Googeln Sie mal "von vorgestern", Mr. Damore
Das im viel diskutierten "Google Manifest" formulierte Frauenbild scheint rückständig - ist jedoch aktueller denn je. Zeit für eine Debatte über einen neuen Typus "sozial verträglicher Mann"
Vermutlich erinnern sich einige noch an zu kurzen Daumen, der uns Frauen angeblich für eine Ausbildung zur Elektrikerin disqualifizierte. Jedenfalls wurde das Ende der 1970er Jahre behauptet. Diesen Unsinn glaubten wir unterdessen jedoch überwunden - nun ist er wieder da.
Allerdings ist es dieses Mal nicht der zu kurze Daumen, sondern es sind die falschen - wie auch immer - biologisch determinierten Präferenzen, die uns Frauen aus technischen Berufen und aus Leitungsfunktionen in Unternehmen ausschließen.
Diese These verbreitete der 27-jährige James Damore, der beim Konzern Google als Systementwickler beschäftigt war, in seinem 10-seitigen Papier unter der Überschrift "Googles ideologische Echokammer - Wie Voreingenommenheit unser Denken über Diversität und Inklusion verklärt", das inzwischen unter dem Schlagwort "Google Manifest" weltweit Berühmtheit erlangte.
Männer sind "Ideen" zugeneigt
Darin machte er sich seine Gedanken zum Thema "Diskriminierung am Arbeitsplatz". Er kam zu dem Schluss, dass es keine Diskriminierung sei, wenn in der IT-Branche primär Männer mit "Ideen" angestellt würden. Männer seien eher sachorientiert und "Ideen" zugeneigt. Dass diese Männer mit "Ideen" in erster Linie weiß sind, ist für ihn offensichtlich so selbstverständlich, dass er darauf gar nicht weiter eingeht. Außer in einem Nebensatz, in dem er bekennt: "Ich glaube fest an die Unterschiedlichkeit von Geschlechtern und Rassen."
(Anmerkung: Einige Leser haben darauf hingewiesen, dass hier die Übersetzung nicht korrekt ist. Die Autorin ist der Auffassung, es wäre reine reine Augenwischerei anzunehmen, dass sich James Damore positiv auf die Vielfalt beziehe, um dann auf 10 Seiten genau jene Sterotypen zu bemühen, die sich hinter dem Begriff "Gender" verbergen, um sie als Erklärung anzuführen, dass Frauen für solche Jobs eben nicht geschaffen seien. Ein andere Übersetzung würde an seiner Intention nichts ändern, James Damore ist kein Anhänger einer inklusiven, pluralistischen, egalitären Gesellschaft.)
Frauen sind seiner Ansicht nach eher an Menschen und sozialen Dingen interessiert als an beruflichen Karrieren und Statussymbolen. Diskriminierend, und zwar den Männern gegenüber, deren psychische Gesundheit er andernfalls gefährdet sieht, sei es, wenn nun - etwa wegen der Quote - Frauen beschäftigt würden, quasi gegen ihre biologische Bestimmung - und vor allem der des Mannes, sich die Pfründe, sprich interessante, gut bezahlte Arbeitsplätze zu sichern -, weil die linkslastigen Sozialwissenschaften das als Fortschritt propagierten.
Wir Frauen sind also nicht nur zu zart gebaut, sondern auch zu zart besaitet für die durch echte Kerle geprägte Arbeitswelt. Echte Kerle wie James Damore, Männer mit Visionen und hart im Nehmen, die ihre gut bezahlten Domänen mit Zähnen und Klauen verteidigen. Gegen Eindringlinge aller Art - vor allem aber gegen uns Frauen.
Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass es biologische Unterschiede gibt zwischen Männern und Frauen. Das ist gar nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass unsere Biologie immer gegen uns Frauen verwendet wird - um uns in der Arbeitswelt auf die billigen Plätze zu verweisen, völlig egal, wie gut unsere Abschlüsse auch sein mögen, uns die Familienarbeit aufzuhalsen, was dann wiederum missbraucht wird, um uns von der Karriereleiter zu schubsen oder sich gewaltsam an uns abzureagieren, was nicht selten zum 'Tod führt.
Der Punkt ist, dass "echte Kerle" wie Damore Frauenförderung als Akt der seelischen Grausamkeit begreifen. Das auszusprechen er als sein gutes Recht empfindet. Er konstatiert bei Google ein "psychologisch unsicheres Umfeld", das er wieder stabilisieren möchte.
