Kapitalismus vor neuer Krisenphase?
Durch eskalierende Handelskriege droht der labilen Weltwirtschaft ein neuer Krisenschub
Der Rechtspopulist im Weißen Haus macht ernst. Mit der Verhängung von Strafzöllen auf Aluminium und Stahl durch die Trump-Administration scheint ein globaler Handelskrieg kaum noch abwendbar. Seit dem 1. Juni gelten in den Vereinigten Staaten Einfuhrzölle von 25% auf Stahl und 10% auf Aluminium, die auf entsprechende Waren aus der Europäischen Union, Kanada und Mexiko erlassen.
Alle drei betroffenen Volkswirtschaften und Währungsräume kündigten umgehend Vergeltung an. Aufgrund des hohen Handelsdefizits der Vereinigten Staaten dürfte sich die ökonomische Wirksamkeit dieser Gegenmaßnahmen aber in Grenzen halten. Die Europäische Union, die vorerst auf konkrete Maßnahmen verzichtete, drohte zuvor beispielsweise an, Strafzölle von bis zu 25 % auf amerikanische Motorräder, Zigarren, Saft und Erdnussbutter zu erlassen.
In einer ersten Reaktion sprach die EU-Kommission von einem "schlechten Tag für den Welthandel", während die Bundesregierung Washingtons Vorgehen als "rechtswidrig" bezeichnete. Der deutsche Außenminister Heiko Maas forderte ein geschlossenes Vorgehen der EU im kommenden Handelskrieg: "Unsere Antwort auf 'America First' kann nur heißen: 'Europe united'." Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wiederum warnte vor der Kriegsgefahr, die im Zuge des "ökonomischen Nationalismus", den Rechtspopulisten wie Donald Trump praktizieren, zunehme. Macron zog dabei Parallelen zwischen den 30er Jahren des 20 Jahrhunderts und der gegenwärtigen Krisenperiode.
Die US-Administration wiederum machte die unflexible Haltung der EU für die gegenwärtige handelspolitische Eskalation verantwortlich. Brüssel und Berlin hätten sich geweigert, in konkrete Verhandlungen über Handelsfragen zu treten, solange die USA der Europäischen Union mit Strafzöllen drohen. Die EU forderte eine unbefristete Ausnahmeregelung als Vorbedingung für konkrete Gespräche. Der amerikanische Handelsminister Wilbur Ross kritisierte diese Haltung, die im Kontrast zu dem flexiblen Vorgehen Chinas stünde. Peking zahle seine Strafzölle und habe dies "nicht als Ausrede benutzt, um nicht zu verhandeln", so Ross. Es sei nur die EU, die darauf beharre, nicht verhandeln zu können, solange Zölle erlassen würden.
Tatsächlich scheint die Volksrepublik im gegenwärtigen Handelsstreit sehr viel weiter auf Washington zuzugehen als Brüssel und Berlin. Kurz vor einer neuen Verhandlungsrunde mit dem amerikanischen Handelsminister kündigte Peking die Absenkung einer Reihe von Zöllen an, was als deeskalierendes, wenngleich größtenteils symbolisches Signal an Washington gewertet wurde. Während Brüssel und Washington auf Eskalationskurs sind, bemüht sich Peking somit um Annäherung. Chinas Handelsüberschuss gegenüber den Vereinigten Staaten ist mit 375 Milliarden US-Dollar mehr als doppelt so hoch wie der Überschuss der EU, der 2017 rund 151 Milliarden betrug.
Eurasischer Wirtschaftsblock als Gegengewicht zu den USA?
Das umsichtige Agieren Pekings scheint sich auszuzahlen. Derzeit habe die Trump-Administration die "langfristigen Alliierten" der Vereinigten Staaten mit mehr und höheren Zöllen belegt als die angeblichen handelspolitischen "Bösewichter" in der Volksrepublik, meldete die Washington Times Ende Mai.
Zugleich sei Peking bemüht, andere Länder in einer breiten Handelsfront gegen die USA einzubinden. Bei einer weiteren handelspolitischen Eskalation mit Washington soll betroffenen Ländern und Volkswirtschaften ein breiter Zugang zu dem großen chinesischen Binnenmarkt gewährt werden. Hierbei handele es sich vor allem um asiatische und europäische Länder.
Damit würde ein eurasischer Wirtschaftsblock als Gegengewicht zu den USA entstehen - falls dieses Kalkül aufgehen sollte. Dies wäre aber nur dann der Fall, wenn die Volksrepublik ein ähnlich hohes Handelsdefizit in Kauf nehmen würde, wie es derzeit die Vereinigten Staaten aufweisen, um hierdurch die Überschussproduktion der unter einer strukturellen Überproduktionskrise leidenden Weltwirtschaft aufzunehmen.
