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Kein Gas: Außenministerin Baerbock fürchtet Volksaufstände in Deutschland

Bild: OpenClipart-Vectors auf Pixabay

Robert Habeck treibt Pläne zum rigorosen Energiesparen voran – mit erheblichen Folgen für die Bürger. Die Bereitschaft zu Protesten dürfte steigen und Baerbock hält unter Umständen Volksaufstände für möglich.

Deutschland muss sich mehr anstrengen, um gut über den Winter zu kommen. Das fordert Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nun mit Nachdruck. Am Donnerstag kündigte er in neues Paket von Maßnahmen an, mit dem das gelingen soll.

Als einen konkreten Schritt nannte er, die vorgeschriebenen Füllstände [1] in den deutschen Gasspeichern erhöhen zu wollen. Zum 1. September müssten demnach die Speicher zu 75 Prozent gefüllt sein. Zum 1. November dann zu 95 Prozent. Bislang war "nur" ein Füllstand von 90 Prozent für den 1. November vorgeschrieben.

Beim Klimaschutz macht Habeck dafür eine Rolle rückwärts. Neben der Steinkohle wird auch die Braunkohle wieder rehabilitiert. Zumindest sollen Braunkohlemeiler ab dem 1. Oktober aus der Reserve geholt und wieder aktiviert werden. Die Braunkohlekraftwerke sollen dann Gaskraftwerke bei der Stromerzeugung ersetzen. Und damit auch genügend Kohle zur Verfügung steht, soll deren Transport im Bahnverkehr Vorrang erhalten.

Habecks Ministerium teilte weiter mit, es sei sinnvoll, Räume, in denen man sich nicht regelmäßig aufhält, sollten nicht mehr beheizt werden – außer, es sei für die Sicherheit notwendig. Mit einer Verordnung soll das für öffentliche Einrichtungen und Bürogebäude geregelt werden. Und gemeinsam mit den Gewerkschaften und Unternehmen soll geredet werden, wo man im Arbeits- und Betriebsbereich Energie sparen könne.

Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, hatte kürzlich erklärt [2], die Menschen in Deutschland "werden die Komfortzone verlassen müssen" – und das zeichnet sich zunehmend ab. Der Deutsche Städtetag selbst hatte den Kommunen vorgeschlagen, um Energie zu sparen, sollten sie nachts Straßenbeleuchtung und Ampeln ausschalten und in öffentlichen Gebäuden solle auf warmes Wasser verzichtet werden.

Schwimmbäder [3] werden angehalten, die Temperaturen des Wassers zu verringern – wenn die Schwimmbäder nicht ganz geschlossen werden. In zahlreichen Städten stehen die Schwimmbäder jetzt schon vor dem wirtschaftlichen Aus, weil die Energiepreise gestiegen sind.

Und auch in Schulen dürfte es kälter werden. In einem Arbeitspapier des Deutschen Städtetags, das Telepolis vorliegt, heißt es, dass auch in Schulen die Raumtemperatur mit Beginn der Heizperiode gesenkt werden solle. Außerdem solle auch in Schulen auf warmes Wasser verzichtet werden.

"Die Lage bleibt angespannt", sagte Habeck laut Spiegel Online [4]. Deshalb müssten die Anstrengungen noch mal verstärkt werden. "Der Gasverbrauch muss weiter runter, die Speicher müssen voll werden. Daran sollten wir mit vereinten Kräften arbeiten."

Nord Stream 1 wieder offen

Inzwischen sind die Wartungsarbeiten an der Ostsee-Pipeline beendet – und das Gas fließt wieder. Enttäuscht zeigt man sich in der Bundesrepublik darüber, dass nicht die normale Menge geliefert wird, sondern nur knapp 40 Prozent davon, wie vor den Wartungsarbeiten.

Entwarnung will Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, deshalb noch nicht geben. "Angesichts der fehlenden 60 Prozent und der politischen Instabilität gibt es noch keinen Anlass zur Entwarnung", sagte er [5].

Dass Russland ein Garant für Europas Energiesicherheit ist, wie es der russische Energiekonzern Gazprom erklärte, wies Habeck entschieden zurück. "Das ist eine Verdrehung der Tatsachen", sagte er. Russland sei vielmehr zu einem "Unsicherheitsfaktor" geworden. Der Kreml nutze seine Macht, um Europa und Deutschland zu erpressen.

Doch auch das ist nicht ganz stimmig: Gazprom hatte den Gasfluss über Nord Stream 1 aus technischen Gründen [6] verringern müssen. Eine wichtige Turbine hing in Kanada fest, weil sie dort von Siemens Energy gewartet wurde; aber aufgrund der westlichen Sanktionen nicht zurückgeliefert werden konnte.

Kanada hatte nach Verhandlungen mit der deutschen Regierung beschlossen, eine Ausnahme von den Sanktionen zu genehmigen. Vor knapp zwei Wochen hatte die kanadische Regierung [7] erklärt, sie erteile eine "zeitlich begrenzte und widerrufliche Genehmigung", um die Rückgabe von Turbinen von ihren russischen Sanktionen auszunehmen.