Das sah der Konzern indes anders. Dort war Mann not amused über das Memo, das dem jungen Mann die Kündigung einbrachte - und ein Jobangebot von Wikileaks-Gründer Julian Assange. Seine Verärgerung über die Kündigung tat Damore in ultra-rechten Medien kund. So gilt z. B. der Photograph Peter Duke, der ihn in einem T-Shirt mit der Aufschrift "Goolag" fotografierte, als der "Annie Leibovitz der Alt-Right-Bewegung" (Alternative Rechte). Von der rechtsextremen Bewegung hat er sich allerdings inzwischen distanziert: "Nur weil jemand mich unterstützt, heißt es nicht, dass ich ihn auch unterstütze."
Laut CNN ist dieser Sinneswandel begründet in der Eskalation bei der ultra-nationalistischen Demo in Charlottesville am vergangenen Wochenende, bei der ein Rassist mit dem Auto in die Gegen-Demo geprescht ist und dabei eine Frau getötet hat.
Im Grunde wirft er wichtige Fragen auf
Die häufig "Manifest" genannte Schrift und der Umgang des Konzerns mit dem doch eher ideenlos anmutenden Wiederkäuer ewig-gestriger Vorstellungen über die biologische Bestimmung der Frau, löste nicht nur in den USA heftige Debatten aus.
Wissenschaftliche Untersuchungen pro und contra unterschiedlicher Beschaffenheit weiblicher und männlicher Gehirne haut man sich seither gegenseitig um die Ohren. Frauen, die in der IT-Branche beschäftigt waren, melden sich zu Wort, indem sie die dort erlebten sexuellen Übergriffe öffentlich machen, weltweit reagieren Journalistinnen von amüsiert bis empört auf die von Damore attestierte Unfähigkeit, leitende Tätigkeiten auszuüben.
Das ist gut. Noch besser aber wäre es, die Belustigung und/oder die Empörung mit der Frage zu verknüpfen, wie die Arbeitsgesellschaft verändert werden muss, damit Egalität und Chancengleichheit keine reinen Lippenbekenntnisse bleiben, gleiche Gehälter für gleichwertige Arbeit selbstverständlich werden und Frauen (und Angehörigen von Minderheiten) die gleichen Chancen auf berufliches Fortkommen und Männern Zeit für Familie und Care-Arbeit ermöglichen.
Nicht nur in den USA und nicht nur in der IT-Branche. Auch im Medienbereich z. B. sind die Chefsessel primär von Männern besetzt. Die eigentliche Frage lautet also: Welchen Typus Mensch brauchen wir, der den Anforderungen einer egalitären Gesellschaft gerecht wird? Wie sieht er aus, der Typus "neue selbstbewusste, zielstrebige Frau" und wie der Typus "sozial verträglicher Mann"?
Das "Google-Manifest"
"Ich glaube fest an die Unterschiedlichkeit der Geschlechter und der Rassen", lässt uns der sich selbst als liberal bezeichnende Damore wissen. Dem Konzern wirft er vor, sich in einer ideologischen Filterblase zu bewegen, die stark durch die linkslastigen Sozialwissenschaften geprägt sei.
Als Folge sieht er einerseits, dass sich ein Klima der Angst gebildet habe, in dem viele (Männer) sich nicht trauen, offen ihre Meinung zu sagen, und dass andererseits auf Biegen und Brechen versucht werde, Frauen in den Betrieb zu integrieren, weil deren Nicht-Existenz im IT-Bereich fälschlicherweise als Diskriminierung betrachtet werde. Beides hält er der psychischen Gesundheit der (männlichen) Beschäftigten nicht für zuträglich. Frauenförderung, in die Google immerhin 40 Millionen US-$ investierte, hält er also für einen Akt der seelischen Grausamkeit.
Frauen und Männer würden sich biologisch auf vielfältige Weise, so Damore. Das sei kein soziales Konstrukt,schließlich sei es universell in allen Kulturen zu beobachten.
Ja, Mr. Damore, das Patriarchat ist in allen Kulturen und allen Teilen der Welt zu Hause. Häufig basierten diese Unterschiede auf der pränatalen Zufuhr von Testosteron. Beobachtungen zufolge würden Männer, so Damore, selbst wenn sie direkt nach der Geburt kastriert würden und als Mädchen erzogen worden wären, sich trotzdem als Männer identifizieren.
Woher hat er das bloß? In welcher Kultur oder Gesellschaft werden solch barbarischen Menschenversuche durchgeführt?
Allerdings, so Damore, würden sich nicht alle Frauen von allen Männern unterscheiden:
Ich sage bloß, dass die Unterschiedlichkeit der Präferenzen und Fähigkeiten von Männern und Frauen zum Teil auf biologischer Ursachen basiert und diese Unterschiede erklären können, warum Frauen unterdurchschnittlich oft in technischen Bereichen und auf der Führungsebene antreffen.
