Googeln Sie mal "von vorgestern", Mr. Damore

Seite 6: Neue Männer braucht das Land - neue Frauen auch

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Trotzdem, jammern und klagen bringt uns nicht weiter. Was also können wir tun, um die Gesellschaft und die Arbeitswelt für alle verträglich zu gestalten?

Klar ist, das gesellschaftlich vorherrschende Bild der Rolle der Frau muss endlich ins 21. Jahrhundert katapultiert werden. Männer wie James Damore fürchten um ihre Privilegien. Zu Recht. Gehen wir einmal davon aus, dass er die Zuschreibungen, mit denen er uns Frauen beschreibt, tatsächlich wertschätzend meint, dann sollten diese allerdings auch für ihn, bzw. für Männer allgemein, erstrebenswert sein.

Soziale Kompetenzen sind nicht angeboren, die lassen sich erwerben. Prioritäten lassen sich ändern, verlagern z. B. von Beruf auf Familie. Warum sind für Männer Dinge spannender als Menschen? Warum sollten Menschen, insbesondere kleine, nicht auch spannend sein? Vielleicht sollten sie diese Vorstellung einmal an sich heran lassen.

Die Entdeckung der femininen Seite, von der Damore spricht, können Männer nur selber vorantreiben. Was aber können Frauen tun? Warum fällt es uns so schwer, unsere Arbeitskraft, unsere Kompetenzen, unsere Erfahrungen im wahrsten Sinne des Wortes gut zu verkaufen?

"Im Grunde ist es naheliegend", sagt Medienunternehmerin und Management-Coach Inge Bell. "Von klein auf sind wir Frauen meist sozialisiert nach dem Motto: 'Sei fein bescheiden, brav und fleißig! Und immer höflich bleiben. Nicht unterbrechen. Rede, wenn du gefragt wirst.' Diese Glaubenssätze werden von Generation zu Generation weitergegeben, bewusst und unbewusst vorgelebt. Dumm nur, dass der Einsatz von Frauen (ob in Beruf, Privat, Ehrenamt) oft nicht als echte Leistung gesehen wird, sondern als Selbstverständlichkeit. Und Selbstverständliches bei Männern meist als Riesenleistung."

"Wir Frauen müssten uns von diesen Glaubenssätzen befreien", so Bell, denn: "Wer den Mund nicht aufmacht, wird nicht gehört."

Sie kenne es aus ihrem Präsentations-, Kommunikations- und Führungskräftetrainings, dem eigenen Unternehmerinnen-Dasein und natürlich auch aus ihrem Privatleben: "Ja, es fällt unglaublich vielen Frauen schwer, sich und das eigene Können 'gut zu verkaufen'. Aus voller Inbrunst an sich zu glauben, stolz zu sein auf sich und die eigenen Leistungen, und das alles auch nach draußen zu tragen - nach dem Motto 'Tue Gutes und rede darüber' - das ist den meisten Frauen gar nicht erst in die Wiege gelegt worden."

Und wenn, so die Kommunikations-Expertin, werde es ihnen im Laufe ihrer Sozialisation rasch abgewöhnt. Sich brüsten mit den eigenen Fähigkeiten oder so richtig "auf die Kacke zu hauen", was man doch für ein "toller Kerl/coole Sau" sei - das sei etwas, was Männern gern zugestanden, ja geradezu von ihnen erwartet wird. Was sie andererseits auch unter starken Druck setze.

Frauen verzeiht man so ein Gebaren jedenfalls nicht, es befremdet, wird als Angeberei abgetan, es bekommt einen negativen Beigeschmack. Was bei Männern tough, kompetent, kernig wirkt, wird bei Frauen als "zickig" und "unweiblich" empfunden.

Inge Bell

Wir seien sie einfach nicht gewohnt, selbstverständlich selbstbewusste und selbstbewusst auftretende Frauen.

Denn es fehlen genau diese weiblichen Vorbilder, die es uns vorleben könnten, wie wir als Frau souverän, kompetent und stark uns, unser Können und unsere Interessen nach draußen präsentieren - ohne als 'zickige Mannweiber mit Haaren auf den Zähnen' abgetan zu werden. Ja, wir alle kennen sie, aber nehmen sie nur vereinzelt wahr - eher als Ausnahmeerscheinungen denn als Massenphänomen.

Inge Bell

Allein die Bezeichnung "Powerfrau", die sie oft auch selbst höre, hinterlasse bei ihr gemischte Gefühle. Suggeriere der Begriff doch, dass eine Powerfrau eine Ausnahmefrau sei und alle anderen keine Power hätten. Stimme doch gar nicht! Möglicherweise sei eine Powerfrau nur sichtbarer und hörbarer als andere - bei eigentlich gleichem Potential.

Würden wir einen Mann als "Powermann" bezeichnen? Nee, würden wir nicht. Er ist automatisch ein Powermann? Immer. Ein Mann wird stets als Fachmann wahrgenommen, eine Frau einfach nur als Frau. Oder wie ich es auch gern ausdrücke: Ein Mann wird grundsätzlich für kompetent gehalten - bis er das Gegenteil beweist. Eine Frau wird grundsätzlich für inkompetent gehalten - bis sie das Gegenteil beweist.

