Kapitol-Erstürmung: Eine neue Art der Extremisten

Trump-Anhänger auf den Stufen des Kapitols. Foto: TapTheForwardAssist/CC BY-SA 4.0

Chicagoer Forschungsprojekt zu "inländischem Extremismus": Das demografische Profil der Capitol-Rioters unterscheidet sich von dem bekannter Rechtsextremisten

Wie kann sich eine Demokratie gegen diejenigen schützen, die sie untergraben wollen? Die Frage ist jetzt allgegenwärtig und sie streckt sich weit aus: Wie soll in Online-Diskussionsforen eingegriffen werden, wie ist mit Widerstand gegen Regierungs-Maßnahmen auf der Straße umzugehen? Wie lässt sich verhindern, dass die Konflikte auf eine Weise eskalieren, dass die politische Auseinandersetzung mehr und mehr von Gewalt und autoritärem Verhalten geprägt werden?

Es gibt keine beruhigenden Antworten, schon gar nicht in gereizten Zeiten wie diesen, aber man sollte genauer hinschauen. Das Feinkörnige ist wichtig, nicht die Schablone - das ist der Schluss, den Extremismus-Forscher der Universität von Chicago, aus einer Untersuchung über den politischen Gewaltakt am 6. Januar in den USA ziehen, der große Wellen schlug: die Erstürmung des Kapitols in Washington durch eine mehrere Hundert Personen starke aufgebrachte radikalisierte Meute.

Robert A. Pape, Politikprofessor an der University of Chicago, und ein Forschungskollege des "Chicago Projekts", Keven Ruby, haben sich die Hintergründe von 193 Beteiligten genauer angeschaut, die festgenommen wurden und gegen die Anklage erhoben wurde. Dabei sind sie zu ein paar bemerkenswerten Einsichten zu den "Capitol Hill Insurrectionists" gekommen. Diese stellen sie ausführlicher auf der Projekt-Webseite der Chicagoer Universität vor. Darüber hinaus haben Pape und Ruby ihre Folgerungen in einen aktuellen Artikel für das US-Magazin The Atlantic verarbeitet. Dessen Überschrift macht neugierig: The Capitol Rioters Aren’t Like Other Extremists.

Anders, als man es aufgrund von Medienberichten und der Vorgeschichte zur Erstürmung des Kapitols vermuten mag, zeigt sich anhand der Dokumente, die die Forscher der Universität zur Grundlage nahmen (zur Methodologie hier), dass die große Mehrheit der festgenommenen Eindringlinge "keine Verbindung zu bestehenden rechtsextremen Milizen, weiß-nationalistischen Gangs oder anderen etablierten gewalttätigen Organisationen" hat.

20 der von uns untersuchten Verhafteten, ein Zehntel, können als Unterstützer von Gangs, Milizen oder milizähnlichen Gruppen wie den Proud Boys, Oath Keepers und Three Percenters eingestuft werden. Die Rolle, die solche Gruppen bei dem Aufstand gespielt haben, hat beträchtliche Berichterstattung auf sich gezogen. Aber 89 Prozent der Verhafteten haben keine offensichtliche Zugehörigkeit zu einer bekannten militanten Organisation.

Chicago Project

Diese Erkenntnis wird dann noch weiter aufgeschlüsselt. Eine wichtige Rolle spielt dabei ein Vergleich. Das "Chicago-Projekt" hat Material zu 108 Personen gesammelt, die in den Jahren von 2015 bis 2020 vom FBI und lokalen Polizeikräften wegen Gewalt verhaftet wurden, die mit der politischen Rechten in Beziehung stehen. Die Auswertung dieses Materials vergleichen sie aktuell mit dem, was über die 193 Verhafteten der Capitol-Riots bekannt ist:

"Wir haben eine verhaftete Person als mit einer solchen Organisation verbunden gezählt, wenn Gerichtsdokumente oder Nachrichtenartikel die Person als Mitglied beschreiben, wenn sie sich auf Social-Media-Posts beziehen, die eine Affinität für eine bestimmte Gruppe ausdrücken, oder Aufnäher oder Kleidung direkt auf eine Unterstützung hinweisen."