James Damore
Durchschnittlich zeigten Frauen mehr Offenheit für Gefühle und Ästhetik, Männer für "Ideen", seien also erfinderischer und kreativer als Frauen. Die hätten grundsätzlich mehr Interessen an Menschen als an Dingen. Außerdem seien sie kooperativer, führt er weiter aus. Das habe zur Folge, dass Frauen es schwerer hätten bei Gehaltsverhandlungen, den Ton anzugeben und die Führung zu übernehmen.
Und genau das ist nicht biologisch vorherbestimmt, sondern Frauen über vielen Jahrhunderten von Kindesbeinen an antrainiert. Noch heute werden Mädchen sehr früh dazu erzogen, Verantwortung für andere zu übernehmen, sie lernen, sich selbst zurückzunehmen, im Streit mit dem Bruder z. B. nachzugeben. Mädchen bekommen beigebracht einzustecken, nicht auszuteilen. Sie werden früh dazu angehalten im Haushalt zu helfen, kleinere Geschwister zu beaufsichtigen, etc..
Hier halte ich es mit James Damore, der immer wieder betont, dass seine Beobachtungen natürlich nicht 100%ig zutreffen, aber ein Grundmuster erkennbar sei.
Frauen seien deshalb eher ängstlich, so Damore, und letztendlich sei das die Ursache für weniger Frauen in extrem stressigen Jobs. Mr. Damore, was glauben Sie eigentlich, was Ihre Mutter den ganzen Tag gemacht hat? Was glauben Sie, was für "high stress Jobs" beispielsweise Single-Mütter haben, die neben Haushalt und Erziehung noch drei Nebenjobs haben, um ihre Familien durchzukriegen? Was glauben Sie, wie erfinderisch Mütter in Kriegs- und Krisengebieten werden, um ihre Familien zu schützen und deren Existenz zu sichern?
Der Unterschied zu den hochbezahlten Männern in ihrer IT-Blase und den noch höher bezahlten Manager-Typen ist, dass dieser Erfindungsreichtum nicht einmal als Kompetenz, geschweige denn als "Job" gewertet wird, und die Frauen kein Gehalt in astronomischer Höhe bekommen. Mit anderen Worten: Es ist keine Frage der biologischen Unterschiedlichkeit, sondern der gesellschaftlichen Wertung. Und zufällig sind es immer Frauen-Tätigkeiten, die von der Gesellschaft als minderwertig eingestuft werden. Und das hat nichts mit Biologie zu tun, sondern schlicht mit Macht.
Allerdings wäre es falsch. Damore zu unterstellen, er vertrete eine rein exklusive Position, nach dem Motto: "Haltet uns die unfähigen Weiber vom Hals". Sondern er unterbreitet auch Vorschläge, wie in einigen Bereichen die "Biologie" von Frauen stärker berücksichtigt werden und Abteilungen in diesem Sinne optimiert werden könnten. Allerdings halte er es für falsch, wenn durch aufgesetzte Anti-Diskriminierungsmaßnahmen denjenigen, die es besäßen (also den Männern) das für den Konkurrenzkampf und die Wettbewerbsfähigkeit notwendige Selbstvertrauen genommen werde. DAS sei dikriminierend.
Der Feminismus hat großen Fortschritt bei der Befreiung der Frauen von der Geschlechterrolle gemacht, aber Männer sind immer noch viel zu sehr an ihre Geschlechterrolle gebunden. Wenn wir, als Gesellschaft, Männern erlauben, "weiblicher" zu sein, dann wird die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern schrumpfen, obwohl vermutlich Männer den technischen Bereich und die Führungsebene für die traditionell "weibliche" Rolle verlassen würden.
James Damore
Nur zu. Oder was glauben sie, Mr. Damore, wer das tun soll, wenn nicht Sie?
Als Fazit lässt sich sagen, der Mann ist geschlagen mit einem rückschrittlichen Frauen- und Weltbild, das sich u.a. darin ausdrückt, dass er sich in ultra-rechten Medien ausweinte. Trotzdem dürfte das von ihm verfasste Papier weniger den Verhaltenskodex des Konzerns verletzt und schon gar nicht den Betriebsfrieden gestört haben als die durch Google aus diesem Grunde ausgesprochene Kündigung.
Damore - und mit ihm aufstrebende karrieregeile Machertypen - wurden so zum seelisch tief verletzten Opfer stilisiert, und den Frauen, nicht nur in der IT-Branche, hat Google einen Bärendienst erwiesen. Frauenförderung dürfte künftig einen noch schwereren Stand haben.