dies kann in der Praxis über agile Steuerung oder Zielvereinbarungen erfolgen. Das Arbeitsverhältnis soll zum Verhältnis "Dienstleister gegenüber Kunde" werden, um so scheinbar aus dem Arbeitenden einen "Unternehmer im Unternehmen" zu machen.
Arbeitsgruppen werden zueinander in Konkurrenz gesetzt, Teammitglieder kontrollieren einander. Dies führt häufig nicht nur zu massivem Zeitdruck, sondern auch zur Überforderung der Betroffenen. Die Folgen zeigen sich auch in den Krankstatistiken.
"Erneuter Höchststand bei psychisch bedingten Fehltagen im Job", meldete letztes Jahr die Krankenkasse DAK und berichtet über die Situation in den Betrieben.
Die Arbeitswelt befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel, vor allem durch die Digitalisierung, die Globalisierung und die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse.
Gregor Thüsing
"Während früher der Chef als klügste Person im Raum alle Entscheidungen traf", sei Wissen heute im gesamten Betrieb verteilt, so Start-up-Gründerin Tina Ruseva. Die Konzernlenker von Allianz und Mercedes zeigen, dass sie die Antworten genau kennen: Durch Druck auf Kranke wollen sie Probleme lösen.
Wirtschaftswissenschaftler Bernd Raffelhüschen ist bestens vernetzt mit wichtigen Managern hierzulande. Er fordert die nächste Bundesregierung auf, Karenztage zügig umsetzen. Dies sei "ein guter Weg, um selbst zu entscheiden, ob man arbeitsfähig ist oder nicht", meldet der MDR.