zurück zum Artikel

Kandidiert Erdogan für den Bundestag?

Video mit Wahlempfehlung von Erdogan als ADD-Wahlwerbung. Screenshot vom ADD-YouTube-Video

Migranten-Partei "ADD" wirbt mit Plakaten mit dem Konterfei des türkischen Präsidenten - nicht zufällig, denn sie verfolgen dieselbe Agenda: Mehr Einfluss und Stärkung des Islams

Die "Allianz Deutscher Demokraten" [1] (ADD) will sich vor allem für die Rechte hier lebender Menschen mit Migrationshintergrund stark machen. Dabei wartet sie mit allerhand originellen Ideen auf, wie z. B. Aufhebung des Bildungsmonopols des Staates, und ziert ihre Wahlplakate mit Fotos des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Säkularismus und Frauenförderung hält sie für Teufelswerk und die Todesstrafe für erstrebenswert.

Letzteres steht allerdings nicht im Wahlprogramm, sondern das tat der Gründer der "ADD", Remzi Aru, im Mai 2014 im ZDF kund: "Bei Gott, wir wollen die Todesstrafe." Geladen war er seinerzeit als Vertreter der "Union Europäisch-Türkischer Demokraten" (UETD), dem bundesdeutschen Ableger der türkischen Regierungspartei "AKP" (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung). Die UETD organisierte hierzulande den Wahlkampf von Erdoğan und auch das Referendum, das diesem die ersehnte Alleinherrschaft brachte.

Doch die Zeiten, in denen die politische Agenda sich auf die Türkei fokussiert, sind vorbei. Aru will mehr Einfluss - und zwar hier. Deshalb gründete er mit Gleichgesinnten die "ADD". Zum Zusammenleben auf gleicher Augenhöhe gehöre, dass Menschen aus Nicht-EU-Staaten, die teilweise seit Jahrzehnten in Deutschland leben, das kommunale Wahlrecht erhalten: "EU-Bürger dürfen bei Kommunalwahlen wählen, wenn sie seit drei Monaten in Deutschland wohnhaft sind. Angehörigen anderer Staaten bleibt das Wahlrecht jedoch verwehrt, auch wenn sie seit 40 Jahren in Deutschland wohnen und pünktlich Steuern und Stromrechnungen bezahlen", ist auf deren NRW-Webseite [2] zu lesen.

Da es derzeit keine deutsche Partei gebe, die die Interessen der hier lebenden Migrantinnen und Migranten vertrete, sei der Entschluss gefasst worden, eine eigene Partei zu gründen, so die Begründung. Das klingt erst einmal plausibel. Wenn da nur DIESE Partei nicht wäre - und deren Protagonisten. Zum Beispiel Orhan Erdoğan, Vorsitzender des Hamburger Landesverbandes der "ADD" , ein Anhänger antisemitischer Verschwörungstheorien [3]. Andere Unterstützer der Partei sind z. T. bekennende Antisemiten, was ein Blick auf deren Facebook-Profil [4] offenbart.

Screenshot aus dem ADD-YouTube-Video mit der Wahlempfehlung von Erdogan.

Zielgruppe sind türkische Migrantinnen und Migranten mit Vorliebe für Despoten

Über allem steht natürlich die Treue zu Recep Reis von Tayyipistan, die auf den Wahlplakaten zum Ausdruck gebracht wird, die dieser Tage der erstaunten Öffentlichkeit vorgestellt [5]. Kandidiert Erdoğan für den Bundestag? Das werden sich vermutlich in NRW in den kommenden Wochen so einige fragen.

Demnach sind die Zielgruppe vornehmlich türkische Migrantinnen und Migranten mit Vorliebe für Despoten. Allerdings haben diese vorerst ausschließlich in NRW die Möglichkeit, diese per Votum zum Ausdruck zu bringen, und auch nur mit der Zweitstimme. Als Grund dafür werden ein fehlendes Bankkonto und ein enges Budget angegeben. Außerdem biete [6] "NRW für die AD-Demokraten unter Berücksichtigung der Umstände derzeit das größte Potenzial. Somit ist der Einsatz der begrenzten Mittel hier am sinnvollsten und effektivsten".