Die Bundesrepublik sitzt am kürzeren Hebel
Sollten sich keine neuen - schuldenfinanzierten - Absatzmärkte auftun, scheinen insbesondere für den Exportüberschuss-Weltmeister Deutschland die Aussichten auf einen Sieg im kommenden Handelskrieg mit Vereinigten Staaten eher gering. Die Bundesrepublik sitzt aufgrund ihrer starken Handelsüberschüsse eindeutig am kürzeren Hebel. Den wunden Punkt stellt gerade die deutsche Automobilindustrie da, die bereits von Washington ins Visier genommen wurde.
Wie die Financial Times berichtete, plant das Weiße Haus bereits den nächsten Eskalationsschritt im Handelskrieg, indem sie Wege zur Verhängung von Strafzöllen gegen Fahrzeugimporte in die USA eruiert. Die Maßnahmen, die wiederum mit verteidigungspolitischen Argumenten begründet werden, dürften "wütende Reaktion seitens der EU" auslösen, schlussfolgerte die Financial Times. Zur Begründung der anvisierten Zölle auf Autos hieß es seitens der US-Administration, dass es gerade die amerikanische Autoindustrie war, die es den USA ermöglichte, im Zweiten Weltkrieg "Deutschland und Japan auszumanövrieren". Dieses industrielle Potential müsste auch derzeit geschützt werden.
Washington wartet somit nur darauf, dass Europa den Handelsstreit mit den USA eskaliert, um die Deutschland AG dort zu treffen, wo es besonders wehtut. Die Neue Züricher Zeitung stellte bereits im vergangenen März fest, dass die Autoindustrie die "Achillesferse" der Bundesrepublik beim kommenden Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten darstelle. Ein Handelskrieg bei Stahl und Aluminium sei für die Bundesrepublik noch zu verkraften, so die NZZ, doch bei Autos ginge es ans Eingemachte. Rund 78% der in Deutschland gefertigten PKWs würden exportiert, Strafzölle träfen diese Industrie folglich sehr schwer, die nun zwischen die Fronten des Handelskrieges zu geraten drohe.
Ende der kapitalistischen Globalisierung und der Hegemonie der USA
Sollte nicht doch noch ein Ausweg aus der drohenden handelspolitischen Eskalationsspirale gefunden werden, bei der wechselseitige Vergeltungsmaßnahmen eine neue Ära des Protektionismus einläuten würden, würde dies nicht nur das Ende der exportgetriebenen deutschen Sonderkonjunktur bedeuten, sondern auch die Ära der krisenhaften kapitalistischen Globalisierung beenden.
Die Weltfinanzmärkte, die sich in einer gigantischen Liquiditätsblase befinden, könnten in einen neuen Crash übergehen, sollte der globale Handelskrieg weiter eskalieren. Bereits jetzt nehmen die Turbulenzen an den Finanzmärkten zu: nicht nur wegen der Handelskriege zwischen den USA, Europa und China, sondern auch wegen der Krise in Italien. Das labile Finanzkartenhaus, das nach dem Immobiliencrash von 2008 mühsam mit Liquiditätsspritzen gestützt wurde, könnte durch anhaltende handelspolitische Erschütterungen endgültig zum katastrophalen Einsturz gebracht werden.
Der Krisenprozess der Globalisierung, dem eine global wirkende Verschuldungsdynamik samt den charakteristischen Handelsungleichgewichten zugrunde liegt, würde in eine neue, akute Krisenphase übergehen, die tatsächlich Erinnerungen an die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts wach werden ließe. Der globalisierte Schuldenturmbau - der als wichtigste Konjunkturstütze fungiert - würde von krassen wirtschaftlichen Verwerfungen in den sich zusehends abschottenden Nationalstaaten und Wirtschaftsformen abgelöst. Der Rechtspopulismus, wie er sich gegenwärtig nicht nur in Washington durchsetzt, hat somit die Lektionen aus der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre ignoriert - indem er die globalisierte Verlaufsform des Krisenprozesses für dessen Ursache hält, beschleunigt er den katastrophalen Zerfall des spätkapitalistischen Weltsystems.
Zugleich läutet der ausbrechende Handelskrieg das Ende der US-Hegemonie auf globaler Ebene ein. Die Vereinigten Staaten sind nicht mehr bereit, die ökonomischen Kosten ihrer Hegemonie zu tragen, die in der auf Aufrechterhaltung des gigantischen amerikanischen Handelsdefizits bestanden. Gerade die Möglichkeit, Überschussproduktion durch Handelsüberschüsse in die USA zu exportieren, bildete einen wichtigen Pfeiler der Hegemonialstellung Washingtons innerhalb des westlichen Bündnissystems.
Dieser ökonomische Anreiz, im westlichen Bündnissystem zu verbleiben, ist nun weggefallen. Was bleibt, ist die militärische Machtfülle Washingtons wie auch der Versuch, mittels Handelskriegen das nationale Wirtschaftsinteresse durchzusetzen. Doch dies ist keine Hegemonie mehr, die ja auch ein gewisses Maß an Akzeptanz benötigt, sondern reine machtpolitische Dominanz, die nur durch Zwang aufrechterhalten werden kann.
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