Angriff auf Natans: Der Schattenkrieg zur Nuklearvereinbarung mit Iran

Flugabwehrstellung an der Nuklearanlage Natanz. Foto: Hamed Saber/CC BY 2.0

Er macht am Ende eine iranische Atombewaffnung noch wahrscheinlicher?

Es gab gestern einen "Zwischenfall in Natans", der Prestige-Anlage der iranischen Nukleartechnologie: einen längeren Stromausfall, der an einen früheren Stuxnet-Angriff erinnerte, und eine Explosion. Zunächst hieß es von iranischer Seite, es handle sich um einen Unfall.

Später berichtigte der Sprecher des iranischen Außenministeriums das Bild. Saeed Khatibzadeh, sprach dann von "Terrorismus" und beschuldigte Israel. Gestern hatten mehrere israelische Zeitungen den Prestige-Geheimdienst des Landes, den Mossad, als Urheber der Beschädigungen, ausgemacht, nicht wirklich solide begründet, aber laut vernehmbar (z.B. Jerusalem Post, Israel Times). Ein Auszug:

Westliche Quellen, die in israelischen Medien zitiert wurden, sagten, der Angriff, der vom Iran zunächst als "Unfall" bezeichnet wurde, sei vom Mossad ausgeführt worden. (…) Der Vorfall in Natanz war kein "Unfall", und der Schaden war schlimmer als das, was der Iran zunächst der Öffentlichkeit präsentiert hatte, eine Quelle bestätigt, um The Jerusalem Post. Westliche Quellen sagten, die Anlage wurde durch einen Cyberangriff getroffen. Der Stabschef der IDF, Lt.-Gen. Aviv Kohavi gab am Sonntag einen seltenen starken Hinweis, der auf eine israelische Beteiligung hindeutet. "Die Aktionen der IDF im gesamten Nahen Osten sind nicht vor den Augen unserer Feinde verborgen, die uns beobachten, unsere Fähigkeiten sehen und sorgfältig ihre nächsten Schritte erwägen," sagte er in einer Rede zu Ehren der gefallenen israelischen Soldaten.

Jerusalem Post

Die iranischen Nachrichtenagenturen schickten heute die Meldung in die Welt, dass die Schäden nicht wirklich schlimm seien. Sollte es ein (Cyber-)Angriff gewesen sein, so hätten die Angreifer nur die alten Zentrifugen beschädigt, nicht die neuen, deren Entwicklung erst einen Tag vor dem Zwischenfall gefeiert wurde. Man werde sich nicht aufhalten lassen, so die Botschaft.

Am Samstag erst hatte Irans Präsident Hassan Rohani per Videokonferenz von Teheran aus an einer Zeremonie zum Nationalen Tag der Nukleartechnik teilgenommen. Dabei ließ er in der Urananreicherungsanlage Natans die neuesten Errungenschaften der iranischen Atomindustrie zu Testzwecken in Betrieb nehmen: Zentrifugen der leistungsfähigeren Typen IR-5, IR-6 und IR-9.

Der Termin sollte auch demonstrieren, dass sich die Islamische Republik von Sabotage nicht aufhalten oder gar einschüchtern lässt. Im Sommer war auf dem Gelände nahe der zentraliranischen Großstadt Isfahan eine Halle in die Luft geflogen und ausgebrannt, in der genau diese empfindlichen Maschinen montiert und getestet wurden. Damals hatte Teheran Sabotage als Ursache genannt und Israel bezichtigt.SZ

Die Botschaft der israelischen Meldungen - die sich, wie oben angerissen, auf andeutungsreiche, aber keine gerichtsfesten Aussagen aus Führungskreisen beziehen und auf ominöse Leaks, deren konkreter Inhalt unbekannt - ist ebenfalls deutlich: "Wir können jederzeit zuschlagen, auch in Iran."