Der eingangs zitierte Ausspruch Arus, der übrigens auch ansonsten gern als Gast durch verschiedene TV-Formate gereicht wurde, lässt nicht gerade auf ausgeprägtes demokratisches Bewusstsein schließen. Immerhin ist die Abschaffung der Todesstrafe in fast allen Staaten Europas eine der größten zivilisatorischen Leistungen nicht nur der EU, sondern des gesamten Kontinents. Selbst in der Türkei wurde sie auf Druck der EU abgeschafft - Erdoğan will sie jetzt wieder einsetzen.

Leben unter ständiger Bedrohung

Problematisch ist auch der Anlass für die Gründung, bzw. der Zeitpunkt: Der Entschluss wurde gefasst, nachdem der Bundestag Anfang Juni 2016 die sogenannte Armenien-Resolution verabschiedete [7].

Damit zog sich nicht nur die Bundesregierung den Zorn vieler hier lebender türkisch-stämmiger Menschen zu, sondern vor allem die Bundestags-Abgeordneten mit türkischen Wurzeln gerieten ins Visier. Sevim Dağdelen (Die Linke) und Cem Özdemir (Bündnis 90/die Grünen) können sich seitdem nicht mehr ohne Bodyguard bewegen. In einer Sendung von Markus Lanz im ZDF schilderte die Linken-Politikerin, welche Auswirkungen die ständige Bedrohung auf ihr Leben hat, und dass auch ihre Kinder davon nicht unberührt bleiben.

Memet Kiliç, der in Heidelberg für die Grünen als Bundestagskandidat antritt, berichtet [8] im aktuellen "Spiegel", wie sich die permanente Bedrohung auf sein Leben auswirkt. "Bevor Memet Kiliç in sein Auto steigt, prüft er erst einmal, ob alle Schrauben an den Rädern noch festsitzen. Im Zug reist er nur, wenn er weiß, dass er noch vor Sonnenuntergang zurück in Heidelberg sein wird. Seine Wohnung liegt zwar lediglich ein paar Minuten zu Fuß vom S-Bahnhof entfernt, 'aber das würde ich in der Dunkelheit nicht riskieren', sagt der Grünen-Politiker. 'Wer weiß, wer mir da folgt.' Der jüngste Sohn hat die Angst des Vaters bereits verinnerlicht. Der Sechsjährige überprüft vor dem Schlafengehen grundsätzlich, ob die Haustür abgeschlossen ist."

Drohmails, Beleidigungen über Twitter oder Verunglimpfungen auf Facebook bis hin zur Morddrohung sei alles dabei, so Kiliç. "Manchmal kämen die Attacken von Ausländerhassern", schreibt der "Spiegel", "aber hinter den meisten stünden Getreue des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Sie wollten ihn einschüchtern, damit er seine Politik ändere und endlich in die Spur komme, sagt Kiliç." Zwar war er nicht an der Abstimmung über die Armenien-Resolution beteiligt, aber "seit Jahren kritisiert der 50-Jährige Erdogan und seine AKP scharf."

Und nun, so scheint es, vereinigen sich diejenigen, die die Armenien-Resolution und/oder Kritik an ihrem geliebten "Büyük Lider" in Rage gebracht hat, in der "ADD".

Offensive des Islams

Der Blick auf die Webseite der ADD offenbart erst einmal nichts Außergewöhnliches: Familie, Bildung, Arbeitsmarkt, Gleichstellung, Datensicherheit, Energiewende, alles Themen, die andere Parteien, deren Mitglieder und die Wählerinnen und Wähler auch bewegen. Bei genauerem Hinsehen jedoch zeigt sich ein konservatives Weltbild sowie der Anspruch, den Islam in der Gesellschaft, insbesondere der Arbeitswelt, zu implantieren.