Am Sonntag soll die Turbine per Flugzeug nach Deutschland geliefert worden sein. Gazprom hatte am Mittwoch [8] erklärt, noch keine entsprechenden Unterlagen erhalten zu haben. Neben der Rückkehr der Turbine sei auch die Wartung anderer Ausrüstung notwendig, um die Pipeline sicher betreiben zu können.

Der Transport der Turbine von Deutschland nach Russland soll weitere fünf bis sieben Tage dauern, wenn es keine Probleme mit Logistik und Zoll gebe, berichtete Reuters am Montag [9] und berief sich dabei auf die russische Tageszeitung Kommersant.

Die Turbine würde per Fähre aus der Bundesrepublik verschickt und dann über Helsinki auf dem Landweg nach Russland transportiert. Spätestens bis zum 24. Juli soll sie ankommen. Aber dann würden die Vorbereitungsarbeiten weitere drei bis vier Tage dauern. Bis dahin wird man sich in Deutschland gedulden müssen, um ein Urteil zu fällen.

Viele Bürger zum Protest bereit

Glaubt man der Bundesregierung, dann sind die Probleme rund um die Gasturbine nur vorgeschoben. Russland benutze Energie als Waffe, heißt es immer wieder. Dass sich die Bundesregierung der Bedeutung dieser Turbine und der Wirkung der Sanktionen bewusst ist, darauf deuten Aussagen von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) [10].

Sie hatte sich gegenüber der kanadischen Regierung dafür eingesetzt, dass eine Ausnahme von den Sanktionen gemacht wird. Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) sagte sie, in den Verhandlungen hätten mögliche innenpolitische Auswirkungen eine wichtige Rolle gespielt. Konkret meinte sie: Volksaufstände.

Wenn die Bundesrepublik die Gasturbine nicht bekomme, so Baerbock, "dann bekommen wir kein Gas mehr, und dann können wir überhaupt keine Unterstützung für die Ukraine mehr leisten, weil wir dann mit Volksaufständen beschäftigt sind".

Gefragt, ob sie tatsächlich Volksaufstände erwarte, relativierte Baerbock ihre Aussage etwas. Das sei "vielleicht etwas überspitzt formuliert" gewesen; aber dies könne eintreten, "wenn wir kein Gas mehr hätten". Deutschland benötige deshalb weiterhin Gas aus Russland.

Die wichtigste Aufgabe im kommenden Winter sei es, so die Außenministerin weiter, dafür Sorge zu tragen, dass der Krieg die Gesellschaft nicht spalte. Wie das konkret angepackt werden solle, sagte sie nicht. Sie betonte lediglich, Aufgabe der Bundesregierung sei es, "soziale Kompetenzen" abzufedern.

In der Bundesrepublik könnte es zu Protesten kommen, wenn die Energiepreise weiter steigen. Fast jeder zweite Bundesbürger würde auf die Straße gehen, wenn es zu Demonstrationen käme. Laut Meinungsforschungsinstitut Insa [11] gaben 44 Prozent der Befragten an, sie würden "sicher oder mit großer Wahrscheinlichkeit an Demonstrationen gegen die hohen Energiepreise teilnehmen".

Es sind vorwiegend die Wähler der FDP (50 Prozent), der Linken (60 Prozent) und der AfD (72 Prozent), die Proteste für notwendig halten und sich an diesen beteiligen wollen. Bislang lehnen aber auch noch 50 Prozent der Befragten die Teilnahme an Demonstrationen ab.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7186257

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/energiesicherheit-habeck-verkuendet-weiteres-paket-zum-energieeinsparen/28539026.html
[2] https://www.jungewelt.de/artikel/430272.folgen-des-ukraine-kriegs-winter-in-der-w%C3%A4rmehalle.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Wartungsarbeiten-an-Gas-Pipeline-Ab-Montag-fliesst-kein-Gas-mehr-durch-Nord-Stream-1-7167854.html
[4] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/robert-habeck-kuendigt-neues-paket-zur-energiesicherung-an-a-dbc8a51a-e73c-4fa8-a75e-2ecf49f8dc1e
[5] https://www.handelsblatt.com/politik/international/nord-stream-1-russland-dreht-den-gashahn-wieder-etwas-auf-auf-diese-zahlen-kommt-es-jetzt-an/28538156.html
[6] https://www.heise.de/tp/features/Erdgas-Habeck-ruft-Alarmstufe-des-Notfallplans-aus-Update-7146316.html
[7] https://www.reuters.com/business/energy/canada-will-return-repaired-turbines-nord-stream-1-expand-sanctions-russia-2022-07-09/
[8] https://www.reuters.com/business/energy/nord-stream-1-gas-pipeline-nominations-show-rise-july-21-operator-website-2022-07-21/
[9] https://www.reuters.com/business/energy/canada-sent-repaired-turbine-nord-stream-germany-kommersant-2022-07-18/
[10] https://www.rnd.de/politik/annalena-baerbock-bei-rnd-vor-ort-kritik-an-kretschmers-ukraine-forderungen-LCS7M3YGWZAIZE65WH5NZB62KA.html
[11] https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/insa-umfrage-deutsche-duschen-kuerzer-und-seltener-80753026.bild.html