In Kreisen der Beobachter wurde die durchgestochene Geschichte, wonach der Mossad hinter der Aktion steckt, da dies offiziell auch nicht dementiert wurde, als ungewöhnlich und letztlich auch gefährlich gewertet: Weil sich die israelische Führung üblicherweise mit solchen Bekenntnissen zurückhalte und weil mit diesem Angriff und der begleitenden Medienoffensive der "Schattenkrieg" zwischen Israel und Iran eine neue Stufe der Eskalation erreiche. Von einer solchen Absicht ist etwa in einem Ha'aretz-Kommentar zu lesen.

Es gab zuletzt einige Nachrichten aus dem sogenannten "Schattenkrieg" zwischen den beiden Kontrahenten: einen mutmaßlich israelischen Angriff auf einen iranischen Tanker, der angeblich auch ein strategisch wichtiges Kommandozentrum der iranischen Revolutionsgarden ist.

Dieser Angriff hatte ebenso eine Vorgeschichte wie auch die jüngsten Angriffe israelischer Kampfjets auf Ziele in Syrien, bei denen in der Kommunikation Wert darauf gelegt wird, dass sie Waffenbasen von Milizen gelten, die eng mit Iran zu tun haben. Anzufügen wäre, dass es in Israel Beschuldigungen gab, wonach die kürzliche Ölpest vor der Küste mit Iran in Verbindung stehe.

Völlig spekulativ bleibt auch die Klärung einer zentralen Frage hinter dem aktuellen "Zwischenfall" in Natans: Ob, falls eine israelische Geheimoperation tatsächlich hinter einem Angriff steckt, die US-Führung darüber auch Bescheid wusste? Und falls ja, ob die US-Regierung schon vorher eingeweiht wurde oder erst nachher mit den Fakten konfrontiert?

Derzeit bemühen sich die Vertragspartner der Nuklearvereinbarung von 2015 (JCPOA) in Wien darum, eine neue Verhandlungsbasis zu schaffen, um auf zivilisierte Weise den Streit über das iranische Nuklearprogramm zu lösen (USA/Iran: Werden neue Spielregeln vereinbart?).

Ein Angriff auf die Nuklearanlage in Natans sabotiere diesen Prozess, darüber sind sich einige Kommentatoren einig. Mit diesem Motiv erklären sie auch, dass die Urheberschaft höchstwahrscheinlich auf israelischer Seite liege: Netanjahu wolle verhindern, dass der neue US-Präsident, wie angekündigt, zum JCPOA zurückkehrt.

Wenn dem so sein sollte, dass die US-Führung von der Aktion vorab Bescheid wusste und die israelischen Befehlsgeber nicht davon abbrachte, so verfolgt Biden eine komplizierte Strategie. Wenn die US-Führung erst im Nachhinein davon in Kenntnis gesetzt wurde, so hat Biden ein Problem mit der israelischen Führung, das sich ähnlich entwickeln könnte wie zurzeit der Präsidentschaft Obamas.

Es gibt aber auch Ansichten, wonach die Beschädigungen in Natans größer sind als zugegeben und Irans Nuklearprogramm getroffen habe und damit die Verhandlungsposition geschwächt habe, was einen Vorteil bei den Verhandlungen durch diese Aktion unterstellt.

Das sind allesamt Spekulationen. Die Fortführung der Verhandlungen in Wien werden zeigen, was zählt, welchen Eindruck der Zwischenfall in Natans auf die Verhandlungspartner gemacht hat. Sie waren davor schon schwierig genug, leichter werden sie seit gestern nicht.

Es gibt auch nicht nur den Schattenkrieg als erweiterte Dimension zum diplomatischen Versuch, sich auf neue Spielregeln zu einigen, sondern die Festigung von konkurrierenden Blöcken, die sich in der jüngsten Zeit formierten. Für Iran könnte dies bedeuten, dass das Land sich mehr vom Westen absondert und sich stärker neuen strategischen Partnern im Osten zuwendet, etwa China und Russland.

Je größer die Kluft wird, je mehr sich die Konkurrenz der Blöcke, die ohnehin über Sanktionen im Wirtschaftskrieg liegen, verschärft, wird das Schauspiel, wer besser, härter und zielgenauer zuschlagen kann, in Spiralen fortgesetzt. Das macht am Ende eine iranische Atombewaffnung noch wahrscheinlicher?