"Wer den gleichen Brummi fährt, die gleichen Autos repariert und die gleichen Systeme wartet, muss gleich bezahlt werden", heißt es unter der Rubrik "Frauen/Gleichstellung". Klingt gut. Ein paar Sätze später jedoch ist von "sachlich nicht gerechtfertigte Unterschieden" zwischen den Geschlechtern die Rede. Nachtigall, ick hör dir trapsen. Tatsächlich, noch ein paar Sätze weiter wird vor "ideologisch unterfütterter Gleichmacherei" gewarnt: Die in "akademischen Beschäftigungsprogrammen für selbsternannte Gesellschaftsarchitekten unter Titeln wie 'Frauenforschung' oder 'Gender Mainstreaming' propagierten" Maßnahmen seien abzulehnen. James Damore lässt grüßen [9]. Da haben wir ihn wieder den Zusammenhang zwischen vorsichtig formuliert konservativem Gedankengut und Sicherung der männlichen Privilegien.

"Die AD-Demokraten steht für ein selbstbewusstes, traditionsbewusstes, aber auch weltoffenes, multireligiöses und multinationales Deutschland, das einen gesunden Patriotismus und Nationalstolz pflegt", ist auf der Webseite unter der Rubrik "Identität, Patriotismus, Doppelpass" zu lesen. "Wir stehen für eine wohlwollende Neutralität des Staates gegenüber der Religion, diskriminierende Bestimmungen wie Kopftuchverbote müssen fallen."

"Die Glaubens- und Gewissensfreiheit muss auch auf dem privaten Arbeitsmarkt gewahrt bleiben", heißt es bei "Chancengleichheit für alle". Im Parteiprogramm ist zu lesen: "Der Islam gehört zu Deutschland. Mittlerweile leben viele Menschen islamischen Glaubens in der dritten Generation von Zuwanderern in Deutschland und es wird unsere Aufgabe sein, diese nicht auszugrenzen. Wir sind gegen eine direkt oder indirekt erzwungene Assimilierung!"

Das ist also der springende Punkt: eine Offensive des Islams. Analog zum Programm des "Büyük Lider", dem unbestätigten Meldungen aus der Türkei zufolge die türkische Religionsbehörde DIYANET inzwischen direkt unterstellt ist. DIYANET ist die übergeordnete Behörde von DITIB, die knapp 1000 Imame in Deutschland einsetzt.

Feindbild Säkularismus

In der Sendung "Frontal 21" Anfang 2017 sprach Aru von "ultrasäkularistischen totalitären Ideologien der Moderne", die seiner Ansicht nach "Europa in eine noch nie zuvor gekannte Katastrophe geführt" habe. Deshalb müssten "diskriminierende Bestimmungen wie Kopftuchverbote fallen."

Der Säkularismus scheint der Partei ein Dorn im Auge. Der bayrische ADD-Vorsitzende Halil Ertem sprach in einer Pressemitteilung [10] von "ewiggestrigem Säkularfundamentalismus", der seiner Ansicht nach nichts an Schulen verloren habe.

Erzürnt hat Ertem, dass in einer Nürnberger Schule muslimische Schülerinnen während des Ramadans, zum Essen angehalten wurden. Es gibt offenbar unterschiedliche Wahrnehmungen und auch Darstellungen über den Vorfall. Wie nordbayern.de berichtet [11], nahmen zwei 15jährige muslimische Schülerinnen als Externe an einer Prüfung in der Sperberschule in Nürnberg teil. Dort sollen sie nach der Prüfung aufgefordert worden sein, am gemeinsamen Essen teilzunehmen. Der Punkt ist: Es war eine Hauswirtschaftsprüfung, die Zubereitung des Essens und das Anrichten des Mahls war der Prüfungsgegenstand. Außerdem, das nur so am Rande, sollen muslimische Eltern ihre Kinder während der Schulzeit vom Ramadan befreien. Die Mädchen gaben an, es seien Sätze gefallen, die sie als beleidigend empfunden hätten. So soll eine der Lehrerinnen gesagt haben: "Ich akzeptiere den Islam erst, wenn in der Türkei Schweinefleisch gegessen wird." Sven Wößner, Rektor der Schule mit einem Anteil von 90 % Mädchen und Jungen mit Migrationshintergrund, 70% davon muslimisch, bezweifelt indes, dass diese Bemerkung gefallen sei.

