Kapitalismus forever
Wolfgang Pohrt über das Kapital, die 68er und den Islam
Das marxsche Kapital ist keine Erbauungslektüre für die Arbeiterklasse. Andererseits legt es den Blick dafür frei, wie tief die fetischisierten Wirtschaftskreisläufe in die menschlichen Verhältnisse eingedrungen ist und also wie umfassend eine Gesellschaft verändert werden müsste, damit die Menschen nicht mehr zu Variablen eines verselbständigten Wirtschaftswachstums degradiert werden würden und dass es mit einem größeren Stück vom Mehrwert-Kuchen für die Lohnabhängigen nicht getan ist.
Außerdem gibt einem die Kapital-Lektüre Werkzeuge in die Hand, um eine Menge Dinge zu kapieren, von denen Oskar Lafontaine vermutlich keine Ahnung hat: Dass der Kapitalismus auf seine Art gerecht ist, dass die Finanzkrise Resultat der vorangehenden Krise des produzierenden Sektors ist et cetera.
Marx scheint also aktueller als 1968, als seine Werke in Westdeutschland wiederentdeckt wurden und Bücher über marxistische Theorie Massenauflagen erreichten. Gleichwohl lautet der Titel des neuen Buches von ist Wolfgang Pohrt Kapitalismus forever und das ist auch so gemeint.
Herr Pohrt, warum ist die Lektüre des Kapital und der Grundrisse für Sie vernachlässigenswert?
Wolfgang Pohrt: "Vernachlässigenswert" nennt man Abweichungen, Störungen, Verunreinigungen, Fehler, Symptome, wenn Grenzwerte nicht überschritten werden. Bücher würde ich nicht so nennen. Sie sind weder beachtenswert noch vernachlässigenswert. Ein Buch ist kein unüberhörbares Signal, das ich beachte oder ignoriere, sondern ein Gebrauchsgegenstand, den ich benutze oder nicht.
Wenn man das Buch benutzt, sollte man wissen, was man dann tut, nämlich lesen. Das ist eine sehr stille, einsame, zurückgezogene, friedfertige, nach außen nicht in Erscheinung tretende Tätigkeit, wenn man es überhaupt als Tätigkeit bezeichnen will. Einen schärferen Gegensatz zu Protest, Revolte, Revolution gibt es gar nicht.
Beim Kapital - drei Bände, davon zwei sehr dick - dürfte die Klausur sich über Jahre hinziehen, und nimmt man den Rohentwurf dazu - tausend Seiten -, dauert sie noch länger. Und das ist erst der Anfang. Natürlich sollte man auch Feuerbach und Hegel kennen. Von Hegel führt der Weg zu Kant. Und so geht das immer weiter. Bert Brecht hat mal spaßeshalber ausgerechnet, was ein gründliche Ausbildung in Marxismus kosten und wie lange sie dauern würde.
Das kann man natürlich machen, nur bitte nicht unter dem Vorwand, man täte es für die Revolution. Revolutionen werden nicht im stillen Kämmerlein gemacht und im Seminar schon gar nicht.
Aber Marxens Hoffnung war es ja, dass der Gedanke zur materiellen Gewalt werden könne, also auch der im stillen Kämmerlein gedachte. Ich fürchte, dass wir diese Hoffnung nach dem Zusammenbruch des Ostblocks endgültig begraben müssen. Dort wurde das Werk von Marx nach Kräften gepflegt und verbreitet. Und was kam am Ende dabei heraus? Dass aus Marxisten Kapitalisten wurden.
Sie schreiben in Ihrem Buch: "Marxismus ist Schlafmittel, Beruhigungspille und Beschäftigungstherapie. Wir beobachten ihn immer dann, wenn die Leute lieber noch mal ein ganz dickes Buch lesen und danach gleich noch eins." Keine Kapital-Exegese zu betreiben, weil diese von der linken Praxis abhalten und die eigenen wie auch potentielle Mitglieder abschrecken würde ist jedoch nach unserem Forschungsstand zumindest inoffiziell die Linie der DKP, einer Partei deren politische Harmlosigkeit nun wirklich seinesgleichen sucht. Stimmt Sie diese Übereinstimmung nicht ein wenig nachdenklich?
Wolfgang Pohrt: Grundsätzlich stimmt mich gar nichts nachdenklich, was die DKP sagt oder macht, weil ich diese Partei nicht kenne und auch nicht kennen lernen will. Aber natürlich tut sie gut daran, Kapital-Exegese zu blockieren, man hat ja schließlich Erfahrung damit. Wenn Marxisten anfangen, sich über die richtige Auslegung des Kapitals zu streiten, wird der Klassenfeind überflüssig. Die Marxisten sind einander Feind genug.
Karl Marx vertrat gemeinsam mit seinem Kumpel Friedrich Engels zum Thema Krieg Standpunkte, die sie nicht gerade zum Eintritt in die hiesige Friedensbewegung prädestinierten. Mögen Sie vielleicht uns diese ein wenig erläutern?