Inge Bell

Stimmt, Frauen mit bestimmten Erfahrungen, Gewalterfahrungen z. B., Single-Mütter, bei Mobbing oder sexuellen Übergriffen im Job, gelten als befangen, aufgrund ihrer eigenen Betroffenheit wird ihnen ihr Urteilsvermögen abgesprochen. Männer hingegen machen Erfahrungen, werden zu Experten. Selbst dann, wenn sie nur irgendwo irgendwas gelesen haben. Das Internet ist voller (männlicher) Experten, das wahre Leben voller (weiblicher) Betroffener.

Leider nähmen das Männer und Frauen so wahr, so Bell, und agierten auch unbewusst so. Männer und Frauen schrieben einem Mann ganz unbewusst mehr Kompetenz zu. Das sei Erziehung, Sozialisierung, Gewöhnung, Alltag. Das zu hinterfragen und zu ändern, kostet Kraft. Und setze Beschäftigung mit dem Thema voraus, Erkenntnis, Aha-Erlebnisse.

"So ist es auch mit dem Netzwerken", weiß die Medien-Fachfrau aus Erfahrung. "Frauennetzwerke sind ein relativ neues Phänomen - und auch sie haben keine gewachsenen Vorbilder. Denn es gab ja lange überhaupt keinen Grund für eine berufliche Vernetzung, um in beruflichen Belangen Austausch und Aufstiegshilfe zu erfahren."

Männer hingegen haben jahrtausendelange Erfahrung damit, einander zu fördern und sich zusammenzutun, in Bünden, Logen, Gesellschaften, Seilschaften, Old-Boys-Networks. Männer fördern Männer. Das ist in vielen Studien bewiesen. Deshalb haben es Frauen auch recht schwer im Aufstieg in Unternehmen. Denn es gibt niemanden, der sie wirklich fördern würde: zu wenig Frauen an Führungspositionen, die Frauen fördern könnten. Und auch zu wenig Männer, die Frauen fördern würden.

Weil Männer eben Männer fördern, so wie es schon immer war. Frauen finden da im Bewusstsein der Männer in der Hierarchie gar nicht erst statt. Es ist kein böser Wille. Es ist nur gegen die Gewohnheit. Studien zur Gläsernen Decke für Frauen zeigen, dass gerade in sehr hierarchischen, autoritären, patriarchalen Großunternehmen Frauen als Irritation im (männlichen) Führungskreis wahrgenommen würden. Als totale Exotinnen - und das in einer Truppe, die sich nach dem Prinzip "Gleich und gleich gesellt sich gern" versteht, fördert und anordnet.

Inge Bell

Klingt so, als sei dieses Muster ohne Hilfe von außen nicht zu durchbrechen. Wir leben in einer Gesellschaft, die eben nicht auf Inklusion, sondern auf Ausgrenzung basiert. Der Kapitalismus hat überhaupt kein Interesse, alle einzubinden. Teile und herrsche, das ist das Prinzip, auf dem er beruht. Nun können - und wollen - wir Frauen aber nicht warten, bis der Kapitalismus abgeschafft wurde, und die Benachteiligung von Frauen sich in einer egalitären Gesellschaft sozusagen in Luft auflöst.

Es gibt auch gar kein positives Beispiel dafür, dass das passieren wird. Sondern nur dafür, dass es eben nicht passiert. Also wollen wir nicht auf den St. Nimmerleinstag warten. Sondern müssen diese Gesellschaft gerechter gestalten. Und das geht nur, wenn auch private Unternehmen stärker der gesellschaftlichen Kontrolle unterworfen werden.

Wenn sie bestimmte Quoten erfüllen müssen, um Frauen und Minderheiten ihrem Anteil an der Bevölkerung entsprechend auf allen Ebenen einzustellen. Wenn sie verpflichtet werden, mit ihrem Profit das Gemeinwohl zu unterstützen. Davon könnten Bildungs- und auch Förderprogramme finanziert werden. Das würde die alten verkrusteten Strukturen auf Dauer auflösen. Im Betrieb, aber auch in der Gesellschaft. Die kostbare Elternzeit muss beiden Eltern offenstehen, ohne finanzielle Einbußen. Nur so können Väter Beziehungen zu ihren Kindern aufbauen.

Und wir Frauen müssen uns viel stärker wehren. "Macht ein Mitschüler/Kommilitone/Arbeitskollege eine anzügliche Bemerkung? 'Lächel das weg. Da stehst du doch drüber. Immer tapfer lächeln', wird uns schon als junge Mädchen angeraten", erläutert Bell.

Doch genau das muss sich ändern. Wir Frauen müssen Grenzen aufzeigen und unsere Rechte einfordern.

"Ich zitiere hier gern meine Terre des Femmes-Mitfrau Heidemarie Grobe", erinnert sich Bell, die sich im Vorstand der Organisation engagiert, "die schon vor Jahren einen Satz sagte, der sich mir eingebrannt hat: 'Frauen müssen nicht besonders gefördert werden, man muss ihnen nur die Hindernisse aus dem Weg räumen.' Dazu müssen alle - Frauen und Männer und die folgenden Generationen - dieser Hindernisse gewahr werden."

Und aktiv mit anpacken. Denn auch Männer können letztendlich eigentlich nur gewinnen: Eine bessere Work-Live-Balance zum Beispiel. Das kann unter Umständen nichts Geringeres als ein längeres Leben bedeuten. Also, "rama dama"!