Der Vorfall veranlasste Ertem zu der besagten Pressemitteilung. Statt den betroffenen Eltern begreiflich zu machen, dass Schülerinnen und Schüler - noch dazu in Prüfungsphasen - ihre ganze Energie brauchen und deshalb von solchen kräftezehrenden Ritualen zu befreien sind, fordert er laut und donnernd Anpassung - und zwar von der Mehrheitsgesellschaft.

Koranschulen für alle

Schule, bzw. die Schulpflicht, insbesondere das staatliche Bildungsmonopol, ist offenbar generell ein Reizthema für die "ADD": "Das Bildungs- und Schulsystem in Deutschland bereitet der AD-Demokraten ein besonderes Ausmaß an Sorge. Es ist zum Ziel radikaler und fanatischer Ideologen geworden, die schon an den Kleinsten ihre Gesellschaftsexperimente erproben wollen. Das elterliche Erziehungsrecht ist immer mehr zur Nebensache erklärt worden. Noch mehr Macht für noch mehr Staat ist die Maxime der Schul- und Bildungspolitik von Linken bis CSU.::ADD

Offenbar werden private islamische Schulen angestrebt:

Gleichzeitig ist nicht nur das Bildungsniveau eklatant gesunken, in vielen Schulen ist angesichts von Mobbing, Konformitätszwang, fehlender Disziplin sowie moralischem und sittlichem Niedergang die psychische und physische Gesundheit unserer Kinder in Gefahr. Statt sich das Versagen einzugestehen, ruft man nach noch mehr Staat und noch mehr Entmündigung der Eltern, bis hin zu einem Kitazwang. Die AD-Demokraten meint: Es muss Schluss sein mit der Vorstellung, Bildung wäre eine Untertanenpflicht gegenüber dem Staat, der durch sein Schulmonopol das Recht hätte, die gewünschte gesellschaftliche Homogenität zu erzeugen. Das preußische Zwangsschulmodell hat ausgedient. Bildung muss zur Dienstleistung gegenüber Eltern und Kindern werden und dafür muss es einen Markt geben können.::ADD


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3815385

Links in diesem Artikel:
[1] https://ad-demokraten.de/
[2] https://nrw.ad-demokraten.de/
[3] https://www.facebook.com/orhan.erdogan.3990/posts/1413427552034672
[4] https://www.facebook.com/mehmet.kaplan.7146557?fref=ufi
[5] https://www.facebook.com/207066919326902/photos/a.595623620471228.1073741824.207066919326902/1654378031262443/?type=3
[6] https://ad-demokraten.de/2017/07/ad-demokraten-fokussieren-sich-beim-bundestagswahlkampf-2017-auf-nrw/
[7] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundestag-armenien-resolution-im-wortlaut-a-1095397.html
[8] http://www.spiegel.de/spiegel/erdogan-fans-bedrohen-tuerkeistaemmige-kandidaten-im-wahlkampf-a-1164638.html
[9] https://www.heise.de/tp/features/Googeln-Sie-mal-von-vorgestern-Mr-Damore-3804769.html
[10] https://ad-demokraten.de/2016/06/schuelerin-im-ramadan-zum-essen-gezwungen/
[11] http://www.nordbayern.de/region/nuernberg/schulerinnen-im-ramadan-zum-essen-gezwungen-1.5273991