Bei der Analyse der früheren politischen Gewalttäter wie bei denjenigen, die bei dem Eindringen ins Kapitol dabei waren, sei die gleiche Methodik angewandt worden und ähnliches Material verwendet: Gerichtsdokumente, Strafanzeigen, Sachverhaltsdarstellungen, eidesstattlichen Erklärungen sowie Recherchen zur Medienberichterstattung.

Als auffallende Ergebnisse nennen die beiden Autoren außer der Beobachtung, wonach die Mehrheit nicht in nachweisbarer Verbindung mit bekannten rechtsextremistischen Gruppierungen stehe, die Erkenntnis, dass der "Angriff auf das Kapitol unverkennbar ein Akt der politischen Gewalt" war. Das sei nicht nur eine "Übung in Vandalismus oder Hausfriedensbruch inmitten eines ungeordneten Protests gewesen, der außer Kontrolle geraten war".

Als hauptsächlicher Grund für die Aktion, wie dies immer wieder in Gerichtsdokumenten zitiert werde, seien von Angeklagten "Trumps Befehle" angegeben worden, wonach man den Kongress davon abhalten sollte, Joe Biden zum Sieger der Präsidentschafts-Wahlsieger zu erklären.

Drittens unterscheidet sich das demografische Profil der mutmaßlichen Capitol-Rioters von dem früherer Rechtsextremisten. Das Durchschnittsalter der von uns untersuchten Verhafteten liegt bei 40 Jahren. Zwei Drittel sind 35 Jahre oder älter, und 40 Prozent sind Geschäftsinhaber oder haben Angestelltenjobs. Anders als der typische Extremist haben viele der mutmaßlichen Teilnehmer an der Capitol-Erstürmung viel zu verlieren. Sie arbeiten als CEOs, Geschäftsinhaber, Ärzte, Anwälte, IT-Spezialisten und Buchhalter. Auffallend ist, dass Gerichtsdokumente zeigen, dass nur 9 Prozent arbeitslos sind. Von den früheren rechtsextremen Verdächtigen, die wir untersuchten, waren 61 Prozent unter 35 Jahre alt, 25 Prozent waren arbeitslos, und fast keiner arbeitete in Angestelltenberufen.

Robert A. Pape und Keven Ruby

Die Materialen zum Hintergrund der verhafteten Aufrührer würden darüber hinaus darlegen, dass sie mehrheitlich nicht aus Gegenden stammten, die als typisch für Trump-Wähler gelten, sondern häufig aus Gegenden und auch aus Städten, wo es mehr Biden-Wähler gab, wo keine große weiße Mehrheit dominiert, sondern eher ethnische Diversität. "Mehr als die Hälfte kam aus Counties, die Biden gewann; ein Sechstel kam aus Bezirken, die Trump mit weniger als 60 Prozent der Stimmen gewann."

Ein zentraler Schluss, den die Forscher daraus ziehen, lautet:

Wir haben es hier nicht nur mit einem Mix aus rechten Organisationen zu tun, sondern mit einer breiteren Massenbewegung, in deren Zentrum Gewalt steht.

Chicago Project

Ein Rezept, wie damit politisch am geschicktesten umzugehen ist, haben die Erforscher des innenpolitischen Extremismus nicht. Sie warnen "Amerikaner, die an demokratische Normen glauben", vor einfachen Lösungen. Es gehe um eine Mittelschicht, die mit bisherigen Methoden - erwähnt wird von ihnen "die Förderung von Arbeitsplätzen oder das geduldige Abwarten, bis die Teilnehmer mit dem Alter milder werden" - nicht zu besänftigen sei.

Klar ist, dass der Kapitol-Aufstand eine neue Kraft in der amerikanischen Politik offenbart hat - nicht nur einen Mix aus rechten Organisationen, sondern eine breitere politische Massenbewegung, die Gewalt in ihrem Kern hat und ihre Kraft sogar aus Orten bezieht, in denen Trump-Anhänger in der Minderheit sind. Weitere Gewalt von dieser Bewegung zu verhindern, wird ein tieferes Verständnis ihrer Aktivitäten und Teilnehmer erfordern, und wir beide wissen nicht, welche politischen Taktiken sich letztlich als hilfreich erweisen könnten.

Robert A. Pape und Keven Ruby