Keine Wahl im Iran
Am Freitag wurde ein neuer Präsident gewählt. Der aussichtsreichste Kandidat Ebrahim Raisi hatte sich zuvor das Feld freigeräumt
Im iranischen Fernsehen wurden am Freitag Bilder von langen Schlangen vor Wahllokalen gezeigt; viele der Menschen hielten iranische Flaggen in den Händen, während immer wieder der Aufruf von Ajatollah Ali Khameini wiederholt wurde, zur Wahl zu gehen.
Gewählt wird ein neuer Präsident, der zusammen mit seiner Regierung für das politische Tagesgeschäft zuständig ist, wobei sich dieses, der reinen Lehre nach genauso gestaltet wie in anderen Ländern auch. Es gibt Minister, die für bestimmte Ressorts zuständig sind, Gesetzesvorlagen, die dann im Parlament besprochen werden, und in welche Richtung die Dinge gehen, richtet sich dabei nicht zwangsläufig nach der westlichen Einteilung in Hardliner/Falken und Reformer.
Denn letztere können durchaus wirtschaftliberal und in innenpolitischen Fragen konservativ sein, während sich im Falken-Lager auch Politiker finden, die beispielsweise für Arbeitnehmerrechte, Umweltschutz oder gar gegen die Todesstrafe sind. Wer genau welche Ansichten vertritt, ist aber oft schwer einzuschätzen, weil es keine politischen Parteien und mehrere Hundert Protagonisten gibt.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Aufnahmen der enthusiastischen Menschenmengen gestellt sind, und das nicht nur, weil, falls überhaupt, kaum jemand eine iranische Fahne einpacken dürfte, bevor man sich auf den Weg ins Wahllokal macht. In sozialen Netzwerken war auch in den Wochen vor der Präsidentschaftswahl eine Vielzahl von Aufrufen zum Wahlboykott zu lesen gewesen.
Von der Euphorie, die vor allem junge, gebildete, urbane Iraner 2013 und 2017 ergriffen hatte, als sich Hassan Ruhani um das Amt bewarb, war im Vorfeld dieser Wahl nichts mehr zu spüren. Ruhani, der dem nach Westen offenen Reformerlager zugerechnet wird, darf nach zwei Amtszeiten nun nicht mehr antreten; sehr wahrscheinlich hätte er auch keine neue Chance mehr bekommen.
Denn der Frust bei seinen einstigen Unterstützern sitzt tief: Er habe viel versprochen, nichts gehalten, vieles schlimmer gemacht, ist zu hören, während man ihm aber gleichzeitig auch oft zugesteht, dass seine Möglichkeiten stets eingeschränkt, die Umstände widrig waren.
Die Machtfrage
Denn das politische System im Iran ist extrem kompliziert, die Entscheidungsprozesse sind langwierig und von einem ewigen Hin und Her zwischen den Interessengruppen in Regierung, Parlament, Militärführung, Büro des Ajatollahs und diversen Gremien begleitet.
Dabei muss man sich stets vor Augen halten, dass der Ajatollah zwar theoretisch umfassende Macht und Entscheidungsbefugnis hat, seine Macht aber dennoch eingeschränkt ist. Denn sein Amt nährt sich aus der Unterstützung der einzelnen Pfeiler des Systems und einer möglichst breiten Unterstützung in der Öffentlichkeit. Besonders wichtig dabei sind die Revolutionsgarden, die der reinen Lehre nach das Regierungssystem schützen sollen, wie es nach der Islamischen Revolution 1979 entstanden ist.
Doch im Laufe der Zeit sind sie zu einer hochgerüsteten Armee herangewachsen, die zudem auch noch einen Großteil der Wirtschaft dominiert und an einer Atombombe baut. Die wiederum nicht nur im Westen, in Israel und in der arabischen Welt als Bedrohung gesehen wird, sondern auch den Einfluss der Revolutionsgarden im Inland massiv stärkt, weil es eben die Führung rund um Generalmajor Hussein Salami ist, die die Bombe beherrscht.
Und die auf dem Papier allumfassende Macht des Ajatollahs damit davon abhängig wird, ob ihm Salami und sein Generalstab folgen. Und in den vergangenen Jahren machte man immer wieder sehr deutlich, dass man an Entscheidungen beteiligt werden will; eine Abkehr von der traditionellen, seit den 1980-er Jahren geübten Praxis, sich aus der Politik herauszuhalten.
Ruhani konnte dagegen nichts ausrichten, erlebte, wie viele seine Initiativen, wie beispielsweise für mehr Frauenrechte, in den Gremien zerredet wurden und Proteste niedergeschlagen wurden. Die Aufkündigung des Atomabkommen durch US-Präsident Donald Trump, die von ihm verhängten Sanktionen haben weiter zu seinem Scheitern beigetragen: Zwar könne er nichts dafür, heißt es im Iran.
Aber angekreidet wird ihm, dass er und sein Team es nicht geschafft haben, die Auswirkungen zu begrenzen, und auch in Sache Corona wird ihnen ein schlechtes Abschneiden bescheinigt: Die Wirtschaft liegt am Boden, Impfstoff ist kaum vorhanden.