Wolfgang Pohrt: Nein, Friedensbewegung ist nicht mehr aktuell. Aber ich nenne mal drei Zitate:
"Krieg früher ausgebildet wie Frieden; Art, wie durch den Krieg und in den Armeen etc. gewisse ökonomische Verhältnisse wie Lohnarbeit, Maschinerie etc. früher entwickelt als im Innern der bürgerlichen Gesellschaft. Auch das Verhältnis von Produktivkraft und Verkehrsverhältnissen besonders anschaulich in der Armee."
"Der Krieg ist daher die große Gesamtaufgabe, die große gemeinschaftliche Arbeit, die erheischt ist, sei es um die objektiven Bedingungen des lebendigen Daseins zu okkupieren, sei es um die Okkupation derselben zu beschützen und zu verewigen."
"Der Krieg ist daher eine der ursprünglichsten Arbeiten jedes dieser naturwüchsigen Gemeinwesen, sowohl zur Behauptung des Eigentums als zum Neuerwerb desselben."
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass der Kapitalismus unabänderlich ist. Ist es nicht ein wenig deprimierend mehr oder minder auf die selben Ergebnisse wie Jan Fleischhauer und Konsorten zu kommen, die dazu nicht einmal das Kapital studieren mussten?
Wolfgang Pohrt: Die Frage ist doch nicht "deprimierend oder erheiternd", sondern "wahr oder unwahr". Klar gefällt es mir nicht, dass die Verhältnisse so sind, wie ich sie beschreibe. Aber das ist kein Grund, obendrein noch sich selber zum Affen zu machen, indem man schwachsinnigen Optimismus verbreitet.
Natürlich haben die 68er erst einmal für einen Modernisierungsschub in den westlichen Gesellschaften gesorgt: Dieser kam auch genau dann zum stehen, als er für die Wirtschaft nicht mehr profitabel war. Gleichfalls war Marx damals bestimmt mehr Mode als man wahrhaben wollte. Kann man das aber Marx vorwerfen?
Wolfgang Pohrt: Das tut doch keiner. Warum fragen Sie?
Sie führen aus, dass es zwischen Christen und Moslems keine unüberbrückbaren Gegensätze gibt und sich im Vergleich zum Christentum der Islam historisch geradezu harmlos ausnimmt. Weiter sollte sich der "aufgeklärte" Westen erst einmal um den Balken im eigenen Auge kümmern, bevor er sich um Islam-Splitter Sorgen macht. Menschenrechts-Vorwürfe in Richtung Islam dienten erst einmal dazu, den massiven Unrat der eigenen Vergangenheit unter den Teppich zu kehren. - Kann man aber nicht sowohl das Christentum, die westliche Zivilisation mit ihren riesigen Massakern in der Vergangenheit und der Barbarei in ihren Hinterhöfen und den Islam gleichzeitig und von der selben Warte aus kritisieren?
"Es ist ziemlich blöde, den Moslems Nachhilfeunterricht geben zu wollen"
Wolfgang Pohrt: Nein, kann man nicht, weil die Zusammenhänge viel komplizierter sind. Hier Christentum - dort Islam: So hübsch und übersichtlich sortiert stellt sich das kleine Fritzchen die Welt vor. Ein Irrtum.
Wenn in Ägypten Muslimbrüder und Salafisten Wahlen gewinnen, dann deshalb, weil die Bevölkerung ohne Arbeit in bitterer Armut lebt und Unterstützung nur von Muslimbrüdern und Salafisten bekommt, nicht vom Staat. Das Geld, das die Muslimbrüder und besonders die in der Tat ziemlich unangenehmen Salafisten verteilen können, bekommen sie aus Saudi-Arabien. Dort wiederum sind die Wahhabiten am Ruder, ein Spielart des Islam, die es bequem mit den übelsten evangelikalen Sekten auf christlicher Seite aufnehmen kann. Und die Wahhabiten sind dort am Ruder, weil Saudi-Arabien seiner gigantischen Ölvorkommen wegen ein enger Verbündeter der USA geworden ist, die das Regime mit allen Mitteln stützen.
Saudi-Arabien hat alles, was sich Moslemfresser wünschen: Verbot des Autofahrens für Frauen, Verbot für Frauen, sich in der Öffentlichkeit mit fremden Männern zu zeigen, öffentliche Scharia-Strafen wie Hinrichtungen und Auspeitschungen, Verbot der freien Religionsausübung. Aus Saudi-Arabien kommen die Gelder für Salafisten und Taliban. Es gilt aber nicht als Schurkenstaat und wird vollgepumpt mit Waffen auch aus der Bundesrepublik.
Wer hatte im Iran einen Pfauenthron installiert? Wer hatte Saddam Hussein in seinem Krieg gegen den Iran unterstützt? Wer unterstützte das Mubarak-Regime und ist immer noch Geldgeber für das ägyptische Militär? Allah war und ist es nicht.
Es ist ziemlich blöde, den Moslems Nachhilfeunterricht geben zu wollen, wenn man es nicht mal im eigenen Land schafft, die Ausfuhr von Waffen nach Saudi-Arabien zu verhindern, die von der saudischen Armee bei der Niederschlagung von Aufständen in Bahrain eingesetzt werden können.
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