Kafala-System: Moderne Sklaverei in arabischen Ländern
Ein Aktivismus, der den Rassismus in den USA verurteilt, aber die Ausbeutung von Arbeitern im Rahmen einer Fußball-Weltmeisterschaft ignoriert, kann nicht überzeugen
Diskriminierung gegenüber Minderheiten ist leider auf der ganzen Welt immer noch ein tiefgreifendes gesellschaftliches Problem, das jedoch in den vergangenen Wochen aufgrund diverser tragischer Ereignisse und den darauffolgenden Protestbewegungen an Aufmerksamkeit dazugewonnen hat - zumindest in manchen Ländern.
Allerdings findet die Ungleichbehandlung nicht überall Gehör. In einigen arabisch-sprachigen Ländern, wie dem Libanon oder den Golfstaaten beispielsweise, findet regelrecht eine Ausbeutung gegenüber ausländischen Arbeitern und Arbeiterinnen statt.
Der Libanon hat gegenwärtig nicht nur mit Corona zu kämpfen, sondern auch mit einer gravierenden Wirtschaftskrise. Ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter trifft es hierbei besonders hart: Sie werden von ihren Arbeitgebern einfach auf die Straße ausgesetzt, da sie aufgrund der extrem hohen Inflation nicht mehr bezahlt werden können. Die meisten der Ausgesetzten sind Frauen, die aus Ländern wie Äthiopien, Ghana oder südostasiatischen Staaten wie Indonesien immigrierten.
Sie kümmerten sich um die Haushalte der wohlhabenden Schicht des Libanons. Jene Schicht, die sich Hausangestellte leisten konnte. Dennoch war das Leben vieler der arbeitenden Frauen auch vor der Krise eine buchstäbliche Hölle. Schuld daran ist das Kafala-System, eine Ordnung, welche die absolute Abhängigkeit der Arbeiter gegenüber den Arbeitgebern zulässt.
Von Ausbeutung bis zu sexuellen Misshandlungen
Arbeitsmigranten sind im Libanon vom Arbeitsgesetz ausgenommen. Stattdessen hängt das legale Aufenthaltsrecht dieser Arbeiterinnen und Arbeiter an das Vertragsverhältnis mit dem Arbeitgeber bzw. dem Bürgen (arabisch: "Kafil"). Löst er das Arbeitsverhältnis auf, so verlieren sie das Aufenthaltsrecht und müssen ausreisen. Die Arbeitnehmer haben auch nicht das Recht den Arbeitgeber ohne dessen Erlaubnis zu wechseln.
Aufgrund dieser absoluten Abhängigkeit ist es einfach die Arbeiter unter Druck zu setzen. Die Deutsche Welle spricht von einem monatlichen Gehalt zwischen 150 und 250 US-Dollar. Bereits vor der Wirtschaftskrise wurden allerdings viele Hausangestellte über Monate hinweg nicht ausbezahlt. Die meisten Arbeitskräfte aus afrikanischen oder asiatischen Ländern kommen in den Libanon mit der Hoffnung etwas Geld zu verdienen, welches sie ihren Familien im jeweiligen Heimatland zuschicken können.
Stattdessen müssen physische und psychische Gewalt erfahren und unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen leben. Neben Schlafmangel berichten die Frauen auch von sexuellen Übergriffen. Da der Staat den Arbeiterinnen keinen Schutz bietet, werden sie ausgebeutet. Es handelt sich um ein Leben in Knechtschaft. Hinzu kommt, dass die "Hausherren" häufig den Hausangestellten ihre Pässe wegnehmen, damit diese überhaupt nicht mehr ausreisen können. Amnesty International spricht in diesem Zusammenhang von moderner Sklaverei und verurteilt das Kafala-System aufs schärfste.
Nun, wo das libanesische Pfund immer weiter an Wert verliert, werden die Arbeiterinnen einfach auf die Straße gesetzt und ihrem Schicksal überlassen. Ohne Pass und ohne Geld sehen viele Frauen keinen anderen Ausweg als sich zu prostituieren. Dann wiederum gibt es Arbeitgeber, die ihre Angestellten nicht rausschmeißen, sondern auf widerlichste Weise versuchen ihre Geldbeutel zu füllen.
Im April stellte ein Mann seine nigerianische Angestellte in eine Facebook-Gruppe für 1.000 US-Dollar zum Verkauf: "Sie ist 30 Jahre alt, aktiv und sehr sauber", schrieb er. Er wurde später wegen des Verdachts auf Menschenhandel verhaftet, wie der Spiegel berichtet.
Die Fußball WM 2022 in Katar
Das Kafala-System ist auch in Golfstaaten wie Katar fest verankert, auch wenn es dort nicht mehr als solches bezeichnet wird. Für die Fußball Weltmeisterschaft 2022 soll dort das Al-Bayt-Stadion aufgebaut werden - auf Kosten von günstigen ausländischen Arbeitern. Eingewanderte Arbeitsmigranten machen in Katar etwa 80 Prozent der gesamten Arbeiterschaft aus.
Doch die Umbenennung eines Systems führt nicht zu dessen Abschaffung. So haben beispielsweise rund 100 Arbeiter an der Baustelle des Al-Bayt Stadions seit über einem halben Jahr kein Gehalt mehr bekommen. Regina Spöttl von Amnesty International, erwartet von den Fußball-Verbänden die ungerechte Behandlung gegenüber den Arbeitern nicht zu ignorieren: "Ein großes Sportfest wie die Fußball-WM kann doch nicht auf dem Rücken von zwei Millionen ausgebeuteten Arbeitsmigranten stattfinden."
In den vergangenen Wochen engagierten sich viele Fußball-Spieler und Vereine gegen den Rassismus in den USA im Zusammenhang mit dem Tod des Afroamerikaners George Floyd und schrieben auf ihre Trikots #Blacklivesmatter. 2022 wird sich zeigen, ob dieser Tätigkeitsdrang ernst gemeint war, oder ob es sich lediglich um einen kurzzeitigen Ausdruck handelte, um mit dem "Trend" mitzuschwimmen.
Ein Aktivismus, der den Rassismus in den USA verurteilt, aber die unmittelbar sichtbare Ausbeutung von Arbeitern im Rahmen einer Fußball-Weltmeisterschaft ignoriert, kann nicht überzeugen. Auf ungerechte Behandlung gegenüber Minderheiten sollte nicht nur im Westen aufmerksam gemacht werden, doch leider fehlt es in Ländern wie Libanon oder Katar an einer solidarischen Anteilnahme gegenüber dem Leid unterdrückter Arbeiter aus dem Ausland.