Vor allem im Umfeld der Universitäten wird aber auch darauf verwiesen, dass das Misstrauen in den USA und in Israel durchaus gerechtfertigt ist: Es sei durchaus denkbar, dass die Führung der Revolutionsgarden auch am Ajatollah vorbei trotz des Atomabkommens weiter an der Bombe gebaut hat; zu allmächtig, zu unangreifbar sind die Revolutionsgarden und ihre Führung mittlerweile geworden.
Der öffentliche Druck und die Jugend
Gleichzeitig steigt aber auch der öffentliche Druck: Dem Ajatollah kommt traditionell mehr die Rolle des Unifikators als des politischen Machthabers zu. In Reden und bei öffentlichen Auftritten soll er die einzelnen Gesellschaftsgruppen vereinen, doch diese Rolle gelingt dem alternden Khamenei immer schlechter.
Denn vor allem bei der Jugend in den Städten wirkt das Konzept eines religiösen Führers als Staatsoberhaupt immer mehr wie aus der Zeit gefallen, zumal Khamenei auch bei seinen selten gewordenen Auftritten nicht erkennen lässt, dass er die Bedürfnisse der Jugend versteht. Stattdessen hält er an der Politik der internationalen Isolation fest, verhindert dringend benötigte Reformen des wirklich extrem großen Behördenapparats.
Der aussichtsreiche Kandidat: Ebrahim Raisi
Und ließ nun zu, dass sich ein Mann selbst zum aussichtsreichsten Kandidaten macht, der wie kein zweiter für die Spaltung, aber auch die dunkle Seite der islamischen Republik steht: Ebrahim Raisi, der 2017 bereits erfolglos gegen Ruhani kandidiert hatte, und dann von Khamenei zum Chef der Justiz ernannt wurde.
Raisi nutzte dieses Amt, um hart gegen Demonstranten durchzugreifen, unter dem Jubel des konservativen Teils der Bevölkerung, die darin einen Beitrag zur öffentlichen Sicherheit sieht: Man schaut nach Ägypten, in den Jemen und nach Syrien und schließt aus den Entwicklungen dort, dass Demonstrationen der erste Schritt auf dem Weg zum Chaos sind.
Wie weit Raisi zu gehen bereit ist, zeigte er aber als Richter in den 1980-er Jahren: Nach Angaben von Amnesty International soll er an mindestens 5000 Todesurteilen gegen Regimegegner beteiligt gewesen sein; im Iran wird dies so gut wie gar nicht thematisiert. Auch als Justizchef ließ er öfter als seine Vorgänger die Todesstrafe fordern - während im Parlament ein Konsens für eine Einschränkung der mit der Todesstrafe bewehrten Delikte entstand.
Als Justizchef hatte Raisi aber nun auch die Möglichkeit, die Hälfte des Wächterrats mit seinen eigenen Vertrauten zu besetzen. Die andere Hälfte des zwölfköpfigen Gremiums wird vom Ajatollah ernannt. Alle, die für ein öffentliches Amt kandidieren wollen, wie klein es auch sein mag, sämtliche Gesetzesvorlagen müssen dieses Gremium passieren. Offiziell dient dies dazu, sicherzustellen, dass alles mit den Normen der islamischen Republik im Einklang steht. Tatsächlich wird im Wächterrat aber aus politischen oder persönlichen Motiven heraus entschieden.
Raisi, ein langjähriger Weggefährte Khameneis, nutzte seinen Einfluss nun, um das Feld von mehr als 600 Bewerbern für das Amt bis auf sieben auszudünnen, wobei jene, die kandidieren durften, dies vor allem deshalb tun durften, weil sie die Unterstützung der Revolutionsgarden haben, unter ihnen ein ehemaliger Chef der Garden und ein ex-Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrats.
Drei Kandidaten sprangen aber dann noch ab, und so gab es am Freitag neben Raisi drei weitere Kandidaten, von denen nur Zentralbankchef Abdolnasser Hemmati dem Reformerlager zugerechnet wird. Allerdings wird er von der Öffentlichkeit für die Inflation und hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht.
Ein Sieg Raisis erschien am Freitag also in greifbarer Nähe. Der aber trotzdem zur Niederlage werden könnte, denn es wird allgemein vermutet, dass Raisi sich als Nachfolger für Khamenei in Position bringen möchte. Der 82jährige wird in absehbarer Zeit entweder sterben oder abtreten müssen; der Nachfolger wird dann vom Expertenrat gewählt.
Die Präsidentschaft gilt als Sprungbrett in den Kreis der Bewerber für dieses Amt. Und dabei könnte Raisi eine neidrige Wahlbeteiligung zum Verhängnis werden. Denn der Ajatollah braucht eine möglichst breite öffentliche Unterstützung.
Und sollte Raisi nun gewinnen, aber insgesamt nur, wie erwartet, weniger als 40 Prozent gewählt haben, dürfte es schwer fallen, seinen Anspruch auf das Amt des Ajatollahs zu rechtfertigen. Zum Vergleich: 2017 lag die Wahlbeteiligung bei über 70 Prozent.